Mit Dampf um den Erdball

Unsere Erde hat eine runde, kugelförmige Gestalt und besitzt einen Umfang von 5400 deutschen oder 21600 geographischen Meilen. Da zwei Drittheile ihrer 9280000 Quadratmeilen großen Oberfläche aus Wasser bestehen, so muß der größte Theil einer Reise um sie herum zur See vorgenommen werden. Die Schifffahrt befand sich aber bis in das fünfzehnte Jahrhundert hinein nicht auf dem Punkte, der eine solche Reise möglich macht, und so darf es uns nicht wundern, daß man früher die Erde für eine Scheibe und nicht für eine Kugel hielt.

Zwar hatten verschiedene Gelehrte die Kugelform als einzig richtige und mögliche behauptet; aber diese Behauptung fand ihren unwiderleglichen Beweis erst durch die Entdeckungsfahrten eines Vasko de Gama, Bartholomäus Diaz und Christoph Columbus, ganz besonders aber durch die Expedition Fernao de Magelhaes, welche am 20. September des Jahres 1519 den spanischen Hafen San Lucar verließ und, immer nach Westen segelnd, am 6. September 1522 von Osten her in demselben Hafen wieder landete.

Diese Expedition hatte also die erste Reise rund um den Erdball vollendet und 2 Jahre, 11 Monate und 17 Tage dazu gebraucht.

Je mehr sich die Schifffahrt entwickelte, desto kürzer wurde diese Zeit, und heute, wo wir auf den Flügeln des Dampfes die größesten Entfernungen in unglaublich kurzer Zeit zurücklegen, ist es uns geboten, in wenig mehr als 80 Tagen diese Reise zu vollenden.

Gesetzt, man fährt von Hamburg oder Bremen am 1. Juni ab, so landet man am 13. in New-York und trifft, die 3285 englische Meilen lange Pacific-Eisenbahn benutzend, am 23. in San Francisko in Californien ein. Hier steigt man wieder zu Schiffe und landet am 13. Juli zu Yakohama in Japan, am 17. zu Shanghai in China, am 20. in Hong-kong, Englands chinesischer Besitzung, am 25. in Singapore, dem berühmten englischen Freihafen, am 30. auf Ceylon, dem »schönsten Garten der Erde,« am 4. August in Aden, dem zweiten Gibraltar der Engländer, am 9. in Suez und am 15. in Triest, von wo aus man per Bahn binnen drei Tagen Hamburg wieder erreicht.

Diese Reise hat auf dem ersten Platze circa 1700 und auf dem zweiten circa 1500 Thaler gekostet. So kostspielig sie erscheint, es ist doch der Zeitgewinn ebenso sehr in Rechnung zu ziehen wie der Umstand, daß durch Schnelligkeit der Bewegung die Eindrücke zusammengerückt und die[5] gesammelten Anschauungen zu einem enggezeichneten Bilde vereinigt werden.

Freilich besitzen nur Wenige die Mittel, sich diese Anschauungen anzueignen; aber die Anderen dürfen sich doch trösten mit dem Gedanken, daß wir in einer Zeit leben, in welcher das Wissen des Einzelnen so leicht und schnell Gemeingut Aller werden kann.[6]

Quelle:
Mit Dampf um den Erdball. (Mit hoher Wahrscheinlichkeit von Karl May verfaßt). In: Schacht und Hütte. 1. Jg. Nr. 1. S. 5–6. – Dresden (1875), S. 5-7.
(Mit hoher Wahrscheinlichkeit von Karl May verfaßt). In: Schacht und Hütte. Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für Berg- Hütten- und Maschinenarbeiter. 1. Jg. Nr. 1. S. 5–6. – Dresden: H.G. Münchmeyer (1875). Reprint in: Karl May (Hrsg.): Schacht und Hütte. Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für Berg- Hütten- und Maschinenarbeiter. Mit einer Einführung von Klaus Hoffmann. Hildesheim, New York: Olms Presse 1979.
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