II.

In der Patsche

In Dankerode war Jahrmarkt. Dies konnte nun allerdings kein großartiges Ereigniß genannt werden, aber daß zum Dankeroder Jahrmarkt einmal ein so ausgezeichnetes Wetter war, das hatte man seit vielen Lustren nicht erlebt. Daher wanderte auch Alles, was nicht mit Gewalt zu Hause festgehalten wurde, dem Dorfe zu.

Dankerode war keine Stadt, nicht einmal ein Marktflecken. Es hatte also auch gar keine Gerechtsame zur Abhaltung eines Jahrmarktes. Aber es war nun einmal herkömmlich, daß am fünfzehnten Juli Jeder, der etwas zu verkaufen hatte oder etwas kaufen wollte, Jeder, der sich entschlossen hatte, in Dienst zu gehen oder der einen Dienstboten brauchte, überhaupt Jeder, der ein Geschäft irgend welcher Art abzumachen hatte, nach Dankerode lief, um dort seine Angelegenheit unter freiem Himmel in Ordnung zu bringen.

Da stand denn sehr oft Bude an Bude und Regenschirm an Regenschirm; denn wer am fünfzehnten Juli nach Dankerode ging, der wußte, daß er naß wurde, von außen bis auf die Haut, und von innen durch allerhand Viere und sonstige Flüssigkeiten bis unter die Haut und noch tiefer.

Daß es nun heut nicht wie aus Tragkörben goß, war ein Wunder aller Wunder. Nicht einmal ein Gewitter stand am Himmel, der so hell und rein, so unschuldig aussah, als ob er alle Jahre den Dankerodern ein so freundliches liebenswürdige Gesicht gemacht hätte. Sogar der Himmel hat kein Schamgefühl mehr!

Aber das Anfeuchten war man in Dankerode einmal gewohnt. Ging es nicht von außen, so geschah es doppelt und dreifach von innen, wegen der ungeheuren Hitze, wie man sich entschuldigte.

In keiner Bude aber wurde so viel getrunken, wie in derjenigen der ehrsamen Wittib Veronika Salzmeierin. Das war aber auch eine Frau, bei der man unwillkürlich mit der Zunge schnalzen mußte, gerade so, als wenn man ein Stück saftigen Rehrücken vorgesetzt bekommt. So propre und sauber, so nett und adrett, so appetitlich und zum Anbeißen gab es in der ganzen Grafschaft Mansfeld sicherlich kein zweites Weibsen, und dabei hatte sie ein Mäulchen, so fleißig wie ein zwölfgängiges Mühlwerk, und ein paar Augen, die es jedem anthaten, der noch ein Herz im Leibe trug.

Heut hatte sie es besonders auf einen Tisch abgesehen, der da hinten in der Herrenecke stand. Da saßen nämlich sieben oder acht Gäste, von denen Jeder wenigstens drei Flaschen, nämlich drei leere Flaschen, vor sich stehen hatte. Und dabei hatten die Leute so etwas an sich, so etwas Ausgezeichnetes, so etwas Vornehmes, so etwas Salzmeierinanziehendes, daß die gute Veronika kein Auge von der Gruppe verwandte und alle drei Minuten herbeigetrippelt kam, um zu fragen, ob vielleicht noch eine Flasche befohlen werde.

Und jetzt kam gar ein Mann herein, der hatte eine Haltung, einen Schritt, ein Auge, einen Zwickelbart, hurrjeh, dem sah es die Wirthin sofort an, daß er noch viel ausgezeichneter und anziehender sein müsse als die Andern. Die erhoben sich auch sofort von ihren Sitzen und machten Gesichter, als ob er sie alle ungefährdet verschlingen dürfe. Er aber gab nur einen ganz kleinen Wink, so setzten sie sich augenblicklich wieder nieder, und er nahm bei ihnen Platz.

Sie kam wie eine Bachstelze herbei gewippt und geschnippt, wischte sich mit der schneeweißen Schürze den Mund ab, schlug in jungfräulicher Verschämtheit die Augen nieder und frug nach den Befehlen des gnädigen Herrn Bergamtmannes. Denn in der Grafschaft Mansfeld war damals der Bergamtmann die angesehenste Persönlichkeit, und weil dieser Herr gar so nobel aussah, mußte er[72] unbedingt ein Bergamtmann sein, obgleich er für eine solche Charge eigentlich noch sehr jung war.

»Woher kennt Sie mich denn so genau,« frug er mit einem Blicke, der eigentlich für zwei Bergamtmänner zugereicht hätte.

»Von dem letzten Bergaufzug her,« antwortete sie, ganz entzückt, daß sie so scharfsinnig gewesen war, sofort das Richtige zu treffen.

»Wie so?«

»Da schritt der gnädige Herr voran und hatte einen rothen Federstutz oben,« antwortete sie, denn so war es bei den Bergamtmännern der Fall.[73]

»Hm, ja; Sie hat ein sehr gutes Gedächtniß. Sage Sie einmal, könnte Sie wohl einen Bergamtmann gut leiden?«

Diese Worte gingen ihr so tief in das liebesbedürftige und doch verwittwete Herz und seine Finger knippen sie so zärtlich in die gerötheten Wangen, daß sie einen so tiefen Knix machte, daß ihre Knie beinahe die Erde berührten.

»Ja!«

»Donnerwetter, das paßt; denn ich habe noch keine Bergamtmännin. Wenn kann man Sie denn einmal besuchen, Sie kleine Hexe Sie?«

»Zu jeder Zeit, gnädiger Herr!«

»Schön! Ich gebe Ihr mein Wort, daß ich zu keiner Anderen gehe, wenn ich mir meine Amtmännin hole.«

»Aber vergeßt es nur nicht, gnädiger Herr!« lispelte sie leise.

»Nein. Sie hat mein Wort und damit basta! Bringe Sie mir auch so eine Flasche, aber kein Katzenwasser, verstanden!«

Sie schnellte hinter den Schenktisch und suchte eine von den wenigen Flaschen hervor, die sie für ganz besondere Ehrengäste reservirt hatte. Da kostete eine zwanzig Silbergroschen, aber sie nahm sich vor, ihm nur zwölf abzuverlangen. Das erste Glas goß sie ihm selbst ein und nippte leise davon.

»Zur Gesundheit, gestrenger Herr!«

»Danke, Schatz!«

Er trank das Glas aus, schenkte sich voll und leerte nochmals; dann streckte er die Beine von sich und wollte eben ein Gespräch beginnen, als er daran verhindert wurde und sich augenblicklich in eine horchende Stellung aufrichtete.

Draußen vor der Bude hielt nämlich ein Schleifer mit seinem Karren. Er hatte sehr viel zu thun; aber nicht nur seine Kunden standen bei ihm, sondern auch eine ganze Menge andere Leute. Er war seit einigen Tagen in der Gegend bekannt, und man wußte, daß er gar schöne Schleiferlieder zu singen verstehe. Er pflegte sie zum Takte seines Rades vorzutragen und die Pausen mit dem Geräusche auszufüllen, welches durch die Berührung der Messer und Scheeren mit dem Schleifsteine hervorgebracht wird. Er hatte heut bereits viel gearbeitet, aber noch nicht gesungen. Darum wurde er so dringend um ein Lied gebeten, daß er endlich nachgeben mußte. Er begann:


»Der Schleifer ist allzeit ein Mann,

Den man nicht gut entbehren kann,

Weils Vieles gibt, wie Ihr ja wißt,

Was abgestumpft und schartig ist,

Und man sich da nur nutzlos quält,

Wo Schärfe, Schnitt und Rundung fehlt.

Der Schleifer findet weit und breit

Gar manche Ungeschliffenheit,

Und wo er nicht selbst helfen kann,

Da packen andre Kräfte an.

Das Schicksal faßt ja manchen Tropf

Mit eisenfestem Griff,

Setzt ihm den widerspenst'gen Kopf

Zurecht und gibt ihm Schliff!«


Der Klang dieser Stimme war es, welcher den zwickelbärtigen Herrn Bergamtmann am Sprechen verhindert hatte. Er hörte die Strophe zu Ende und meinte dann:

»Nicht übel, das Lied, hm; sollte länger sein, nicht, Hauptmann?«

Derjenige, an den die Worte gerichtet waren, beeilte sich beizustimmen:

»Gewiß, Durchlaucht! Doch, da kommt ja bereits eine zweite Strophe!«

Wirklich erklang es bereits nach dieser kurzen Pause draußen weiter:


»Der Meister und die Meisterin,

Die haben oft gar eignen Sinn,

Der Lehrling ist ein Aschenbrod,

Hat wenig Freud und sehr viel Noth,

Arbeitet wie ein Droschkenpferd

Und gilt doch keinen Heller werth.

Der Sündenbock für alle Welt,

Auf halbe Ration gestellt,

Zu spät ins Bett, zu früh heraus,

Das halte doch der Teufel aus!

Und klagt und schimpft und jammert er,

So kommt der Meister Pfiff,

Nimmt Elle oder Knieriem her

Und applizirt ihm Schliff!«


Der Bergamtmann strich schmunzelnd seinen schwarzen Schnurrwichs.

»Ja, die Elle oder der Knieriem sammt dem Lade- und dem Haselstocke sind die besten Erzieher, die es gibt. Die Elle macht fromm, der Knieriem sanft, der Ladestock gehorsam und der Haselstock geduldig! Meint Er nicht, Hauptmann?«

»Versteht sich, Excellenz. Ein strenges Wort hat mehr Wirkung, als eine freundliche Predigt von sechs Stunden Dauer.«

»Bei einer solchen Gesinnung ist es schade, daß Er nicht anstatt Hauptmann Feldprediger geworden ist. Aber horcht, er singt weiter!«

Der Schleifer fing die dritte Strophe an. Sie lautete:


»Bei einem wohlbekannten Haus

Fliegt Geld hinein, Papier heraus.

Man sagt, daß es ein Bankhaus sei,

Doch ists die höh're Schleiferei;

Denn man dreht drinnen dem Hans Tapp

Die schwer ersparten Groschen ab.

Da plötzlich wird die gute Bank

An hoffnungsloser Schwindsucht krank;

Der Prinzipal kniff gerne ex,

Doch faßt ihn ›Polyp multiplex.‹

Jetzt brummt er in der Einsamkeit,

Und kaut an seinem Kniff,

Und für das Schleifen frührer Zeit,

Bekommt er selbst nun Schliff!«


»Wenn dieser Kerl sich seine Lieder selbst macht, so ist er ein ganz verdammter Himmelhund!« meinte der Fürst. »Das schnappt und klappt ja Alles ganz vortrefflich! Und das mit der höheren Schleiferei ist ganz richtig; nur will ich ihm nicht rathen einen Namen zu nennen, sonst wird er noch höher geschliffen. Aber wahrhaftig, der Mann bringt noch mehr. Hört!«

Draußen erklang die Fortsetzung des Liedes:


»Im Schulhaus geht für Jedermann

Das offizielle Schleifen an.

Und was die liebe Frau Mama

Bisher am Zuckerkind versah,

Wird hier barmherzig und geschickt

Mit Stock und Ruthe ausgeflickt.

Das niederträchtige A-B-C

Schmeckt unbedingt nach Aloë,

Und wer das Einmaleins verdaut,

Der stirbt auch nicht an Sauerkraut.

In diese Art Philosophie

Fährt man mit raschem Griff,

Legt sie gemüthlich übers Knie

Und applizirt ihr Schliff.«


»Bravo, Bravo! Immer übers Knie mit den Rangen, und gehörig aufgewichst. Mir sollte die Anneliese nicht wagen, die Buben und Mädels zu verderben! Warum hat man jetzt so gottlose subordnungswidrige Bengels unter den Rekruten, Hauptmann? Nun?«

»Es liegt an der Erziehung; die Eltern sind schuld!«

»Und darum verdienen sie mehr Prügel, als die Jungens. Es ist jetzt eine traurige Zeit, eine Zeit, in welcher eigentlich Hoch und Niedrig, Jung und Alt ganz gehörig durchgeprügelt werden müßte; denn ich sage Euch, Ihr Herren, daß – – –«

Er war dabei auf eines seiner Lieblingsthemata gekommen, über welches er stundenlang zu reden vermocht hätte, wenn er nicht von dem Schleifer gestört worden wäre:


»Wohnt einmal Einer in der Stadt,

Der gar zu lange Finger hat;

Bei Tage bleibt er stets zu Haus,

Geht nur im Dunkelmunkel aus,

Ist aller Straßenlampen Feind

Und liebt den Mond, wenn er nicht scheint.

So wandert heimlich er fürbaß,

Denkt bald an Dieses, bald an Das,

Bis er, Kreuzhimmelelement,

Ein fremdes Port'monnaie umrennt.

