12.

[70] Wie da Narzissus sich verzückt

Am Brunnen und verzweifelt blickt

Aus Liebe – bis er seinen Geist

Ganz unverweilet scheiden heisst.


Auf hellen Wassers lauterm Grund'

Sieht er sein Antlitz, Nas' und Mund.

Von Staunen ward er da erfüllt,

Denn so verhext hatt' ihn das Bild,

Daß es ihm war, als wenn er finde

Ein Bild von einem schönen Kinde.

Da nahm nun Amor große Rach'

Für jenen Hochmuth und die Schmach,

Die ihm Narzissus zugefügt!

Das ward vergeltend arg gerügt

Daß er nun weilte an der Stelle,

Und liebt' sein Schattenbild im Quelle.

So starb allhie er allgemach,

Das ist das Ende von der Sach'.[71]

Denn da er sah, er könne nicht

Vollbringen, was ihn so anficht,

Da das Geschick ihn so umtost,

Daß er nicht findet Rast noch Trost

In keiner Art, in keinem Sinn,

Verliert aus Grimm er seinen Sinn.

Und stirbt allda in kurzer Weil' –

So hatt' er sein vergeltend' Theil

Für seine Bosheit, die der Thor

Dem Amor zugefügt zuvor.

Frau'n, nehmt dies Beispiel wohl in Acht

Wo die Verehrer ihr veracht't,

Wo ihr sie überlaßt dem Tod;

Wird schlimm es Euch vergelten Gott.


Als so die Schrift mich unterwies,

Daß schön' Narzissus Brunnen dies,

Der hier an diesem Ort zu sehn,

Mocht ich ein wenig weiter gehn,

Und schaute nicht die Quelle an,

Da ich zu scheuen mich begann,

Weil ich an den Narzissus dachte,

Und wie sie dem viel Unheil brachte.

Doch wollt ich auch gewissern mich

Ohn Furcht vor Unheil sicherlich

Daß ich gewiß zum Brunnen kehrte,

Ohn' daß mich Narrheit da bethörte.[72]

So naht' ich wieder mich dem Quell';

Und als ich nah, bückt' ich mich schnell,

Und sahe, wie das Wasser lief,

Und wie der Gries da lang und tief

Im Grund wie reines Silber rennt.

So nimmt der Brunnen nun ein End'.

So schönen hat nicht mehr die Welt,

Wo's Naß so frisch und munter fällt,

Wo Tag und Nacht das Wasser fließt

Und sich zwei Finger breit ergießt,

Das Gras wird rings umher benetzt,

Das um den Born den Blick ergötzt.

Und auch im Winter stirbt es nicht,

Da nie des Wassers Kraft gebricht.


Und auf dem Grund des Quells zu Thal,

Da hatt's zwei Steine, ganz Kristall,

Und die bestaunte ich sogleich.

Und eine Sache sag' ich Euch,

Daß Ihr's für'n Wunder, wähn' ich, acht't,

Wenn Ihr es zu Gehör' gebracht

Denn wenn die Sonn', die Alles regt,

Die Strahlen in den Springquell trägt,

Und dann ihr Licht hernieder steigt,

Sind Farben, hundertfach verzweigt,

In reinem Stein der in dem Strahl'

Wird blau und gelb und roth zumal.[73]

Und hat der Stein gar wunderhaft

Für alle Weite solche Kraft,

Daß Baum und Blum', und was nur hier

Im Hain, verlieret alle Zier; –

Und daß Ihr recht begreift das Ding,

Ein Beispiel schnell ich vor Euch bring':

So wie der Spiegel Alles zeigt,

Was irgend sich nur um ihn neigt,

Und wie man schaut da ohn' Rückhalt

Der Dinge Farbe und Gestalt,

So sag' ich Euch, als säht Ihr's gar:

Der Stein ohn' allen Trug für wahr

Zeigt Alles im Garten unverweilt

Dem, der da an dem Wasser weilt.

Denn stets, wohin man sich mag drehn,

Wird eine Hälft' des Hains gesehn,

Und wenn man wieder um sich kehrt

Schaut man die and're unverwehrt.

Da ist auch nicht der kleinste Fleck,

In solcher Kleinheit und Versteck',

Von welchem da nicht Kunde strahlt,

Als wär' an Stein' er abgemalt.


Dies ist der Spiegel fährdevoll,

In dem Narzissus, stolz und toll

Sah sein Gesicht und schönen Blick,[74]

Von dem gewann er Tod's Geschick.

Und wer in diesen Spiegel schaut,

Den rettet auch kein heilend' Kraut,

Daß er im Aug' nicht was erblickt,

Davon er gleich zu Lieb' berückt.

