XVIII.

[398] Menippus und Merkur.


MENIPPUS. Und wo sind denn die schönen Männer und Frauen, von denen da oben so viel Redens war, Merkur? Sei doch so gut und führe mich zu ihnen, da ich hier noch so neu bin und mich noch nirgends zu finden weiß.

MERKUR. Ich habe keine Zeit dazu, lieber Menippus; aber schaue nur dort hin, Er zeigt mit dem Finger hin. mehr rechter Hand, dort sind Hyazinth und Narzissus und Nireus und Achilles und Tyro und Helena und Leda, kurz alle berühmten Schönheiten des Altertums auf einem Haufen beisammen.

MENIPPUS. Ich sehe nichts als Knochen und kahle Schädel, an denen nichts zu unterscheiden ist.

MERKUR. Gleichwohl werden diese Knochen, die du so verächtlich anzusehen scheinst, von den Dichtern bis auf diesen Tag besungen.

MENIPPUS. Zeige mir wenigstens nur Helenen; denn ich selbst wüßte sie nicht herauszufinden.

MERKUR. Dieser Schädel da ist die schöne Helena.

MENIPPUS. Das war es also, warum sich ganz Griechenland in tausend Schiffe zusammenpacken lassen mußte, warum so viele Griechen und Barbaren fielen und so viele Städte dem Erdboden gleich gemacht wurden?

MERKUR. Mein guter Menipp, du hättest sie in ihrem Leben[398] sehen sollen! Du hättest gewißlich (ebensowohl wie die alten Räte des Priamus in der Iliade) gestehen müssen, daß es Nemesis selbst nicht übelnehmen könne, wenn Trojaner und Griechen


jahrelang um so ein Weib den Jammer des Krieges erdulden.


Wer verdorrte Blumen sieht, kann es ihnen freilich nicht ansehen, wie schön sie waren, da sie in voller Blüte standen und mit ihren natürlichen Farben prangten.

MENIPPUS. Was mich wundert, Merkur, ist nur, wie die Griechen nicht merkten, daß sie sich um eines so vergänglichen und so bald verblühenden Dinges willen alle diese Mühe gaben.

MERKUR. Ich habe keine Zeit, mit dir zu philosophieren, Menipp; suche dir also nach Belieben einen Ort aus, wo du dich hinlagern willst; ich muß gehen und die übrigen Toten auch herbeiholen.

Quelle:
Lukian: Werke in drei Bänden. Berlin, Weimar 21981, Band 1, S. 398-399.
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