Welt-Wesen.

Anderes Gesicht.

Die vorigen Gesichts Geschicht gab mir Ursach, meinen sachen in was mehrer Gottesforcht nachzudencken; weil ich ja gesehen vnd gehöret, wie gar genau auch die geringste verbrechen der Mänschen gemercket, erforschet vnd vergolten werden.

Begabe mich derowegen mit der Land-Kutsche von Nancy hinein naher Franckreich; vnderwegs aber hab ich in den Itinerariis solennibus, Sinceri, Eisenbergeri, Neymaigeri, Steinbergeri, Hentzneri, Duchatii, Bertii, Jani Secundi, Caspari Ens, Andreae Schotti, Erpenii Atlante vnd anderen, welche von dieses Königreichs Herrlichkeit vnd Vorzug mit mehrem geschrieben, vmb künfftige Nachricht gelesen, was in einem vnnd anderem ort, insonderheit der großen Statt Pariß zu sehen vnd in acht zu nehmen [Rand: Pariß in / Franckreich] sein möchte; bevorab weil dieselbe von meisten Eine kleine Welt, Compendium orbis terrarum. Un aultre Monde. Un petit Monde. Un abregé du Monde genennet wird.


Ceste ville est un autre Monde

Dedans un Monde florissant, etc.

[Rand: de Mathoniere]


Vnd in Warheit zu melden: wer die Welt in einem Saal, in einem Sack, in einem Garten, in einem Garn, beysammen sehen will, der wird sie in Pariß gewißlich finden.

So lang ich allda verharret, war mir der letzte Tag eben wie der erste. Jener Schweitzer, welcher zwantzig Jahr in des [Rand: Schweitzer][31] Königs Leibwacht geweßt, vnd doch noch nicht drey Wort Frantzösisch reden konte, deßwegen von einem Freund befragt vnd gescholten, gab zur antwort: waas wott eyer y zwantzig Jährly löhrä?

[Rand: Welttrüglichkeit] Also gar laßt sich die Welt in so wenig Jahren nicht erkennen. Eines Mänschen leben ist viel zu kurtz; das Hertz ist viel zu träg, wann er eben den Trug vnd die Eitelkeit anfahet zu mercken, so ist es an dem, das er selbsten an daß Ende kompt, vnd bald davon muß; Nihil in Mundo est, quod desiderium nostrum sedare possit. Viatores sumus, perpetuo motu quietem omnem profugantes, quae externa quidem varietate sese nutrit, substantiam rerumque qualitatem nescit, plerumque non attendit.

Vnd wie große lust der Mänsch hat, ein ding zu erwerben, als kleine freude hat er hernach, wan er es erworben. So ist vnser Thun: wann wir verlangen nach ichtwas haben, bilden wir vns davon wundersachen vnd Herrlichkeit ein; haben wir aber vnser begeren er füllet, so bald sahen an die vermeynte [Rand: Welt scheinbar] herrliche dinge einen verdruß vnd Eckel zu bringen. quae miro desiderio a nobis expetita sunt, ea juris nostri jam facta vilescunt possidentibus.

Also auch die Welt. Sehen wir sie ohn weiteres nach sinnen von aussen in ihrer Gestalt, Auffzügen vnd scheinbarem Thun an, Behüte Gott! was schönes dings bilden wir uns von derselben ein? Nicht anderst, als ob sie ein lauteres Paradiß, ein Lustgarte voller Herrlichkeit vnd Edeles Wesen wäre; da doch, wann wir ihr die Maske, den Fürhang nur ein wenig abziehn vnd den Kern beschauen wollen, vns allein die blosse schölffen in den Händen bleiben, vnd bekennen müssen wahr sein: Mundus Vanitate ducitur, Opinione regitur, O inane desiderium vivendi!

Mit diesen vnd dergleichen betrachtungen hatte ich mich der zeit nicht wenig auffgehalten: (damahlen ich meine Herberge au faulxbourg Sainct-Germain, rue de Seine à la ville de Strasbourg chez le sieur Courtin hatte, vnsern beneben zweyen[32] Meißnischen, rechtschaffenen Teutschen von Adel, Herrn Carle von Diskau vnd Herrn Abraham von Loß, deren dieser einer von einem ehrlosen Wälschen à ville Juiffe in einem Kampff als Second (Mittmann) eines Dänischen von Adel Crabbé, in die Brust gestossen vnd nach 12 Tagen nicht ohne mühe begraben worden) vnd aber den Händeln mit solchem eyffer nachgesonnen, daß ich, meines Kopffs fast nicht mehr meister, darob gleichsam in einer Entzuckung lange zeit gelegen.

Da mich dauchte, ich gienge in dieser großen Statt oder Welt, verirret herum, der Mänschen Wesen vnd Wandel hier vnd da zusehen vnd zuerwegen; vnd indem ich von einer Gasse zur andern hin vnd her spatziret, die Mänschen aber, als vber einen Albaren vnd Frembden, sich genug erlacheten, mich einen langen Spannier scholten, die Kinder mir nachluffen vnd mich mit Steinen vnnd Kath wurffen; Auch je mehr ich mich eilete vnd beflisse, den Leuten auß den Augen, mir aber auß dem gelächter, gespött vnd gefahr zu entkommen, je mehr ich, wie man sagt, in die brühe gerathen.

Dann da kame ich in eine Gasse, namens La Colere, prez [Rand: Hader Gasse / eine ganze / Straß] la rue des mauuais garçons, welche allenthalben mit tumult, mit zancken vnd beissen, mit hauen vnd schmeissen, mit schlagen vnd balgen erfüllet, so daß ich mit grosser mühe vnd noth, nicht ohne blutigen Kopff, den ich zum Zehr-gelt davon brachte, durchtrange.

Dort kam ich in eine Strasse, namens la Debauche, da [Rand: Schwälger / Gasse deßgleichen] ich gewar wurde, wie alles mit raßlen vnd praßlen, mit schreyen vnd speyen, mit fressen vnd sauffen, mit huren vnd buben wimmelte, dort durch mehr andere bekante ort, da es nicht besser als in jetzt erzehlten auch herginge, dessen ich mich dan häfftig verwunderte, zum theil so bekümmerte, daß ich mich in ernst schier nicht mehr erholen können.

In dem ich nun wie Stotzen Hänsels Kuhe, also verstabert stunde vnd nicht wußte ob ich hinder sich oder vor sich wolte; dann je mehr ich fort gienge, je mehr dauchte mich, daß ich in das spiel geriethe, da hörete ich eine stimme die mir nach ruffete:

Abren madon badil cadilin pasin adum loren masaron [Rand: Poligraph./ Trithem./ lib. 3.] damis bodi omis![33]

Ich aber dessen vngeachtet gienge fort, damit nicht etwan, wo ich antwort gäbe, von jemand möchte erkannt werden. Aber bald hörete ich noch fäster ruffen:

[Rand: Id. Lib. 4.] Amolach bonefar astrafai acalach chaba melan arabias morison osiel acanasor thombas!

Vnd als ich mich dessen auch nicht annehmen noch gehör geben wollen: Hörestu du nicht? sprach er ferner, du Hebraischer Moyseskopff! Weil mir nun die stimme auf den fersen war, vnd ich mich zu verhütung grösseren geschreys umbkehrete, sihe da war es ein Erbarer Alter Mann, der mir mit des orts gewohnlicher Ehrerbietung zu sprache. Anzusehen war Er unbärtig alß ein alter Mönch, mit einer Beltzkappe vff dem Haupt, Einen Beltzin Rock umb sich, Ein Paretlin in der Hand, Einen Degen an der seite als ein Alter Rathherr; sein Wesen betreffend, so war er eines Ehrlichen vnd Ernsthafften Thuns. In meinen fleischlichen[34] Augen kam er mir vor, als Rabbi Poppel Poy; insonderheit, weil er mir mit Hebraischem Namen zugeruffen.

Wiewol nun diese gebrochene Wort: Exp. Rob. auff seinem [Rand: Expertus / Robertus] lincken Ermel, doch mit leslichen Buchstaben, gestücket stunden, welches dan in vblichem brauch war, zu der zeit da man die Nase noch nicht vff den Ermel gewischet wie jetzund, vnd dannenhero ich seinen Namen vnd Stand vnschwer errathen können; Jedoch vnd auß bedencklichen vrsachen: Wer seit ihr gut Freund? sprach ich, es scheinet, ob ihr mich nicht recht kennet vnd für einen andern haltet. Dann ob ich schon vor dieser zeit den Hebraischen Doctor Arx mihi firma Deus in die fünff jahre offentlich vnd [Rand: Blankenburgius] sehr fleissig gehöret, bin ich doch in solcher Sprach jetztmahlen so arm, daß ich einen Hund mit נבא schwärlich könte auß dem Offen locken. Zu dem ist dis ja ein seltzamer Name, den ihr mir da [Rand: von Namen] gegeben, dessen ich mich billig zuverwunderen habe. So sehr nicht, sprach der alte, dann die Reichs-Cammer mit. der Rosen dergleichen Namen vor etlich hundert Jahren schon im Rath gehabt, vnd ist derselbige nicht allererst jetzt von mir erdacht worden, wie in beykommenden fällen vngünstige Leute zwar gerne zu argwohnen pflegen. Das ist wohl wahr, sagte ich hinwiderum, doch ist bekand, daß so wunderseltzsame Namen allein offtmahlen einem Ehrlichen Mann vnd mir selbsten schon an gutem glück verhinderlich gewest, weil viel Mänschen dafür halten, daß ein seltzamer Name auch einen seltzamen kopff an sich habe. Nicht ohn ist es, sprach der Alte, vnd das macht, weil viel Junge Narren, wann sie kaum das Alpha Fitta Gamma lassen können, so bald ihre Namen nicht nur mit dem in Lateinischer sprach gebräuchlichen us vnd ius, sonder mit ussius, mit igius, mit inus, mit anus vnd asinus [Rand: Narren / Namenbuch] mit Griechisch vnd Hebraisch verbrämen. Es will keiner mehr Roßkopff heißen, sondern Hippocephalus, keiner will mehr Schneider heißen, keiner mehr Schuster, keiner Weber, keiner Schmid; sondern Sartor, Sutor, Textor, sondern Sartorius, Sutorius, Textorius,[35] Faber vnd Fabritius; nicht Schütz, sondern Sagittarius etc. Zum offtern mit höchster schmach vnd verringerung ihrer selbsten, wie dorten beim Poeten.


[Rand: Martial 6. 17.]

Cinnam, Cinname, te jubes vocari.

Non est hic, rogo, Cinna, Barbarismus?

Tu si Furius ante dictus esses,

Fur ista ratione dicereris.


Aber wie das Urtheil vieler Menschen ungleich, widersinnig vnd betrüglich ist, also hastu darumb dich deines von vielen deinen Voreltern also anererbten ehrlichen Namens nicht zu schämen. Mein Name aber, sprach ich ferners, ist Philander von Sittewald. Ja, sagte der Alte, also nennestu dich zwar jetzund. Vnd dergleichen ist von einem Ehren-Mann in ehrlichen Schrifften vnd Handlungen offt geschehen; in Paßquillen aber vnd Schmachschriften, die ad speciem gehen vnd dolo malo geschehen, zupracticiren hochsträfflich verbotten. Dein Name ist mir sehr wol bekant. Erinnere dich nur dessen, was vor Jahren ich mit dir im Teutschenland, jenseit des Rheins, zu Sittewald, wie du es nennest, an der Kintzig, da ich dich daß erste mahl gesehen, als du eben neben deinen werthen Freund König den alten Gruterus besuchet, wohlmeynend gesprachet, so wirstu dich vor mir nicht viel zu verhälen haben, sondern mit mir in wahrer vertraulichkeit, vnd zwar zu deinem besten, gebahren.

Wie kompt es dann, sprach ich weiters, daß ihr so vnlustig, wie mich duncket außsehet? Zwar ich weiß wol, antwortete der [Rand: Jugend thöricht] Alte widerum, daß du nach weise der thörichten Jugend dir der Welt unart noch wenig lassest zu Hertzen vnd Gemüth gehen, sondern noch alles hin auff die leichte Axel nimmest, derowegen mehr auff Lust vnd Kurtzweil, als auff Frommen vnd Nutzen [Rand: Alte wunderlich] siehest. Ich aber, Ihr Alte seit wunderliche Leute, sprach ich, vnd in gemein könnet ihr nicht wohl sehen oder leiden, daß Junge Leute auch etwas Freude und Kurtzweil haben, sondern seit darauff[36] auß, wie ihr dieselbe entweders gar abschaffen oder doch mercklichen wehren vnd hinderen möchtet: »da ihr doch selbsten, wann ihr Alters vnd Ehren halbers köntet vnnd dörfftet, ein gleiches vnd mehreres nicht unterlassen wirdet. O wie manchen vnder Euch verdreußt es manchmal daß er jetzt nicht mehr kan wie vor diesem. Es ist an dem, daß ihr abscheiden, die Welt gesegnen sollet vnd davon müsset, dahingegen ich allererst einen schritt oder zween in dieselbige gethan habe. Derohalben so laßt mich auch vnbekümmert, dann es mir ja in der Welt so wol gilt als einem anderen.«

Warauff der Alte anhube zu lächeln vnnd sprach: Mein Kind, ich will dir weder deine Freude noch die vermeynte Wollust wehren. Es ist fürwar auß lauterem mitleiden vnd erbarmen geschehen, das ich dich herumgeruffen, weil ich zum offtermahlen gesehen vnnd erfahren, wie die vnbedachtsame Jugend der guten zeit so wenig achtet vnnd dieselbe so thöricht laßt vorüber schleichen. Dann [Rand: Tempus / aestimabi] Lieber, weistu auch wol, was eine Stunde werth seye? Hastu auch jemahlen bedacht, wie hoch ein tag zu achten, wie theuer die zeit zu schätzen? Ich glaube sicher, du weissest es nicht, dieweil du sie so übel anlegest, vnd eine Stunde nach der andern vnvermercket sich lassest verliehren, welche nimmermehr mag wider gebracht werden. O deß köstlichen vnnd edelen Schatzes der Zeit! wie wenig wird ihre Würdigkeit in obacht genommen! Hat dir auch die vergangene zeit jemahlen versprochen, wider herumb zu kommen, wann du sie bedörffen möchtest? verstehest du wol schon so viel in Frantzösischer Sprach, was gesagt seye: Peser le feu, mesurer le vent, faire revenir le jour passé, c´est chose impossible? weissestu wol die verlohrene tage wider herum zuruffen? Nein warlich, sie gehen vnd laufen dahin vnd kommen nicht wider. Die zeit ist gleich einer güldinen Ketten: ein jeder Tag ist ein geleych, zu ende welcher an statt eines Kleynods hanget [Rand: der Todt] der Todt, dem du vielleicht am nächsten bist, wann du vermeynest am weitesten davon sein; dann in warheit, wie du dein Leben anstellest, so ist leicht die rechnung zu machen, der Todt werde bey dir anklopffen, ehe du es möchtest innen werden. Ein Narr [Rand: Ein Narr] stirbet alle Tage, auß forcht daß er dermahlen eines sterben muß, ein Gottloser aber lebet alle Tage, als ob er nimmermehr sterben [Rand: Gottloser] solte, vnnd fühlet den Todt nicht eher als in dem abscheiden, da[37] dann die Forcht so grausam bei ihm ist, daß weder an Seele [Rand: Ein Weiser] noch Leib zu helffen. »Der aber ist Weise, welcher alle Tage also lebet, als ob er alle stunde sterben müste.«

Ich muß bekennen, das auff solches einreden des Alten ich mein Gemüth ermundert vnd mich nicht wenig der vergebenen Eittelkeit, damit ich bißhero umbgegangen, geschämet hatte. Aber was ist jetzo euer Vorhaben? sprach ich nachmahlen zum Alten. Meine Kleidung, antworttete derselbe widerum, vnnd mein Ansehen geben genugsam zuerkennen, wer ich seye vnd was ich beginne: Nemblich ein Ehrlich Mann, den die Welt nicht sonders achtet, der aber die Warheit lieb hat, vnd der auch, wann es von nöthen ist, die Warheit darff heraußreden. Ich bin der, wie du weissest, der nun bei zwölff Jahren in Austrasia mit vnd vmb dich gewesen. Männiglichen gibt vor, er liebe vnd ehre mich, so ich dann zu ihnen komme, so ist nichts dahinder als blosse wort, vnd das bekümmert mich dan, wie solches an meiner Ernsthafften Gestalt wol zusehen.