Manch' starkem Mann' hat Leid gebracht

Der Spiegel – denn der rauhsten Macht

Dem höchsten und dem feinsten Mann'

Ward da es völlig angethan.

Hier steigt den Leuten neue Wuth,

Hier ändert sich der ganze Muth,

Ist sich nicht Sinn's noch Maß's bewußt,

Hier herrscht die reine Liebelust.

Hier spricht man jedem Rathe Hohn,

Dieweil Kupido, Venus Sohn,

Gesä't allhier der Liebe Korn,

Das ganz umflochten hat den Born,

Und sich verbreitet rings daran

Und sich verzweiget, um zu fah'n,

Jungfrauen und auch Junggesell'n,

Denn Amor liebt solch' Vogelstell'n,

Und von dem da gesäten Korn'

War zubenamet auch der Born

Der Born der Liebe ganz mit Fug',

Von dem erzählt ist schon genug[75]

In Büchern und Geschichten; doch

Ward nie geschildert besser noch

Die Wahrheit an dem ganzen Ding',

Als ich es hier mich unterfing.


Und mir behagt' es lange traun

Am Brunnen staunend zu beschau'n

Die Stein' darauf gemalet ab

Die tausend Dinge, die es gab.

Doch staunt' ich da zur üblen Stunde.

Weh', wie ich nachher seufzt' im Grunde!

Der Spiegel hatte mich gebannt.

Wenn ich nur hätte gleich gekannt,

Was seine Kraft und Eigenschaft,

Ich hätte flugs mich dem entrafft.

Doch so ich in die Fall' gerieth,

Die Manchen schon fing und verrieth.


Und unter tausend Andrem gleich

Sah Rosenstöck' ich, rosenreich.

Die waren da in einem Schlag'

In einem ganz verschloss'nen Hag',

Daß mir's gar groß Gelüsten gab.

Da hielt mich nicht Pavia ab,

Noch ganz Paris, daß ich nicht ginge,

Wo ich ersah die Wunderdinge.[76]

Da mich die Wuth alsbald gewinnt,

Von der schon mehr gewonnen sind,

Stürz' ich mich nach der Rosenschaar.

Und wisset, als ich nahe war,

Da drang der Duft, so würzig fein,

Gar tief mir in mein Inn'res ein.

Und allso ganz vom Duft entzückt; –

Und so in Taumel und entrückt

Fürcht' ich nichts Labendes, und pflücke

Mir eine mit der Hand, und drücke

Sie in der Hand, den Ruch zu spüren,

Doch mußt' ich Furcht vor Reu' erküren,

Dieweil es konnte Groll gewähr'n

Gar leichtlich bei des Haines Herrn.

Von Rosen gab's hier manchen Strauß,

Wie nirgends unter'm Himmelhaus'.

Und Knospen giebt's verschlossen lind,

Und andre, die schon off'ner sind.

So gab es deren eng und weit;

Gemäß verschiedner Jahreszeit.

Und wo sie sich erschließen schön

Da wird's zum Uebel nicht geschehn!

Die Rosen, die schon ganz erschlossen,

Die sind an einem Tag' entsprossen.

Die Knospen bleiben aber neu

Zum Wenigsten zwei Tag', auch drei.[77]

Die Knospen nun gefiel'n mir sehr,

Auch wachsen schön're nirgend mehr.

Und wem da eine wird gewährt,

Der mag sie halten lieb und werth.

Könnt ich bekommen einen Strauß,

Kein ander Ding bät' ich mir aus.

Von diesen Knospen war die Eine

So gar sehr schön, daß sonsten keine

Ich mehr sehr hohes Werthes schätzt',

Da all' ich doch gesehen jetzt.

Denn eine Farbe gibt ihr Schein,

Die ist so roth und schön und fein,

Wie's der Natur nicht mehr gelingt,

Ein vierfach Paar von Blättern blinkt,

Die meisterlich Natur da hatte

Zusammgereihet Blatt am Blatte.

Und Griff und Hals war wohl gefügt,

Darauf die Knospe schön sich wiegt,

Daß sie nicht wankt, noch niederhängt

Und rings umher der Duft sich drängt.

Der Wohlgeruch von diesem Duft

Erfüllt der ganzen Gegend Luft.

Als ich sie sähe also blühn,

Hatt' ich nicht Lust zurück zu fliehn,

So naht' ich mich, daß ich sie brach,

Und streckte schon die Hand danach,[78]

Doch stechend gar verräthrisch gern

Hielt mich es noch recht artig fern,

Da war manch stachlich spitzer Dorn,

Und Stacheln hinten und auch vorn,

Nicht nahen ließen sie mich nun

Weil ich in Furcht, mir weh zu thun.


Quelle:
Guillaume de Lorris: Das Gedicht von der Rose. Berlin 1839, S. 70-79.
Lizenz:

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