Doch leider wird der Schelm ertappt

Bei dem verbot'nen Griff;

Ein Gänsedarm hat zugeschnappt

Und sorgt für bessern Schliff.«


»Hm,« brummte jetzt der Fürst. »Da fällt mir ja etwas ein, Ihr Herren. Habe da einen Wisch von Oberst Ravenau, der beim Schwedenkönige sitzt, erhalten, worin ich benachrichtigt werde, daß ein Wachtmeister, ein gewisser – – Teufel, wie heißt doch der Bengel gleich? Major, Er hat das Schreiben ja gelesen!«[74]

»Wachtmeister Roller,« antwortete der Aufgeforderte.

»Roller, ja; also daß ein gewisser Wachtmeister Roller in der Gegend zwischen Merseburg, Halberstadt und da herum sein – – – Donnerwetter, da geht es wieder los; das muß man sich gefallen lassen. Hört!«


»Ich kenne ein Amphibium,

Heißt Redakteur und ist nicht dumm.

Im Tintenfasse schwimmt das Thier,

Frißt Federn, Schreib- und Druckpapier,

Hat eine Zunge, spitz und scharf,

Und quakt, was man nicht quaken darf.

Drum bringt den Herrn Amphibius

Das Quacken öfters in Verdruß,

Wobei es hier und da gelingt,

Daß man ihn auf das Trockne bringt.

Denn tritt er in der Setzerei

Etwas zu stark aufs Schiff,

So stürzt ein Paragraph herbei

Und sorgt für bessern Schliff.«


»Fertig? Also nun kann ich fortfahren. Der Oberst Ravenau schreibt mir, daß sich da ein Wachtmeister Roller herumtreibe, bald als Brillmann, bald als Bänkelsänger oder Scheerenschleifer, bald als sonst etwas. Was das für einen Zweck hat, kann sich Jeder denken, und ich möchte mir den Kerl da draußen denn doch einmal in Augenschein nehmen. Was meint Er, Major?«

»Ein gewöhnlicher Schleifer hat diese Verse nicht gemacht, so viel ist sicher, Durchlaucht. Sie stammen nicht blos von einem witzigen, sondern auch von einem gewandten und erfahrenen Kopfe – – ah, noch eine Strophe!«


»Herr Müller und Frau Müller sind

Zuweilen sehr konträr gesinnt.

Er liebt den Skat; sie haßt das Spiel,

Er schweigt gern und sie plappert viel,

Er ist ein Feind von Tand und Putz,

Und sie hälts mit dem Federstutz.

Der Frau gebührt natürlich Recht;

Sie ist das schönere Geschlecht.

So war es schon zu Adams Zeit,

So bleibt es auch in Ewigkeit.

Und fehlt dazu dem Grobian

Der richtige Begriff,

Schafft sie sich einen Hausfreund an

Und sorgt für bessern Schliff!«


Ein schallender Beifall war der Lohn für den Vortrag dieses Liedes. Auch in der Bude stimmte man ein, und nur die Offiziere verhielten sich zurückhaltend. Auf einen Wink des Fürsten erhob sich der Jüngste von ihnen und trat hinaus vor die Bude zu dem Schleifer.

»Hat Er einen Augenblick Zeit?«

Der Gefragte sah ihn forschend an.

»Warum?«

»Da drinnen am hintersten Tische sitzen einige Männer, die Ihn gern sehen möchten, weil Er so schöne Lieder singen kann.«

»Werde gleich kommen!«

Seine Haltung und seine Ausdrucksweise verriethen dem Auge des Kenners allerdings eine nicht vollständig zu verbergende militärische Schulung. Er schliff das Messer, welches er in der Hand hielt, vollends fertig und trat dann in die Bude, wo er der Wirthin begegnete.

»Wer sind die Leute da hinten?« frug er sie.

Sie kannte ihn jedenfalls schon und nickte ihm aufmunternd zu.

»Sehr vornehme Leute, da wird es ein Gläschen Guten geben. Der Eine, der mit dem schwarzen Zwickelbarte, ist der Herr Bergamtmann, der erst eine halbe Stunde hier ist und bereits die dritte Flasche hat.«

»Bergamtmann? Sehe nicht viel Vornehmes daran,« antwortete er.

Sie warf ihm ob dieser Rede einen sehr vernichtenden Blick zu, er aber beachtete denselben gar nicht und schritt nach dem ihm bezeichneten Tische. Leopold wandte sich ihm zu.

»Er ist der Schleifer von da draußen?«

»Ja.«

»Woher hat Er seine Lieder?«

»Die mache ich mir selber.«

»Und die Melodie dazu?«

»Auch.«

»Kreuzelement, da ist Er ja ein ganz verdammt gescheidter Kerl!«

»Ist auch nicht zu verwundern!«

»Wie so?«

»Habe viel Schule genossen. Sollte studieren.«

»Kam aber nicht bis an das Gehirn, sondern nur bis an das große Maul!«

»Oho! War bereits bald fertig, da wurde das Geld alle, und ich mußte aufhören. Aber dichten und musiziren kann ich dennoch wie sonst Einer.«

»Heda, Wirthin!«

Die ehrbare und lobesame Wittwe Veronika Salzmeierin kam herbeigeschnippt.

»Was gebieten der gestrenge Herr Bergamtmann?«

»Eine Flasche für Den da, aber hinaus an den Karren!«

Sie knixte erst, und dann schnippte sie eiligst davon.

»Danke, Herr Amtmann!« meinte der Schleifer.

»Wo ist Er denn eigentlich zu Hause?«

»In Treptow.«

»So so!«

»Hat Er Seinen Schein bei sich?«

»Ja.«

»Zeige Er ihn einmal heraus!«

Der Schleifer brachte seine Legitimation aus dem Wammse und gab sie dem Fürsten. Dieser buchstabirte sie zusammen. Seine Miene verrieth einige Bedenklichkeit.

»Dieser Ausweis ist doch nicht in Treptow, sondern in Merseburg ausgestellt worden!«

»Die ursprüngliche Legitimation ist mir verloren gegangen, und da hat man mir an ihre Stelle diese hier gegeben.«

»Ach so! Aber der Verlust der ersteren müßte doch hier bemerkt sein!«

»Das verstehe ich nicht. Vielleicht ist diese Bemerkung vergessen worden.«

»Möglich. Doch kann er dadurch in Verlegenheiten verwickelt werden.«

Er hätte vielleicht noch etwas hinzugefügt, aber es hatte sich ein Mann herbeigedrängt, der dem Schleifer die Hand auf die Achsel legte.

»Nicht wahr, Er ist der Schleifer?«

»Ja.«

»Hier ist der Brief, den Er zu besorgen hat. Bezahlt ist Er wohl bereits?«

»Ja. Werde ihn gut besorgen.«

Der Mann entfernte sich und Leopold frug nun weiter:

»Hat Er Seine Lieder nur im Kopfe oder auch auf Papier geschrieben?«

»Was ich selber dichte, brauche ich doch nicht etwa niederzuschreiben!«

»Wohin wird Er von hier aus gehen?«

»Vielleicht nach Querfurt; da ist in ein paar Tagen auch Jahrmarkt.«[75]

»So! Na, da will ich Ihm gute Geschäfte wünschen. Jetzt kann Er gehen.«

Kaum war der Schleifer fort, so berichtete der Major, welcher neben Leopold saß:

»Durchlaucht kannten den Mann, welcher den Brief brachte?«

»Nein. Wer war er?«

»Ein Diener des Grafen Johann Georg der Dritte von Mansfeld.«

»Ah! Etwa gar heimliche Intriguen des Grafen! Aber es kann ja auch eine Privatsache des Dieners betreffen.«

»Dann hätte er ihn gekannt und nicht erst gefragt, ob er der Schleifer sei.«

»Das ist richtig.«

»Dann hätte er sich auch anders ausgedrückt und nicht gesagt: Hier ist der Brief, den Er zu besorgen hat!«

»Das ist wieder richtig.«

»Und dann hätte der Brief wohl auch ein anderes Siegel und eine andere Adresse gehabt. Ich habe Beides zwar flüchtig aber genau gesehen.«

»Was für ein Siegel war es?«

»Das des Grafen.«

»Ah! Und die Adresse?«

»War diejenige des Herzogs von Sachsen-Merseburg.«

»Donnerwetter! Ists wahr?«

»Ich weiß genau, daß ich mich nicht geirrt habe.«

»Dann ist irgend eine Teufelei dabei im Spiele. Diese Grafschaft Mansfeld ist nicht mehr selbstständig; sie steht unter brandenburgischer und sächsischer Sequestration, und der Graf erhält blos die Einkünfte des Bornstädtischen Amtes. Man weiß von sächsischen Umtrieben, denen der Graf nicht fern steht, und dieser Merseburger Herzog ist ein Filou, der sich freuen würde, uns einen Streich zu spielen. Ah, ich werde diesem Schleifer doch einmal auf die Finger sehen, und wehe ihm, wenn sie schmutzig sind. Was meinen die Herren, wie man das anfängt?«

»Es müßte sehr im Geheimen geschehen,« antwortete der Major.

Während er noch sprach, kam die Wirthin herbei und berichtete mit einem tiefen Knixe:

»Gestrenger Herr Bergamtmann, der Schleifer läßt sich noch einmal für den Wein bedanken.«

»So? War nicht nothwendig!«

»Vielleicht, weil er jetzt fortgeht.«

»Er geht fort?«

»Ja. Er hat alle Scheeren und Messer, die er noch zu schärfen hatte, zurückgegeben und sich auf den Weg gemacht.«

»Wohin?«

»Nach Eisleben zu.«

»Gut. Ich danke Ihr!«

Sie knixte tief und schnippte davon. Der Fürst wandte sich an den Lieutenant:

»Höre Er, diesen Schleifer übergebe ich Ihm. Wir haben denselben Weg mit ihm. Mache Er sich jetzt auf und reite Er so hinter ihm her, daß er nichts merkt. Er läßt ihn nicht aus dem Auge, bis wir nachkommen. Verstanden?«

»Zu Befehl, Durchlaucht!«

Der Offizier entfernte sich. Nach einer Viertelstunde verließen auch die Andern die Bude. Der sonst so sparsame Leopold berichtigte die ganze Zeche.

»Also merke Sie es sich,« meinte Er zur Wirthin. »Wenn ich eine Bergamtmännin brauche, so komme ich zu Ihr!«

»Viel Ehre, sehr viel Ehre, gnädiger Herr!«

»Wenn ich Sie aber nun nicht mehr ledig finde?«

»O, ich warte; ich warte so lange, bis Ihr kommt.«

»Darauf verlasse ich mich auch, denn unter zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre wird es wohl nicht dauern, bis ich komme!«

Sie machte ein höchst erschrockenes Gesicht, er aber trat aus der Bude mit einer Miene, in welcher man seine Freude über diese Enttäuschung erkennen konnte.

In einiger Entfernung vor dem Dorfe gab es seitwärts von der Straße eine kleine Waldwiese, auf welcher mehrere Reitknechte mit Pferden standen. Die Herren waren hier im Verborgenen abgesessen, um ihr Inkognito nicht zu gefährden.

»Lieutenant Walther hier gewesen?« frug der Fürst.

»Vor einer Viertelstunde,« berichtete der Knecht.

Man stieg auf und verfolgte den Weg im scharfen Trabe, bis der Lieutenant erreicht wurde.

»Wo ist der Schleifer, he?«

»Da vor uns hinter der Straßenkrümmung.«

»Hat Er sich sehen lassen?«

»Nein. Ich habe das Terrain so benutzt, daß er mich nicht bemerken konnte.«

»Dann vorwärts!«

Der Schleifer hörte das Pferdegetrappel hinter sich und wandte sich um. Er verwunderte sich sichtlich, die Herren auf militärisch aufgeschirrten Pferden zu sehen.

»Was? Er hier!« meinte der Fürst erstaunt. »Ich denke, Er hatte da oben sehr viel zu arbeiten?«

»Die Leute wollten nicht viel zahlen, darum bin ich fort.«

»Das mache Er mir nicht weiß! In Seinem Geschäfte wird nicht abgehandelt. Er hat erhalten was Er verlangte. Ich meine, es gibt einen andern Grund, weshalb er den Ort so rasch verlassen hat.«

»Den möchte ich wissen! Es kann Andern überhaupt ganz gleichgiltig sein, ob ich bleibe oder gehe. Es gefiel mir nicht mehr, und damit basta!«

»Und damit gar nicht basta, Er Himmelelementer! Mir zum Beispiel ist das, was Er thut, ganz und gar nicht gleichgiltig. Er ist nur deshalb so schnell von da oben fort, weil Seine Fixfaxerei mit dem Grafen abgethan ist!«

»Mit dem Grafen?«

»Thue Er nicht unschuldig, sonst klatsche ich Ihm Seine Heimlichkeit um die Ohren, verstanden! Wo ist der Brief, den Ihm der Diener des Grafen brachte?«

»Das war kein Diener irgend eines Grafen.«

»Mensch, lüge Er nicht! Heraus mit dem Briefe!«

»Der gehört nur mir. Ihr als Bergamtmann habt mir überhaupt gar nichts zu befehlen. Ich mache was ich will.«

»Schön, sehr schön von Ihm!« meinte Leopold mit einem gefährlichen Lächeln. »Wer hat Ihm denn gesagt, daß ich ein Bergamtmann bin?«

»Die Wirthin.«

»Die ist dumm und Er noch zehnmal dümmer! Ein Wachtmeister Seiner schwedischen Majestät sollte sich von einem Weibsen nicht foppen lassen. Aha, Er erbleicht! Habe ich den Nagel getroffen?«

»Was meint Ihr da mit dem Wachtmeister?«

»Weg mit den Faxen, Kerl! Der Dessauer läßt sich von einem Wachtmeister Roller nicht an der Nase führen!«

Der Mann wurde noch bleicher als vorher.

»Wer seid Ihr? Der Fürst Leopold von Dessau?«

»Ja, wenn Er nämlich nichts dagegen hat. Komme Er einmal mit seinem Karren hier seitwärts in den Wald herein!«

»Warum?« frug der Mann trotzig.

»Warum? Weil ich es Ihm befehle, Er Himmelhund! Vorwärts, sonst helfe ich nach!«

Der Schleifer blickte sich um, machte einen Sprung zwischen den Offizieren hindurch und wollte entfliehen. Da riß Leopold sein Pferd in die Höhe, setzte ihm nach und ritt ihn einfach über den Haufen.

»Ich werde Ihm lehren auszureißen! Bindet ihn und schafft ihn nebst seinem Karren unter die Bäume. Wir wollen es nicht an die große Glocke schlagen, daß der berühmte Schleifer gefangen wird. Die Sachsen und Schweden brauchen es nicht zu hören!«

Diesem Gebote wurde schnell Folge geleistet. Die Herren zogen sich mit ihrem Gefangenen so weit unter die Bäume zurück, daß die zu erwartende Verhandlung von einem zufällig Vorübergehenden weder gesehen noch gehört werden konnte.

»Jetzt nehmt ihm einmal ab was bei ihm zu finden ist!«

Der Major untersuchte die Taschen des Schleifers und brachte zunächst einige Zettel zum Vorscheine, auf welchen Gedichte standen.

»Was ist das, Major?«

»Schleiferlieder sind es.«

»Ah! Ist das auch dabei, welches Er vorhin gesungen hat?«

»Ja.«

»Sieht Er es, Er Hallunke, daß Er mich vorhin belogen hat! Wird Er mir wohl sagen, wer Er ist, he?«

»Durchlaucht haben ja meine Legitimation gesehen!«

»Unsinn! Ich frage Ihn, ob Er eingestehen will, daß Er der Wachtmeister Roller ist. Wir haben keinen Krieg, und wenn Er auch die Gegend ausgekundschaftet hat, so werde ich ihn dennoch nicht als[88] Spion betrachten. Seine Vorgesetzten haben es Ihn geheißen, und Er hat gehorchen müssen. Na also!«

Der Gefragte schwieg verlegen.

»Wenn Er fortfährt mich zu belügen, so lasse ich Ihn durchpeitschen. Stöcke wachsen hier genug. Gesteht Er es aber, so kann Er wählen: Entweder bleibt Er einen Monat als Kriegsgefangener bei mir und kann gehen, wohin es Ihm beliebt, oder Er tritt in Seiner gegenwärtigen Eigenschaft als Wachtmeister in preußische Dienste. Also, ist Er der Roller oder nicht?«

»Zu Befehl, Durchlaucht; ich bin es.«

»Gut! Wer hat diese Lieder gemacht?«

»Der Herr Lieutenant von Seeström.«

»Donnerwetter, der Kerl kann doch Alles! Sie waren wohl extra für Ihn gemacht, damit Er den Schleifer richtig spielen könne?«[89]

»Ja.«

»Und was war seine Aufgabe?«

»Diese Gegend zu durchforschen, ob die Bevölkerung preußisch oder sächsisch gesinnt ist.«

»Nun, wie hat Er es gefunden?«

»Man hält es mehr mit Sachsen.«

»So mag der Teufel die ganze Gegend holen! Und Pläne hat Er wohl auch gezeichnet?«

»Ja.«

»Wo sind sie?«

»Im Schleifkarren, hier in dem verborgenen Kästchen.«

»Heraus damit!«

Der Major öffnete das Schubfach, welches ein Fremder wohl schwerlich an diesem Orte vermuthet hätte, und gab die Pläne dem Fürsten hin, der sie prüfte.

»Er ist doch ein ganz verdammter Kerl! Diese Arbeiten sind ausgezeichnet. Er soll es gut haben, wenn Er sich entschließt, zu uns überzugehen. Mit seinem Schwedenkönige bleibt es nicht so stehen, wie jetzt; das kann ich Ihm sagen. Und nun der Brief des Grafen von Mansfeld?«

»Im Westenfutter.«

Er wurde hervorgeholt, und der Fürst öffnete ihn.

»Wie kommt Er zu dem Grafen?«

»Der Herzog von Merseburg gab mir einen Brief an ihn mit auf den Weg.«

»Den hat Er abgegeben?«

»Ja. Das hier ist die Antwort.«

»Das ist ja eine richtige deutliche Kanzleihand. Man weiß, daß der Graf wie gedruckt schreiben soll. Das ist aber auch alles, was er kann. Will einmal sehen, was er schreibt!«

Der in hübscher deutlicher Handschrift verfaßte Brief lautete folgendermaßen:


»An meynen vielliewen Bruder, Hertzogen zu Sachßen-Merzeburg, zu üwergewen durch Dießem hier.


Auff Ewer werthen Anffrag von wegen dere Sequestrazzion bien Ich bereitt, deß Näheren zu vernehmen und unter den erffahrene Bedingnißen auff Ewer Vorschlägg einzuhalten, maßen Ich weiß, daß ich Mir von Sachzen deß Besserem zu versehen hawe als von dießem Preußen. Schreibt mir also deß Baldigen wiedder.

Von Erfforderniß der Mamßell Anna von Boberfeld bien ich allerdinge der eintzige Verwantte, dene Selwige annoch besizzen mag, abber sindt so vielle Stuffen derenzwischen, daß mann wohlen sehr schwehr findten möchte, welchem Grad dieße Verwanttschafft angehören möchte. Gebe allßo gern meyn Permiß zu deren Heyrath mit deme Obrißten von Börjesson, maßen ich Seyner Mayestät von Schwedten gern rekommandirret bien.

Daß Auffseheramt zu Eißleben hat bereidts Meyn Klagen üwer diesem Leopoldten von Anhalt empfangen, wasmaßen Ich auf Sonntag nach Merßeburg kommen werdte, um mit Euch zu berathen, auff welch Weisen Wier diesen Uewermuth demühtigen und auch Euch zu dem Eurigen zu verhelffen vermöggen.

Damiet Gott beffohlen, obgleych daß Einkomm vom Amdte Bornstädt bey dieße Theyrung faßt nimmer zureichen mag.

Meines Herrn Hertzogen Bruder und Freundt

Johann Georg III., Graff zu Mannsfeldte.«


Leopold hatte diese Zeilen nicht laut gelesen; aber daß sie ihn erzürnten, konnten die Umstehenden an seinem Gesichte sehen. Nun aber donnerte er los:

»Also so schreiben die heiligen Apostel Matthäus, Markus, Lucius und Sankt Paulum? Solche saubere Geschichten haben diese Herren im Kopfe? Ueber den Leopold wollen sie herziehen? Kreuz-Mohrenelement, das soll ihnen versalzen werden! Ich werde zwischen ihnen hineinfahren wie damals die Sau unter die – oder vielmehr wie damals die Teufel unter die Säue der Gir – Gir – Gir – Girgendorfer, oder wie die Leute hießen!«

»Und eine Verschwörung wollen sie machen gegen die kurbrandenburgische Sequestration?« fuhr er nach einer Pause fort. »Ich werde ihnen den Sequest um die Nase wischen, daß sie niesen sollen bis zum jüngsten Tage! Dem schwedischen Karl will er sich rekommandiren? Werde ihm zeigen, daß ich auch rekommandiren kann, mit dem spanischen Rohre nämlich! Und was ist denn das mit Der von Boberfeld? Die soll an den Schweden Börjesson verschachert werden? Die Boberfeld, welche länger und stärker sein soll als ein Flügelmann? Die kriegt keinen Andern als einen Offizier von meinem Regimente. Wir brauchen große Weiber, wenn wir große Rekruten ziehen wollen. Habe sie in Dresden gesehen, sie ist ein Prachtweibsen, und mir soll beim Teufel kein Schwede wagen, sie mir wegzuschnappen! Kennt Jemand von den Herren die Anna von Boberfeld?«

Fast Alle bejahten.

»Ihr Vater hat mit mir bei Namür, Kaiserswerth und Venloo gefochten, und als er vor Stephanswerth an meiner Seite starb, da bat er mich, an seine Tochter zu denken. Er hatte zwar in seinem Testamente den von Sachsen-Merseburg zum Vormunde bestimmt, aber dies nachher bereut, und ich denke, daß ich es ihm schuldig bin, seine Tochter nicht so elend verschachern zu lassen. Weiß Jemand wo sie ist?«

»Durchlaucht,« antwortete der Major, »ich glaube, daß sie sich jetzt in Allstädt befindet. Das ist eine ihrer vielen Besitzungen, deren Einkommen der Merseburger in seine Tasche steckt.«

»Werde ihm einmal auf diese Tasche klopfen! Muß so wie so zum Schweden hinunter. Ihr wißt es ja, weshalb. Müssen eine kleine Demonstration unternehmen, damit diesem kleinen Könige die Lust vergeht, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen. Hm, Saperlot, kommt mir da ein Gedanke, ein lustiger famoser Gedanke. Höre Er, Roller, wozu wird Er sich entscheiden: will Er Wachtmeister oder Gefangener sein?«

»Desertion, Durchlaucht!«

»Papperlapapp! Ist Er durchgebrannt? Ist Er freiwillig vom Regimente gelaufen? Er kann ja annehmen und sagen, daß ich Ihn mit Gewalt unter meine Buntröcke gesteckt habe, ich habe ja dazu das Recht. Verstanden? Na, entschließe Er sich!«

»Gut, ich trete über.«

»Schön! Aber das sage ich Ihm, daß ich Ihn Spießruthen laufen lasse bis Er krepirt, wenn Er Miene macht fortzugehen. Hier hat Er sein Handgeld und meinen Hut auf Seinen Schädel. Lege Er Seine Hand in meine Patsche und schwöre Er, was ich Ihm vorsage!«

Der Wachtmeister that wie ihm geheißen wurde, obgleich er noch gefesselt war. Der Fürst sagte ihm den Schwur vor.

»Wie ist Sein vollständiger Name?«

»Ich habe nur einen Vornamen: Jakob Roller.«

»Aus?«

»Aus Dresedow.«

»Also ein Pommer! Schwöre Er: Ich, Jakob Roller aus Dresedow in Pommern – –«

»Ich schwöre: Ich, Jakob Roller aus Dresedow in Pommern –«

»Bisher Wachtmeister in der Kavallerie des Königs Karl von Schweden – –«

»Bisher Wachtmeister in der Kavallerie des Königs Karl von Schweden – –«

»Mag von diesem Himmelhunde von heute an nichts mehr wissen – –«

»Mag von diesem – – Himmelhunde von heute an nichts mehr wissen – –«

»Und trete also hiermit in den Dienst Seiner Majestät des Königs von Preußen über.«

»Und trete also hiermit in den Dienst seiner Majestät des Königs von Preußen über.«

»Ich gelobe in die Hand meines nächst obersten Kriegsherrn – –«

»Ich gelobe in die Hand meines nächst obersten Kriegsherrn – –«

»Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, Generales der Infanterie – –«

»Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, Generales der Infanterie – –«

»Daß mich der leibhaftige Teufel holen soll – –«

»Daß mich der leibhaftige Teufel holen soll – –«

»Wenn es mir beikommen sollte, von meiner neuen Fahne zu desertiren.«

»Wenn es mir beikommen sollte, von meiner neuen Fahne zu desertiren!«

»Amen!«

»Amen!«

»So, nun ist Er mein. Und das Wetter soll Ihn treffen, wenn Er sich Fissimatenten erlaubt; denn ich sage Ihm, der Teufel, der Ihn dann holt, den mache ich selbst! Nehmt ihm die Stricke fort. Er ist nun mein Soldat und soll frei sein.«

Der Wachtmeister wurde von seinen Banden befreit, und dann frug der Fürst:

»Wem gehört die Karre? Hat Er sie bezahlt?«

»Nein. Der Herzog von Merseburg hat sie mir versorgt.«

»Den werde ich bekarren, daß Er an mich denken soll! Ich werde sein Schleiferlied lernen, und Er hat mir dabei zu helfen. Den Karren bringe ich dem Herzog selber zurück.«

Er hob den Karren in die Höhe und schob ihn eine Strecke fort.[90]

»Es wird gehen, ganz prachtvoll. Jetzt spanne Er sich vor. Wir reiten über Hettstedt nach Aschersleben, und Er folgt uns nach. Ich lasse zwei Reitknechte bei Ihm, die mit ihrem Kopfe für Ihn haften. Sie haben Pistolen mit. Merke Er sich das!«

Die Herren stiegen zu Pferde und verfolgten ihren Weg weiter. Ihnen nach trollte der Schleifer, von den zwei Knechten zu Fuße begleitet. Er wäre ihnen wohl schwerlich entkommen, wenn ihn die Lust zur Flucht angewandelt hätte.

Es war einige Tage später, und zwar an einem Sonnabende. Jungfer Zeißig, die Wirthschafterin des Rittergutes Allstädt, hatte sehr viel zu schaffen. Der Sonnabend ist der Tag der wöchentlichen Reinigung. Auch heute sollte geputzt und gescheuert werden, aber es war zum Verrücktwerden, daß die nothwendigen Hände dazu fehlten. Es gab nämlich auf Feld und Wiese eine solche Arbeit, daß alle vorhandenen Knechte und Mägde dabei betheiligt werden mußten. Mit Getreide oder Heu hochbeladene Wagen wankten hinter einander durch das Thor herein, auf die geräumigen Scheuern zu, und Jungfer Zeißig lief aus einer Stube in die andere und ärgerte sich zum Zerplatzen, daß noch nirgends gescheuert war und überall der Staub auf Tischen und Stühlen lag.

Nur in den Zimmern der Herrin war gesäubert worden. Dort gab es nämlich ein Stuben- und ein Kammermädchen, und diese beiden hatten dafür gesorgt, daß Alles blitzeblank aussah. Konnte Jungfer Zeißig sich dies gefallen lassen? Nein. Sie ging hinauf zu der Herrin, stemmte die Arme in die Seiten und meinte, sich einige Male um ihre Achse drehend und dabei die Möbel besichtigend:

»Ja, das lasse ich mir gefallen, gnädiges Fräulein! So muß es sein; hier gibt es Ordnung und Sauberkeit. Aber unten bei mir, da sieht es noch aus grad wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte.«

»Da muß Sie sich gedulden, meine gute Jungfer Zeißig,« antwortete Anna von Boberfeld. »Die Leute haben keine Zeit, aber am Spätnachmittage werden sie fertig sein.«

»Das ist es ja eben! Wenn ich am Spätnachmittage erst anfange, kann ich ja gar nicht fertig werden, selbst wenn ich bis tief in die Nacht hinein scheuern lasse. Es ist ein Kreuz und ein Elend. Im Winter sitzen die Leute Haufenweise da und haben nichts zu thun, im Sommer aber, zumal zur Erntezeit, weiß man vor Arbeit weder aus noch ein und kann doch keine Leute kriegen. Das ist eine Wirthschaft gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte. Sie könnten helfen, gnädiges Fräulein!«

»Wie so?«

»Wenn Sie mir das Kammermädchen und das Stubenmädchen für einige Stunden ablassen wollten.«

»Ah! Ich habe Ihr doch bereits oft gesagt, meine gute Jungfer Zeißig, daß dies nicht geht.«

»Es geht schon, wenn Sie nur wollen gnädiges Fräulein.«

»Nein, es geht nicht. Die Beiden haben bei mir zu thun. Die Eine ist eben über dem Plätten, und die Andere näht an der Garderobe.«

»Ist das denn heut so nothwendig?«

»Ja. Und überdies habe ich die Mädchen nicht für den Stall oder für die Wirthschaft gemiethet. Sie sind ausschließlich nur zu meiner Bedienung da und würden sich sehr wundern, wenn ich ihnen zumuthete, die Gesinderäume zu scheuern.«

»O, dazu sind sie auch nicht zu gut! Aber ich weiß schon, sie bilden sich ein, mehr zu sein als die andern, das Näschen steht ihnen hoch, und der Hochmuthsteufel steckt ihnen im Leibe. Da kann man ihnen freilich nicht zumuthen, eine Treppe tiefer zu steigen und zu uns Plebs herunter zu kommen. Das ist eine Wirthschaft gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte. Ich werde am Ende noch selber scheuern müssen! Dann aber laufe ich auf und davon, und wer bleibt dann übrig zum Wischen und Putzen? Das Kammer- und Stubenkätzchen. Und wenn die nicht wollen, so müssen das gnädige Fräulein endlich selber scheuern, melken und ausmisten. Es ist ein Kreuz und ein Elend hier auf Allstädt!«

Damit ging sie zur Thür hinaus.

Unten begegnete ihr ein Soldat, welcher am Thore abgestiegen war und sein Pferd dort angehängt hatte.

»Ist das gnädige Fräulein von Boberfeld zu sprechen?«

Ihr Gesicht heiterte sich bei seinem Anblicke außerordentlich schnell auf.

»Ihr seid es, Herr Korporal? O, das ist doch einmal eine Erholung in all diesen Jammer und dieses Elend hinein.«

»Hat Sie denn schon wieder einen Jammer erlebt?«

»Wie, nur von einem einzigen Jammer redet Ihr? Zwei, drei, fünf, zehn, zwanzig Jammers habe ich; unzählige Jammers erlebe ich täglich! Denkt Euch nur: es ist bereits zwei Uhr, und ich habe noch nicht mit dem Scheuern anfangen können!«

»Das ist allerdings sehr schlimm!«

»Blos schlimm? Das langt noch lange nicht! Fürchterlich ist es, schrecklich sogar ist es!«

»Ja, Sie hat gar zu viel auf Ihren Schultern liegen. Als Frau Korporalin hätte Sie es bedeutend besser!«

Sie schlug verschämt die Augen nieder.

»Frau Korporalin, oh, das hat einen Klang, einen Klang wie, wie – wie, wie ein Waldhorn oder eine Trompete! Aber wo wäre denn mein Korporal?«

»Wo? Hier steht er, meine schöne Jungfer Zeißig!«

»Hier? Ihr wäret es? Ihr wollt mich nur ein wenig zum Narren halten, nicht?«

»Bewahre! Ich rede die reine Wahrheit, aber natürlich nur unter gewissen Umständen.«

»Darf man diese Umstände erfahren?«

»Warum nicht! Sie weiß, daß mein Herr, der Oberst Börjesson Ihr Fräulein lieb hat. Sie scheint nicht ganz einverstanden zu sein, und leider habe ich den Schwur gethan, nur mit meinem Obersten zu heirathen. Dann wird er General und ich werde Feldwebel oder gar Lieutenant. Das wäre ein Leben!«

»Oh mein Gott, wie schön, wie prächtig, wie herrlich, wie entzückend!«

»Nicht wahr? Aber mein Oberst wird nie heirathen, wenn er das Fräulein von Boberfeld nicht bekommt, und dann muß ich meinen Schwur halten und ledig bleiben.«

»Ist das so nothwendig?«[91]

»Natürlich! Ein Schwur, bedenke Sie, der hat gar viel zu bedeuten!«

»Ach, das ist traurig! Das ist ja eine Wirthschaft, grade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte!«[104]

»Hat er das gesagt? Da hat er auch Recht gehabt. Sie weiß doch wie wir Schweden die Polen zusammengehauen haben, so daß ihr König in Altranstädt hat abdanken müssen. Aber sage Sie einmal: Sie hat einen Mann gehabt und wird doch Jungfer genannt?«

»Jungfer Zeißig, geborene Linde,« ergänzte sie stolz.

»Gut. Aber wie reimt sich das zusammen?«

Sie erröthete züchtig und schlug abermals die Augen verschämt zu Boden.

»Weil ich – weil ich noch – noch eine Jungfer bin.«

»Ah!«

»Ja. Ich kann es Euch zuschwören, mein Seliger war damals viel älter als ich. Er war ein Seiler und – und gab sich lieber mit seinen Stricken ab als mit mir.«[105]

»Da ist er ja selber der allergrößeste Strick gewesen, den es gegeben hat. Er hätte sich ja gleich an sich selbst aufhängen können!«

»Oh, das hat er auch gethan!«

»An sich selbst?«

»Nein; aber gehängt hat er sich. Ach, diesen Tag vergesse ich nie, nie, nie, Herr Korporal! Er zankte sich immer mit mir, obgleich ich ein Herz habe wie ein Lamm, und eines schönen Tages sagte er: ›Das ist ja eine Wirthschaft, grade wie in Polen!‹ Das waren seine letzten Worte. Er ging hinaus, und als ich später einen großen Lärm hörte und zum Fenster hinaussah, da hatte er sich draußen auf der Straße an die Hausthüre gehängt.«

»Schauderhaft!«

»Ja, schauderhaft; es schaudert mich noch heute, wenn ich daran denke! Das war nachher eine Wirthschaft, grade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte!«

»Ein elender Tod! Aufhängen! Das kann auch nur ein Seiler machen. Unsereiner würde edler sterben.«

»Edler sterben? In wie fern?«

»Wenn ich mich wegen meiner Frau tödten wollte, so würde ich mich erschießen.«

»Erschießen!« lispelte sie mit liebevollem Blicke. »Oh, das ist ein tapferer Tod, ein sehr ritterlicher Tod!«

»Ja. Aber ich würde mich eben mit meiner Frau so gut vertragen, daß ich mich gar nicht zu erschießen brauchte.«

»Natürlich! Man ist ja geduldig und liebevoll und verträglich. Man paßt ja zusammen, als ob man von den Tauben zusammengetragen worden wäre!«

»Versteht sich! Wenn nur beim Teufel Ihr Fräulein mit meinem Obersten ein wenig freundlicher sein wollte!«

»Ach ja. Wenn ich da nur helfen könnte!«

»Das kann Sie.«

»Aber wie, Herr Korporal?«

»Wenn Sie ein wenig mit Intrigue spielt.«

»O, das kann ich, darin habe ich ausgelernt, da bin ich erfahren wie keine andere.«

»Habe es Ihr auch zugetraut.«

»Nicht wahr? Ja, man hat auch so seine Kenntnisse und Fertigkeiten! Aber worin soll ich denn Intriguen spielen?«

»Gegen diesen Lieutenant von Seeström.«

»Ach so! Ja, ich glaube, dem ist sie gut!«

»Versteht sich! Aber dieses Gutsein muß man eben alle machen.«

»Ich bin dabei, Herr Korporal. Aber wie kann man dies fertig bringen?«

»Das weiß ich noch nicht, aber mein Oberst weiß es. Er wird Ihr schon die nöthigen Instruktionen geben, und wenn Sie diese ausführt, so ist es sehr leicht möglich, daß Sie Frau Korporalin, Frau Feldwebel und Frau Lieutenant wird.«

»Oh, ich werde sie ausführen; darauf könnt Ihr Euch verlassen! Aber ist es denn auch wahr, Herr Korporal?«

»Ja.«

»Oh!« seufzte sie entzückt. »Frau Korporalin, Frau Feldwebel und gar Frau Lieutenant, verwittwete Zeißig, geborene Linde. Wann kommt Ihr Herr Oberst wieder einmal nach Allstädt?«

»Heute, jetzt! Er ist bereits unterwegs, und ich bin vorausgeritten, um ihn dem gnädigen Fräulein anzumelden.«

Da schlug sie die Hände erschrocken zusammen.

»Herr, mein Heiland! Der Herr Oberst kommt, und es ist noch nicht gescheuert! O weh, das ist ja eine Wirthschaft gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte. Geht hinauf, Herr Korporal. Ich muß eilen, ich muß fliegen, ich muß mich sputen!«

Sie rannte in die Küche und er stieg die Treppe zu der Herrin von Allstädt empor.

Während dieses Gespräches schritten zwei Männer dem Gute zu. Es waren kräftige, aufrecht gehaltene Gestalten, die im Gleichschritte neben einander gingen, so exakt, als ob sie vor dem Dessauer exerzirten, der ja den Gleichschritt zuerst in seinem halberstädtischen Regimente eingeführt hatte.

»Das ist Allstädt, Korporal?« frug der Eine.

»Ja.«

»Ob er bereits da ist?«

»Abwarten!«

»Verdammte Geschichte!«

»Was?«

»Wenn er uns sieht.«

»Lassen uns eben nicht sehen. Müssen erst rekognosziren.«

»Natürlich.«

»Wollte doch, es käme ihm einmal etwas in die Quere! Dann bissen wir ihn heraus und erhielten vielleicht Pardon.«

»Der Teufel hole diesen verdammten Seeström!«

»Warum?«

»Ihr fragt noch warum? Sind wir nicht etwa wegen ihm fortgejagt worden wie alte Hunde, die keine Zähne mehr haben?«

»Das ist richtig! aber muß man denn nun deshalb den Seeström zum Teufel wünschen? Er ist ein prächtiger Kerl. Daß er uns so gelöffelt hat, ist allerdings eine ganz vermaledeiete Geschichte; aber man muß Achtung vor ihm haben. So etwas bringt ein Anderer nicht gleich fertig. Aber diesen Feldwebel Baldauf, den mag der Teufel zur Hölle reiten! Gibt sich für einen Hausknecht aus, führt mich an der Nase herum und haut mir nachher gar Eins über den Kopf, daß ich niederplumpse wie ein Sack.«

»Ist er es denn auch wirklich gewesen? So ein Hieb sieht mehr nach Seeström aus!«

»Mir egal. Er war mit dabei, und wenn ich ihn zwischen meine Finger kriege, quetsche ich ihn wie eine Citrone aus oder zerschnitze ihn zu Gurkensalat!«

»Es wäre am Ende besser wir gingen zu den Schweden!«

»Warum, Er Elementer?«

»Nun, hat uns der Dessauer nicht fortgejagt, uns alle fünf, weil wir den Kronprinzen gefangen haben und ihm nachher der Junker entwischt ist.«

»Ja, das hat er, aber muß man nun da gerade durch Dick und Dünn zu den Schweden rennen, he? Hat Er keine Ehre und Ambition im Leibe? Mich, den Korporal Waldow kann der Leopold tausendmal fortjagen, ich bleibe ihm dennoch treu. Er ist ein ganz verfluchter Grobian und schüttet das Kind zuweilen mit dem Bade aus, das ist wahr; aber wenn die Hitze verflogen ist, dann ist er wieder der beste Kerl, den es nur geben kann. Und Er will zu den Schweden? Jetzt wo der Teufel den Fürsten reitet, daß er partout nach Allstädt und Merseburg will, und zwar inkognito, wie sie lateinisch sagen, das heißt zu deutsch als Scheerenschleifer?«

»Wißt Ihr es denn gewiß?«

»Ja. Der Wachtmeister Roller, den er neu angeworben hat, hat es mir gesagt. Er hat ihn das Schleifen und auch das Lied dazu lehren müssen.«

»Möchte dabei gewesen sein!«

»Ja, ist auch schön dabei zugegangen. Der Fürst hat etliche fünfzig Messer verschliffen, etliche dreißig Scheeren ruinirt und das Lied doch nicht in den Kopf gebracht. Singen kann er nicht, denn der Herrgott hat ihm seinen Bärenbaß gerade nur zum Kommandiren gegeben, und die achtundneunzig Zeilen, welche das Lied hat, mengt er wie Kraut und Rüben unter einander. Aber er hat sich von seinem Vorhaben nicht abbringen lassen; er ist eben ein Eisenkopf, der Alles thut, was er sich einmal vorgenommen hat. Wenn er anfängt zu schleifen und zu singen, so müßte es mit Erbsen zugehen, wenn sie ihn nicht erkennen und festhalten.«

»Festhalten?«

»Natürlich!«

»Es ist doch kein Krieg!«

»Ihm fehlt wahrhaftig ein ganzes Rad von Verstand. Es ist wahr, der Preuße verhandelt mit dem Schweden; aber das ist auch eine Verhandlung die keinen Dreier werth ist. Ich sage ihm, Krieg gibt es allemal. Durch die Verhandlung kann er nur auf einige Jahre oder Monate hinausgeschoben werden. Wird man aber über gar nichts einig, so bricht er sofort los. Darum rüstet der Sachse im Stillen, trotz des Altranstädter Friedens, darum hält der Schwede seine Leute schlagbereit, und darum stellt auch der Preuße seine Buntröcke heimlich an die Grenze, so daß sie in einem einzigen Tage in Merseburg sein können. Und wie ich den Dessauer kenne, so ist er nicht so in das Blaue hinein als Schleifer in diese Gegend gegangen. Er weiß, welche Gefahr er dabei läuft und hat sich sicher einen Hinterhalt für den Fall gelegt, daß sie ihn ertappen und bei der Parabel nehmen wollen. In Allstädt ist er sicher, denn die Besitzerin ist eine Tochter des Majors von Boberfeld, unter dem ich in den Niederlanden gekämpft habe. Er war mit dem Leopold ein Herz und eine Seele; das weiß sie, und darum wird sie ihm nichts Uebles zufügen.«

»Und der Kronprinz?«

»Der ist auch so ein Tausendsapperloter. Ich glaube, er ist auch inkognito zu den Schweden oder nach Merseburg, und es sollte mich Wunder nehmen, wenn ich mich täuschte. Warum hat er sich in Halberstadt bei meinem Gevatter Schneider einen gewöhnlichen Anzug und bei einem Tischler einen Kasten machen lassen, wie ihn die Tabuletkrämer brauchen? Das kann wenn er erkannt wird eine ganz heillose Geschichte werden!«

»Hier ist das Thor!«

»Ja. Spioniren wir zuerst!«[106]

Sie blieben am Thore halten, von welchem aus sie den ganzen weitläufigen Hof zu übersehen vermochten.

»Ich sehe keinen Schleifer,« meinte der Korporal Waldow.

»Und auch keinen Karren,« fügte sein Gefährte hinzu.

»Er ist noch nicht da.«

»Was machen wir?«

»Er kommt jedenfalls. Dort guckt ein Weibsbild aus dem Fenster. Vorwärts, hin zu ihr!«

»Seid nur höflich, Korporal!«

Der Angeredete warf dem Sprecher einen sehr verweisenden Blick zu.

»Bin ich etwa nicht immer höflich, he?«

»Hm!« machte der Andere, zog es aber vor, sich nicht weiter auszusprechen.

Der gute Korporal war gegen seine Untergebenen zuweilen wohl etwas Anderes gewesen als höflich. Er meinte in überlegenem Tone:

»Werde Ihm gleich zeigen, wie galant ich sein kann. Dieses Weibsen ist eine alte, halb verrostete Schachtel, aber ich werde sie dennoch mit ›Jungfer‹ anreden, denn so etwas hören die Frauenzimmer gern, selbst wenn sie neunzig Jahre zählen, und zwanzig Männer unter die Erde geärgert haben.«

Sie stiegen über den Hof hinweg bis an das Fenster, aus welchem die Wirthschafterin ihnen entgegenblickte.

»Guten Tag, Jungfer!« grüßte er, indem er den Dreispitz lüftete.

»Guten Tag,« entgegnete sie freundlich. Er hatte sie mit seiner Anrede sofort gewonnen. »Was wollt Ihr hier?«

»Nicht wahr, dieses Rittergut heißt Allstädt?«

»Ja.«

»Und gehört dem gnädigen Fräulein von Boberfeld?«

»Ja.«

»Ihr seid gewiß das gnädige Fräulein selbst, nicht wahr, Jungfer?«

Sie lachte vor Entzücken am ganzen Gesichte. Der Korporal verstand es doch nicht so schlecht, sich die Gunst eines weiblichen Herzens im Sturmschritte zu erobern.

»Nein. Das gnädige Fräulein bin ich zwar nicht, aber die Wirthschafterin.«

»Thut nichts, denn das ist ja beinahe eben so viel. Darf man Euern Namen wissen?«

Sie nickte freundlich lächelnd. Er nannte sie nicht Sie sondern Ihr, und das that ihrer nach Sympathie verlangenden Seele wohl.

»Jungfer Zeißig, geborene Linde.«

Der Korporal beherrschte sich, sein Kamerad aber hatte die Kraft nicht dazu. Er machte ein höchst verblüfftes Gesicht, denn er konnte sich nicht erklären, wie eine geborene Linde noch Jungfer Zeißig heißen könne.

»Schön, Jungfer Zeißig!« meinte der Korporal. »Ich heiße Waldow, und mein Kamerad heißt Hammer. Wir suchen Arbeit. Habt Ihr vielleicht welche?«

»Arbeit? O, genug! Was seid Ihr denn, was könnt Ihr denn?«

»Wir können Alles, was zur Landwirthschaft gehört.«

»So könnt Ihr sofort eintreten. Kommt aber zunächst herein in die Küche; ich will Euch zu essen geben. Dann könnt Ihr mit dem ersten Knechte, der mit dem Wagen kommt, hinaus auf das Feld oder auf die Wiese fahren.«

Diese Einladung war den Beiden willkommen. Sie gingen in die Küche und bekamen reichlich vorgesetzt. Sie hatten eben die Messer in die Hand genommen, als der schwedische Korporal eintrat. Er warf einen kurzen, hochmüthigen Blick auf die beiden Fremden und meinte dann mißmuthig:

»Verfluchte Geschichte!«

»Was denn?« frug die Wirthschafterin.

»Wollte Ihr Fräulein heute ausfahren?«

»Nein.«

»Donnerwetter! Und als ich melde, daß mein Oberst kommt, sagt sie, das thue ihr leid. Sie sei für heute bereits in die Nachbarschaft versprochen und werde gleich abfahren; ich solle das dem Herrn Obersten melden.«

»Ich weiß nichts davon.«

»Sie thut dies natürlich nur, um dem Herrn Obersten von Börjesson auszuweichen.«

»Wo mag sie hin wollen?«

»Ich nahm mir den Muth und frug sie. Da fuhr ich aber verteufelt an. Sie donnerte mich ab, daß es eine Art hatte.«

»Läßt sich denken. Das gnädige Fräulein sind außerordentlich selbständig.«

»Sie hat jedenfalls gemeint, der Herr Oberst kommt ihr nachgeritten, wenn er erfährt wo sie sich befindet.«

»Was wird er sagen, wenn er es erfährt?«

»Wenn er es nur erst erfahren hätte, daß der Sturm vorüber wäre, den es geben wird. Uebrigens weiß ich auch den Weg gar nicht, den er einschlägt, und es ist also sehr unsicher, ob ich ihm begegnen werde. Lebe Sie wohl, Jungfer.«

»Lebt wohl, Herr Korporal!«

Er ging, und sie begleitete ihn über den Hof hinweg zu seinem Pferde. Die beiden Zurückbleibenden sahen einander an.

»Ein Schwede!«

»Habs gesehen, daß es kein Mohr war,« antwortete Waldow. »Dieser Oberst Börjesson scheint also mit der von Boberfeld Süßholz raspeln zu wollen, und sie mag nichts von ihm wissen.«

»Er gefällt ihr vielleicht nicht!«

»Natürlich, Er Esel. Wenn er ihr gefiele, würde sie nicht vor ihm ausreißen. Vielleicht hat sie ganz denselben Wohlgefallen an ihm, wie ich an dieser Jungfer Zeißig, geborene Linde.«

»Gefällt mir aber ganz gut.«

»Ah? Traue es Seinem Geschmacke beinahe wirklich zu!«

»Natürlich, gerade meinem Geschmacke. Oder hat sie hier nicht dafür gesorgt, daß wir Geschmack an ihr finden müssen?«

»Ach so! Hm, Er ist denn doch nicht ganz auf die Nase gefallen. Bin nur neugierig, die Boberfeld zu sehen. Soll ein Weibsen sein, wie der Goliath!«

»Wenn wir hier tagelöhnen, werden wir sie schon noch zu sehen bekommen.«

Jetzt trat die Wirthschafterin wieder ein.

»Schmucker Kerl,« bemerkte Waldow.

»Wer?«

»Dieser schwedische Korporal.«

»Findet Ihr das? Sein Oberst hält auch große Stücke auf ihn. Es wird gar nicht lange dauern, so wird er Feldwebel und dann auch Lieutenant.«

»So! Das hat er Euch wohl selbst gesagt?«

»Ja. Aber Ihr seid jetzt wohl fertig mit Essen?«

»Wir sind satt, und nun kann die Arbeit losgehen.«

»Draußen hält der Knecht mit dem Wagen. Ich habe es ihm gesagt; er wird Euch mitnehmen. Das Andere werde ich mit dem Verwalter ausmachen, wenn er nach Hause kommt.«

Sie begleitete sie bis in den Hof. Dort war wohl ein ungeheurer Leiterwagen, aber kein Knecht zu sehen.

Die Wirthschafterin suchte und fand ihn in der Remise.

»Was thut Er hier? Er muß ja hinaus auf das Feld!«

»Ich habe für das gnädige Fräulein anzuspannen.«

»Wer hat es Ihm befohlen?«

»Das Fräulein selbst. Sie guckte zum Fenster heraus.«

»So, hm! Na, da mache Er seine Sache. Sie wird selber fahren, wie gewöhnlich, und Er bringt dann diese beiden Männer hinaus auf das Feld.«

Sie kehrte in die Küche zurück. Waldow und Hammer griffen mit zu, so daß der leichte Wagen bald zur Abfahrt bereit war. Und nun kam auch die Herrin in den Hof herab.

Sie war allerdings von einer ganz außerordentlichen Höhe, dabei aber so proportionirt gebaut, daß dieselbe ihrer ungewöhnlichen Schönheit nicht den mindesten Abbruch that. Ihre Bewegungen waren sicher, leicht und graziös, und der Blick ihres Auges ließ errathen, daß sie neben weiblicher Milde auch über ein gutes Theil männlichen Selbstbewußtseins verfüge.

»Wer seid Ihr?« frug sie die beiden ehemaligen Werber.

»Neue Arbeiter,« antwortete der Korporal.

Sie nickte mit dem Kopfe, stieg ein und ergriff die Zügel. In kurzer Zeit war der schnell dahinrollende Wagen nicht mehr zu sehen. Auch der Leiterwagen verließ den Hof. Kurze Zeit später sprengte ein Reiter durch das Thor, ließ sein Pferd in eleganten Sätzen über den Hof kourbettiren und warf dabei einige verstohlene Blicke nach den Fenstern der herrschaftlichen Etage empor. Als er Niemand bemerkte, stieg er ab und band sein Pferd an die Angel eines Fensterladens. Seine Miene war finster geworden. Eben wollte er eintreten, als ihm die Wirthschafterin entgegenkam.

»Der Herr Oberst von Börjesson. Willkommen auf Allstädt, gnädiger Herr!«

»Willkommen? Es scheint nicht so!«

»Warum, gnädigster Herr Oberst?«[107]

»Es gibt hier ja nicht einmal einen Diener, welcher mir das Pferd abnehmen kann. Das bin ich allerdings nicht gewohnt!«

»Entschuldigen der Herr Oberst! Es sind alle Hände hinaus auf das Feld, und wir haben erst vor einigen Minuten erfahren, daß wir Euch zu erwarten hatten.«

»War der Korporal hier?«

»Ja.«

»Bin ihm nicht begegnet.«

»Schade!«

»Schade; warum?«

»Weil er Auftrag hatte Euch zu sagen, daß unser gnädiges Fräulein nicht zu Hause ist.«

»Wer hat ihm diesen Auftrag ertheilt?«

»Das Fräulein selber.«

»Also war sie vorher zu Hause?«

»Ja.«

»Ah! War es vorher bestimmt, daß sie aus wollte?«

»Mir wenigstens hat sie nichts gesagt.«

»Sie ist aber noch nicht fort?«

»Doch.«

»Seit wann?«

»Seit einer Viertelstunde.«

»Wohin?«

»Sie hat es Niemandem gesagt.«

Sein Gesicht legte sich in immer düsterere Falten.

»Das heißt also, daß sie vor mir geflohen ist und mich nicht wissen lassen will, wo ich sie finden könnte! War der Lieutenant Seeström hier?«

»Gestern Abend.«

»Wann kam er?«

»Sechs Uhr.«

»Und wann ritt er wieder fort?«

»Vielleicht um Mitternacht.«

»Also für ihn hat sie sechs volle Stunden übrig, für mich aber ist sie nicht daheim. Ich werde sie aber erwarten.«

»Sie wird wohl spät kommen, gnädiger Herr!«

»Thut nichts. Ich hätte auf alle Fälle heut hier über Nacht bleiben müssen.«

»Ah!«

»Ja. Ich hatte sehr angenehmen und hohen Besuch anzumelden, den ich morgen Vormittag an der Seite der Herrin des Hauses hier empfangen muß.«

»Ist es möglich! Herr mein Heiland, ist das ein Jammer und ein Elend! Hoher Besuch und noch nicht gescheuert! Das ist ja eine Verwirrung und eine Unordnung, gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte. Darf ich fragen, wer die hohen Herren oder Damen sind?«

»Keine Damen, sondern nur Herren. Bin auch nicht befugt, die Namen zu nennen. Es sind ihrer drei oder vier. Zwei kann ich Ihr bezeichnen, nämlich den Herzog von Merseburg, den Vormund Ihrer Herrin, und – – –«

»Herr mein Heiland, der Herr Herzog kommen, und es ist weder gescheuert, noch sonst eine Vorbereitung getroffen!«

»Und der Graf von Mansfeld.«

»Der Graf von Mansfeld! So ein berühmter großmächtiger Herr aus dem Lande, wo sie die Thaler aus der Erde graben! Und noch nicht gescheuert! Ich vergehe vor Aerger, Jammer und Sorge.«

»Treffe Sie also Ihre Vorbereitungen. Ich will Sie dabei nicht stören und werde darum einen Spazierritt vornehmen. Mit der Dunkelheit bin ich zurück. Aber spute Sie sich, denn es ist immerhin möglich, daß außer mir einer der Herren noch heute eintrifft.«

Er band sein Pferd wieder los, schwang sich auf und ritt davon. Sie aber stand in völliger Rathlosigkeit vor der Thür und schlug die Hände zusammen.

»Was ist zu thun? Was ist anzufangen? Wer hereinkommt, wird festgehalten. Ich lasse keinen Menschen wieder fort. Sie Alle, die Knechte und Mägde müssen putzen und scheuern, daß es kracht!«

Sie hätte ihren Monolog vielleicht noch weiter ausgedehnt, aber sie wurde unterbrochen, denn es kam abermals ein Reiter durch das Thor und gerade auf sie zu. Bei seinem Anblick wäre sie beinahe in eine Ohnmacht gefallen. Er hielt vor ihr an und frug:

»War das nicht der Oberst Börjesson, der jetzt das Gut verließ?«

»Ja, mein gnädiger Herr Herzog.«

»Meine Mündel ist zu Hause?«

»Nein. Das gnädige Fräulein sind ausgefahren.«

»Wohin?«

»Wir wissen es nicht.«

»Wann kommt sie zurück?«

»Auch das wissen wir nicht.«

Seine Miene wurde strenger und finsterer, als sie schon bereits war.

»Hat sich der Oberst anmelden lassen?«

»Ja.«

»Bei Ihr oder bei Fräulein von Boberfeld?«

»Bei dem gnädigen Fräulein.«

»Sie war also noch da?«

»Noch vollständig da.«

»War ihre Spazierfahrt bereits beschlossen und sehr nothwendig?«

»Nein, mein gnädiger Herr.«

»So hat sie also dem Obristen ausweichen wollen. Ich werde ihr diese Mucken vertreiben! War der Lieutenant Seeström hier?«

»Gestern, sechs Stunden lang.«

»Ah, vor ihm reißt sie also nicht aus!«

»Ja, das ist ein Jammer und Elend hier auf Allstädt, mein[120] gestrenger Herr Herzog. Alles geht drunter und drüber. So hoher Besuch und nicht geputzt, gereinigt und gescheuert, keine Vorbereitung getroffen, nicht gebacken, kein Fleisch gekauft, oh, das ist eine Wirthschaft, gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte.«

»Also nicht einmal absteigen kann man? Hat der Oberst den Besuch angemeldet und Ihr gesagt, wie viele Personen Sie zu erwarten hat?«

»Ja, drei oder vier sehr hohe Herren.«

»Oder auch fünf, denn ich glaube nicht, daß der Kö – – wollte sagen, der eine Herr ganz ohne Begleitung kommen wird. Spute Sie sich mit Ihren Vorbereitungen, ich werde einen Spazierritt[121] machen und versuchen, ob ich den Obristen noch einholen kann. – Wann wollte er wiederkehren?«

»In der Dämmerung.«

»Gut; da komme ich auch zurück. Kann Sie lesen?«

»Ach nein, mein gestrenger Herr Herzog. Unsereiner hat eine solche Schule – –«

»Schon gut! Hier nehme Sie einmal diese kleine Mappe und trage Sie dieselbe hinauf in mein Zimmer. Aber sorge Sie dafür, daß sie kein Mensch in die Hände bekommt! Versteht Sie mich?«

»Sehr wohl, mein gnädiger Herr!«

Er zog aus der Satteltasche einen mit dem herzoglichen Wappen versehenen Umschlag hervor, in welchem mehrere Papiere lagen, welche durch einen Gummi festgehalten wurden. Nachdem er ihr diese Mappe übergeben hatte, ritt er davon. Sie sah ihm nach und schlug die Hände abermals zusammen.

»Herr mein Heiland, ist das eine Noth und eine Sorge! Nun ist auch der bereits da. Ich muß nur gleich in die Vorrathskammer gehen und nachsehen, was Alles noch zu besorgen wäre!«

Sie trat in die Küche, legte die Mappe auf den ersten besten Tisch und begab sich dann in den Vorrathsraum. Noch waren nicht zehn Minuten vergangen, so kam abermals eine Person durch das Thor. Es war kein Reiter, sondern ein Fußgänger, der einen Karren vor sich herschob. Er blieb einige Augenblicke halten, besah sich die Gebäude und brachte seinen Karren dann nach der Wagenremise.

Weder hier noch sonst irgendwo war ein Mensch zu sehen. Der Mann schritt also dem Eingange des Wohnhauses zu und trat in die Küche. In demselben Augenblicke kam die Wirthschafterin von ihrer Inspektion zurück.

»Guten Tag!« grüßte er mit tiefer Baßstimme und warf, indem er mit der Linken seinen Knebelbart strich, aus seinen dunklen Augen einen forschenden Blick auf sie. »Gibt es hier Arbeit für mich?«

»Arbeit? Genug! Was ist Er denn?«

»Ein Scheerenschleifer.«

»Ah, ich dachte, vielleicht ein Taglöhner. Aber Er kann auch als Schleifer hier Arbeit finden, denn unser ganzes Schneidzeug ist stumpf geworden. Doch ich habe jetzt keine Zeit. Setze Er sich und – – – ah, da kommt mir ein Gedanke! Es ist gut, daß Er hier vorspricht. Es muß Jemand hinaus auf das Feld und auf die Wiesen, um die Leute zu rufen. Droben sind zwar die beiden Stubenmädchen, aber die kann ich nicht schicken, denn ihnen steht die Nase zu hoch. Er ist hier fremd, nicht wahr?«

»Ja.«

»Er würde also die Leute nicht finden; also muß ich selbst hinaus. Bleibe Er einstweilen hier. Dort steht Brod, Wurst und Käse. In zehn Minuten bin ich ganz sicher wieder da; das kann Er sagen, wenn Jemand kommen sollte.«

»Schön! Wer ist Sie denn eigentlich?«

»Ich bin Jungfer Zeißig, geborene Linde, die Wirthschafterin hier.«

»Hm, Jungfer Zeißig, geborene Linde, wo ist denn Ihre Herrin?«

»Ausgefahren.«

»Sonst kein Besuch hier?«

»O ja, sehr vornehmer Besuch!«

»Wer denn?«

»Der Herzog von Merseburg und der Obrist von Börjesson. Aber ich habe jetzt keine Zeit zum Plaudern; ich muß auf das Feld, ich, die Wirthschafterin! Das ist ja eine Verwirrung, ganz wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte. Also halte Er Haus, bis ich wiederkomme!«

Sie eilte davon. Er blickte ihr durch das Fenster nach.

»Ein ganz verfluchtes Weibsen, das! Nennt sich Jungfer und hat bereits einen ›Seligen‹. Wie war nur ihr Name? Es war ein Vogel und ein Baum. Ja, so ist es; Jungfer Finke, geborene Birke, oder nein, Jungfer Wachtel, geborene Erle, so war es. Muß es mir merken, denn die scheint hier im Hause etwas zu gelten! Aber was ist denn das, hier?«

Sein Auge war auf die Mappe gefallen.

»Das Merseburger Siegel! Kreuz-Schock-Schwerenoth, vielleicht spielt mir da der Zufall gerade das in die Hände, was ich so gerne wissen möchte! Muß doch einmal nachsehen. Bin wie es scheint der Einzige hier im Hause und wäre wahrhaftig ein riesiger Esel, wenn ich das nicht benutzte. Ueberrascht kann ich nicht werden, da ich ja von hier aus das Thor im Auge habe.«

Er öffnete die Mappe und nahm die Papiere hervor. Je länger er die Schriftzüge zu entziffern suchte, desto gespannter wurde seine Miene, und von Zeit zu Zeit stampfte er mit dem Fuße oder schlug mit der Faust auf den Tisch und stieß dabei einen kräftigen Fluch hervor. Als er fertig war, legte er die Papiere wieder in den Umschlag zurück und zog den Gummi darüber.

»Himmel-Tausend-Sakerment, habe ich da einmal in einen Topf geguckt! Na, warte, diesen Braten soll Euch der helle lichte Teufel gesegnen! Aber essen muß ich noch schnell etwas, sonst merkt diese Jungfer Zippe, geborene Fichte, daß ich vielleicht spionirt habe.«

Er schob sich ein Stück Brod in den Mund und einen halben Käse darauf. Dann setzte er kauend seine Betrachtungen fort.

»Das ist ja die elendeste, die schlechteste Schlechtigkeit! Also über uns herfallen wollen sie. Der Mansfeld will die Sequestration los sein, und der Merseburger bekommt einige Hunderttausende in die Schatulle gesteckt. Ihr verdammten Bengels, ich werde Euch sequestriren und schatulliren, daß Euch die Augen flimmern sollen! Und dazu den Meißener Kreis kriegt der Merseburger? Nicht auch noch Oesterreich und Bayern, Frankreich und das Kaffernland dazu! Das sollte der sächsische Kurfürst wissen! Kommt dieser Schwedenbengel herein nach Deutschland und geberdet sich, als ob er Hahn im Korbe sei und Herzogthümer verschenken könne!«

Er schob ein halbpfundschweres Stück Wurst dem Käse nach.

»Wir haben den Kerl jetzt ungestört schalten und walten lassen, weil er zu unserm Vergnügen einigen von unsern lieben Vettern das Fell ausklopfte, daß die Flöhe davonspringen mußten. Jetzt nun hält er uns für Tolpatsche und will auf uns los. Kerl, mache mich nicht warm, sonst trete ich Dich auf die Hühneraugen, daß Du Deine Leichdörner für die Alpen ansehen sollst! Und auch mir, dem Leopold von Dessau, wollen sie die Fingernägel verschneiden, weil ich mir zuweilen einen Rekruten über die Grenze hinübergeholt habe. Prosit die Mahlzeit, dazu gehört eine Scheere und jetzt bin ich Schleifer. Ich werde Euch die Scheere so verschleifen, daß sie Euch in die eigenen Tatzen zwackt! Also die Verhandlung mit unserm Oberst von Ravenau wird nur zum Scheine und zwar so lange geführt, bis diese Spitzbuben hier sich geeinigt haben! Hm! Hätte ich nur gleich Jemand, der mir hinüber nach Blankenfelde laufen könnte zu dem Major! Aber, da kommt die alte Schachtel! Ich muß mich noch einmal über den Käse hermachen!«

Als die athemlose Wirthschafterin eintrat, saß er mit einem sehr unschuldigen Gesichte bei dem Essen.

»Na, da ist Sie ja wieder! Braucht Sie Ihre Leute denn gar so nothwendig?«

»Freilich, freilich! Der Besuch ist ja bereits da und morgen kommen noch mehrere. Und da ist weder gescheuert noch Eins noch Keins! Aber jetzt kommen sie Alle gerannt, und dann soll Er sehen wie schnell alles in Ordnung gebracht wird.«

»Ja, ja, so eine Wirthschafterin hat was zu bedeuten, und Sie kann es mir glauben, daß ich bei solchen Gelegenheiten nicht in Ihrer Haut stecken möchte, meine liebe Jungfer Amsel geborene Erle!«

Sie sah ihn ganz erstaunt an.

»Will Er mich vielleicht schimpfen he? Das lasse Er nur immer bleiben!«

»Schimpfen? Fällt mir gar nicht ein! Warum denn?«

»Weil Er mir einen so albernen Namen gibt!«

»Das ist ja der Ihrige, den Sie mir selber gesagt hat!«

»Jungfer Zeißig, geborene Linde, habe ich gesagt!«

»Bomben und Granaten! Ich wußte wohl, daß es ein Vogel und ein Baum war, aber ich habe mir nur die richtigen nicht gemerkt, das ist der Fehler.«

»Wenn es so ist, will ich es Ihm für dieses Mal nicht anrechnen, aber für später mag Er es sich besser merken. Jetzt kann Er hinausgehen und sich einen Stand aussuchen. Ich werde wohl so viel Zeit übrig behalten, um einige Scherren, Messer und Anderes für ihn auszulesen.«

Er verließ die Küche und ging hinaus in den Hof. Dort besah er sich die Stallungen und Scheunen, während die Knecht und Mägde von den Feldern heimkehrten. Zu seinem Karren zurückkehrend, sah er zwei Männer, welche vor demselben standen und ihm den Rücken zukehrten. Als sie seinen Schritt vernahmen, drehten sie sich um. In jedem von den drei Gesichtern spiegelte sich die Ueberraschung ab.

»Waldow, Hammer! Ihr verfluchten Hallunken Ihr, was habt Ihr denn in Allstädt zu suchen?«

»Wir tagelöhnern hier, Durchlaucht,« antwortete Waldow.

»Halte den Schnabel, Kerl! Sagst Du noch einmal Durchlaucht, so pfeife ich Dir Eine in das Gesicht, daß Du denkst, Du hast[122] zweiunddreißig Elephantenzähne drinnen! Was Ihr hier wollt, das weiß ich sehr genau: Mit den Schweden wollt Ihr dunkelmunkeln!«

»Straf mich Gott, das ist nicht wahr! Und da Ihr so kommt, so will ich aufrichtig sagen, was wir hier wollen. Wir haben gewußt, daß Ihr als Schleifer nach Allstädt wollt, und weil das gefährlich ist, sind wir nach, damit Ihr doch Jemanden habt, auf den Ihr Euch verlassen könnt, wenn etwas schief gehen sollte.«

»Höre Er, ist das wahr oder ist es nur eine verfluchte Finte?«

»Habe ich meinem Generale jemals eine Finte gemacht?«

»Nein, das ist wahr!«

»So könnt Ihr mir auch hier glauben.«

»Aber ich habe Euch fortgejagt!«

»Der Teufel soll mich holen, wenn Ihr uns nicht auch wieder annehmt!«

»Hallunke! Du sprichst ja, Gott stärke mich, wie Einer, der nur zu reden braucht! Na, ich werde Euch einmal auf die Probe stellen.«

»Thut es! Wir werden sie bestehen.«

»Wollen sehen! Also merkt auf, was ich Euch sage! Ihr thut jetzt, als ob die Arbeit Euch nicht gefällt, und macht Euch auf die Socken. Ihr lauft hinüber nach Blankenfelde zum Major Hagen. Morgen Abend punkt halb Elf muß er mit fünfzig Mann hier hinter dem Gute stehen. Diese Leute müssen durch feindliches Gebiet. Er wird also für Civilkleider sorgen, nur lauter zuverlässige Männer nehmen und sie den Weg ganz vereinzelt machen lassen. Wenn der Major auf die Minute hier ist, so habt Ihr Eure Scharte ausgewetzt, Waldow, und Du magst meinetwegen Feldwebel werden. Jetzt aber packt Euch fort, Ihr Ungeziefer, sonst merken diese Leute, daß wir uns kennen.«

»Aber nehmt Euch in Acht bis dahin – –«

»Will Er Himmelhund wohl gleich verduften, he, oder soll ich Ihm Beine machen, daß Er in einem Athem läuft von hier bis nach Konstantinopel?«

Die Zwei gingen davon und benutzten die erste Gelegenheit, das Gut heimlich zu verlassen. Nach einiger Zeit kam der Verwalter zu dem Schleifer.

»Hier bringe ich Ihm Verschiedenes zum Ausbessern, aber Er braucht sich damit nicht sehr zu beeilen!«

»Wird dennoch noch heute gemacht. Morgen ist Feiertag, an dem ich nicht arbeite.«

»Ganz wie Er will. Standen nicht die beiden neuen Tagelöhner vorhin bei Ihm?«

»Ja.«

»Ich sehe sie nicht mehr. Wovon sprachen sie?«

»Davon, daß ihnen das Ding nicht recht gefallen wollte. Es wäre keine Ordnung hier auf dem Gute.«

»Aha, lüderliches Pack. Sie sind auf und davon. Landstreicher, nichts weiter!«

Nach und nach brachten auch einige der Knechte und Mägde Verschiedenes zu schleifen, und er begann. Zuschauer gab es nicht, da Alle sehr beschäftigt waren. Gegen Abend kehrte der Herzog von Merseburg an der Seite des Obristen zurück. Ihre Zimmer waren in Ordnung, wie ihnen die Wirthschafterin meldete.

»Das Fräulein zurück?« frug der Herzog.

»Noch nicht.«

»Melde Sie es mir sofort, wenn sie kommt! Und jetzt besorge Sie uns etwas zu essen!«

Eine halbe Stunde später saßen die beiden Herren bei Tische und unterhielten sich von den Plänen, welche morgen hier zur Sprache kommen sollte. Sie wurden hier und da durch ein schallendes Gelächter unterbrochen, welches vom Hof heraufschallte.

»Was gibt es da unten?« frug der Herzog, als die Wirthschafterin eine neue Schüssel brachte.

»Es ist ein Schleifer da, ein possierlicher Grobsack, mit dem sich das Volk, das meistenteils nun Feierabend hat, unterhält. Sie fragen ihn ob er singen kann, aber er hat keine rechte Lust dazu.«

In diesem Augenblicke ging unten etwas los, für was man unmöglich einen Namen haben konnte; es war kein Reden, kein Brüllen, kein Singen, und es war doch Alles dies zusammen. Die Fenster waren geöffnet, und man konnte jedes Wort deutlich verstehen:


»Der Schleifer ist allzeit ein Mann,

Den man nicht gut entbehren kann.

Arbeitet wie ein Droschkenpferd,

Und gilt doch keinen Heller werth.

Denn man dreht drinnen dem Hans Tapp

Die schwer ersparten Groschen ab.

Das niederträcht'ge A-B-C

Schmeckt unbedingt nach Alloë,

Wobei es hier und da gelingt,

Daß man ihn auf das Trockne bringt.

In dieser Art Philosophie

Kaut er an seinem Kniff;

Er legt die Elle übers Knie

Und applizirt ihr Schliff.«


Der Herzog sah den Obristen erstaunt, und dieser ebenso erstaunt den Herzog an.

»Unser Schleiferlied!« meinte überrascht der Merseburger. »Aber wie! Das klingt ja, als würde es von einem Hahn, einer Katze, einem Löwen und einer Klarinette unisono gekräht, gemiaut, gebrüllt und gepfiffen. Und diese Verse! Hört!«

Unten fuhr der Sänger mit donnernder Stimme fort:


»Wohnt einmal Einer in der Stadt,

Der gar zu lange Finger hat.

Im Tintenfasse schwimmt das Thier,

Frißt Federn, Schreib- und Druckpapier.

Und wer das Einmaleins verdaut,

Der stirbt auch nicht an Sauerkraut.

Und wo er selbst nicht helfen kann,

Da packen andre Kräfte an.

Man sagt, daß es ein Bankhaus sei,

Doch ists die höh're Schleiferei.

Und klagt und schimpft und jammert er

Bei dem verbotnen Griff,

So stürzt ein Paragraph daher

Und kriegt nun selber Schliff!«


Ein kröhlendes Gelächter war der Lohn für den ungewöhnlichen Vortrag. Droben sahen sich die beiden Herren noch immer erstaunt an. Die Wirthschafterin war wieder fortgegangen und lauschte von der Küche aus auch auf den Gesang, aus welchem kein einziger Mensch klug werden konnte. Eben begann der Schleifer wieder:


»Ich kenne ein Amphibium,

Heißt Redakteur und ist nicht dumm.

Bei Tage bleibt er stets zu Haus

Geht nur im Dunkelmunkel aus.

So war es schon zu Adams Zeit,

So bleibt es auch in Ewigkeit.

Der Prinzipal kniff gerne ex,

Doch faßt ihn Polyp multiplex.

Zu spät ins Bett, zu früh heraus,

Das halte doch der Teufel aus!

Jetzt brummt er in der Einsamkeit

Mit eisenfestem Griff,

Und für das Schleifen früh'rer Zeit

Sorgt er für bessern Schliff.«


»Wahrhaftig unser Lied, aber zum Tollwerden! Sollte der Lieutenant Seeström sich den Spaß gemacht haben, seine Verse einem Menschen zu geben, der sie nicht in der gehörigen Reihenfolge behalten kann?«[123]

»Das ist möglich, aber sehr unwahrscheinlich. Ich traue es ihm nicht zu. Diese Art von Menschen, welche sich Dichter nennen, haben ein eigenes Ehrgefühl, welches sie sicher abhält, ihre Reime in solche Hände kommen zu lassen. Wahrhaftig, es ist noch nicht alle; der Kerl fängt wieder an. Hört, Obrist!«


»Bei einem wohlbekannten Haus

Fliegt Geld hinein, Papier heraus,

Wobei es hier und da gelingt,

Daß man es auf das Trockne bringt.

Der Frau gebührt natürlich Recht,

Sie ist das schönere Geschlecht,

Ist aller Straßenlampen Feind

Und liebt den Mond, wenn er nicht scheint.

Der Sündenbock für alle Welt,

Auf halbe Ration gestellt,

Hat eine Zunge spitz und scharf

Und quakt was man nicht quaken darf.

Doch leider wird sie auch ertappt,

Mit ihrem Meister Pfiff;

Ein Gänsedarm hat zugeschnappt

Und kriegt nun selber Schliff.«


In das Lachen, welches unten erschallte, wurde auch oben eingestimmt.

»Das ist mehr als kurios!« rief der Herzog. »Den Kerl möchte ich sehen.«

»Gehen wir einmal hinunter, Hoheit?«

»Wenn Ihr mitwollt, ja. Kommt!«

Sie kamen in den Hof. Es war gerade noch so hell, daß der Schleifer seine Arbeit so leidlich verrichten konnte. Er drehte den Stein mit dem Fuße und sang dabei:


»Der Meister und die Meisterin,

Die haben oft gar eignen Sinn;

Der Meister findet weit und breit

Gar manche Ungeschliffenheit.

Der Lehrling ist ein Aschenbrod,

Hat wenig Freud und sehr viel Noth.

