Meerfest

[165] Hoch ging es her in jenem sonst so stillen

Palaste zu Venedig, öd' seit Jahren.

Vergessen stand er, unbewohnt, doch heute,

Nach diesem schwülen Tag, wo selbst die Nacht

Nicht Kühlung brachte, heut', wie rauscht und wogt

Am Tor, auf Treppen, in den Korridoren

Ein bunt Gedräng' von Gästen, eine Pracht,

Wie wir auf Bildern Veronese's schau'n.


Vom Westen ziehen schwarze Wolken auf,

Doch hier ist lauter Lust und Leben, aber

Wie seltsam! Diese Herrn und schönen Frau'n,

Sie tun so fremd, so eckig und behutsam,

Als wär' für sie hier alles ungewohnt!

Die Frauen tragen Perlen nur als Schmuck,

Als Kranz in ihren Locken und am Saum

Der fließenden Gewänder. Längs der Tafel

Sind Schalen aufgestellt aus Bernstein, Vasen,

Worin, anstatt der Blumensträuße, rote

Korallen prangen, starr und unbeweglich.

Nur Muschelhörner sind die Trinkgefäße,

Und statt von Kerzen ist der Saal erhellt

Von einem eignen Leuchten, ähnlich dem,

Wie diamanthell sprüht das Tropenmeer.[165]

Man neigt sich und verbeugt sich, spricht von dem

Und jenem, von den Männern, die im Seesturm

Und die im fernen Kriegszug umgekommen.

Dort flüstert man vertraut und zärtlich, dort

Geheimnisvoll und wichtig; Viele sehen

Sich kalt und feindlich an, und Andre suchen

Verstohlen sich mit Blicken. Endlich stellt man

Zum Tanz sich auf. – Sie kommen! hört man flüstern,

Denn eine Hochzeit ist das Fest. Die Gatten

Erscheinen unter rauschender Musik;

Sie sehn sehr vornehm aus und ach, so freudlos,

So blühend und so kalt, so schön und so

Dämonisch; Keines ist geliebt vom Andern.

Die schöne Braut verbirgt in ihrem Schleier

Mit Mühe nur die Tränen, bleich vor Angst.

Ihr Gatte sieht es, finster wird sein Blick,

Denn alles kann er sehn, nur keine Tränen.

In Falten zieht er drohend seine Stirne,

Er streift vom Finger ihr den goldnen Reif,

Und zornig stampft er mit dem Fuß, das Zeichen

Zum Aufbruch. Alle schrecken auf, ein Blitz

Durchfährt den Saal, ein Donnerschlag, und plötzlich

Dringt überall die Flut herein, es werfen

Die Ritter Hut und Mantel ab, die Maske

Entfällt von blutlos grinsenden Gesichtern,

Und mit den Frauen, die verzweiflungsvoll

Die Arme ringen, sinken sie hinunter,

Lautlos hinunter in die Tiefe. Siehe!

Da gleitet durch die Wellen her und stößt

Ein Fahrzeug an die Pforte, ein Gespann

Befloßter Pferde, stolz und drachenartig

Die Schweife ringelnd, Ungetüme tauchen

Zugleich empor, geschuppte Halbgestalten

Mit bärtigem Gesicht, und reichen sich

Die Hand zum Reigen um den Muschelwagen.[166]

Doch jene Beiden, die Vermählten, schau'n

Mit tödlich kaltem Hasse sich einander

Versteinernd an, als könnten sie nicht satt

Des Widerwillens werden ihrer eignen

Treulosen, falschen Seelen, und allmählich

Mit allem um sie her verwandelt sind sie

Und ihr Gefolge bald nebst Roß und Wagen

Die Marmorbilder am Portal des alten

Verlassenen Palastes.

Eben bricht

Die Dämmrung an, vorüberrudernd singt

Sein Lied ein Barkenführer ...

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 165-167.
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