Hartknopfs Antrittspredigt.

[6] Die kleine Kirche in Ribbeckenau war mit sehr vielem hölzernen Schnitzwerk und Zierrathen versehen. Unter andern war auch vorne an der Decke über der Kanzel der heilige Geist in Gestalt einer Taube schwebend abgebildet. Die Arbeit war von Holz und bloß angeleimt.

Als Hartknopf die Kanzel bestieg, schwebte sein böser Genius über ihm.

Ganz in seinen Gegenstand vertieft, dachte er nicht an das, was über ihm war, und die Länge seines Körpers war Schuld, daß er mit der Stirne gerade gegen den einen Taubenflügel rannte, und auf die Weise die schwebende Gestalt des heiligen Geistes zum Schrecken der ganzen Gemeine herabstieß.

Da er sich nun aber dieß, als einen Zufall, der weiter keine Folgen hatte, gar nichts anfechten ließ, und mit der größten Kaltblütigkeit seine Predigt anfieng, als ob gar nichts geschehen[7] wäre, so erschrack die Gemeine noch weit mehr.

Er hub nun seinen Spruch an: im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. –

Also: im Anfang war das Wort, und das Wort war selbst der Anfang.

Dieß deutete er nun auf den Anfang seines Lehramts: was bei ihm wohl anders der Anfang seyn könne, als das bloße Wort, womit er anfienge? Da einmal sein Geschäft darin bestehe, seine Lippen zu bewegen, und tönende Worte hervorzubringen, statt daß andere ihre Arme zur Arbeit ausstreckten, um dem Schooß der Erde ihre Nahrung abzugewinnen, und die Frucht ihrer Mühe selbst mühsam einzuerndten.

Er stellte das nackte Wort, als den leeren Hauch der Luft, als das tönende Erz und die klingende Schelle dar, wenn Liebe es nicht beseelet. –

Liebe beseelte es aber, indem er sprach – denn er war gewilliget zu geben, wo seine Brüder nehmen; er wollte nicht für leeren Lufthauch den Zehnten von allen reichhaltigen Früchten der[8] Erde eintauschen – er wollte den Buchstaben des Worts erst tödten, damit der Geist lebendig mache. –

Als er nun zum erstemale das Wort Geist nannte, blickte die ganze Gemeine, als ob aller Augen sich verabredet hätten, auf einmal nach der leeren Stelle an der Decke über der Kanzel hin, wo die Abbildung des heiligen Geistes in Taubengestalt gewesen war. – Der grobe sinnliche Eindruck behielt von jetzt an auf einmal bis Oberhand – der erste Schrecken war nun vorüber – und wie von einem bösen Dämon angehaucht, verzog sich jede Mine zu einem hönischen schaden frohen Lächeln – und die Herzen verschlossen sich auf immer. –

Die undurchdringliche Scheidewand zwischen Licht und Finsterniß war gezogen. – Das hämische Lächeln trat zwischen die redende Liebe und den aufmerksamen Gedanken – Hartknopf fühlte sich zum erstenmale von seiner nächsten Umgebung gedrückt – er fieng während seiner Rede an, die Gesichter zu bemerken, und kein antwortender Blick begegnete seinem spähenden Auge – eine unbekannte Macht schien die Worte von seinen[9] Lippen zu verwehen, daß sie den Weg zum Herzen nicht fanden.

Unglücklicher Weise ließ er sich noch auf die Worte ein: ich will euch den Tröster senden u.s.w. und alles blickte auf den Bauerknaben, neben welchem die Taubengestalt niederstürzte, und der ihr mit einer komischen Bewegung ausgewichen war.

In dieser Predigt, pflegte Hartknopf, nachher oft zu sagen, habe er den ganzen Druck empfunden, womit die grobe Sinnlichkeit auf dem zarten Gedanken, die unförmliche Masse auf dem Gebildeten ruht – wodurch der Sprößling im Keime zertreten, die Blume zerknickt wird – der Wurm an der aufblühenden Pflanze nagt – der Heldenmuth des Starken in seiner Brust gehemmt wird, und der bildende Genius, indem er die Flügel entfaltet, von seinem umwölkten Jahrhundert darnieder gedrückt, in den Staub sinkt. –

So viel ist gewiß, daß die vielleicht schon verwesete Hand, welche die Taubengestalt an die Kanzeldecke mit nachlässigem Finger befestigte, Hartknopfs schöne Hofnungen, und sein ganzes[10] Gebäude von Glückseligkeit an diesem Orte unwissend untergrub.

Denn dieser erste Eindruck blieb in der Folge seines Lehramts unauslöschlich – Und die ganze angebohrne Würde seines Wesens vermochte nichts gegen die komische Larve des mächtigen Zufalls.

Freilich war auch ein reudiges Schaaf unter dieser Heerde, welches die übrigen angesteckt hatte – dieß war der spruchreiche Küster Ehrenpreiß mit der richterlichen Miene.

