Scena V.

[86] MUSOPHILUS alleine. Ach / wie sehr mehret sich doch täglich der Kummer / Jammer / und Hertzeleyd / so mir mein ungerahtener Sohn / Ariophilus, verursachet? Ach! ich hab ihn ja dem Praeceptori unserer Schulen so theuer anbefohlen / und ein ehrliches spendiret. Aber ich sehe wohl / daß er ihn nicht zum besten gezogen.[86]

TREUE EKHARD. Sachte / sachte mit der Fiedel / Herr Musophile, versündiget euch nicht an dem redlichen Manne / dem Praeceptore. Denn was er vor Treue und Sorgfalt an eurem Sohne er wiesen / wie so hertz- und beweglich er ihn offtmals von liederlichen Reden und Werken abgemahnet / wie so exemplarisch und ernst-iedoch väterlich / mit Worten und Werken er ihn gestraffet / wie so deutlich er ihm den Weg so wohl zur Tugend / als guten Künsten uñ Sprachen / gezeiget / wie so gar keine Arbeit der in formation er gescheuet; dessen giebt ihm GOtt / sein Gewissen / und viel fromme discipul Zeugnis / und ich selbst kan anders nicht sagen / als daß der gute Mañ nichts mehr / denn eures Sohnes Wohlfart / gewünschet. Aber / daß er diesen Zwek / dahin er gezielet / nicht erreichen können / daran kan er die Schuld nicht tragen. Sehet / Herr Musophile, da liegt ein leeres Fäßlein / welches ich gerne mit Wein gefüllet haben wolte. Vnd da habt ihr einen Krug mit Wein samt dem Trichter. Thut mir doch den gefallen / und giesset ihn in das Fäßlein. Wenn der Krug leer ist / will ich ihn wieder voll machen / biß das Fäßlein auch gefüllet ist.


Als nun Musophilus füllen will / rüttelt Ekhard das Fäßlein hin und wieder / daß der Wein verschüttet wird.


MUSOPHILUS. Wie will und kan ich den Wein also ins Fäßlein füllen / we das Fäßlein nicht eine Minute stille liegt?[87]

TREUE EKHARD. Wie kan der Praeceptor Tugend und Wissenschafft in des Discipuls Hertz bringen / wenn dasselbe nicht stille ist / sondern mit den Gedanken stets hin und her beweget wird?

MUSOPHILUS. Da soll der Praeceptor den Discipul lassen stille sitzen.

TREUE EKHARD. Das geschicht auch / so offt er den Wäscher merket.


NB. Jetzt schlägt er das Spundloch mit dem Spunde zu / und sagt.


Nun so gießt den übrigen Wein ins Fäßlein. Seht / ich halte es ietzo gantz stille.

MUSOPHILUS verschüttets abermahl / und spricht. Wie kan ich den Wein hinein giessen / wenn das Spundloch zugemachet ist?

TREUE EKHARD. Wie kan der Praeceptor Weißheit / Verstand / und Tugend in den Discipul flössen / wenn dieser die Ohren samt dem Hertzen verstopfet?

MUSOPHILUS. Solte aber mein Sohn sich auch also verhalten haben?

TREUE EKHARD. Freylich / freylich. Wie viel mahl hat mich der Praeceptor an eure liebe Hausfrau geschikkt / und sie / nach ertheiltem Bericht von üblem Verhalten eures Sohns / warnen lassen / daß / wo sie nicht ihr Mütterliches Amt zugleich beobachtete / und bey dem Sohne wie bißhero / also auch künfftig / keine[88] Besserung verspüret werden würde / er ihn so dann aus seinem museô schaffen müste?

MUSOPHILUS. Ich besinne mich noch wohl / daß ich euch vor diesem etliche mahl habe sehen mit meinem Weibe reden.

TREUE EKHARD. Sagte sie aber auch / was ich mit ihr geredet hätte?

MUSOPHILUS. Sie berichtete mich / der Praeceptor hätte unsern Sohn abermahl durch seinen famulum loben lassen / mit Erinnerung / daß nichts an nothdürfftigen Kosten ermangeln möchte.

TREUE EKHARD. Das hab ich niemals gegen sie gesaget / das weiß ich aber wohl / daß sich der Praeceptor offtmals gewundert / wie es doch käme / daß Hr. Musophilus nicht einmahl Nachfrage nach seines Sohns Verhalten angestellet.

MUSOPHILUS. Ich wil euch gerade zu sagen / was die Vrsach gewesen. Die Mutter kam etliche mahl / und referirte mir / daß der Sohn über des Praeceptoris geringe Kost etwas Klagen führete / u sich beschwehrte / daß die andern Pursche im Hause so muhtwillig wären / und ihn an seinen studiis hinderten. Das verdroß mich nicht wenig. Doch hab ichs niemand eröfnen mögen / sondern beschlossen / ich wolte den[89] Sohn mit reputation vom Praeceptore wegnehmen / und auf die universität senden.

TREUE EKHARD. Wie schwehrlich habt ihr euch an dem guten Manne versündiget? Er hat solchen Verdruß von eurem Sohne gehabt / der nicht zu beschreiben ist: hat ihn / wie ich selbst weiß / mit solcher Kost versehen / mit welcher die andern alle / so was redlichs lernen wollen / zu frieden gewesen / und dergleichen vor solch Geld kan geschaffet werden. Seine condiscipuli haben ihn stets bey dem Praeceptore verklaget / daß sie von ihme so sehr und vielfältig gehindert würden. So höre ich nun / der praeceptor und dessen fleissige domestici haben das Wasser getrübet. O tempora! o mores! das ist nehmlich der Lohn / der treuen praeceptoribus gegeben wird. Wenn nun die Eltern den Verleumdungen der Kinder gleuben / und den treuen praeceptoribus deswegen feind werden / was ists wunder / daß sie hernach an den Kindern alles Hertzeleyd erleben? GOtt / dessen Stelle treue praeceptores vertreten müssen / hat ein lang Gedächtnüs / schreibet hinter ein Ohr / was den praeceptoribus vor Lohn wiederfähret / und pflegets zu rechter Zeit zu vindiciren und zu straffen.

MUSOPHILUS. Ach wolte GOtt / daß ich dies alles bey Zeit hätte wissen sollen! Jetzo bin ich nur um die Seele meines Sohns bekümmert. Denn die Fama hat hin und wieder außgeblasen / wie die Spanischen Völker[90] / so nach Portugall geführet werden sollen / in der See verunglükket / und alle ersoffen wären. Weil nun mein Sohn mit meines Nachbarn Sohne nicht wieder kommen; so bilde ich mir ein / er sey mit andern fortgeschiffet / und neben denselben nunmehr ersoffen. Ach wenn er nur nicht in seinen Sünden dahin gefahren wäre. Doch / dem sey wie ihm wolle / ich muß etliche Seelmessen vor ihn halten lassen / und den Herren Patribus ein ansehnliches spendiren.

MORIO. Sind denn alte Leute auch Narren? was werden den Sohn die Seelmessen helfen?

TREUER EKHARD. Wenn aber der Sohn in einer Todsünde / dergleichen er viel begangen / verstorben ist: So mögen ihm die Seelmessen nicht zu statten kommen.

MUSOPHILUS. Von dieser Sachen mögen sich die Gelehrten kampeln. Jetzo muß ich mit dem frommen Könige David / sagen: Mein Sohn / mein Sohn, wolte GOtt / ich solte vor dich sterben! Mein Sohn / mein Sohn!


Moriones agiren.


Quelle:
Johann Sebastian Mitternacht: Dramen. Tübingen 1972, S. 86-91.
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