Der 8. (68.) Kühlpsalm

[45] Nachdem ihm vorgefallen war in seiner dritten Hollandsgegenwart di zehnmonatliche grosfigur Himmels und Erden; Rothensflattern; Tanneken in Mesach donnerstein vor den spott der schleudersteine; Breklings Christumlästern in Drabitz und Betrug; Magdalenens neues Umsehen; Badhors zurükkunfft aus Jamaica, und er schon zur Sibenprob, Gefahr, aufgebrochen; vor der Bus busgethränet unter solchen hauptständen im Bril den 4. Mertz 1681.


1.

Hochheilger Gott! Ich falle dir zu fus!

Erbarm, erbarm, erbarm in Christo meiner!

Mein hertze ächtzt, seufftzt, lächst in ernst nach Bus:

Minutlich wird es sich in sich unreiner.

Ich thu und thu, was ich wil nimmer thun:

Ich ruh und ruh, da ich wil nimmer ruhn.

Ich fall der Sünd in ihren schwartzen Rachen:

Ja schnarche tiff im allertiffstem wachen,

Das gantz mit mir verlohren eignes machen.


2.

Ich schwärtz imehr, imehr ich mich anseh!

Erbarm, erbarm, erbarm um Jesus willen!

Ich schäme mich, imehr zu dir ich fleh,

Weil ichs zusag und fehlt mir stets erfüllen.

Es ekelt mir vor meiner schande schand!

Ich fall und fall, O Gott, so vilerhand!

Ich armer Mensch bin elendsvollen jammer;

Mich klemmet inn ein tausendfacher hammer.

O Jesu Christ! Reis aus der Todeskammer!
[45]

3.

Ich fürchte mich, eh furcht mich gantz versenkt!

Erbarm, erbarm, erbarm um dein erbarmen!

Vil Heilge sind mit sünden sündgekränkt,

Hilf, Jesus, hilf mir blinden, tauben, armen!

Geschah di Sünd so dürr am grünem holtz?

Ach ich verdorr in mir den dürrsten Stoltz!

Ich bin erzeugt aus Evens sündgeschlechte!

Geschwächt durch mich und alle Menschgeschwächte!

Hilf, Jesu, hilf mir Sündern ernst zurechte!


4.

Fil Adam hin, als er noch unverderbt:

Wi solte ich, mein Schöpffer, nun nicht fallen?

Ach kläglich ist aus Adams fall verkerbt!

Ich will ernst Bus vor meiner Bus anschallen.

Selbst Noah schämt in scham sich seiner scham,

Der doch vor dir gerecht alleine kam!

Ich bin ein staub, den leichter Wind verstäubet:

Di sünd ist mir erbärmlichst einverleibet.

Komm, Jesu, komm, eh solche stammbekleibet.


5.

War Abraham gantz zaghafft vor dem Hamm?

Gantz zaghafft, als sein Sohn so lang verzogen?

War Isaac selbst, das Bild von Gottes Lamm,

Mit furcht so offt in nöthen angeflogen,

War Jacob gantz in sich aus sich verstürtzt,

Als Joseph ihm di Zwölfzahl elf gekürtzt?

Und solt ich nicht zum kreutz erschrokken Krichen?

Ich Misgeburt! Nur disen unverglichen?

Ich trau auf Gott, weil ich mir mich erblichen.


6.

Stund Joseph nicht sehrhöchlich leidbedrängt,

Als Trug auf Trug ihn gäntzlich wolt umhälsen?

Fil Moses einst, weil angst auf angst ihn zwängt?

Er schlägt und schlägt ungläubig an den felsen.

War David matt vor Saul auf seiner flucht,

Das endlich er bei Heiden bergung sucht?

Ich beuge mich, O Gott, vor deinen stegen,

Weil kühlenleicht mich findet doch dein wägen!

Jehovah, hilf! Gib mir den Jesus-segen!
[46]

7.

Reitzt Ungedult auch endlich Jobs gedult?

Verflucht sich selbst der heilge Jeremias?

Fällt Salomon, dem Gott so wunderhold?

Ja stolperten Hiskias und Josias?

Ach fil und fil so vilfach manch Prophet!

Es röthet an meist alle Heilgen röth.

Wi solt ich nicht an mir in mir verzagen?

Ich wil auf mich, mein Gott, durchaus nichts wagen:

Durch dich sind leicht unendlich Centnerplagen.


8.

Vermas sich hoch des heilgen Petrus Mund,

Der doch so bald des Petrus mund vermessen?

Das Jünger Eilf fil auch auf gleichen grund:

Es ward des Christs im schrekken schnell vergessen.

Wird misgekennt an Heiden Christi strahl?

War auch im fleisch dem heilgen Paul sein pfahl?

Wann Sonnen sind mit nebeln überdekket,

Was ist dann nacht, di gantz das Schwartz durchflekket!

Sonn, Jesus Sonn! Dann bin ich dir erwekket.


9.

Herr, straff mich nicht in deinem grimm und zorn!

Wohl deme, dem Vergeben übertretung.

Herr, straff mich nicht! zerbrich nicht gold und horn!

Gott sei genad in meiner flehanbetung.

Herr, höhre doch mein schreiend angstgebet!

Aus tiffster tiff wird, Herr, zu dir gefleht!

Herr, höhr, erhöhr um deines Sohnes Warheit,

Um deines Christs ni ausgesprochner klarheit,

In meiner noth und sibender gefahrheit.

Quelle:
Quirinus Kuhlmann: Kühlpsalter, Band 2 (Buch 5–8 u. Paralipomena), Tübingen 1971, S. 45-47.
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