6. Die Schlange.

[53] Es ging ein armer Jüngling in dem Dienst eines Königs, dem er aufwarten mußte. Alle Mittage holten sie aus des Königs geheimer Kammer eine Schüßel, die wurde erst aufgetragen, wenn alle andere Gerichte abgenommen und alle Tischgäste weggegangen waren, und kein Mensch wußte, was in der Schüßel war, der Jüngling aber hätte es gern wißen mögen.

Einstmals sollte er in dem geheimen Zimmer des Königs ein wenig aufräumen. Da fand er von ohngefähr die verdeckte Schüßel. Ein bißchen hinein sehen wirst du doch wohl dürfen, dachte er; aber ich weiß nicht, ob er darin recht hatte.

Als er nun hineinsahe, war eine gekochte, weiße Schlange darin, und es zog ihn, als müßte er davon ein wenig kosten. Und er kostete davon ein ganz klein Stückchen.

Er hatte das Stückchen kaum gegeßen, so verstand er die Sprache aller Thiere, und hörte, was die Vögel vor dem Fenster miteinander sprachen.

Deßelbigen Tages war der Königin ihr kostbarster Ring weggekommen und die Königin dachte, der Jüngling habe den Ring genommen; aber ich weiß es nicht, warum sie das dachte. Wäre sie keine Königin gewesen, so hätte sie aussagen müßen: »Warum?« aber so hatte sie es nicht nöthig.

Nun hieß es, wo er den Ring nicht wieder schaffe, solle er das Leben hergeben. Das machte ihn denn sehr traurig.

Der Jüngling ging in seiner Noth auf den Hof; da saßen ein Paar Enten am Waßer und sonnten sich. Er hörte aber, wie die Enten mit einander vertraulich plauderten, und sprach die eine zu der andern:[54]

»Mir ist so fatal im Magen; das macht ich bin so dumm gewesen und habe den Ring der Königin in Gedanken mit verschluckt, den das faule Kammermensch mit ausgekehrt hat. Es drückt mich recht sehr!«

Es ist doch gut, wenn man Etwas versteht, dachte der Jüngling, und bat den Leibkoch des Königs die Ente zu schlachten, und weil sie ihn alle recht lieb hatten, so that es der Koch auch, fand den Ring und trug ihn dem Könige hin, der darüber sehr froh war, denn er hatte den Jüngling auch lieb.

Der König ließ den Jüngling kommen und sagte: »fordere von mir, was du gern hättest, Gold oder hohen Rang, ich will dirs gerne geben!«

Da forderte er seinen ehrlichen Abschied, und als der König ihn fragte, weshalb? sagte er:

»Herr König, ich habe nichts als meine Ehre. Die hab ich so gut als mancher Königssohn, und vielleicht wohl zuweilen noch beßer, und wo die so leicht gekränkt werden darf, da mag ich nicht bleiben!«

»Aber willst du denn gar nichts von mir haben?« fragte der König. Da bat er sich denn, um seinen Herrn nicht zu betrüben, ein schönes Pferd aus, und als er das hatte empfangen, zog er von dannen.

Am andern Morgen kam er an einen Teich. Da waren drei Fische im Schilfrohr und konnten nicht wieder ins Waßer und ächzten: »Hier müßen wir umkommen.« Da stieg er vom Pferde und brachte sie ins Waßer. Sie aber sagten: »Wir wollen dir das im besten gedenken!«

Er eilt weiter und hörte wie ein Ameisenkönig zu den Leuten in seinem Haufen sagte: »Da kommt das große Thier, das Pferd[55] wird uns zertreten.« Er aber sagte: »Nein!« und ritt zur Seiten. Aber der Ameisenkönig sprach: »Es soll dein Schade nicht sein!«

Nun fand er auch auf der Reise junge Raben, die waren aus dem Neste gefallen und konnten noch nicht recht fliegen, die jammerten untereinander: »Nun müßen wir vor Hunger sterben und verderben.« Er aber sprach: »Nein! Es steht geschrieben, der Herr speist die jungen Raben,« und damit nahm er Fleisch aus der Tasche, welches ihm der Koch mitgegeben, und fütterte sie recht satt. Sie aber sagten: »das wollen wir dir einmal vergelten.«

Nun kam er in eine große Stadt. Da hieß es, wer das ausrichte, was die Prinzeßin fordere, der solle sie haben und kein Anderer; aber wer sich dazu anböte und es nicht ausrichten könne, der gäbe den Kopf her.

Der Jüngling dachte, dein Kopf ist schon einmal um eines lumpigen Ringes willen in Gefahr gewesen, so kannst du ihn wohl um eine Prinzeßin wagen? Da meldete er sich als Freier.

Die Prinzeßin ließ ihn ans Ufer des Meeres führen und einen Ring hinein werfen, den sollte er wieder bringen. – Man ließ ihn allein; Er aber verließ sich auf die Dankbarkeit der Fische. Gut! daß es keine Menschen waren, da wäre er sehr verlaßen gewesen. Aber es kamen die drei Fische, und der mittelste brachte in einer Muschel den Ring. – Es war der rechte.

Nun wurden zwei Säcke Hirsenkörner des Abends ins Gras geschüttet, die sollten des andern Morgens auf einem Haufen beisammen sein. Da kam der Ameisenkönig, und brachte sie mit seinen Leuten zusammen.

Nun hätte ihn die Prinzeßin gern genommen, weil er so gutmüthig und so hübsch war, aber weil er kein Prinz war, so war er für sie kein rechter Mensch. So verlangte sie denn, er[56] sollte ihr das Waßer der Schönheit holen, bei dem sie immer jung und schön bliebe. Das wußte er aber nicht zu finden, doch ging er darnach aus.

Indem er noch darnach fragte, wo er es finden könne, kamen die drei Raben und brachten ihm das Waßer in einem Fläschlein, er aber brachte es der Prinzeßin.

Da nahm sie ihn.

Quelle:
Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, anmuthig und lehrhaftig [1–]2. Band 2, Leipzig [ca. 1819/20], S. 53-57.
Lizenz:
Kategorien: