IX.

[373] Simylus und Polystratus.


SIMYLUS. Nun, Polystratus, so kommst du doch endlich auch zu uns herab! Wenn mir recht ist, mußt du nahe an hundert Jahre gelebt haben?[373]

POLYSTRATUS. Achtundneunzig, lieber Simylus.

SIMYLUS. Wie hast du denn die dreißig, um die du mich überlebtest, zugebracht? Denn ich starb, da du gegen siebenzig warst.

POLYSTRATUS. Außerordentlich angenehm, wie seltsam dir das auch vorkommen mag.

SIMYLUS. Seltsam genug, daß ein so alter, gebrechlicher und noch obendrein kinderloser Greis soviel Genuß im Leben gefunden haben soll!

POLYSTRATUS. Fürs erste konnte ich alles, was ich wollte, und dann hatte ich alles, was die Sinne nur Angenehmes verlangen können, die schönsten Knaben und die reizendsten Weiber zu meiner Aufwartung, die kostbarsten Salben, die edelsten Weine, eine mehr als sizilianische Tafel usw.

SIMYLUS. Das sind mir lauter unbegreifliche Dinge – Wie ich dich kannte, warst du ein sehr sparsamer Mann.

POLYSTRATUS. Alle diese Glückseligkeiten, mußt du wissen, mein trauter Herr, strömten mir unentgeltlich von andern zu. Mit dem frühesten Morgen war mein Hof schon mit einer Menge von Besuchern erfüllt, und nun wurden mir alle Arten von Geschenken, das Schönste und Beste, was aus allen Enden der Welt aufzutreiben ist, zugetragen.

SIMYLUS. Du bist also nach meinen Zeiten Fürst worden, Polystratus?

POLYSTRATUS. Das nicht; aber ich hatte zehntausend Liebhaber.

SIMYLUS lachend. Du, in einem solchen Alter, mit vier Zähnen im Munde, Liebhaber?

POLYSTRATUS. Beim Jupiter! und die ersten Personen der Stadt. Mein Alter, mein Kahlkopf, meine Triefaugen und mein ewiger Schnuppen hielt sie nicht ab, mir mit unendlichem Vergnügen die Aufwartung zu machen, und glücklich war der, den ich eines freundlichen Blickes würdigte.

SIMYLUS. Nun wahrhaftig, so mußt du nur, wie Phaon, die Liebesgöttin aus Chios über die Meerenge geführt und zur Belohnung, wie er, die Gabe, wieder jung und schön und liebenswürdig zu werden, von ihr empfangen haben.

POLYSTRATUS. Auch das nicht, so wie ich bin, zog ich alle Herzen an.[374]

SIMYLUS. Du sprichst Rätsel.

POLYSTRATUS. Und doch ist nichts gemeiner und alltäglicher als diese Art von Liebe zu reichen unbeerbten Greisen.

SIMYLUS. Ah, mein bewundernswürdiger Herr, nun begreife ich, wo dir die Schönheit saß. Man kann im eigentlichen Verstande sagen, daß sie dir von der »goldnen« Venus kam.

POLYSTRATUS. Ich versichre dich, Freund, ich hatte keinen kleinen Genuß von meinen Liebhabern, es fehlte wenig, daß sie mich nicht gar anbeteten. Auch tat ich zuweilen mächtig spröde und schloß manchem die Tür vor der Nase zu, während daß die wackern Leutchen einander um meinetwillen in die Haare gerieten und in der Beeiferung, mir Ehre anzutun, immer einer den andern auszustechen suchte.

SIMYLUS. Und wie hast du denn zuletzt über dein Vermögen disponiert?

POLYSTRATUS. Öffentlich ließ ich mich soviel verlauten, daß ein jeder von ihnen glauben mußte, ich würde ihn zum Erben einsetzen, und durch diesen Kunstgriff erhielt ich von ihnen, was ich wollte: aber in meinem Schreibtische war mein wahres Testament verschlossen, worin ich sie alle mit langen Nasen abziehen ließ.

SIMYLUS. Wer war denn also der Glückliche? Vermutlich ein Geschlechtsverwandter?

POLYSTRATUS. Nein, zum Jupiter! sondern einer von meinen Sklaven, ein vor kurzem gekaufter schöner phrygischer Jüngling.

SIMYLUS. Wie alt, wenn man fragen darf?

POLYSTRATUS. Ungefähr zwanzig.

SIMYLUS. Ich verstehe – um seiner Verdienste willen!

POLYSTRATUS. Und doch, mit allem dem, daß er ein Ausländer und ein Taugenichts war, verdiente er doch noch eher mein Erbe zu sein als jene; auch machen ihm, seitdem er im Besitz meiner ganzen Verlassenschaft ist, die Vornehmsten der Stadt die Cour, und er gilt, trotz seines glattgeschornen Kinnes und seines barbarischen Akzents, soviel, als ob er aus dem berühmtesten Geschlechte der ersten Stadt in Griechenland stammte, und wird edler als Kodrus, schöner als Nireus und weiser als Ulyß gescholten.[375]

SIMYLUS. Ei, meinetwegen mag er Gouverneur von Griechenland werden, wenn nur die andern nichts von deiner Erbschaft bekommen!

Quelle:
Lukian: Werke in drei Bänden. Berlin, Weimar 21981, Band 1, S. 373-376.
Lizenz:
Kategorien: