In der Promenade

[167] Mürrisch war ich und trübe

Den langen, heißen Tag,

Der Hunger und Durst nach Liebe

War wieder im Herzen wach.


Ich wußte doch, daß vergebens

Die Liebe zu mir tritt,

Das Ende meines Lebens

Beschließt ein Defizit.


Die Sonne erloschen am Himmel,

Die Luft war warm und schwer,

Vom bunten Menschengewimmel

Wurden die Straßen leer.


Am Rand des kleinen Flusses

Ging ich nachdenklich hin,

Da horch, der Schall eines Kusses

Und Liebesseufzer ziehn.


Am Fuß der alten Esche

Eine breite Holzbank steht,

Es schimmerte weiße Wäsche,

Ich hab' mich umgedreht.


Und leichter ward mir zumute

Und froh ging ich zurück,

Ich dachte an mancher Minute,

An mancher Stunde Glück.


Oktober 1890


Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 167-168.
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