II.

Marga

[523] Im Staate Arkansas und an dem gleichnamigen Flusse liegt einige Stunden oberhalb Little Rock die Stadt Stenton. Obgleich ihr Ursprung nur um einige Jahrzehnte zurückweist, bildet sie doch, an der Einmündung zweier kleiner Seitenflüsse liegend, den Knotenpunkt eines außerordentlich regen Land- und Wasserverkehrs. Mit echt amerikanischer Schnelligkeit ist Haus an Haus, Straße an Straße gewachsen, und wo vor kurzer Zeit der wilde Sohn der Prairie sein Roß im Wasser des Stroms tränkte, dehnt jetzt sein »weißer Bruder« sich in weichen Flaumen und freut sich des Segens[523] – vielleicht auch des Fluches der Gesittung, die einen ganzen, nach Millionen zählenden Menschenstamm erbarmungslos von der Erde streicht.

Da, wo einige englische Meilen vor der Stadt die Berge zur Ebene niedersteigen, tummelte eine Kalvakade junger Herren und Damen ihre muthigen Pferde in dem elastischen, von gelben Holianthusblüthen durchschossenen Grase. Der einzige ältere Mann, der sich bei der Gesellschaft befand, zeichnete sich zugleich auch durch sein Aeußeres von allen Uebrigen aus. Von ungemein dicker Natur, saß er auf einem Schimmel, der ihm an Körperumfang jedenfalls ebenbürtig war. Die Bewegungen der beiden so wohl zusammenpassenden Wesen hatte etwas Dickhäuterähnliches an sich, zu welchem die grellen Farben, in welche sich der Reiter gekleidet hatte, außerordentlich possierlich standen. Er trug ein gelbes Beinkleid, rothkarrirte Weste, lichtblauen Rock und einen breitkrämpigen, in schwarz und weiß geflochtenen Pferdehaarhut. Unter dem breit umgelegten, steif gestärkten Hemdenkragen war ein grün und lila gestreiftes Tuch in einen imposanten Knoten geschlungen und schickte seine wohlgefalteten Zipfel bis auf die kostbaren Berloquen herab, welche klingend an der dicken Uhrkette baumelten. Das jetzt vom Ritte geröthete und mit großen Schweißperlen bedeckte Gesicht hatte einen höchst gutmüthigen Ausdruck, doch konnte der eigenthümlich scharfe Zug um den Mund auch eine bittere Beimischung bedeuten und der kurze, dicke Nacken ein Zeichen hartnäckiger Ausdauer sein.

Eben machten er und sein Schimmel eine keuchende Anstrengung, einer der Damen zu folgen, die, als die Gewandteste von Allen, in tollen Kapriolen und Zickzackwendungen umherfegte, während ihr langer, blauer Schleier hoch in den Lüften flatterte. Wer sie eine reizende Erscheinung nennen wollte, hätte viel zu wenig gesagt; eine so wundervolle Schönheit durfte nicht jetzt während des kühnen Rittes, sie mußte im Augenblicke der Ruhe und Beschaulichkeit beobachtet und dem Herzen eingezeichnet werden.

»Halt ein, halt ein, Marga,« stöhnte der Bunte. Der Schimmel hatte eine fürchterliche Anstrengung gemacht und wirklich einen Satz fertig gebracht, der seinen Reiter vollständig aus der Contenance warf. »Du brichst den Hals, und ich, ich brech – brrr, stopp, ohohoho, Du höllische Bestie!«

Einer der Herren eilte herbei und half ihm wieder in eine sattelfeste Stellung.

»Der Schimmel hat zu gute Pflege, Master Olbers. Laßt ihm etwas weniger Hafer geben, dann wird er nicht so unmäßig in die Welt hineinspringen.«

»Der Hafer ist nicht schuld, sondern das böse Beispiel, welches selbst die besten Sitten verdirbt. Der Gaul verträgt seine Portion Körner ohne alle Aufregung ebenso leicht, wie ich meine Flasche Madeira, die ich mir nicht nehmen lasse. Aber bei Eurem Springen und Jagen kann auch die zuverlässigste Kreatur unmöglich ruhig bleiben. Ich bitte Euch dringend, Sir, reitet hin zu meiner Tochter und sagt ihr, daß ich sofort in Ohnmacht falle, wenn sie noch ein einziges ventre-à-terre riskirt!«

»Laßt ihr das Vergnügen, Master. Es hebt den Muth, stärkt die Gesundheit, macht gewandt und, ganz unter uns gesagt, läßt Miß Marga in einem Lichte erscheinen, dem kein wahrer Gentleman zu wider stehen vermag.«

»Licht hin, Licht her; ich lobe mir die Sicherheit meiner gesunden Glieder, Master Wilson. Da seht einmal den Mann, der dort herüberkommt. Sein Pferd geht Schritt um Schritt, als hätte es die Blüthen zu zählen, die es niedertritt, und wahrhaftig, es nimmt sich sogar hier und da ein Maul davon auf, er läßt das geduldig geschehen, hängt dabei vornüber im Sattel, als wolle er in die Mähne beißen, und scheint es ganz gleich zu nehmen, ob er heute nach Stenton kommt oder morgen. Der ist kein solcher Wagehals wie Ihr und Marga, und für die erste Rippe, welche er bricht, will ich Euch getrost baare fünfzigtausend Dollars versprechen!«

»Meint Ihr?« frug der Andre mit einem forschenden Blick auf den noch fernen fremden Reiter. »Ich meine sehr, daß Ihr die Dollars bald verlieren könntet, denn der Mann hat jedenfalls schon mehr als eine Rippe gewagt.«

»Hoëh! Er sieht ganz und gar nicht danach aus.«

»Das meint Ihr, weil Ihr noch nie die Prairie betreten habt. Ich wette ganz dieselbe Summe, daß es ein richtiger Westmann ist, der noch andre Ritte, als Ihr gesehen habt, unternommen und dem Tode täglich in das Auge geschaut hat. Ich kenne das, denn meine Besitzungen in Texas grenzen an die Savanne, und ich habe also Gelegenheit, diese Leute zu beobachten und sogar ein wenig mitzuthun. Gerade seine gebeugte Haltung kennzeichnet ihn als Jäger; so sitzen sie Alle zu Pferde, denn anders wäre das ewige Reiten gar nicht auszuhalten.«

»Ein Prairiejäger? Ein Halbwilder? Den müssen wir anreden! Eine Unterhaltung mit ihm wird unsern Damen sicher viel Spaß machen.«

»Ich denke auch. Laßt mich nur machen!«

Der Sprecher war ein noch ziemlich junger und schöner Mann, dessen dunkel sprühende Augen ganz prächtig zu dem tiefschwarzen, wohlgepflegten Vollbarte standen. Er war mit beinahe übermäßiger Eleganz gekleidet und saß mit seltener Leichtigkeit zu Pferde. Der breite Panamahut war ihm ein wenig aus der Stirn in den Nacken gerutscht und ließ eine dunkelrothe Narbe sehen, welche sich von der Nasenwurzel aus bis unter die Haare zog. Einige laut gerufene Worte von ihm brachten die Gesellschaft zusammen.

»Meine Ladies und Gent's, ein Plaisir erwartet uns. Dort kommt ein Biberhauthaggler, den wir ein wenig ins Gebet nehmen wollen. Der Mann hat wohl noch nie eine wirkliche Lady gesehen und wird in schauderhafte Verlegenheit gerathen über die Zumuthung, uns Rede und Antwort stehen zu sollen.«

Der Vorschlag wurde von der übermüthigen Versammlung mit Freuden angenommen, nur die Tochter des Bunten appellirte dagegen.

»Laßt ihn ruhig vorüber, Gentlemen! Der Mann hat Euch nichts gethan, und könnte sich verletzt fühlen!«

»Verletzt?« lachte Wilson. »Er soll es für eine Ehre halten, von so feinen Leuten angesprochen zu werden. Ich werde ihm dies begreiflich machen!«

Er wandte sein Pferd dem Reiter entgegen; die Andern folgten, und Marga war also gezwungen, sich ihnen anzuschließen, doch hielt sie sich zurück. Das Unternehmen des reichen Plantagenbesitzers stand im Widerspruche mit ihrer Art und Weise zu denken und zu empfinden.

Der Fremde war jetzt bis in Hörweite herangekommen, und ein mit dem Leben und den Gestalten der Prairie Unvertrauter würde geglaubt haben, daß die Gesellschaft noch gar nicht von ihm bemerkt worden sei, so unverwandt hielt er den Blick auf den Hals seines Pferdes gerichtet.

»Good day, Mann,« rief Wilson. »Schlaft und träumt Ihr oder sind Euch Eure letzten zwei Sinne abhanden gekommen?«

Der Gefragte richtete sich blitzschnell in die gerade Stellung empor, und es war eigenthümlich, mit welchem Blicke sich die Beiden begegneten. Das tiefblaue Auge des Jägers bohrte sich förmlich stechend in das Gesicht seines Gegenübers, und das dunkle des letzteren leuchtete wie unter einem plötzlichen Erkennen auf und warf einen vernichtenden Strahl unter die zerwalkte Hutkrämpe des in ein schmutziges und arg zerfetztes Lederhabit gekleideten Reiters.

»Good day, Ladies und Mesch'schurs,« antwortete dieser mit voller, sonorer Stimme. »Ich träumte von der Llano estacado und von abhanden gekommenen Stangen und Nuggets. Good bye!«

Er machte Miene, seinen Weg fortzusetzen, Wilson aber verlegte ihm denselben.

»Halt, nicht weiter, bis Ihr erklärt, was diese Antwort zu bedeuten hat!«

Er war blaß geworden, aber sein Auge funkelte und die Narbe auf seiner Stirn schwoll zu doppelter Dicke an.

»Halt?« frug der Andre mit einem überlegenen Lächeln. »Wer will es wagen, einem freien Manne unter freiem Himmel Halt zu gebieten? Wer will ihm das Wort befehlen, das er nur freiwillig giebt?«

»Ich will es, Bursche! Was soll Deine Rede bedeuten? Sprich sofort oder – –«

Er erhob drohend die Reitpeitsche. Die Absicht, den unscheinbaren Mann zur Zielscheibe eines muthwilligen Spasses zu machen, hatte so schnell zur drohenden Gefahr geführt, daß keiner der Anwesenden Zeit fand, sie abzulenken.

»Oder – –?« donnerte der Jäger, die langen, wirren, blonden Locken schüttelnd wie ein Löwe seine Mähne. Er nahm mir der Linken die Zügel empor, und in demselben Augenblick schien dreifaches Leben sein scheinbar zu keiner schnellen Bewegung fähiges Pferd zu durchströmen. »Hinweg mit der Peitsche!«

»Heraus mit der Antwort!« schallte es ihm entgegen.

»Hier ist sie!«

Ein leiser Schenkeldruck und der Mustang schnellte bis dicht an Wilson heran; im nächsten Augenblicke sank dieser, von einem fürchterlichen Faustschlage getroffen, aus dem Sattel in das Gras hinab. Der kraftvolle Mann, der jetzt so plötzlich von Geist und Feuer sprühte, riß sofort das Roß wieder herum und blitzte Einen nach dem Andern mit seinem vor Zorn sich dunkelfärbenden Auge an.[524]

»Will einer von den Gentlemen noch Antwort haben?«

Niemand regte sich, denn jeder der Herren mußte erkennen, daß diese Antwort augenblicklich und ganz in der vorhergehenden Weise erfolgen werde.

»Keiner? Well, so sind wir eigentlich fertig. Doch will ich Euch warnen vor dem Wagniß, je wieder einen braven Westmann für den passenden Gegenstand eines Possenspieles zu halten: sein kleiner Finger ist mehr werth als Ihr Alle; er sieht schon in der Ferne, was Ihr wollt, und weiß genau, wer lachen wird.«

Schon stand er im Begriff fortzureiten, da zügelte er sein Thier bis vor Marga heran. Sein Gesicht nahm einen ganz andern Ausdruck an; seine Hand zog ehrerbietig den Hut vom Kopfe; bewundernd glitt sein Blick über die holde, lichtvolle Erscheinung des Mädchens, und seine Stimme klang weich und halblaut:

»Dank, Mylady! Ihr wart die Einzige, die nicht spotten wollte, und seid einer besseren Gesellschaft werth. Good bye!«

Mit dem vollen Anstand eines wohlgeschulten Ladiesman bedeckte er sich wieder, zog den gelockerten Büchsenriemen fester an und ritt in kurzem, elegantem Galopp davon.

Nicht ein einziges Mal sah er sich um, trotzdem es seinen Blick mit Gewalt nach rückwärts zog. Er hatte hier zum ersten Male in ein Mädchenangesicht geblickt, von dem er sich gestand, daß er es nie vergessen werde. Als er die Stadt erreichte, stieg er in dem Gasthause ab, dessen Schild ihm zuerst entgegenglänzte, übergab sein Pferd dem Stallkeeper und begab sich in den Trinkraum, wo er die allgemeine Aufmerksamkeit durch die Hast erregte, mit welcher er nach den ausliegenden Zeitungen griff. Ein Trapper, der zu lesen versteht, kann beinahe als ein Mirakel betrachtet werden. Nach einiger Zeit winkte er den Boardkeeper zu sich heran.

»Wer ist Mutter Smolly?«[525]

»Kennt Ihr Mutter Smolly nicht, Master? Dann müßt Ihr noch niemals hier gewesen sein! Sie war das schönste Mulattenmädchen weit und breit, wurde freigegeben und heirathete einen reichen Mississippihändler, dessen Wittwe sie nun ist. Sie ist die ehrbarste Frau der ganzen Stadt und überall als der Engel aller Nothleidenden bekannt; darum wird sie von Jedermann nicht anders als Mutter Smolly genannt.«

Er dankte für die Auskunft und las noch einmal die Annonce, welche ihn zu seiner Frage veranlaßt hatte:


»Ein wahrer Gentleman kann bei Mutter Smolly feine Wohnung mit Bibliothek und guter Kost erhalten.«


Diese Offerte hatte, vielleicht gerade wegen ihrer sonderbaren Fassung, etwas Anziehendes für ihn. Er erkundigte sich nachträglich noch nach der Wohnung der Mulattin, die nicht angegeben war, und beschloß, sie aufzusuchen.

Das Haus, welches ihm bezeichnet wurde, lag in einer der schönsten und ruhigsten Straßen Stentons. Er klingelte am Entree des Parterres, und aus der sich öffnenden Thürlücke sah ein allerliebstes, dunkles Gesicht hervor.

»Ist Mutter Smolly daheim, mein Kind?«

»Ja. Ich will sie rufen!«

»Nein, melde mich an,« lächelte er über das Mißtrauen, welches seine Kleidung hervorgerufen hatte. »Ich habe längere Zeit mit ihr zu sprechen.«

»So bitte ich, zu warten!«

Nach längerer Zeit und jedenfalls erst nachdem die Dienerin der Herrin den Besuch bis in das Einzelnste beschrieben hatte, wurde er eingelassen, aber auch nur bis in den Vorsaal, wo ihn eine dralle, außerordentlich sauber gekleidete Frau empfing, die vielleicht vierzig Jahre zählen mochte und deren Gesichtsfarbe ihre Abstammung von irgend einer hübschen coloured-Lady verrieth.

»Verzeihung, Mylady, wenn – –«

»Mutter Smolly, nicht anders, wenn ich bitten darf!« fiel sie ihm schnell in die Rede.

»Gut also, Mutter Smolly! Ich las da eine Annonce, daß Ihr eine feine Wohnung mit guter Kost zu vergeben habt.«

»Allerdings. Aber habt Ihr auch gelesen, an wen?«

»An einen wahren Gentleman.«

»Also nicht an einen von den Vielen, die sich so nennen, ohne es zu sein, sondern an einen, den ich mit Recht so nennen darf.«

»Diese Sorte ist hier im Südwesten außerordentlich selten, Mutter Smolly.«

»Dann bleibt mein Logis unvermiethet. Ich nehme in mein Haus nur Leute, denen ich außer einer strengen Wirthin auch eine gute Mutter Smolly sein darf. Hat Euch Jemand geschickt?«

»Nein. Ich selbst beabsichtigte, bei Euch zu wohnen, wenn Eure Räumlichkeit mir und meine Person Euch gefällt.«

Sie konnte ein leises, silbernes Lachen nicht zurückhalten.

»Meine Wohnung würde Euch sicher gefallen; aber sagt mir doch einmal, Master, wer und was Ihr seid! Ich vermuthe, ein Jäger oder Fallensteller.«

»Meinem gegenwärtigen Aeußern nach, ja. Ich komme vom Felsengebirge und habe seit dort weder Kleider noch Wäsche wechseln können. Ich wollte das erst thun, wenn ich hier eine Heimath gefunden habe.«

»Weshalb hier in Stenton?«

»Weil sich hier die Druckerei befindet, in welcher ich Einiges veröffentlichen will.«

Sie blickte ihn erstaunt an.

»So seid Ihr eigentlich ein Gelehrter oder wohl gar ein Dichter?«

»Vielleicht. Ich unternehme meine Reisen nur des Wissens wegen. Mein Name ist Richard Forster.«

»Rich – – Forst – – bitte, bitte, Sir, tretet doch hier herein!«

Sie riß eine Thür auf, schob ihn mehr als er ging in ein sehr hübsch eingerichtetes Zimmer, zog von einem Konsolegestell unter mehreren Büchern einen in Sammet gebundenen Band heraus und hielt ihm das Titelblatt desselben vor.

»Herzensklänge, Sir; habt Ihr diese Lieder gedichtet?«

»Sie sind von mir.«

»Ists möglich! Mein Mann war ein Deutscher; er hat eine ganz werthvolle Bibliothek hinterlassen, und seine liebsten Bücher waren ihm die Eurigen. Ich kann sie nicht lesen; aber ich kenne ihre Titel und habe sie als Heiligthum hier in meinem Zimmer aufbewahrt. Ihr sollt die Wohnung haben; Ihr müßt sie nehmen. Kommt; ich will sie Euch zeigen!«[526]

Es war auf einmal eine ganz außerordentliche Lebhaftigkeit über sie gekommen. Sie sprang voraus, eine Treppe empor, und öffnete ihm drei Räume, die alle Ansprüche eines gebildeten Mannes zu befriedigen vermochten.

»Hier das Schlafzimmer; hier das Wohnzimmer mit Balkon, und hier die Bibliothek, in welcher Ihr arbeiten könnt. Ich vertraue die Bücher keinem Menschen lieber an als Euch!«

»Gut; ich wohne hier, und der Preis?«

»Jetzt nicht; später davon. Seht nur erst, ob es Euch auch wirklich bei mir gefällt! Ich lasse Euch gar nicht wieder fort, und was Ihr braucht, werde ich Euch sofort besorgen.«

»Was die Wäsche und Aehnliches betrifft, ja; da muß ich sogar um Eure Hülfe bitten, meine gute Mutter Smolly; das[538] Andre aber werde ich wohl selbst übernehmen müssen. Auch mein Pferd, welches im Hotel steht, erfordert meine Anwesenheit.«

»Das lassen wir holen. Ich habe im Hinterhause eine ganz prächtige Stallung, die Euch sicher zufriedenstellen wird.« –

Bis der Abend hereinbrach, war mit Hülfe des Konfektioners, Kleiderhändlers und Friseurs ein vollständig anderer Mensch aus Forster geworden, und die Wirthin schlug verwundert die Hände zusammen, als er herabkam, um sich ihr in dieser neuen Fassung vorzustellen.

Dann begab er sich zum Buchhändler und Druckereibesitzer, welcher zugleich Herausgeber der hiesigen Morgen- und Abendpost war und ihn mit Auszeichnung empfing. Hier erkundigte er sich nach der Privatwohnung des Advokaten Summerland. Er hatte sich in Preston am Red River von dem braven Tim getrennt, um noch einen Ausflug in das Indiana-Territorium zu machen und wollte den ersten Tag nicht vorübergehen lassen, ohne ihn aufgesucht zu haben. Leider aber fand er ihn nicht daheim; er war, wie das Mädchen berichtete, mit ihrer Herrschaft für den ganzen Abend zum Bankier Olbers geladen.

Er kehrte nach Hause zurück, um sich mit der Bibliothek des verstorbenen Mississippihändlers zu beschäftigen. Während dieser Unterhaltung bemerkte er, daß die zweite Etage des gegenüberliegenden großen Hauses hell erleuchtet war. Man konnte von dort aus recht wohl seine Zimmer übersehen; er schloß also die Gardinen.

Drüben war eine zahlreiche Gesellschaft um die Tafel, an welcher Marga präsidirte, versammelt. Unter den Anwesenden befanden sich, Wilson abgerechnet, sämmtliche Theilnehmer der heutigen Reitparthie und auch Bill Summerland mit Frau und Bruder. Dieser letztere hatte aus Rücksicht für die Seinen heute auf die gewohnte Trapperkleidung verzichtet und sich in eine salongerechtere Gewandung geworfen; doch war ihm recht gut anzusehen, daß er sich in derselben außerordentlich unbehaglich fühlte. Er war nicht der Mann, sich an einem solchen Orte fehlerlos zu bewegen, aber das genirte ihn ganz und gar nicht, denn er wußte, daß alle diese geputzten Herren und Damen im Gegensatze zu ihm in der Prairie noch viel unbehülflicher gewesen sein würden, wie er hier in den glänzenden Räumen des reichen Goldmannes, die er noch niemals betreten hatte. Er war ja eigentlich die Hauptperson der anwesenden Versammlung, die nicht müde wurde, sich von der Erzählung seiner Abenteuer unterhalten zu lassen.

Er stand jetzt bei der Schilderung der Todessteppe und seiner Rettung durch Forster.

»Ja, Mesch'schurs, es ist ein kleiner Unterschied zwischen Kojotensaft und dem veritablen Zeuge, das hier in diesem Glase glänzt, aber ich sage Euch, das Blut damals war mehr werth, als der ganze Keller von Master Olbers, auf dessen Wohl ich bei dieser Gelegenheit einen Schluck nehmen will. Und wißt Ihr, wem ich es verdanke, daß ich dies thun kann und nicht von den Geiern zerrissen worden bin? Einem Dichter, ja, schaut mich nur verwundert an, einem Dichter, aber nicht einem solchen, der zwischen Himmel und Erde hängt und hilflos mit den Beinen zappelt, sondern einem echten Busineßman, der auf jedem Fleck, wo man ihn hinstellt, es mit dem Besten aufzunehmen versteht.«

»Wie heißt er?« frug der dicke Bankier, der ein großer Literaturfreund war und nicht gern eine Gelegenheit, seine Belesenheit merken zu lassen, ungenützt vorübergehen ließ.

»Forster, Richard Forster, wenn es Euch recht ist. Seine Reime sind weich wie Butter, seine Fäuste aber hart wie Stahl. Er ist ein Kerl wie ein Riese und hat dabei ein Herz wie ein Kind; darauf kann ich schwören wie auf meine Mütze!«

»Forster, der Germanist! Dort sitzt seine größte Verehrerin,« meinte er, auf seine Tochter zeigend. »Sie hat seine Gedichte bei Mutter Smolly kennen gelernt. Er ist wirklich bedeutend in seinem Genre; groß aber könnte er nur im Englischen werden.«

»Im Englischen?« frug Tim Summerland. »Ich weiß nicht, ob er deutsch oder englisch zugeschlagen hat, aber gut waren seine Hiebe, das könnt Ihr glauben Ich habe es gesehen, als wir meine Nuggets wieder holten, und diese Geschichte müßt Ihr noch hören!«

Er fuhr in seinem Berichte fort, den er mit der Bemerkung schloß:

»Und wenn Ihr ihn sehen wollt, so kann dies vielleicht gar bald geschehen. Als wir am rothen Flusse von einander gingen, hat er mir versprochen, nach Stenton zu kommen. Er war blos in die Prairie gezogen, um ein Buch voll Reime über sie zu machen, und will es hier drucken lassen. Reime über die alte große Wüste, ein verteufelt sonderbarer Gedanke! Als ich zum ersten Male hineinritt, war ich ein Greenbeak von achtzehn Jahren, jetzt bin ich ein alter Junge und niemals aus ihr herausgekommen, aber ich will, so lang ich noch lebe, nichts als Truthahnbussard und Büffelboutins verzehren, wenn ich einen einzigen Reim über sie fertig bringe, geschweige ein ganzes Buch voll von ihnen! Und da soll er nicht groß sein, Master Olbers? Seht ihn Euch erst an, und dann sagt, ob Ihr etwas Kleines an ihm findet!«

Die Tafel wurde aufgehoben, und die Gäste zerstreuten sich in die verschiedenen Zimmer. Marga war der Erzählung des Trappers aufmerksam gefolgt. Ihr waren während derselben die verschwundenen Stangen und geraubten Nuggets aufgefallen, und unwillkürlich brachte sie Beides mit der Antwort des Jägers in Verbindung, der heut dem muthwilligen Wilson eine so derbe Lehre gegeben hatte. Dieser letztere hatte in Folge des erhaltenen Schlages am Abend nicht erscheinen können. Was hatten die überraschten Blicke zu bedeuten, mit welchen sich die Gegner gemessen hatten? Sie konnte die hohe, stolze Gestalt des Fremden nicht aus dem Sinne bringen. Mit welcher Schwere hatte seine Stimme der Feind getroffen, und wie weich und warm war sie dann ihr entgegengeklungen! Sie suchte einige Augenblicke unbelauschten Zusammenseins mit Tim Summerland zu ermöglichen.

