Zehnter Auftritt

[228] Guiskard tritt auf. Die Herzogin, Helena, Robert, Gefolge hinter ihm. Die Vorigen.


DAS VOLK jubelnd.

Triumph! Er ist's! Der Guiskard ist's! Leb hoch!


Einige Mützen fliegen in die Höhe.


DER GREIS noch während des Jubelgeschreis.

O Guiskard! Wir begrüßen dich, o Fürst!

Als stiegst du uns von Himmelshöhen nieder!

Denn in den Sternen glaubten wir dich schon – –!

GUISKARD mit erhobener Hand.

Wo ist der Prinz, mein Neffe?


Allgemeines Stillschweigen.


Tritt hinter mich.


Der Prinz, der sich unter das Volk gemischt hatte, steigt auf den Hügel, und stellt sich hinter Guiskard, während dieser ihn unverwandt mit den Augen verfolgt.
[228]

Hier bleibst du stehn, und lautlos. – Du verstehst mich?

– Ich sprech nachher ein eignes Wort mit dir.


Er wendet sich zum Greise.


Du führst, Armin, das Wort für diese Schar?

DER GREIS.

Ich führ's, mein Feldherr!

GUISKARD zum Ausschuß.

Seht, als ich das hörte,

Hat's lebhaft mich im Zelt bestürzt, ihr Leute!

Denn nicht die schlechtsten Männer seh ich vor mir,

Und nichts Bedeutungsloses bringt ihr mir,

Und nicht von einem Dritten mag ich's hören,

Was euch so dringend mir vors Antlitz führt. –

Tu's schnell, du alter Knabe, tu mir's kund!

Ist's eine neue Not? Ist es ein Wunsch?

Und womit helf ich? Oder tröst ich? Sprich!

DER GREIS.

Ein Wunsch, mein hoher Herzog, führt uns her. –

Jedoch nicht ihm gehört, wie du wohl wähnst,

Der Ungestüm, mit dem wir dein begehrt,

Und sehr beschämen würd uns deine Milde;

Wenn du das glauben könntest von der Schar.

Der Jubel, als du aus dem Zelte tratst,

Von ganz was anderm, glaub es, rührt er her:

Nicht von der Lust bloß, selbst dich zu erblicken;

Ach, von dem Wahn, du Angebeteter!

Wir würden nie dein Antlitz wiedersehn;

Von nichts Geringerm, als dem rasenden

Gerücht, daß ich's nur ganz dir anvertraue,

Du, Guiskard, seist vom Pesthauch angeweht –!

GUISKARD lachend.

Vom Pesthauch angeweht! Ihr seid wohl toll, ihr!

Ob ich wie einer ausseh, der die Pest hat?

Der ich in Lebensfüll hier vor euch stehe?

Der seiner Glieder jegliches beherrscht?

Des reine Stimme aus der freien Brust,

Gleich dem Geläut der Glocken, euch umhallt?

Das läßt der Angesteckte bleiben, das!

Ihr wollt mich, traun! mich Blühenden, doch nicht[229]

Hinschleppen zu den Faulenden aufs Feld?

Ei, was zum Henker, nein! Ich wehre mich –

Im Lager hier kriegt ihr mich nicht ins Grab:

In Stambul halt ich still, und eher nicht!

DER GREIS.

O du geliebter Fürst! Dein heitres Wort

Gibt uns ein aufgegebnes Leben wieder!

Wenn keine Gruft doch wäre, die dich deckte!

Wärst du unsterblich doch, o Herr! unsterblich,

Unsterblich, wie es deine Taten sind!

GUISKARD.

– Zwar trifft sich's seltsam just, an diesem Tage,

Daß ich so lebhaft mich nicht fühl, als sonst:

Doch nicht unpäßlich möcht ich nennen das,

Viel wen'ger pestkrank! Denn was weiter ist's,

Als nur ein Mißbehagen, nach der Qual

Der letzten Tage, um mein armes Heer.

DER GREIS.

So sagst du –?

GUISKARD ihn unterbrechend.

's ist der Red nicht wert, sag ich!

Hier diesem alten Scheitel, wißt ihr selbst,

Hat seiner Haare keins noch weh getan!

Mein Leib ward jeder Krankheit mächtig noch.

Und wär's die Pest auch, so versichr' ich euch:

An diesen Knochen nagt sie selbst sich krank!

DER GREIS.

Wenn du doch mindestens von heute an,

Die Kranken unsrer Sorge lassen wolltest!

Nicht einer ist, o Guiskard, unter ihnen,

Der hülflos nicht, verworfen lieber läge,

Jedwedem Übel sterbend ausgesetzt,

Als daß er Hülf, von dir, du Einziger,

Du Ewig-Unersetzlicher, empfinge,

In immer reger Furcht, den gräßlichsten

Der Tode dir zum Lohne hinzugeben.

GUISKARD.

Ich hab's, ihr Leut, euch schon so oft gesagt,

Seit wann denn gilt mein Guiskardswort nicht mehr?

Kein Leichtsinn ist's, wenn ich Berührung nicht

Der Kranken scheue, und kein Ohngefähr,[230]

Wenn's ungestraft geschieht. Es hat damit

Sein eigenes Bewenden – kurz, zum Schluß:

Furcht meinetwegen spart! –

Zur Sache jetzt!

Was bringst du mir? sag an! Sei kurz und bündig;

Geschäfte rufen mich ins Zelt zurück.

DER GREIS nach einer kurzen Pause.

Du weißt's, o Herr! du fühlst es so, wie wir –

Ach, auf wem ruht die Not so schwer, als dir?

In dem entscheidenden Moment, da schon – –


Guiskard sieht sich um, der Greis stockt.


DIE HERZOGIN leise.

Willst du –?

ROBERT.

Begehrst du –?

ABÄLARD.

Fehlt dir?

DIE HERZOGIN.

Gott im Himmel!

ABÄLARD.

Was ist?

ROBERT.

Was hast du?

DIE HERZOGIN.

Guiskard! Sprich ein Wort!


Die Kaiserin zieht eine große Heerpauke herbei und schiebt sie hinter ihn.


GUISKARD indem er sich sanft niederläßt, halblaut.

Mein liebes Kind! –

Was also gibt's Armin?

Bring deine Sache vor, und laß es frei

Hinströmen, bange Worte lieb ich nicht!


Der Greis sieht gedankenvoll vor sich nieder.


EINE STIMME aus dem Volk.

Nun, was auch säumt er?

EINE ANDERE.

Alter, du! So sprich.

DER GREIS gesammelt.

Du weißt's, o Herr – und wem ist's so bekannt?

Und auf wem ruht des Schicksals Hand so schwer?

Auf deinem Fluge rasch, die Brust voll Flammen,[231]

Ins Bett der Braut, der du die Arme schon

Entgegenstreckst zu dem Vermählungsfest,

Tritt, o du Bräutigam der Siegesgöttin,

Die Seuche grauenvoll dir in den Weg –!

Zwar du bist, wie du sagst, noch unberührt;

Jedoch dein Volk ist, deiner Lenden Mark,

Vergiftet, keiner Taten fähig mehr,

Und täglich, wie vor Sturmwind Tannen, sinken

Die Häupter deiner Treuen in den Staub.

Der Hingestreckt' ist's auferstehungslos,

Und wo er hinsank, sank er in sein Grab.

Er sträubt, und wieder, mit unsäglicher

Anstrengung sich empor: es ist umsonst!

Die giftgeätzten Knochen brechen ihm,

Und wieder nieder sinkt er in sein Grab.

Ja, in des Sinns entsetzlicher Verwirrung,

Die ihn zuletzt befällt, sieht man ihn scheußlich

Die Zähne gegen Gott und Menschen fletschen,

Dem Freund, dem Bruder, Vater, Mutter, Kindern,

Der Braut selbst, die ihm naht, entgegenwütend.

DIE HERZOGIN indem sie an der Tochter Brust niedersinkt.

O Himmel!

HELENA.

Meine vielgeliebte Mutter!

GUISKARD sich langsam umsehend.

Was fehlet ihr?

HELENA zögernd.

Es scheint –

GUISKARD.

Bringt sie ins Zelt!


Helena führt die Herzogin ab.


DER GREIS.

Und weil du denn die kurzen Worte liebst:

O führ uns fort aus diesem Jammertal!

Du Retter in der Not, der du so manchem

Schon halfst, versage deinem ganzen Heere

Den einz'gen Trank nicht, der ihm Heilung bringt,

Versag uns nicht Italiens Himmelslüfte,

Führ uns zurück, zurück, ins Vaterland![232]

Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 1978, S. 228-233.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Robert Guiskard [Fragment]
Robert Guiskard, Herzog der Normänner. Fragment aus dem Trauerspiel. (Bd. I/2)

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldsteig

Der Waldsteig

Der neurotische Tiberius Kneigt, ein Freund des Erzählers, begegnet auf einem Waldspaziergang einem Mädchen mit einem Korb voller Erdbeeren, die sie ihm nicht verkaufen will, ihm aber »einen ganz kleinen Teil derselben« schenkt. Die idyllische Liebesgeschichte schildert die Gesundung eines an Zwangsvorstellungen leidenden »Narren«, als dessen sexuelle Hemmungen sich lösen.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon