Umgehungsgesang

[411] (19. Mai 1907.)


Hab'n wir nicht was Schönes angerichtet?

Hab'n wir nicht was Herrliches erreicht?

Haben endlich mit Geduld und Spucke

Des Ministers hartes Herz erweicht.


Große Dämme werden aufgeworfen

Und die Landschaft mitten durch halbiert,

Wenn es nicht ein großer Vorteil wäre,

Könnt' man glauben, man sei angeschmiert.


Mit der Aussicht, damit ist es Essig,

Auch wird der Verkehr sehr stark gehemmt,

Und die Stadt wird zwischen hohe Wälle,

Wie 'ne Katze in der Tür geklemmt.


Die Ästhetik ist total zum Kuckuck

Und das Bild der Stadt, das ist verhunzt,

Als Erfolg die Sache aufzufassen,

Dazu gehört wahrhaftig eine Kunst.


Uns wird bang und uns wird immer bänger,

Unerträglich war der Status quo,

Doch bedenkt man sich den Fall genauer,

Denkt man, es war doch noch besser so.
[411]

Doch was hilft's? Die Sache ist geschehen,

Siebzig Millionen die sind hin,

Hin ist hin, verloren ist verloren,

Tun wir so, als sei es ein Gewinn.


Hauptsach ist: Der Bürger darf nicht merken,

Daß die Sache eine Pleite war,

Als unfehlbar müssen wir erscheinen

Diesem guten Tiere immerdar.


Darum lasset uns Verzückung heucheln

Ob dem großen unverhofften Glück,

Denn wir sind nun einmal 'reingeschliddert

Und wir können nun nicht mehr zurück.


Drum erhebet mächtig eure Stimme,

Stimmt die hehre Lobeweise an:

Heil dem Fiskus, Heil dem Magistrate,

Die uns gaben die Umgehungsbahn!

Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 411-412.
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