Die Mutter, und die Tochter

[202] »Göttinnen wird die Göttin gebären!« sang ich verkündend,

Da sie noch verwandelt nicht war, die heilige Freyheit,

Noch Alekto nicht war! geworden zur Nacht der Tag nicht,

Noch die Welt zum Chaos nicht.


Falsches hab' ich verkündet. Die Göttin hat nicht geboren;

Aber Alekto! »Eya, Poleya schlaf, Eumenidchen,

Schlaf, du kleine Megära! (die Mutter sang's) Der Rhodan

Schweig', Alektochen, dir im See.
[203]

Tisiphonchen, beginn an dem Lächeln die Mutter zu kennen,

Am sardonischen! Aber o schrey dich nicht blau nach den Kugeln,

Süsse Tochter; da sind sie, und marmorne nicht! da sind auch

Zündbare Kügelchen ohne Zahl!


Wie du so schnell das Spiel mit den Kugeln, und Kügelchen lernest,

Nächtliche, schwarzbehautete! Wie dir die Schlang' in dem Haarbusch,

Schreckenblickende, steiget, so bald in den Todesschlummer

Eya, Poleya aus Eisen sing.


Mütter sind blind; ich bin's nicht. Du bist eine wahre Megära!

Gleichest mir, wie dem andern ein Dracheney. An dem Rhein kam's

Todt mir zur Welt; du lebest, lebst! und des Schwachen spott' ich,

Der dich, Göttergeburt, verkent.
[204]

Tochter, dir wurde Geist; du verstehst die Mutter, sie warnt dich:

Lass dich niemals blenden den Wahn der westlichen Thörin!

Ungethanes Gesetz ist (wähnet sie) leerer Schall, ist

Bild des Künstlers, das eilet, bleibt.«


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 2, Leipzig 1798, S. 202-205.
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