»Sagtet Ihr nicht, daß Forster nach Stenton kommen will?«

»Yes; das habe ich gesagt, Miß.«

»Könnt Ihr mir seine Person beschreiben?«

»Sehr genau. Figur lang, breit und kräftig, Haare blond und lang, Bart ebenso, Augen blau, Mund klein, Zähne gut, Kleidung ein Jagdrock, ausgefranst und zerrissen, Leggins, ausgefranst und zerfetzt, Moccassins, ausgefranst und zersprungen, Hut, ein Stück Filz ohne Gestalt und Farbe, Pferd, ein Brauner mit weißem Stern, Waffen, eine Doppelbüchse, ein Stutzen, Messer, Tomahawk und Lariat, besondere Kennzeichen, macht Lieder und schlägt Pfahlmänner todt. So, nun könnt Ihr ihn steckbrieflich verfolgen lassen, so genau ist die Beschreibung.«

Sie wußte jetzt genug; das seltsame Signalement paßte genau auf den fremden Jäger.

»Werdet Ihr ihn uns einmal zuführen, wenn er da ist, Master Summerland?«

»Wenn Ihr es wünscht, Miß, so bringe ich ihn so gewiß wie meine Mütze.«

»Ich halte Euch beim Wort!«

Er wandte sich wieder der Gesellschaft zu, und sie trat an das Fenster, wo der Vater stand.

»Mutter Smolly muß vermiethet haben.«

»Wirklich? Dann ist es erst heut geschehen. Als ich sie gestern besuchte, stand das Logis noch leer.«

»Sie scheint also doch einen ›wahren Gentleman‹ gefunden zu haben, wie ihr Ausdruck in der Morgenpost lautet. Die Fenster sind erleuchtet, und hinter den Gardinen bewegt sich ein männlicher Schatten.«

Der, von welchem dieser Schatten herrührte, hatte in der Bibliothek manches Buch gefunden, welches nicht ohne Werth für ihn war, und dachte erst zu ungewöhnlich später Stunde daran, die Ruhe aufzusuchen. Als er das dunkle Wohnzimmer betrat, bemerkte er, daß drüben im gegenüberliegenden Hause die Lichter des zweiten Stockes erloschen seien. Jetzt waren einige Fenster des ersten Stockes erleuchtet; die Vorhänge waren zurückgezogen; die Altanthüre stand auf, und durch diese glänzte die große, lichtverbreitende Kuppel einer Lampe, welche auf dem Sophatische stand. Eine weibliche Gestalt in weißem, luftigem Gewande glitt wie schwebend durch das Gemach. Sie trat an den Tisch; das blendendhelle Licht fiel auf ihre hohe, volle Gestalt, doch da sie von ihm abgewandt stand, so konnte er von ihrem Gesicht nichts sehen. Unbeweglich aber hielt er seinen Blick auf sie gerichtet, indem er erwartete, daß sie sich mehr seitwärts wenden werde. Jetzt erhob sie ein Buch, schlug es auf und hielt es dem Lichte näher, und weißer als ihr Gewand, weißer als das Papier glänzte wie ein selbstleuchtender Gegenstand ihre Hand zu ihm herüber.

Schnell holte er ein Opernglas herbei, welches er auf dem Schreibtische gesehen hatte, und eilte, dasselbe vor sein Auge haltend, hinaus auf den Balkon, wo er in der Dunkelheit nicht bemerkt werden konnte. Da stand die Unbekannte nun so klar und deutlich vor ihm, als befinde er sich in ihrer unmittelbaren Nähe. Ihre Hand fesselte wieder seinen Blick. Er hatte schon manche schöne Hand gesehen, vielleicht auch eine von ihnen besungen, wie weit aber blieb alle seine Poesie gegen diese Wirklichkeit zurück! Wie graziös berührten sich ihre lang gestreckten, spitz zulaufenden Finger an dem Papiere; wie leicht und schön gebogen hob sich das Handgelenk, und wie reizend schaute der Arm aus der durchsichtigen Spitzenhülle hervor! Es war ihm, als brauche er sich nur vorzubeugen, um seine Lippen auf diese Lilienhand zu drücken, so nahe, so deutlich sah er sie vor sich. Und immer noch wollte die Eigenthümerin derselben sich nicht wenden, immer noch konnte er ihr[539] nicht in das Angesicht schauen! Ob die Schönheit ihrer Züge wohl mit der ihrer Hand im Einklang stand? Ihr Kopf war klein und edel geformt, und zwischen den reichen, braunen Locken, die über die Schultern herniederfielen, schaute ein zierlicheres Ohr hervor, als er in seinem Leben jemals gesehen hatte.

