LII
Paracelsus

[433] Gibt's auf der Welt ein Herz so männlich fest,

Das sich von Hoffnung nicht betören läßt?


Was mir der Freund von Paracelsus sprach,

Das flog mir wie ein lichter Falter nach,


Das senkte sich, mir selber unbewußt,

Ein treibend Keimlein in die sieche Brust.


Ich sehnte mich, bis der Gewünschte kam,

Wie Mägdlein blicken nach dem Bräutigam.


Heut war er da. Ich lag erbärmlich krank

Im Eichenschatten auf der Rasenbank.


Er tat, als würd er meiner nicht gewahr,

Doch streifte mich sein scharfes Augenpaar.


Er nahm den Pfarrer dort am Strand beiseit

Und sprach zu ihm geheim mit Heftigkeit.


Er hat ein abenteuerlich Gesicht,

So denk ich mir den ernsten Forscher nicht.


Ich lauschte hin. Ob er mir Rettung schafft?

Und ich vernahm: »Es fehlt die Lebenskraft!«...


Mein feines Ohr hat flüstern ihn gehört:

»Hier ist ein edles Organon zerstört«...
[433]

Indem verstohlen er herübersah,

Raunt' schnell er: »Facies hippocratica!«...


Was spricht der Geck das liebe Deutsch nicht rein

Und mischt so garst'ge fremde Brocken ein!


Er trat heran, er bot die Rechte mir,

Er sprach mit Pomp: »Ich grüße Deutschlands Zier!«


Er nannte mich der Freiheit Turm und Hort,

Von meiner Krankheit redet' er kein Wort.


Mir deucht', daß sich ein Seufzer ihm entwand,

Als seinen Finger ich am Puls empfand.


Drauf hat er meine Verse mir gerühmt,

Der Narr. Er hieß sie »stolz« und »reich beblümt«.


»Die Ufnau«, sprach er, »wird durch Euch bekannt

Und noch von Kind und Kindeskind genannt.


Nicht einsam lebt Ihr auf dem Eiland hier,

Bevölkert mit Gedanken habt es Ihr!«


Ich dachte: Wie zu dir dein Name paßt!

Bombastus nennst du dich – und sprichst Bombast!


Ihm gab ich das Geleit bis an den Kahn,

Dann stieg den Hügel langsam ich hinan.


Es war ein goldner Morgen im August,

Das zweite Gras gedieh mit Kraß und Lust!


Die ganze dichte blühnde Wiese klang

Und wogt' und schwirrt' und flattert', zirpt' und sang.


Ich schritt in Halm und Blumen, überflammt

Von süßem Sonnenlicht – zum Tod verdammt!


Da warf ich in die duft'ge Wiese mich,

Verbarg das Haupt und weinte bitterlich
[434]

Und lange lag ich still im grünen Tal,

Mein eigen Bildnis oder Grabesmal.

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 433-435.
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