Sechster Auftritt.


[82] Weiler. Der Förster.


WEILER grüßt schweigend; er ist sehr aufgeregt; er hängt die Flinte an den Riegel und macht sich mit dem Jagdzeug zu thun. Hm.

FÖRSTER wird ihn gewahr. Er? Fällt wieder in Gedanken.

WEILER. Ich.

FÖRSTER. Wo kommt Ihr noch her?

WEILER. Aus dem Walde. – Am Staket hab' ich Euern Wilhelm gesprochen. Also seid Ihr doch abgesetzt.

FÖRSTER. Weil's zweierlei Recht gibt.[82]

WEILER. Und das habt Ihr nicht vorher gewußt?

FÖRSTER. Euern Lohn habt Ihr auf drei Monate voraus.

WEILER. Und könnt gehn; das weiß ich auch. Wo ist denn Euer Wilhelm? Ja so; ich bin ihm begegnet. Und Euer Andres?

FÖRSTER halb abwesend. Nicht zu Haus.

WEILER. Aber Ihr wißt doch wohl, wo Euer Andres ist?

FÖRSTER ungeduldig. Was wollt Ihr noch? Laßt mich in Ruh'.

WEILER. Meinetwegen. Mir kann's gleichviel sein.

FÖRSTER. Drum denk' ich, Ihr geht.

WEILER. Also der Andres. Und Ihr wißt nicht, wo er ist?

FÖRSTER. Immer der Andres! Habt Ihr was, so seid nicht wie ein Gewitter, das stundenlang steht.

WEILER zeigt nach dein Fenster. Da unten überm Lautenberge kommt eins herauf. Die Kibitze kreischten so ängstlich. Dacht's vorher. Es war zu schwül. – Ulrich, Kommt zu ihm. vor einer Stunde ist einer erschossen worden.

FÖRSTER. Ihr wißt, wer?

WEILER. Ihr wißt's nicht? Wenn Euer Andres zu Hause wär' –

FÖRSTER. Immer vom Andres! Ihr wißt was von ihm.

WEILER. Hm. Die Büchse – hört mal; hatt' Euer Andres die mit – die mit dem gelben Riemen?

FÖRSTER. Warum?

WEILER wie in Gedanken. Ich kenne doch Eure Büchse –

FÖRSTER. Ihr wollt mich konfus machen?

WEILER. Ihr habt sie nicht zu Haus?

FÖRSTER. Ich antwort' Euch nicht mehr. Hab ohnehin Wein getrunken.

WEILER. Gebt wohl acht, daß Ihr Euch nicht irrt.

FÖRSTER. Gebt wohl acht, daß ich Euch nicht am Kragen fasse.

WEILER. 's ist nicht zum Spaß –

FÖRSTER. Das sollt Ihr sehn.[83]

WEILER. Aber ich weiß nichts, als was ich gehört hab' und gesehen hab'. Und setzt Euch. Mir ist's auch nicht wie lange stehn. Muß aussehn, mein ich, wie meine Tonpfeife da. Der Förster am Tische rechts sitzend; Weiler hat sich einen Stuhl dicht zu ihm gerückt, erzählt hastig mit unheimlich gedämpfter Stimme. Wie ich vorhin zum Feierabend von meinen Holzhauern weggeh, hör ich einen Schuß da, da nach dem Heimlichen Grunde zu. Ich denke, wenn Ihr's vielleicht wärt, und geh' darauf zu. Aber es mußt's der Robert Stein gewesen sein. Der geht Euch da bei dem ersten Lautensteg hin und her wie eine Schildwache. Denk' ich: Worauf muß denn der lauern? Auf ein Wildbret nicht; denn da läuft man nicht hin und her. Denk' ich: Das mußt du absolvieren. Machst dich hinter die hohe Eiche. Da siehst du alles und wirst nicht gesehn. Aber ich bin Euch noch nicht dort, da wird ein Halloh hinter mir. Und was hör ich da? Euern Andres und den Robert im ärgsten Zank. Ich konnte nichts Ordentliches verstehn; aber man hörte, daß sie auf Tod und Leben hintereinander waren. Ich will mich eben näher schleichen; da kommen sie schon gerannt. Der eine drüben auf dem Felsenweg über dem Bach, der andere hüben. Der hüben, das war der Robert, die Flinte am Backen. Zwei Schritt' von mir bleibt er stehn. »Steh! oder ich schieß dich nieder!« Auf dem Felsenweg kann niemand ausweichen. Da heißt's: Mensch, wehr dich deines Lebens! Und nun piff paff – zwei Schüsse hintereinander. Dem auf dem Felsen seiner pfiff zwischen dem Robert und mir in die Büsche hinein. Aber dem Robert seiner – Ulrich; ich hab' manchen Schuß gehört, aber so keinen, so – man konnt's dem Blei anhören, es witterte Menschenleben. Ich weiß nicht, wie mir's war, wie der drüben zusammenbrach wie ein getroffener Hirsch –

FÖRSTER. Der Andres?

