Fünfter Brief

[280] An ebendenselben


Ich kann also in meiner Erzählung fortfahren? – – Ich schloß meinen zweiten Brief mit der Flucht des Lemnius. Sagen Sie nicht, daß ihn diese Flucht meineidig gemacht hat, und daß er vermöge des Eides, den er als ein akademischer Bürger geleistet, sein Urteil hätte abwarten sollen. Wenn ich augenscheinlich sehe, daß mir meine Richter die Gerechtigkeit versagen werden, so entfliehe ich nicht meinen Richtern, sondern Tyrannen, wenn ich ihnen entfliehe. Ein aufgebrachter Luther war alles zu tun vermögend. Bedenken Sie; seine blinde Hitze ging so weit, daß er sich nicht scheute in einer öffentlichen, an die Kirchtüren angeschlagenen Schrift zu behaupten: der flüchtige Bube, wie er den Lemnius nennt, würde, wenn man ihn bekommen hätte, nach allen Rechten billig den Kopf verloren haben. Den Kopf? und warum? Wegen einiger elenden Spöttereien, die nicht er, sondern seine Ausleger giftig gemacht hatten? Ist das erhört? Und wie hat Luther sagen können, daß ein Paar satyrische Züge gegen Privatpersonen mit dem Leben zu bestrafen wären; er, der auf gekrönte Häupter nicht stichelte, sondern schimpfte? In eben der Schrift, in welcher er den Epigrammatisten verdammt, wird er zum Pasquillanten. Ich will seine Niederträchtigkeiten eben so wenig wiederholen, als des Lemnius seine. So viel aber muß ich sagen: was Lemnius hernach gegen Luthern ward, das ist Luther hier gegen den Kurfürsten von Mainz. – – – Gott, was für eine schreckliche Lektion für unsern Stolz! Wie tief erniedriget Zorn und Rache, auch den redlichsten, den heiligsten Mann! Aber, war ein minder heftiges Gemüte geschickt, dasjenige auszuführen, was Luther ausführte? Gewiß, nein! Lassen Sie uns also jene weise Vorsicht bewundern, welche auch die Fehler ihrer Werkzeuge zu brauchen weiß! – – Diese gedachte Schrift des Luthers ward gleich nach der Flucht des Lemnius angeschlagen, und zog seine öffentlichen gerichtlichen Vorladungen nach sich. Der Herr Prof. Kappe hat sie uns in dem dritten Teil seiner[280] Nachlese aus einer Handschrift mitgeteilet. Sie sind wert gelesen zu werden, und ein Paar Anmerkungen die ich sogleich darüber machen will, werden Ihnen Lust dazu erwecken. Die erste ist diese: man läßt das Verbrechen des Lemnius bloß darinne bestehen, daß er in seinen giftigen Versen viel ehrliche Leute von allerlei Stande angegriffen habe. Es ist bekannt, daß damals Melanchthon alle akademische Anschläge besorgte, und auch in diesem ist seine bekannte Behutsamkeit deutlich zu spüren. Er gedenkt der Lobsprüche des Kurfürsten Albrechts, derentwegen Luther das meiste Lärmen machte, mit keinem Worte. Noch vielweniger sagt er, daß Lemnius den Landesherrn angetastet habe. Zu beiden war er zu klug; jenes hätte einen blinden Haß verraten; und dieses stand nicht zu erweisen. Meine zweite Anmerkung wird Ihnen zeigen, daß man bei diesem Prozesse tumultuarisch verfahren. Lemnius wird nicht, wie gewöhnlich, zu drei verschiedenenmalen, sondern gleich auf das erstemal peremptorie zitiert, und der Termin, den man ihm setzt, sind acht Tage. Dieser Umstand, sollte ich meinen, verrät mehr eine Lust zu verdammen, als zu verhören. Lemnius erschien, wie man leicht denken kann, nicht, und ward also öffentlich contumaciert und seine Relegation ward auf den achten Tag darnach, als den 3ten Julius, festgesetzt. In dem Anschlage, in welchem man ihn contumaciert, wird gesagt, man habe ihm in der Zitation freigestellt, entweder selbst, oder durch einen Bevollmächtigten zu erscheinen. Allein dieses ist falsch; er wurde ausdrücklich in eigner Person vorgeladen, und es ist besonders, daß man sich auch nicht einmal so viel Zeit genommen hat, diese Kleinigkeit nachzusehen. Die Relegation ging also erwähnten Tages vor sich, und der Anschlag wodurch sie bekannt gemacht wurde, ist in so heftigen Ausdrücken abgefaßt, daß Lemnius notwendig erbittert werden mußte. Er war von Wittenberg nach Halle, zu seinem Mäzen dem Albrecht geflohen, und hier fand er vollkommene Freiheit, seine Feinde nach dem Sprichtworte: Per quod quis peccat etc. zu bestrafen. Die beiden ersten Bücher seiner Sinnschriften waren in Wittenberg verbrannt worden; er ließ sie also wieder auflegen, und fügte ein drittes Buch hinzu,[281] worin er die Strafe, die er voraus empfangen hatte, recht reichlich zu verdienen suchte. Vogt sagt, diese zweite Auflage sei in Basel gedruckt worden. Ich habe sie eben vor mir, kann aber nicht die geringste Spur davon entdecken, weil ich gar keinen Ort benennet finde. Da ich des Hr. Vogts einmal gedacht habe, so merken Sie doch dieses von ihm, daß er auch einer von denen ist, welche, zum Nachteile der Wahrheit, in der ersten Ausgabe Schmähungen wider den Kurfürsten von Sachsen, wider Luthern und andre Wittenbergische Professores, finden. Luthers ist mit keinem Worte darinne gedacht, und was er in dem dritten Buche wider ihn hat, muß man durchaus nicht auf die Rechnung der zwei ersten schreiben, und also zur Ursache der Verbannung machen. Der Hr. Prof. Kappe beschreibet, in dem vierten Teile des angezognen Werks, beide Ausgaben sehr sorgfältig; und ich verweise Sie dahin, um mich bei bekannten Sachen nicht aufzuhalten. Es tut mir aber leid, daß ich eben das von ihm sagen muß, was ich von dem Hrn. Vogt gesagt habe. Von der Apologie des Lemnius, welche nach dem dritten Buche heraus kam, werde ich gleichfalls nichts gedenken, weil sie Ihnen schon aus dem Schellhorn genugsam bekannt ist. Ich eile vielmehr auf den Hurenkrieg, wie ihn Matthesius nennt, und rühme mich im voraus, daß das, was ich davon sagen werde, durchaus neu sein wird, weil Hr. Freytag und andre Bücherkenner einmütig gestehen, daß von dieser Schrift, wovon sie auch nicht einmal den eigentlichen Titel wissen, überall ein tiefes Stillschweigen sei – – Spitzen Sie sich aber nur nicht umsonst, mein Herr. Ich werde Sie auf dieses Konfekt noch acht Tage warten lassen, und hier abbrechen – – Doch ich habe ja noch eine Hand breit Platz; warum soll ich diesen ledig lassen? – – Will mir denn geschwind nichts einfallen ob fugam vacui? Doch ja; ich will Ihnen noch sagen, daß man unter den Nichtswürdigkeiten des dritten Buchs auch noch hier und da eine artige Anekdote antrifft. Diese zum Exempel, daß Erasmus den J. Jonas oratorem sine grammatica genennt hat. O ich bitte Sie, lassen Sie diesen Einfall nicht ins Vergessen geraten; er ist allzuartig, und auch jetziger Zeit noch brauchbar. Besinnen Sie sich, wie wir vor einem Jahre über die Herrn ** und **[282] lachten, wann sie mitten in ihrem oratorischen Feuer, bei Wendungen, die eines Cicero wert waren, den Donat vergessen zu haben schienen. Eine Maulschelle die der gute Priscian in einem Panegyrico bekam, ärgerte uns mehr, als Kenner die Maulschelle im Cid geärgert hat. Erlauben Sie mir also, wenn ich dieser Herren etwa einmal gegen Sie erwähnen sollte, daß ich den einen den – – schen, und den andern den – – schen oratorem sine grammatica nennen darf – – Nun habe ich Zeit zu schließen, wenn ich meinen gehorsamen Diener noch ohne Abkürzung herbringen will. Ich bin etc.

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 3, München 1970 ff., S. 280-283.
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