Während daß Hartknopf predigte, richteten seine Augenbraunen jeden Perioden, den er sagte, und brachen den Stab über ihm, so oft er das Wort, als die vierte Person in der Gottheit erwähnte – Hartknopf meinte nehmlich, weil man sich doch die Dreieinigkeit, als eins dächte, so könnte auch das Vierte der Einheit nicht schaden – und der Lehrbegrif leide nicht darunter, wenn man sich den alleserhaltenden Vater, den allesbeherrschenden Sohn, den allesbelebenden Geist, und das allesverknüpfende Wort, wie das ewig unveränderliche Feststehende – wie[11] den unerschütterlichen Kubus dächte, der in sich selber ruhend, die rollenden Sphären trägt. –

Ehrenpreiß aber schrieb sich Hartknopfs Ketzereien in seine Schreibtafel auf – und so wie der Erklärer alter Autoren über eine neugefundene Leseart, der Chronickenschreiber über eine Jahrzahl, und der Conchylienliebhaber über ein Schneckenhaus, so freute sich der Küster Ehrenpreiß über jede Ketzerei, die er in irgend eines Menschen Worten oder Gebehrden auffinden konnte, weil dieß nun auch einmal seine Liebhaberei war, die ihm ein besonderes Vergnügen machte.

Mit dem vorigen Prediger war er ein Herz und eine Seele gewesen – denn dieser bedurfte jemand, in dessen Busen er seinen Gift ausschütten konnte, und Ehrenpreiß war ein würdiges Gefäß dazu.

Oft brachten sie bis Mitternacht in vertraulichen Gesprächen zu – sie saßen da – in schwarzen Kleidern, auf Stühlen, und richteten die vergangenen und kommenden Geschlechter der Erde.

Dieß thaten sie im Fluge der hohen Begeisterung; dann aber beschränkten sie sich wieder auf[12] ihre Nachbarschaft, auf die Prediger in dem Kirchensprengel, auf die Menschen welche still einher wandelten, und das Höchstverehrungswürdige im Geist und in der Wahrheit verehrten, auf die natürlichen Menschen, welche durch frohen Genuß der Gabe, dem Geber am besten zu danken glaubten. –

War nun über alle diese Menschen namentlich das Verdammungsurtheil gesprochen, so machten sich beyde den Spruch zu eigen: ihr seyd über wenigem getreu gewesen; ich will euch über vieles setzen!

Damit nun aber auch Ehrenpreiß in diesem Werke geübter werden möchte, so trug sein Prediger ihm die ganze Polemik aus den Heften vor, die er ehemals in Halle eigenhändig nachgeschrieben hatte.

Und als das Kollegium geendigt war, schrieb sich Ehrenpreiß selbst die Hefte noch einmal ab, und trug sie einigen auserwählten Bauern bei verschloßnen Thüren wieder vor, durch welche der edle Saamen dann weiter im Dorfe ausgestreuet wurde.[13]

So war das ganze Dorf nach und nach polemisch geworden, und das Schimpfwort: Du Ketzer! welches man ehemals als eine scherzende Liebkosung brauchte, wurde jetzt mit einem finstern spanischem Ernst ausgesprochen, der nichts Gutes bedeutete.

Ein so unpolemischer Prediger, als Hartknopf, war nun freylich keine sehr willkommene Gabe für solche polemische Bauern. –

Denn die Predigten des vorigen Pfarrers waren überdem gar nicht uninteressant gewesen: er belagerte eine Ketzerei, die er aufstellte, um sie zu bestreiten, gleichsam wie eine Festung, legte selbst Bollwerke umher, womit er sie sich eine Weile vertheidigen ließ, dann lief er plötzlich Sturm, durchbrach die Schanzen, und hieb alles mit der Schärfe des Schwerdts darnieder.

Durch dieß immerwährende Angreifen und Vertheidigen, war den Bauern selbst der dogmatische Lehrbegrif so geläufig geworden, als er ihnen durch den bloßen Vortrag nie hätte werden können. –[14]

Sie waren dadurch gewissermassen kompetente Richter über ihren künftigen Prediger geworden, der nun nie aus dem Gleise rücken durfte, ohne daß sie es merkten. –

Der Geist des verstorbenen Pfarrers ruhte auf der ganzen Gemeine, auf dem Küster Ehrenpreiß aber ruhte er zwiefältig. –

Quelle:
Karl Philipp Moritz: Andreas Hartkopf. Prediger Jahre, Berlin: Johann Friedrich Unger, 1790. , S. 6-15.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Andreas Hartknopfs Predigerjahre
Andreas Hartknopf. Eine Allegorie / Andreas Hartknopfs Predigerjahre
Anton Reiser, Andreas Hartknopf und Andreas Hartknopfs Predigerjahre

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Nachkommenschaften

Nachkommenschaften

Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon