XX.

[400] Menippus und Äakus.


MENIPPUS. Um Plutos willen, sei so gut, Äakus, und zeige mir alles, was im Totenreiche zu sehen ist.

ÄAKUS. Alles, mein guter Menipp, würde so leicht nicht sein: aber das Hauptsächlichste will ich dir gerne weisen. Den Zerberus dort kennst du schon und den Fährmann, der dich[400] übergeführt hat, auch; den stygischen See und den Feuerstrom hast du bei deiner Hieherkunft ebenfalls gesehen.

MENIPPUS. Ich kenne das alles und weiß auch schon, daß du Torwärter bist; auch den König hab ich schon gesehen und die Furien. Wenn du mir einen Gefallen tun willst, so zeige mir die Männer der alten Zeiten, besonders diejenigen, von denen in der Oberwelt am meisten gesprochen wird.

ÄAKUS. Dieser hier ist Agamemnon, jener dort Achilles; dieser, etwas näher gegen uns, Idomeneus, der neben ihm Ulysses; dann folgen Ajax, Diomedes und die übrigen Häupter der Griechen dieser Zeit.

MENIPPUS. Ei, ei, Meister Homer! Was ist aus den Helden deiner Rhapsodien geworden? Wie armselig sie da untereinander auf der Erde liegen, unkennbar, aller Schönheit und Stärke beraubt, in Wahrheit »schwache Köpfe«, wie du sie nennst! so schwach, daß man sie mit einem Hauch zu Asche verblasen könnte! Aber wer ist der da, Äakus?

ÄAKUS. Das ist Cyrus, und dieser hier Krösus; der neben ihm Sardanapalus, der über beiden Midas und jener dort Xerxes.

MENIPPUS. Wie? so ein Tropf wie du setzte ganz Griechenland in Furcht und Schrecken, durch den Einfall, eine Brücke über den Hellespont zu schlagen und über Berge wegzuschiffen? Was der Krösus da für eine klägliche Figur macht! Und vollends der Sardanapalus! Ich hätte große Lust, ihm eine tüchtige Ohrfeige zu geben, wenn du mir's erlauben wolltest.

ÄAKUS. Beileibe nicht! Du würdest ihm den Schädel zermürsen, so weibisch ist er.

MENIPPUS. Aber anspeien darf ich das Mannweib doch?

ÄAKUS. Möchtest du nicht auch die Weisen sehen?

MENIPPUS. O gewiß, sehr gerne.

ÄAKUS. Der erste hier ist Pythagoras.

MENIPPUS. Sei mir gegrüßt, Euphorbus oder Apollo oder mit welchem Namen du dich lieber nennen hörst!

PYTHAGORAS. Großen Dank, Menippus, ebenmäßig!

MENIPPUS. Du hast wohl deinen goldnen Schenkel nicht mehr?[401]

PYTHAGORAS. Nein wahrhaftig! Aber hast du was zu essen in deinem Schnappsack? Laß doch sehen!

MENIPPUS. Nichts, mein Bester, als Bohnen, die du nicht essen darfst.

PYTHAGORAS. Gib immer her! Seit ich unter den Toten bin, sind einige Veränderungen in meinem Lehrbegriffe vorgegangen: ich habe hier gelernt, daß die Bohnen und die Häupter unsrer Eltern nichts miteinander gemein haben.

ÄAKUS. Dieser hier ist Solon, jener dort der berühmte Thales und neben ihm Pittakus und die übrigen; es sind ihrer sieben, wie du siehest –

MENIPPUS. Und unter allen Toten, die ich noch gesehen, die einzigen, die ein heiteres und fröhliches Ansehen haben. Aber der dort, der so voller Asche und Brandblasen ist wie ein in der Asche gebackener Kuchen, wer ist der?

ÄAKUS. Das ist Empedokles, der halbgekocht aus dem Schlunde des Ätna bei uns anlangte.

MENIPPUS. Hei da, mein schöner Herr mit den ehernen Füßen, was war die Ursache, warum du dich in den Krater des Ätna stürztest?

EMPEDOKLES. Ein Anfall von schwarzer Galle, Menippus.

MENIPPUS. Ganz und gar nicht, ich weiß es besser: Eitelkeit und Ruhmsucht und eine Art von Narrheit, die du mit Niesewurz hättest vertreiben sollen, haben dich mitsamt deinen Pantoffeln, verdientermaßen, so zur Kohle ausgebrannt. Dein Kunstgriff half dir indessen nichts; denn es kam doch an den Tag, daß du gestorben warst wie andere. – Aber, guter Äakus, wo ist denn Sokrates?

ÄAKUS. Er plaudert gewöhnlich mit Nestor und Palamedes und treibt noch immer seine alten Possen.

MENIPPUS. Ich möchte ihn doch gerne sehen, wenn er irgend in der Nähe wäre.

ÄAKUS. Siehst du den Glatzkopf dort?

MENIPPUS. Ich sehe nichts als Glatzköpfe; das ist ein Kennzeichen für alle Toten.

ÄAKUS. Ich meine den mit der aufgestülpten Affennase.

MENIPPUS. Damit ist's ebenso. Alle haben solche Nasen.

SOKRATES. Suchst du mich, Menippus?[402]

MENIPPUS. Jawohl, Sokrates.

SOKRATES. Wie geht es zu Athen?

MENIPPUS. Es gibt eine Menge junge Leute, die, ihrem Vorgeben nach, philosophieren; und wer nur auf ihren Anzug und ihren Gang sähe, müßte sie wirklich für große Philosophen halten.

SOKRATES. Ich habe sehr viele dergleichen gesehen.

MENIPPUS. So mußt du, denke ich, auch gesehen haben, wie Aristipp und Plato selbst konditioniert waren, als sie hieher kamen? Jener roch schon von weitem nach Pomade, und dieser hatte bei den Tyrannen in Sizilien den Höfling machen gelernt.

SOKRATES. Aber was halten die Leute von mir?

MENIPPUS. Du bist ein glückseliger Sterblicher, Sokrates, was das betrifft! Alle Welt glaubt, du seiest ein bewundernswürdiger Mann gewesen und habest alles gewußt, wiewohl du (weil man doch, denke ich, die Wahrheit sagen muß) nichts wußtest.

SOKRATES. Das hab ich ihnen immer selbst gesagt: aber sie hielten es nur für Ironie.

MENIPPUS. Wer sind denn die da, die sich so an dich andrängen?

SOKRATES. Charmides, Phädrus und der Sohn des Klinias.

MENIPPUS. Ei, ei, Sokrates, ich sehe, du treibst noch immer dein altes Handwerk; die schönen Leute gelten noch immer viel bei dir.

SOKRATES. Womit könnte ich mich besser amüsieren? Ich dächte, du legtest dich auch zu uns her, Menipp.

MENIPPUS. Das nicht! Ich werde meine Residenz beim Krösus und Sardanapalus aufschlagen: denn ich denke, es soll mir großen Spaß machen, wenn ich sie jammern und wehklagen höre.

ÄAKUS. Und ich kehre zu meinem Posten zurück, damit uns nicht etwa, wenn ich mich zu weit entferne, irgendein Toter heimlich davongehe. Ein andermal sollst du mehr sehen, Menipp.

MENIPPUS. Gehe nur, Äakus, es ist auch an diesem genug![403]

Quelle:
Lukian: Werke in drei Bänden. Berlin, Weimar 21981, Band 1, S. 400-404.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der Weg ins Freie. Roman

Der Weg ins Freie. Roman

Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.

286 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon