An Herrn Utz

[187] (Zu Halberstadt den 8ten des Weinmonats 1761.)


Aus seiner Acten-Schanze tief hervor

Lobt Gleim dich laut, lobt meine Lieder;

Nur sein Verstand ist für uns lauter Ohr,

An seinem Herzen falln die Pfeile nieder


Die Amor dir, o Dichter! zugestellt,

In den Gesang sie zu verstecken;

Sie treffen oft das Herz der jungen Welt,

Sein Herz nur nicht, er weiß es zu bedecken.


Sein Schutzgeist mit dem diamantnem Schild

Ist ihm getreuer als Selinden!

Den würde nicht ein menschlich Venus Bild

In goldnem Wagen an dem Fenster finden.1
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Nur bey der Freundschaft Hinkunft nimt der Geist

Den breiten Schutz von seinem Herzen

Gleim ward ganz Seele bey dem Nahmen Kleist,

Und wird ganz Herz bey einer Sapho Scherzen.


O du, sein Utz! o würd ein Sonnenpferd

Vom grossen Phöbus dir geliehen:

Du würdest schnell, als wie sein Herz begehrt,

Mit Gratien und Musen zu ihm fliehen.


Noch riß der Herbst nicht allen Schmuck dahin

Komm! noch will ich die Blumen pflücken;

So reißt das Glück nach langem Eigensinn

Itzt Lorbeern ab, mein Saitenspiel zu schmücken.


In meines Herbstes Tagen lächelt mir

Zurückgebliebner Jugend Freude

Frag deinen Freund, nichts anders sagt er dir,

Als daß ich itzt Fürstinnen nicht beneide.

Fußnoten

1 Siehe Herr Utzens Sieg des Liebesgottes.


Quelle:
Anna Louisa Karsch: Auserlesene Gedichte, Berlin 1764, S. 187-189.
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