Frühlingsbilder

[4] Mit grausem Getümmel

Verschwunden vom Himmel

Sind Wolken voll Nacht;

Den Seen und den Flüssen

In strömenden Güssen

Zum Opfer gebracht!


O Jubel! o Wonne!

Nun kehren der Sonne

Verherrlichtem Blick

Erwachen und Leben,

Verjüngen und Streben

Und Liebe zurück!


Nun keimen und sprossen,

Von Glanz übergossen,

Die Blätter hervor;

Nun rauschen der Quellen

Entwinterte Wellen

Durch wankendes Rohr.


O seht nur, wie Flore

Dem summenden Chore

Der Bienen schon winkt!

O seht nur, aus welchen

Berauschenden Kelchen

Der Schmetterling trinkt!


Die Freude flog wieder

Auf buntem Gefieder

Den Sterblichen zu;

Ihr himmlisches Walten

Verwischte die Falten

Der Stirnen im Nu!
[5]

Vom einsamen Rädchen

Entführt sie die Mädchen

Des Dorfes zum Hain,

Und wirbelt in grünen

Gebüschen mit ihnen

Den ländlichen Reihn!


Begeistert den Zecher,

Beim funkelnden Becher,

Zu Liedern und Scherz;

Haucht Liebe den Blöden,

Haucht Liebe den Spröden

Allmächtig ins Herz!


Da taumeln die Stunden,

Mit Rosen umwunden,

Bacchantisch vorbei!

Und Jubel ertönen:

Es leben die Schönen!

Es lebe der Mai!

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 4-6.
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