Maiensegen

Die Maiennacht ist hell und heiß,

In Flammen steht der heilige Kreis,

Ein Dreieck hin, ein Dreieck her,

Die liegen über Kreuz und Quer.


Es bebt das Laub am Lindenbaum,

Es träumt der Väter hohen Traum;

Das ist die Nacht, die heilige Nacht,

In der das neue Reich erwacht.


Es neigt sich jedes Lindenreis,

Der starke Gott tritt in den Kreis;

Die Sterne geben hellern Schein,

Die gute Fraue tritt herein.


Da hebt der Gott die Schwerthand auf

Und hemmt der Wolkenkühe Lauf;

Sie eilen in den heiligen Kreis,

Wo jedes seine Stelle weiß.


Die Euter hängen tief und schwer,

Und Feld und Wiesen dürsten sehr;

Die Göttin regt die weiße Hand,

Der Regen rieselt auf das Land.


Es sprießt das Gras, es schießt das Korn,

Es singt sein Lied der Hungerborn;

O Maiennacht, o Weihenacht,

Es steht das Land in Hochzeitspracht!

Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 205-207.
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