Dritte Szene

[169] In Naumburg.

Wilhelmine und Babet spazieren im Garten.


WILHELMINE. O gehn Sie noch nicht weg, meine liebe, liebe Frau Wändeln! Wenn Sie wüßten, wie viel Trost Ihre Gegenwart über mich ausbreitet! ich weiß nicht, ich fühl einen unbekannten Zug – ich kann's Ihnen nicht bergen, die unbekannten Mächte der Sympathie spielen bisweilen so wunderbar, so wunderbar.


Küßt sie.


BABET fällt ihr weinend um den Hals. Ach mein unvergleichliches Minchen.

WILHELMINE. Was haben Sie?

BABET. Ich kann es nicht länger zurückhalten, und sollte die Donna mit gezücktem Dolche hinter mir stehen. Es ist Lebensgefahr dabei, Minchen! aber Sie länger leiden zu sehen, das ist mir unmöglich, Sie sind des Prinzen Tandi Schwester nicht.

WILHELMINE. Wie das? meine Teure! wie das? Ich umfasse dein Knie!

BABET. Die Donna ist seine Schwester, ich war Ihre Amme, ich habe Sie vertauscht.

WILHELMINE. O meine Amme! Sie umhalsend. o du mehr als meine Mutter! o du gibst mir tausend Leben. Komm, komm, sag mir, erzähl mir, ich kann die Wunder nicht begreifen, ich kann sie nur glauben und selig dabei sein. Nimm mir den letzten Zweifel, wenn diese Freude vergeblich wäre, das wäre mehr als grausam.

BABET schluchzend. Freuen Sie sich – sie ist nicht vergeblich.[169] Ihr Vater ist der spanische Graf Aranda Velas, der zu eben der Zeit am Dresdner Hofe stand, als der Hauptmann in den schlesischen Krieg mußte. Seine Frau folgte ihm und ließ ihr neugebornes Kind einer Polin, bis sie wiederkäme, welcher ich Sie gleichfalls auf einige Tage anvertrauen mußte, weil mir die Milch ausgegangen war. Da besuchte Sie Ihre Mutter einst, und weil Sie obenein einen Ansatz von der englischen Krankheit zu bekommen schienen, so beredete ich Ihre Eltern selber mit zu diesem gottlosen Tausch. Ich habe dafür genug von dieser Donna ausstehen müssen, aber Sie, meine Teure Kniend. Sie, die Sie Ihr ganzes Unglück mir allein zuzuschreiben haben, Sie haben mich noch nicht dafür gestraft.

WILHELMINE. Mit tausend Küssen will ich dich strafen. Unaussprechlich glücklich machst du mich jetzt. Auf, meine Teure, in den Wagen laß uns werfen und ihn aufsuchen, ihn, der mir alles war, ihn, der mir jetzt wieder alles sein darf, meinen einzigen ihn. O! o! was liegt doch in Worten für Kraft, was für ein Himmel! mit drei Worten hast du mich aus der Hölle in den Himmel erhoben. Fort nun! fliegen laß uns wie ein paar Seraphims, bis wir ihn finden, bis wir – fort! fort! Läuft mit ausgebreiteten Armen ab.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 169-170.
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