Aber mein Sohn, hastu lust, die Welt zuschauen, wie ich mercke, so komme mit mir, ich will dich in derselben vornembste Strasse führen, in welcher alles das beysammen zu finden, was sonst hin vnd wider durch die gantze Welt nur stucksweise ist anzutreffen. Ich will dir die Welt nicht in einem Spiegel oder gemälde weisen, sondern in sich selbsten, wie sie in ihrem Wesen ist: dann was du bißher gesehen, ist nur die blosse schelffe vnd schein dessen, so ich dir will förter zeigen.

[Rand: Heuchelstrasse / die vornembste / in der Welt] Wie heisset dann, oder Teutsch zu reden, wie nännet man dann die vornembste strasse der Welt? sie wird, sprach er, genannt Heuchelstras. Sie ist die grösseste in der Welt, dann sie von dem Oberen Thor bis zu dem vndern Thor, vom freto Anian biß zum freto Magellanico, von Nova Zembla biß in novam Guineam, von Ormus bis nach Sevilia, von Grönland bis nach Sumatra, von Cabo Bonae Spei bis nach Archangelo gehet.

Die Vornemste vnd nachdencklichste Gebäue darinnen sind


1. vnd zum Eingang Ein schönes Portal von zierlichen Politischen Grifflein aufgeführt, mit der überschrifft

[Rand: Politici] Male. Nisi. Deo.
[38]

2. Ein köstliches Haus von herrlichen Juristischen Ausfluchten erbaut, mit der überschrifft

Male. Nisi. Proximo. [Rand: Juristae]


3. Besser hienein Ein hohes von weitem hellscheinendes Gebäu, beneben einem Garten mit Geistlichen Labyrinthen ausstaffiret, sampt der überschrifft

Male. Si. In. Foro. [Rand: Clerici]


4. Nicht weit davon Ein niedriges aber wohlgesetztes Gebäu von Mechanischer Arbeit mit dieser überschrifft

Soli. Deo. [Rand: Opifices]


Ends ein Anderes viel schöneres Portal zum Außgang mit Galenischem Laubwerck, Hippocratischen Läuffen, Aesculapischen Säulen, vnd Theophrastischen Grotten gezieret, sampt der überschrifft

Sibi. Soli. [Rand: Medici]


Vnd ist Niemand vnder den Mänschenkindern, der nicht eine Wohnung, oder doch auffs wenigste eine Kammer oder Auffenthalt in der selben einem habe. Etliche wohnen beständig darin; andere je zu zeiten; andere ziehen nur durch ohne ferneres auffhalten nach art vnnd manier der Gäste.

Zum Exempel, den du bey jenem Eck selbander herkommen siehest mit einem busch Federn, güldiner Kette vnd zerfetztem Kleid, ist ein Ertzheuchler, Ein Pfeffersack; will ein Juncker seyn, [Rand: Pfeffersack] vnd sein Vater war ein Schneider; da er doch billich seines Herkommens wahrnehmen vnnd vielmehr bedencken solte, wie er seinen Worten Krafft geben, als wie er den Jungen, der ihm nach passet, in sondere farben kleiden möchte. Hat kaum so viel im Säckel gehabt, daß er den Adelbrieff bezahlen vnnd einen Stall, mit gunst zu melden, kauffen können; sich doch, vngeachtet aller Ehrbarkeit, nicht mehr Metzger, nicht mehr Wagner, nicht mehr[39] Müller, nicht mehr Rett, nicht mehr Frett, nicht mehr Trett, nicht mehr Hett, nicht mehr Wett, sondern Herren von Metzegern, Herren von Wagegern, Junckern von der Mühlen, Herrn von Retten, Herrn von Fretten, Herrn von Tretten, von Hetten, von Wetten, will tituliret, titilliret, respectiret, reputiret, reveriret, ceremonisiret haben, damit er vnder die Altgeborne von Adel, vnder die Alte Ritterschafft, Ancienne Cheuallerie genant, nicht nur gerechnet, sondern auch denselbigen gar möchte vorgezogen werden.