Es durchfluthete ihn ein vollständig fremdes Gefühl. Es war ihm, als harre er auf eine Seligkeit, die ihm von Minute zu Minute vorenthalten werde; seine Ungeduld steigerte sich immer mehr und – da, da drehte sie sich halb um, und er erblickte dasselbe wunderbar schöne Angesicht, welches heute einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatte.

»Sie ists; ich hab' es geahnt!«

Heiße Wogen drängten sich nach seinem Herzen; war es von dem zu scharfen Sehen durch das Glas, ein Taumel, ein der Trunkenheit ähnlicher Zustand wollte ihn erfassen. Er kannte die Macht weiblicher Schönheit, aber er hatte sie noch nicht an sich selbst erfahren; jetzt zitterte ihr Einfluß ihm durch das tiefste Leben, und er hätte um keinen Preis der Erde die Fülle von Ahnungen und unbewußten Wünschen, welche seine Brust schwellten, hingegeben.

Da nahm sie die Lampe und trat in das Nebengemach. Die weißen, neidischen Gardinen, welche die dortigen Fenster verhüllten, ließen nur noch ihren Schatten sehen, welcher auch bald verschwand, als sie das Licht verlöschte. Sie war schlafen gegangen.

Noch lange stand er, ob gedankenvoll oder gedankenlos, er selbst hätte es nicht sagen können. Nicht ihre Schönheit allein hatte ihn begeistert; das Vornehme und Edle ihres Aeußeren und die Reinheit, welche sie umwebte und umschwebte wie das Licht die Sonne, hatten ihn gefangen genommen.

»Schlaf wohl, Du herrliches, Du unvergleichliches Wesen!« flüsterte er aus überschwellendem Herzen und trat wieder in die Bibliothek zurück. Es trieb ihn hin zum Schreibtisch, es lenkte seine Hand zur Feder, und bald flossen die glühenden Stanzen auf das Papier, so glockentönig und farbenprächtig, wie sie nur die erste, alles Irdische überlodernde Liebe zu diktiren vermag. Er nahm das Blatt und las es wiederholt.

»Meine beste Arbeit, vielleicht die einzige gute und untadelhafte von allen. Nicht ich habe sie geschrieben, sondern die himmlische Macht, die sich heute mir zum ersten Male offenbarte. Was thue ich? Darf ich oder nicht? Noch ist die Redaktion mit der Zusammensetzung des Morgenblattes beschäftigt – ja, es wird gewagt!«

Er griff zum Hute und verließ trotz der späten Nachtstunde das Haus, um sich zur Druckerei zu begeben. Sein Beitrag wurde willkommen geheißen, und befriedigt kehrte er zurück. In der vom Monde nicht beschienenen Thornische standen zwei Personen, mit denen er in der Eile seines Ganges nicht allzuzart karambolirte, eine hohe männliche und eine zierliche, weibliche.

»Wer da?«

»Ich bin's.«

»Wer ist das?«

»Sarah.«

»Welche Sarah?«

»Das Mädchen von Mutter Smolly.«

»Ach so. Gute Nacht!«

Die kleine, niedliche Terzerone hatte also einen Anbeter. Forster wollte in den undeutlichen Umrissen seiner Gestalt etwas Bekanntes finden, konnte aber die beiden Leute unmöglich noch mehr belästigen. Er stieg zu seiner Wohnung empor und schlief nach langer Zeit zum ersten Male wieder zwischen schwellenden Federn. Seine Ruhe war so tief und fest, daß es dem Gotte des Traumes versagt blieb, sie mit den glücklichen Bildern zu durchweben, die den Schläfer noch im Entschlummern umgaukelt hatten. –

Quelle:
Ein Dichter. Eine Erzählung aus den Vereinigten Staaten von Karl Hohenthal. In: All-Deutschland! 3. Jg. 1879. Heft 16–20. Stuttgart (1879). Nr. 34, S. 538-540.
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