Neuntes Kapitel

[295] Von der Nachricht, die Gil Blas erhielt und die ihn wie ein Blitz traf


Ich ging in meine Herberge, wo ich speiste und mit ein paar Leuten von angenehmer Unterhaltungsgabe bis zur Stunde des Schauspiels bei Tisch blieb. Dann trennten wir uns. Ich muß bemerken, daß ich auf dem Wege ins Theater allen Anlaß zur besten Laune hatte; in meiner Unterhaltung mit den beiden Kavalieren hatte die Heiterkeit vorgeherrscht: das Glück zeigte mir sein lachendstes Gesicht. Und doch konnte ich mich eines unbestimmten Gefühls der Niedergeschlagenheit nicht erwehren. Danach behaupte noch jemand, man fühle drohendes Unheil nicht voraus![295]

Als ich hinter die Kulissen ging, kam Zapata auf mich zu und sagte mir leise, ich möchte ihm folgen. Er führte mich beiseite und hielt mir folgende Rede: Herr Kavalier, ich halte es für meine Pflicht, Euch eine sehr wichtige Warnung zu erteilen. Ihr werdet wissen, daß der Marquis von Marialva erst an Narcissa, meiner Gattin, Gefallen gefunden hatte; er hatte sogar schon einen Tag bestimmt, an dem er meinen Lendenbraten kosten wollte, als es der arglistigen Estella gelang, das Spiel zu stören und diesen portugiesischen Edelmann an sich zu locken. Ihr könnt Euch denken, daß eine Komödiantin eine so gute Beute nicht ohne Ärger fahren läßt. Es nagt noch immer an meiner Frau. Es gibt nichts, dessen sie nicht fähig wäre, um sich zu rächen; und zu Eurem Unglück hat sie eine gute Gelegenheit. Gestern eilten, wenn Ihr Euch entsinnt, alle Theaterdiener herbei, um Euch zu sehn. Nun hat der Lichtputzergehilfe zu mehreren Personen von der Truppe gesagt, er kennte Euch und Ihr wäret nichts weniger als Estellas Bruder.

Dies Gerücht, fügte Zapata hinzu, ist Narcissa heute zu Ohren gekommen, die sofort seinen Urheber verhört hat, und der Theaterdiener hat es ihr bestätigt. Er hat Euch, sagte er, als Kammerdiener der Arsenia gekannt, zur Zeit, als Estella unter dem Namen Laura in Madrid ihre Zofe war. Meine Gattin wird, entzückt über diese Entdeckung, dem Marquis von Marialva, der heute abend ins Schauspiel kommen soll, Mitteilung machen; richtet Euch danach. Wenn Ihr nicht wirklich Estellas Bruder seid, so rate ich Euch als Freund, um unsrer alten Bekanntschaft willen, für Eure Sicherheit zu sorgen. Narcissa, die nur ein Opfer verlangt, hat mir erlaubt, Euch zu warnen, damit Ihr durch eine schnelle Flucht einem Unheil vorbeugen könnt.

Es war überflüssig, mir noch mehr zu sagen. Ich dankte dem Mimen für diese Warnung, und er erkannte recht wohl an meiner beängstigten Miene, daß ich nicht der Mann war,[296] den Lichtputzergehilfen Lügen zu strafen; und in der Tat spürte ich nicht die geringste Lust, die Frechheit so weit zu treiben. Ich war nicht einmal in Versuchung, Laura Lebewohl zu sagen; ich fürchtete, sie würde mich drängen, verwegen den Unschuldigen zu spielen. Ich konnte mir denken, daß sie als gute Schauspielerin sich aus der Verlegenheit ziehen würde; aber für mich sah ich nur sichere Züchtigung voraus, und um ihr zu trotzen, war ich nicht verliebt genug. Ich dachte nur noch daran, mich und das Meinige in Sicherheit zu bringen. Ich verschwand im Nu und ließ mein Felleisen zu einem Maultiertreiber bringen, der andern Morgens um drei Uhr nach Toledo aufbrechen sollte. Ich wäre gern schon bei dem Grafen von Polan gewesen, dessen Haus mir als meine einzige sichere Zuflucht erschien. Aber noch war ich nicht da; und ich dachte nicht ohne Sorge an die Zeit, die ich noch in einer Stadt zu verbringen hatte, wo ich fürchten mußte, schon in der Nacht gesucht zu werden.

Obgleich ich in Angst war wie ein Schuldner, der die Alguasils schon auf seiner Spur weiß, ging ich doch noch zum Essen in meine Herberge. Was ich an diesem Abend aß, bildete, glaube ich, in meinem Magen keinen guten Speisesaft. Als elendes Spielzeug der Angst sah ich alle Leute, die den Saal betraten, prüfend an; und wenn etwa ein Mensch von verdächtigem Aussehen eintrat, was an solchen Orten nicht selten ist, so fröstelte ich vor Furcht. Nachdem ich in beständiger Besorgnis gegessen hatte, stand ich auf und kehrte zu meinem Treiber zurück, bei dem ich mich bis zur Stunde des Aufbruchs auf frisches Stroh warf.

Meine Geduld wurde während dieser Zeit auf eine harte Probe gestellt; tausend unangenehme Gedanken stürmten auf mich ein. Wenn ich bisweilen einschlief, so sah ich den Marquis mit wütenden Schlägen Lauras schönes Gesicht zerfleischen und alles in ihrer Wohnung zertrümmern; oder ich hörte, wie er seinen Dienern befahl, mich zu Tode zu[297] prügeln. Darüber fuhr ich aus dem Schlafe auf, und das Erwachen, das nach einem furchtbaren Traum meist wie eine Erlösung kommt, war für mich noch grausamer als der Traum.

Zum Glück entriß mich der Treiber meiner Not, indem er mir meldete, seine Maultiere seien bereit. Ich stand sofort auf den Füßen, und als wir fuhren, war ich, dem Himmel sei Dank, von Laura radikal geheilt. In dem Maße, in dem wir uns von Granada entfernten, beruhigte sich mein Gemüt. Ich begann mich mit dem Treiber zu unterhalten; ich lachte über ein paar lustige Geschichten, die er mir erzählte, und unmerklich verging meine ganze Angst. In Ubeda schlief ich ruhig, und am vierten Tage kamen wir glücklich in Toledo an. Meine erste Sorge war, mich nach der Wohnung des Grafen von Polan zu erkundigen, und ich ging alsbald in sein Haus, überzeugt, er werde nicht dulden, daß ich anderswo wohnte als bei ihm. Aber ich machte die Rechnung ohne den Wirt. Ich traf nur den Pförtner an, der mir sagte, sein Herr sei am Tage zuvor nach dem Schloß von Leyva aufgebrochen, von wo man ihm geschrieben hätte, daß Seraphine gefährlich erkrankt sei.

Ich hatte nicht mit der Abwesenheit des Grafen gerechnet: sie beeinträchtigte meine Freude darüber, in Toledo zu sein, und brachte einen neuen Plan zur Reife. Da ich so nahe bei Madrid war, entschloß ich mich, dorthin zu gehn. Ich überlegte mir, ich könnte vielleicht bei Hofe vorwärtskommen, wo es, wie ich gehört hatte, nicht gerade eines überlegenen Genies bedurfte, es zu etwas zu bringen. Gleich am folgenden Tage benutzte ich die Gelegenheit eines frei zurückkehrenden Pferdes, mich nach Spaniens Hauptstadt zu begeben. Fortuna führte mich, denn ich sollte dort wichtigere Rollen spielen als bisher. Sowie ich eintraf, schlug ich meine Wohnung in einem Logierhaus auf.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 295-298.
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