201. Der Rabe auf dem Mittelthurm zu Prenzlau.
Mündlich.

[215] Dem Erbauer und ersten Beherrscher der Stadt Prenzlau, Namens Primislav, kam einst ein goldner Siegelring fort, und er argwöhnte, daß ein Knappe denselben gestohlen habe; dieser leugnete zwar die That, wurde aber dessenungeachtet, da alle Umstände gegen ihn sprachen, von der Spitze des Mittelthurms, der jetzt mitten in der Stadt ist, ehmals aber an der Stadtmauer lag, herabgestürzt. Lange Zeit darauf jagte Primislav einmal in dem vor Prenzlau gelegenen Walde, und ließ sich, um sein Mittagsmahl einzunehmen, mit seinen Begleitern grade an einer Stelle nieder, wo man eben mit dem Fällen einer Eiche beschäftigt war. Der Baum fiel, und man entdeckte in seiner Spitze ein Krähennest, in welchem sich zum größten Erstaunen aller Anwesenden der vermißte Siegelring des Fürsten fand. Dieser kehrte tief ergriffen sogleich nach Prenzlau zurück, und ließ aus dem Holze der gefällten Eiche das Bild einer Krähe anfertigen, das man noch jetzt auf dem Mittelthurm der Stadt gewahrt.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin 1843, S. 215.
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