WEILER. Wer soll's sonst gewesen sein? Was? Ist er denn zu Haus etwa? Wißt Ihr etwa, wo er sonst ist? Und der Getroffene hatte die Flinte mit dem gelben Riemen. Die hielt er fest; der Riemen leuchtete ordentlich wie ein Notzeichen durch[84] die Dämmerung. Das klang schauerlich, wie das Eisenzeug an der Flinte über die Klippen herunterklapperte und die Leiche nach durch die Büsche knickte und schleifte – bis der Bach unten aufklatscht', als führ' er vor Schrecken zusammen. Und wie's nun so kurios still wurde darauf, als müßt' es sich selber erst besinnen, was doch passiert wär'; da war's, als jagte mich einer. Ich müßte schon eine halbe Stunde da sein, wenn ich mich nicht verlaufen hätte. Ich, der jeden Baum kennt daherum. Da könnt Ihr Euch nun denken, wie mir's war. Erst am zweiten Lautensteg da nach Haslau zu hatt' ich das Herz, einen Augenblick zu verschnaufen. Dort wo der Bach in Felsstücken spektakelt. Ich seh' zufällig hinunter. Da hantiert der Bach mit einem bunten Lumpen. Da ist's. Kennt Ihr's vielleicht? Bringt Andres' Tuch zum Vorschein und hält's ihm vor die Augen; der Förster reißt's ihm aus der Hand.

FÖRSTER. Lauter Gestalten vor meinen Augen – der Wein – Er hält's bald ferner, bald näher, ohne es sehn zu können.

WEILER kleine Pause. Ihr seid so still. Fehlt Euch was?


Förster stößt einen einzigen lauten Atem aus und hält das Tuch immer noch mechanisch vor sich hin, ohne es zu sehn.


WEILER. Euer Gesicht ist ganz verzerrt. Will Eure Frau rufen.

FÖRSTER eine Bewegung, als schöb' er mit äußerster Anstrengung eine Last von sich. Laßt nur; 'n bißchen Schwindel. Hab heuer noch nicht zu Ader gelassen; der Wein dazu – 's geht schon vorüber – Sagt niemand was davon – Erhebt sich mühsam.

WEILER. So sind die doch richtig zusammengeraten, der Andres und der Robert. Aber was wollt Ihr denn nun thun? Als ein abgesetzter Mann? Wenn der sagt: Ich hab' den Wildschütz angerufen; er hat das Gewehr nicht weggeworfen? Ihr wißt's am besten, dann darf der Jäger draufbrennen. Er braucht nicht einmal zu rufen; wenn er nur richtig trifft, so hat er auch recht. Und wer nun vollends wie Euer Andres zwei Stock tief vom Felsen ins Wasser gefallen ist, dem steht die Zunge still ohne Pulver und Blei. Ihr kennt ja das Recht, wie es heutzutage ist! Und Euch werden sie obendrein noch einstecken wegen[85] Widersetzlichkeit. Ihr dauert mich. Ich möchte nicht Ihr sein. Was?

FÖRSTER. Das Wetter ist schon über dem Lautenberg, hört Ihr? Wenn Ihr lang macht, erwischt Euch der Regen.

WEILER. Es blitzte schon vorhin. Wie ich die Lärchenhöhe herkam, macht' es die ganze Gegend hell. Da sah ich, der Robert geht noch immer hin und her bei den Weiden unten.


Förster geht nach der Thür, damit Weiler sehn soll, er wartet auf dessen Gehn.


WEILER. Wollt Ihr nochmal zum Advokaten gehn? Ja, wenn Ihr ein Staatsdiener wärt. Aber was wollt Ihr sonst?

FÖRSTER. Nichts.

WEILER. Wer's glaubt –

FÖRSTER. Narr, der Ihr seid; zu Bette gehen.

WEILER. Ist noch gar nicht so weit.

FÖRSTER. Die Thür zumachen und die Laden.

WEILER da er nicht anders kann; zögernd. Nun so schlaft wohl, Ulrich – wenn Ihr könnt.


Ab; der Förster hinter ihm.


Quelle:
Otto Ludwig: Werke. Leipzig und Wien [1898], S. 82-86.
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