Scena V.

[109] PIETAS. Ach! was vor elende Zeiten sind diese letzten Zeiten![109] Jetzt möchte jener Prophet auftreten / und sagen: Es ist keine Furcht GOttes im Lande. Denn ich / die wahre Gottes-Furcht / werde überall auß der Menschen Hertzen verstossen / und muß fast stets im Exilio herum ziehen. Hingegen ist meine vermeinte falsche Schwester / Hypocrisis, die Heucheley / überall lieb und wehrt gehalten / findet angenehme Herberge / wo sie nur hinkommet / und pfleget unter meinem Nahmen zu prangen. Denn so weit ist es leider! kommen / daß die Menschen mehr nach dem Schatten des Guten / als nach dem Guten selbst trachten. Warlich hätte der Barbirer zu Padua samt seinen Helfers Helfern nur ein Fünklein von mir / der ungefärbten Gottesfurcht gehabt / so würde er eine so grausame und unerhörte That ihme nicht vorgesetzt / geschweige denn begangen haben. Sonderlich aber liegt mir die Curiosität oder Vorwitz treflich im Wege. Denn wenn gleich bißweilen ein Menschlich Hertz ist / das mich eine zeitlang aufnimmt / so schleicht sich doch dies monstrum der Vorwitz / gar zu leichtlich daselbst ein / und verursachet / daß man meiner endlich nicht mehr achtet / sondern mich bald fortschaffet. So bald dieser Barbirer von der Curiosität angefallen wurde / die ihn reitzte / etwas neues zu ergründen / und ihm also einen grossen Nahmen zu machen; achtete er meiner nicht mehr / und wurde ich bald darauf gar von ihm außgestossen. Aber er wird zu rechter Zeit erfahren / was die jenigen / so mich aus ihrem Hertzen stossen / vor Belohnung zu[110] empfangen haben. Neben der Curiosität pfleget mich auch die Reputation hefftig zu drükken. Denn wo diese Quartier im Hertzen bekommet / wird wenig geachtet / was die Gottesfurcht fordert. Da muß die vermeinte Reputation erhalten werden / es bleibe GOtt mit seiner Ehre / das Gewissen mit seiner Ruhe / die Gottesfurcht und andere Tugenden / wo sie wollen oder können. Wenn denn nun das Hertz eine zeitlang ohne Gottesfurcht gelebet / so dringt sich auch allgemachsam der Atheismus, das aller abscheulichste monstrum, ein / daß endlich die Gottlosen in ihrem Hertzen sprechen: Es ist kein GOtt. Ach wie gemein ist ietzo dies Laster! Aber wer darf hiervon viel sagen? Der grosse und erschrekliche Tag des HErren wirds hoffentlich ehest offenbahren.

HOSPITALITAS. Was du klagest / darüber hab ich auch zu klagen. Denn meine jura, welche die Alten Hospitalitatis jura nennen / werden gar wenig mehr observiret. Ach daß doch die jenigen / so Christen heissen wollen / nur so redlich lebten / als vor Zeiten die Heyden gelebet haben! Werden nicht am jüngsten Tag die Heyden auftreten / und die so genandten Christen öffentlich anklagen? Denn wie sich die Heyden gegen ihre hospites verhalten / und wie stricte sie die jura Hospitalitatis beobachtet / das muß man fast mit Verwunderung lesen. Aber was haben solche jura bey dem Barbirer / der doch unter dem Mantel des Christlichen Nahmens daher praalet /[111] gegolten? Ach wehe derowegen demselben Barbirer / daß er so übel / so un Christlich / ja so unmenschlich mit seinem Gaste procediret! Aber siehe / da kommet er gleich gantz kläglich gegangen. Vnd wer ist die Weibsperson / die so hefftig auf ihn zu schlägt?

CHIRURGUS. Ach! ich armer Mensch! Was hab ich gethan?

CONSCIENTIA CHIRURGI. Was darf es viel fragens? Hast du nicht den armen Menschen so tyrannischer Weise ermordet?

CHIRURGUS. Ich hab aber den Zwek gehabt / hierdurch meinem Nechsten zu dienen.

CONSCIENTIA. Das ist dein Zwek nie gewesen. Grosse Ehre und Nahmen woltest du erlangen. Vnd dafür will ich dich peitschen / martern und qvälen / so lange du lebest.


Chirurgus laufft ab. Conscientia hinter ihm her /und peitschet.


JUSTITIA tritt auff und spricht. Ob wohl die Gelehrten und sonderlich die Poeten / vor vielen hundert Jahren geklaget / daß ich die Justitia, oder die Gerechtigkeit / den Erdboden verlassen / und hinauf in den Himmel geflogen wäre; so hab ich doch / vermittelst dieser meiner Flügel / mich zum öfftern herab auff Erden begeben / und bin / wiewohl unbekand / unter den sterblichen Menschen herum / zu erkundigen / ob[112] sie mich lieber hätten / als vor Zeiten. Aber so offt ich kommen bin / hab ichs ärger / als ich vermeinet / befunden. Vnd eben also ist mirs auch ietzo ergangen. Denn ist das nicht Vngerechtigkeit / einem einfältigen Menschen zwar gute Wort geben / aber zugleich das Leben so tyrannischer weise nehmen? Darum kan ich solche Boßheit länger nicht ansehen / sondern will gleich ietzo wieder gen Himmel fliegen.


Quelle:
Johann Sebastian Mitternacht: Dramen. Tübingen 1972, S. 109-113.
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