Vierte Szene.


[97] Schnure verstört. Die Vorigen.


SCHNURE Brahe krampfhaft bei der Hand fassend. O Graf Peter von Brahe, wissen Sie keinen Trost, keine Hilfe für dies gebeugte Land, für mein gebrochenes Herz?

BRAHE. Ja, ja! nur halten Sie mich nicht auf!

SCHNURE ihn noch haltend. Ich, ich Sie aufhalten? Was denken Sie von mir – anbeten würd' ich Sie!

BRAHE. Aber Sie lassen mich ja nicht los, Herr – Karl Gustav kann helfen!

SCHNURE. Bitte tausendmal um Verzeihung – doch ich weiß nicht mehr, was ich tue! – Seine wahrscheinliche Majestät – einen Augenblick Gehör, Graf Peter von Brahe Ereilt ihn noch einmal am Ausgange. – Seine wahrscheinliche Majestät Karl Gustav sind aber schon bei der ersten Fanfare in den Saal getreten, sahen sehr bewegt aus – Brahe ab. Ach, ganz Schweden zittert – Graf Ludolf von Malström, Sie stehen in tiefen Gedanken, sagen Sie, hören Sie, habe ich recht mit dem einen Gedanken, der mich zu Tode peinigt, sagen Sie!

MALSTRÖM zerstreut. Ja, Sie haben recht, Freiherr von der Schnure.

SCHNURE. Nicht wahr? – Wie so? Ja, Sie wissen ja noch nicht, Sie kennen noch nicht –

MALSTRÖM. Ich kenne ihn –

SCHNURE. Außerordentlich! Aus Respekt hab' ich ihn noch nicht über die Lippen gelassen –

MALSTRÖM zerstreut. Sie sind in Sorge, ob der Reichsrat heute[97] schwarzen Flor um den Säbelgriff tragen darf, was schicklich wäre, und doch nicht Vorschrift ist –

SCHNURE. Das auch – das auch – das hat mich beschäftigt, aber, aber mein Gedanke ist's nicht!

MALSTRÖM. Dann denken Sie, ob der Reichskanzler Axel Oxenstierna die Abdankung proklamieren wird, muß oder darf, er, welcher Seiner sterbenden Majestät Gustav Adolf geschworen, die Tochter Christine auf dem Throne zu erhalten –

SCHNURE. Das ist groß – sehr groß, eine höchst merkwürdige Verlegenheit! Dort der großen Majestät geschworen, auf dem Throne zu erhalten, und jetzt von der lebendigen Majestät befehligt, Abdankung auszusprechen, ein einziger Fall – aber nicht mein Gedanke.

MALSTRÖM. So? – Adieu, Baron!

SCHNURE. Einen Augenblick! Sie sind zerstreut, Sie wollen meinen Gedanken nicht wissen!

MALSTRÖM. Nein.

SCHNURE. Wie so? Sie sind so zerstreut, daß Sie mich beleidigen!

MALSTRÖM. Auch nein.

SCHNURE. Wissen Sie, Graf Ludolf von Malström – nur einen Augenblick, ich beschwöre Sie! Noch länger verschlossen, stranguliert mich der Gedanke – wissen Sie, daß wir an dem Punkte stehn, wo unser ganzes Gesellschafts- und Staatshaus in Trümmer stürzt?

MALSTRÖM. Das weiß ich!

SCHNURE. So? Nun dann haben wir denselben Gedanken. Graf, wenn die höchste Autorität des Staates Nichtachtung ihrer Autorität zeigt – ich erschrecke, daß ich es aussprechen muß – so ist alle Relation, woraus Staat und Gesellschaft besteht, ruiniert – hab' ich recht?

MALSTRÖM. Ja.

SCHNURE. Der Pöbel glaubt dann nicht mehr an die göttliche Notwendigkeit der Dinge, alles Zeremoniell, alles Formgesetz verliert seine Weihe, man wagt zu vermuten, es könnte ja auch anders sein.

MALSTRÖM. Wer hat Ihnen das gesagt?

SCHNURE. Sie erschrecken mich!


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 23, Leipzig 1908–09, S. 97-98.
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