10.

[60] Wie nun der Liebegott sich müh't,

Dass weit im Garten vor ihm flieht

Der Liebende, dass nicht verletzt

Er von den Pfeilen werde jetzt.


Wie ich geseh'n nun die Gestalt

Von Jedem, der im Tanze wallt,

Da fand ich Lust, mir diesen Hain

Zu nehmen noch in Augenschein,

Zu seh'n die schönen Maulbeerbäume,

Die Fichten, Nuß- und Lorbeerbäume,

Auch bog dahin der ganze Zug.

Da Jeglicher wohl Sorge trug,

Zu führ'n die Braut in Schatten's Kühl',

Zu kosen unter'm Baumgewühl'.

Gott, wie sie lebten da beglückt!

Ein Narr ist, wer's ohn' Neid erblickt.

Wem solches Leben wiederfährt,

Jed' ander Glück wohl gern entbehrt.[61]

Kein Himmel ist so hoch von allen,

Als frei mit der Geliebten wallen.

Darnach ging abgesondert ich,

Lustwandelnd und allein für mich

In diesem Haine auf und ab. –

Der Liebegott die Weisung gab

Dem Süßblick, flugs zur Hand zu sein.

Er hat nur um die Pfeil' allein

Den Dienst. Jetzt spannen ohn' Verzug

Heißt er den Bogen, den er trug.

Und dieser ohne Säumen spannt

Den Boden schleunigst ihm zur Hand.

So legt er auf da die fünf Pfeile,

Die stark und weit gehn manche Meile.

Der Liebe Gott nahm da auf's Korn

Von ferne mich, die Hand am Horn.

So wahr' mich Gott vor Tod's Gefahr!

Uebt er Verrath an mir sogar,

Wird er verwunden mich gar heiß,

Mich, der so etwas gar nicht weiß.

So floh nach Rettung ich im Hain',

Doch dacht' er mich zu holen ein.

Und nirgend hielt ich da mich auf,

Und überall hin drang mein Lauf.


Der Garten nun im Durchschnitt war

Ein gleiches Viereck ganz und gar,[62]

So lang wie breit auch angelegt.

Da war kein Baum, der Früchte trägt,

Kein Baum, wie seltsamlich er sei,

Von dem nicht einer oder zwei

Und mehr da war'n, so wie sich's thut:

Viel' Apfelbäum' – das weiß ich gut –

Mir reichlicher Granatenwucht.

Gar gut für Kranke ist die Frucht –

Nußbäum' auch gab's da, groß und breit,

Die tragen auch zu ihrer Zeit,

Als wie Muskatnüss' solche Nüss',

Die sind nicht herb' noch schlecht gewiß.

Auch Mandelbäum' war'n da gepflanzt.

So war auch in dem Hain' gepflanzt,

Ein Feigen und ein Dattelbaum.

Man sah, da hatte Pflege Raum.

Manch schöne Würze war dabei

Und faßt sie ein – Süßholz, Levkoi,

Vom Himmelgarten Sämerei'n,

Würz', Anis und Kamillen fein,

Und manches treffliche' Gemüs',

Das auf dem Tisch' gar gut und süß.

Im Haine war'n auch Bäum' zu sehn,

Mit Quitten, Pfirschen wohl versehn, –

Kastanie, Nuß-, Birn-, Apfel-Baum,

Und Mispel, weiß' und schwarze Pflaum',

Und rothe Kirschen, frisch und schwer,[63]

Spierling', Wallnüsse und Elsbeer',

Und hoher Lorber, hoher Tann',

Die füllten all' den Garten an.

Oelbäume und Zypressen auch,

Die sonst doch gar nicht hier in Brauch'.

Und Ulmen, stark und wohl verzweigt,

Und Buchen, eben so erzeugt,

Und Haselsträucher, grad' und krumm,

Und Ahorn, Tann' und Esch' ringsum.

Wie nennt' ich ihrer all' Gewühl'? –

Der Bäume gab es hier so viel',

Daß, eh' ich sie gezählet, schon

Wär'n eingegangen viel' davon.

Das wißt, die Bäume war'n geführt

Im Zwischenraum, der sich gebührt.

Der eine stand vom andern gern

Wohl fünf, ja auch sechs Klaftern fern.

Breit ging und lang das Baumwerk fort,

Die Hitz' zu wehren von dem Ort',

Es war ringsum so stark und dicht,

Daß wohl niemals kein Sonnenlicht

Durchdringen konnte auf den Grund,

Zu machen da ein Gräslein wund.


Dammhirsch' und Rehe gab's zumal,

Eichhörnchen eine große Zahl,

Die hüpften da von Ast zu Ast,[64]

Und die Kaninchen liefen fast

Fortwährend außer ihren Höhlen,

Wohl dreißig Arten könnt' ich zählen,

Auf die sie bockten rings und rund

Und weideten auf grünem Grund'.

Da gab's auch Springquelln, frisch und rein,

Ohn' Frösch' und Schnecken insgemein,

Von Laub beschattet allzumal,

Doch weiß ich nicht mehr ihre Zahl.

In Wasserröhr'n, die Wohlgemuth,

Erbau'n ließ, floß gar schön und gut

Ein reicher Wasserguß zu Thal,

Und machte süßen lieben Schall,

Und zwischen Bächen da und Quell'n,

Und Springquell'n, reinlichen und schnell'n,

Schwoll'n rings die Gräser grün und frisch,

Sie konnten all' in dieser Frisch'

Sich pflegen als in einem Bette,

Die Erde bot gar weiche Stätte

Rings um den Springquell, und es ragte

Das Gras hervor, wie ihm behagte.

So kam es, daß auf diese Art

Der Platz gar sehr verschönert ward,

Und reich und schön ward da geschaut

Des Winters wie des Sommers Kraut.

Da gab es Veilchen, schön und fein,

Und Eppich, frischen und immer neu'n,[65]

Da gab es Blumen, roth und weiß

Und gelb zu Wunder und zu Preis',

Die Erde war fast zu beengt,

Da sie gestickt war und besprengt

Von Blumen, die gar bunt zu sehn,

Und duften ringsum herrlich schön;

Ich sag' Euch nicht mehr lange Mähr'

Von dieses Platzes Schönheit her.

Es ist wohl besser, daß ich schweige,

Dieweil ja doch ich nimmer zeige

Des Haines ganze Herrlichkeit

Und seine große Lieblichkeit.

Bald war ich hier, bald war ich dort,

So daß im Garten jeden Ort

Gesehn ich hab' und durchgemacht, –

Der Gott der Liebe hatt's gemacht,

Herum mich treibend grad' und krumm,

So jagt ein Jäger wohl herum

Ein Thier, das dann an schöner Stelle

Erwarten muß des Pfeiles Schnelle. –


Da kam ich auf ein schönes Land,

An dessen letztem End' ich fand

'Nen Springquell unter einer Föhr'.

Seit Karl, Pepins Sohn, ward nicht mehr

So schöne Fichte wo gesehn,

Noch wächst je eine mehr so schön,[66]

So schön war kein Baum mehr im Hain'. –

In einem Born' von Marmelstein

Hatt' da Natur mit Meisterschaft

Den Springquell unter'm Baum geschafft.

Gegraben auf dem Becken stand

Auch eine kleine Schrift am Rand' –

Die lautete so: Allhier bot

Sich schön' Narzissus selbst dem Tod'.


Quelle:
Guillaume de Lorris: Das Gedicht von der Rose. Berlin 1839, S. 60-67.
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