Erste Szene

[107] Zu Naumburg.

Herr von Biederling tritt auf mit dem Prinzen zur Frau von Biederling und Wilhelminen.


HERR VON BIEDERLING. Hier Frau! bring ich dir einen Gast. Wir haben in Dresden in einem Hause gewohnt, und da er die Reise nach Frankreich über Naumburg zu machen hatte, schlug ich ihm vor, bei mir einzukehren und meine Gärten ein wenig in Augenschein zu nehmen.

FRAU VON BIEDERLING. Ich bin sehr erfreut –

HERR VON BIEDERLING. Es ist keiner von den Alltagspassagieren, Frau! es ist ein Prinz aus einer andern Welt, der unsere europäische Welt will kennen lernen und sehen, ob sie des Rühmens auch wohl wert sei. Also müssen wir an unserm Teil unser Bestes tun, ihm eine gute Meinung von uns beizubringen. Denk einmal, bis in Cumba hinein bekannt zu werden, ein Land, das nicht einmal auf unserer Landkarte steht.

FRAU VON BIEDERLING. Es ist ein unerwartetes Glück für unser Haus, daß ein Reisender von so hoher Geburt –

PRINZ. Nun genug, meine Freunde, Setzt sich. ich bin von keiner hohen Geburt. Wenn Sie mir den Aufenthalt angenehm machen wollen, so gehen Sie mit mir um wie mit Ihrem Sohne.

HERR VON BIEDERLING. Das wollen wir auch. Setzt sich zu ihm. Sitz nieder, Frau! Mine, kannst zu uns sitzen. Was wollt ich doch sagen, weil Sie denn haben wollen, daß wir geradzu mit Ihnen umgehen – Peter! ist das Gepäck eingebracht? –, so erzählen Sie mir doch einmal so was von Ihrer Reise, Prinz, von Ihren Abenteuern, Sie haben doch zum Element ein gut Stück Weges[107] gemacht, da läßt sich schon was davon erzählen. Und wie sind Sie auf den Einfall gekommen, zu reisen, wenn ich fragen darf?

PRINZ. Land und Leute regieren, und nicht Menschen kennen, dünkt mich wie ein Rechenmeister, der Pferde bereiten will.

HERR VON BIEDERLING. Oder wie unser Herr Magister Beza an der Pforte, ha ha ha. Aber sagen Sie mir doch, wer hat Ihnen dann was von Europa gesagt, da wir kluge Europäer doch kein Wort von dem Königreiche Cumba wissen, potz Sapperment.

PRINZ. Ich bin in Europa geboren. Eine Mission Jesuiten nahm mich nach Asien mit.

HERR VON BIEDERLING. Aber, ei! ei! ... wie sind Sie denn Prinz worden, daß ich fragen darf?

PRINZ. Wie's in der Welt geht, das Glück wälzt Berg auf, Berg ab, bin Page worden, dann Leibpage, dann adoptiert, dann zum Thronfolger erklärt, dann wieder gestürzt, berguntergerollt bis an die Hölle! ha ha ha!

HERR VON BIEDERLING. Gott behüt! wie das? wie das?

PRINZ. Die Geschichte ist langweilig und schändlich. Ein Weib, die Königin –

HERR VON BIEDERLING. Und was denn mit den Weibern, das sag ich immer, die Weiber sind an allem Unglück in der Welt schuld. O ich bitte Sie, erzählen Sie doch fort.

PRINZ. Ich sollt ihres Gemahls Ehebett beflecken, eines Mannes, der mich mehr liebte als sich selbst, und sein Weib mehr als uns alle beide. Als ich nicht wollte, kam ich auf den Pyramidenturm, auf dem alle die langsam sterben, die sich an der Person des Königs oder der Königin vergreifen. Die Furcht, ich würde die Wahrheit verraten, machte sie mit jedem Tage grausamer. Alle Tage ward ich einen Stock höher in ein engeres Gefängnis geführt, bis ich am dreißigsten Tage mich in einer schwindelnden Höhe befand, zwischen vier Mauren, die so eng waren, daß sie kaum Fußgestell einer[108] Statue gaben. Und doch, nachdem ich eine Nacht in diesem abscheulichen Aufenthalte zugebracht, faßt ich den Entschluß, mich hinabzustürzen –

FRAU VON BIEDERLING. Hinabzustürzen – – o weh mir!

PRINZ. Stellen Sie sich eine Tiefe vor, die feucht und nebligt alle Kreaturen aus meinem Gesichte entzog. Ich sah in dieser fürchterlich-blauen Ferne nichts als mich selbst und die Bewegung die ich machte, zu springen. Ich sprang –

FRAU VON BIEDERLING. Meine Tochter –

HERR VON BIEDERLING springt auf. Was ist, Narre! Mine! was ist? Sie suchen Wilhelminen zu ermuntern, die in Ohnmacht liegt.

PRINZ. Ich bin vielleicht mit Ursache – o meine einfältige Erzählung zur Unzeit!

HERR VON BIEDERLING. Zu Bett, zu Bett mit ihr. O Jemir, was sind doch die Weibsen für Geschöpfe! O ihr Papiergeschöpfe ihr!


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 107-109.
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