An Damon

[137] 1771.


Warum ich weine, Freund? O sieh

Die Rose! Gestern blühte sie,

Nun hängt sie, von des Nordes Hauch

Entstellt und blätterlos am Strauch.


Und sollt' ich ihrem Untergehn

Nicht eine Thräne schenken?

Und könnt' ich Rosen sterben sehn,

Und nicht an Chloen denken?


O laß mich weinen! Eilest du

Dereinst dem Rosenstrauche zu;

Und sinkt ein Röschen auf mein Grab

Entblättert und entstellt herab;[137]


O sage, Damon, wirst du nicht

Ihm eine Thräne schenken?

Und mit betrübtem Angesicht

An deinen Daphnis denken?


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 137-138.
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