Weil er sich da nur nutzlos quält,

Wo Schärfe, Schnitt und Rundung fehlt,

Bis er, Kreuzhimmelelement,

Ein fremdes Port'monnaie umrennt.

Doch dazu fehlt dem Grobian

Ein widerspenst'ges Schiff,

Man schafft sich einen Hausfreund an

Und gibt ihm bessern Schliff.«


Die zwei Herren waren während der letzten Verse etwas näher getreten. Da faßte der Herzog den Obristen beim Arme.

»Himmel! Wer ist denn das! Kennt Ihr ihn, Herr Obrist?«

»Nein.«

»Kommt rasch zurück, daß er mich nicht bemerkt!«

Er zog ihn unter den Eingang, wohin das Auge des Schleifers nicht reichen konnte und meinte dann in sehr angelegentlichem Tone:

»Welch ein Fall! Obrist, wir machen hier einen Fang, der den Erfolg aller unserer Pläne und Intentionen auf das Beste sichert!«

»Einen Fang? Welchen?«

»Rathet?«

»Wie kann ich rathen.«

»So hört und staunet: Dieser Schleifer ist kein Anderer, als der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, wie er leibt und lebt!«

»Hoheit, unmöglich.«

»Ganz gewiß! Wir haben uns zwar noch nie gesprochen, und daher mag es kommen, daß er denkt, ich kenne ihn nicht; aber ich habe ihn dennoch oftmals gesehen und kenne ihn sehr genau.«

»Ihr müßt Euch täuschen.«

»Nicht im Geringsten! Habt Ihr noch nie gehört, wie gern er verkleidet im Lande umherzieht, um zu horchen wie es steht? Habt Ihr noch nie gehört, daß er nicht im Stande ist, nur zehn Worte richtig auswendig zu lernen? Habt Ihr noch nie gehört, daß es ihm unmöglich ist, eine Melodie zu merken oder auch nur einen richtigen Gesangston hervorzubringen?«

»Allerdings habe ich das gehört.«

»Nun! Und den Grund könnt Ihr Euch doch auch denken, warum er in dieser Gegend herumschleicht. Diesen Scharfsinn muß ich Euch jedenfalls zutrauen.«

Der Obrist nickte mit dem Kopfe. Er schien jetzt überzeugt zu sein, daß sich der Herzog nicht geirrt habe. Dieser fuhr fort:

»Und Ihr erkennt auch den unendlichen Vortheil, welcher uns erwachsen muß, wenn wir ihn dingfest machen können?«

»Das versteht sich!«

»Seid Ihr dabei?«

»Auf der Stelle!«

»Aber Ihr begreift, daß ich mich wenigstens offiziell rein halten muß?«

»Das begreife ich sehr. Die Schweden haben diese Provinz besetzt; dieser General einer Macht, die wir jetzt nicht für eine uns freundliche erklären können, schleicht sich mitten in unsere Kantonnirung ein. Ich habe nicht nur das Recht, sondern sogar die strenge Verpflichtung ihn gefangen zu nehmen.«

»Aber ohne alles Aufsehen!«

»Habt da keine Sorge, Hoheit. Ich bin sehr überzeugt, daß der Fürst sein Inkognito nicht preisgeben wird. Ich nehme also nur einen verdächtigen Schleifer gefangen, und das Uebrige wird sich dann von selbst ergeben. Aber wie kommt er zu diesem Liede?«

»Mir ein Räthsel!«

»Ob Seeström eine Abschrift davon bei seiner kürzlichen Flucht aus Halberstadt bei sich gehabt und verloren hat?«

»Schwerlich. Ich befürchte vielmehr, daß Wachtmeister Roller eine Unvorsichtigkeit begangen hat und dem Dessauer in die Hände gefallen ist.«

»Das wäre verdammt! Aber in diesem Falle läßt sich vermuthen, daß der Fürst den Karren des Wachtmeisters benutzt; ich habe diesen ja gesehen, und werde mich überzeugen.«

»Aber wie greifen wir ihn. Es ist ein verwegener Geselle.«

»Das ist sehr einfach. Ihr geht hinauf in das Nebenzimmer, wo Ihr die ganze Verhandlung mit anhören könnt. Ich lasse ihn zu mir kommen, während ich noch unten bleibe und den Karren besehe. Dann bringe ich mir gleich so viel Knechte mit, daß er keinen Widerstand zu leisten vermag.«

»So mag es gehen. Aber wohin stecken wir ihn?«

»Ihr kennt die Räumlichkeiten dieses Hauses besser als ich. Bestimmt Ihr das!«

»Hier im Flur gibt es ein Gewölbe, welches ein ganz kleines und vergittertes Fenster hat; die Thür ist aus starkem Eichenholze undmit sehr sicheren Riegeln versehen, das Schloß gar nicht gerechnet. Hier könnte er nicht entkommen. Bis morgen früh steckt er da vollständig sicher.«

»Warum nur bis morgen früh? Ich halte es für vortheilhafter, wenn wir ihn bis zur Ankunft des Königs und des Grafen hier behalten.«

»Ihr habt Recht. Also wollen wir beginnen. Ich gehe nach oben. Macht Eure Sache gut!«

Einige Minuten später trat die Wirthschafterin zu dem noch immer von dem sämtlichen Gesinde umgebenen Schleifer.

»Höre Er, Er könnte nun aufhalten. Es ist ja so dunkel, daß Er gar nichts mehr sehen kann!«

»Ja, Sie hat Recht, meine gute Jungfer Bachstelze, geborene Akazie. Macht Platz, Jungens, daß ich meinen Karren wieder in die Remise bringe!«

»Was fällt Ihm denn ein, he, mich wieder so zu nennen?« rief die Beleidigte, indem sie sich breit und drohend vor ihn hinstellte.

»Einfallen? Was denn? Sie hat mir ja gesagt, das Sie so heißt!«

»So! Na, wie heiße ich denn?«

»Na, glaubt Sie etwa, daß ich mir Ihren Namen nicht merken kann?«

»So sage Er ihn doch!«

»Den kann Sie hören: Jungfer Drossel, geborene Nußbaum!«

Ein dröhnendes Gelächter war die Folge dieser Verwechselung. Selbst die Wirthschafterin lachte ihren Aerger mit fort.

»Er ist ein Dummrian wie es keinen Zweiten wieder gibt!«

»So? Aaach! Ein Dummrian? Sage Sie das noch einmal, so fahre ich Ihr mit dieser Schinkengabel in die Physiognomie, daß Sie auf der Stelle die Maulsperre kriegt, Sie altes Feuereisen, geborene Kachelofen!«

»Schimpfe Er nicht, denn das kann ich nicht vertragen, Er alter langer Gabriel!«

»So, wer hat zuerst geschimpft, Sie alte buckelige Melusine, Sie! Warum kommt Sie denn her; was will Sie denn eigentlich von mir?«

»Meine Messer und Scheeren will ich!«

»Die werden erst morgen fertig. Solche Sachen macht man nicht in einem Schweineathem aus, verstanden?«

»So komme Er!«

»Wohin?«

»Hinauf zum gnädigen Herrn Obristen.«

»Was soll ich da?«

»Er hat Sein schönes Lied gehört und will Ihm seine Anerkennung aussprechen.«

»Seine Anerkennung? Darnach frage ich den Teufel. Er mag sie auf Leinwand schmieren, und Jemandem auflegen, der einen Karfunkel hat. Ich brauche kein solches Pflaster. Ich singe für mich und für keine Maulaffen.«

»Na, meinetwegen; aber er will Ihm ein Messer aushändigen, welches Er scharf machen soll.«

»Das ist etwas Anderes; das hole ich mir. Führe Sie mich zu ihm!«

»So komme Er. Aber sei Er mit dem Herrn Obristen höflicher als mit mir!«

»Kommt nicht auf mich an, sondern nur auf ihn. Vorwärts marsch!«

Sie schritt voran, und er folgte ihr die Treppe empor bis in das Zimmer, in welchem die Herren gesessen hatten.

»Warte Er einen Augenblick. Der Herr Obrist wird gleich kommen!«

»Nur nicht zu lange! Versteht Sie mich?«

Sie ging, und er setzte sich mit einer Nonchalance auf den nächsten Stuhl, als ob dieses Zimmer für ihn bestimmt sei. Nach kurzer Zeit trat der Obrist ein. Er betrachtete sich den Schleifer mit einem Blicke, dessen Ausdruck nicht zu entziffern war.

»Er ist der Schleifer von da unten?«

»Hm, jetzt bin ich der Schleifer von hier oben!«

Der Obrist lächelte.

»Zugestanden! Wo ist Er denn eigentlich zu Hause?«

»Aus dem Bückeburgischen.«

»Und wie heißt er?«

»Friedrich Langer.«

»Hat Er eine Legitimation mit?«

»Versteht sich!«

»Zeige Er sie einmal vor!«

»Hm, wo hat mich denn da diese Jungfer Krähe geborene Weide hingeführt?«

»Wie so?«

»Sie wollte mich doch zum Obristen Börjesson bringen!«

»Der bin ich ja!«

»Der – –? Ach so! Ich dachte, Er wäre der Büttel von Allstädt, weil Er nach meiner Legitimation fragt. – Na, schadet nichts! Er erniedrigt sich wohl auch nicht viel, wenn Er dem Büttel einmal die Arbeit versorgt. Hier ist der Wisch!«

Der Obrist prüfte die Legitimation. Sie stimmte genau mit den gemachten Angaben. Doch wußte der Schwede recht gut, daß es dem Fürsten von Anhalt nicht schwer fallen könne, sich eine solche Legitimation zu verschaffen.

»Richtig! Woher hat Er denn das Lied, welches Er vorhin sang?«

»Gehört.«

»Von wem?«

»Von einem andern Schleifer.«

»Wo?«

»Weiß nicht mehr. Der Teufel mag sich die Namen der ganzen Nester merken, in denen man geschliffen hat!«

»Und woher hat Er den Karren, mit welchem Er arbeitet?«

»Von zu Hause.«

»Aus dem Bückeburgischen?«

»Ja.«

»Er sagt mir die Wahrheit nicht.«

»Wie so?«

»Diesen Karren hat Er erst seit einigen Tagen.«

»Wer hat Ihm das weiß gemacht?«

»Niemand. Ich weiß es selbst. Höre Er, mit Ihm hat es keine guten Wege!«

»Da fahre ich!«

»Der Karren, den Er hat, gehört einem Schleifer, der seit einigen Tagen spurlos verschwunden ist!«

»Der Karren gehört mir, und wenn Einer verschwinden will, so brauche ich ihn nicht zu halten.«

»Man vermuthet, daß der Mann ermordet worden ist.«

»Wohl von seinem Karren?«

»Spotte Er nicht! Ich habe Seine Grobheiten bis jetzt übersehen, doch das thue ich nicht länger. Woher hat Er den Karren?«

»Ich habe es bereits gesagt.«

»Das ist eine Lüge. Es ist der Karren des ermordeten Schleifers. Ich muß Ihn verhaften, um die Sache untersuchen zu lassen.«

»Er? Mich verhaften, Er Himmelhund?« donnerte Leopold, indem er einen Schritt auf den Obristen, welcher unwillkürlich zurückwich, zutrat. »Er wäre mir der Kerl dazu! Er hat hier den Teufel zu sagen!«

»Das ist meine Sache! Er ist mein Gefangener, und damit basta! Wenn Er sich nicht gutwillig fügt, mache ich kurzen Summs mit Ihm!«

»Er mit mir? Wage Er es mich anzurühren, so werde ich Ihn besummsen, daß Ihm die Seele in lauter Nudeln aus dem Leibe fährt. Her mit meinem Wisch!«

Er riß dem Obristen die Legitimation aus der Hand und öffnete die Thür. Draußen standen sämmtliche Knechte, wohlbewaffnet.

»Was ist denn das, he?« frug Leopold sich zurückwenden. »Das sind wohl die Häscher, welche Er Judas Ischarioth auf mich hetzen will? Wer hindert mich, Ihm Eins auf die Nase zu geben, daß Ihm das große Einmaleins sechs Jahre lang im Kopfe herumwirbelt? Aber ich durchschaue Ihn, und werde mich den Teufel hüten, mich mit diesen Christians und Traugotts herumzuschlagen. Gut, ich bin Sein Gefangener. Ein Schleifer macht sich nichts daraus, wenn er einmal in die Patsche geräth; er weiß sich wieder herauszudrehen; Er aber, Er schwedischer Lausewenzel Er, soll sicher nicht gleich wieder herausgerathen, wenn Er einmal bis über die Ohren in der Tinte sitzt; darauf kann Er sich verlassen, jetzt und in alle Ewigkeit!« – – –

Quelle:
Der Scheerenschleifer. Originalhumoreske von Karl Hohenthal. In: Für alle Welt! 5. Jg. 1881. Heft 1–5. Stuttgart (1880). Nr. 9, S. 136-138.
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