Sihe dort einen anderen, der sich stellet, als ob er eines [Rand: Junge Räthe] grossen Fürsten vnd Potentaten Rath wäre, der doch mit all seinem verstand kaum einen Hund könte auß dem Offen locken. Damit er aber für den jenigen angesehen vnd gehalten werde, der er sein will,[40] so stellet er sich dem ansehen nach gar ernstlich, siehet saur, redet wenig, wiewol er sonst vber alle massen als eine Atzel beschwätzt ist, wirfft je zu zeiten ein Italianisch oder Spanisch Wort mit vnder, auf daß man dafür halten vnd meynen solle, alle diese Nationen habe er gefressen; trägt grosse Hosen, gehet langsam vnd so zu reden nach dem tact, Fuß für Fuß, als ob alle seine Schritte vnd tritte durch den Euclidem abgemessen wären; besihet sich selbst hinden vnd fornen, ob er sich noch kenne? ob er der noch seye, der er gewesen? oder ob er der Mann seye, vor den er sich jetzo selbest halte?


[Rand: Owen 1. 2./ Ep. 62.]

Per totam Felix holosericus ambulat Urbem

Qui vix toto Urbes vidit in Orbe duas.


Aber im Werck ist er nur ein Heuchler, will der witzigste sein vnd anderen rathen, da es ihm doch zu mehrmalen an dem sensu communi selbsten ermanglet. O Es gehöret mehr dazu alß Einbildung, wer eines Fürsten Rath sein will. Es muß da ein [Rand: Fürsten Räthe] grosser Eyffer vnd Fleiß seyn, Ein vnverdrossenes Ernsthafftes gemüth, Ein Geschäfftiger, fertiger Mann, der Getreu vnd Verschwiegen seye, der Niemand förchte alß Gott vnd der nechst Gott Niemand liebe als seinen Herrn. Er soll in seiner Jugend vil gelesen, wohl gereyset vnd sich auch im Kriegswesen versucht haben, in allen Geschichten, sonderlich aber seines Herren Land vnd Leute betreffend, wohl erfahren seyn. Wan das nicht ist, so ist das ander, daß er billiger ein Ja-Herr als ein Ratherr zunennen: der andern muß volgen, in dem, das er selbsten weder erfahren noch verstehet. Nam in omnibus fere conventibus non desunt [Rand: Cominaeus./ lib. 2.] qui nihil quidem ipsi pronunciant, sed aliorum sententiam, etsi nihil intelligant, sequuntur, eoque ipso placere saepe student et gratificari ei quem vident in illustri loco positum.

Sihe ein wenig beyseit vnd betrachte diese alte Narren dort, welche, damit sie in allem, insonderheit bei dem urtheilfälligen[41] Frawenziffer, einem Jungen Mann gleich geachtet wirden, ihre Haare vnd Bärte mit schwartzer farbe vnd Bleyinen strählen büssen! alle Tage die Backen mit dem Schermesser schaben vnd schinden lassen. Die Thoren meynen vnd bilden sich ein, dergestalt den Todt zu bereden, ob sie noch lang zu leben hätten, als wan er die zahl ihrer Monden nicht solte wissen.


[Rand: Martial I. 3/ Ep. 43.]

Mentiris juvenem tinctis, Lentine, Capillis:

Tam subito Corvus, qui mondo Cygnus eras.

Non omneis falles: scit te Proserpina Canum,

Personam capiti detrahet illa tuo.


[Rand: Junge/ Messieurs] Sihe dort gegen vber etliche Junge Nasweise Messieurs, die sich stellen, als ob sie bereits die Witz alle gefressen; wollen männiglichen mit ihrem Aequivociren vnd Scholasticiren in ein Bockshorn treiben; wissen auß nichts als Bartolo vnd Baldo, Galeno vnnd Celso; von nichts als Attributis, Reservatis vnd Casibus Conscientiae zuerzählen; scheuen sich auch nicht, den Alten erfahrenen vorzumahlen, was vnd wie sie ihre sachen zu Erhaltung des Römischen Reichs Frieden vnd Freiheit in rerum statu anordnen vnnd bestellen sollen; wollen wissen vnd Rathen, vnd wissen nicht quod Senatus à Senio, à Iuvenibus dicatur Iuvenatus.


[Rand: Des Accords / p. 48./ Owenus Monostich./ 55./ 56. 57.]

à Senibus Prisci sumtum dixere Senatum:

Est robur juvenum, Consiliumque senum.

à Sene consilium quaeras: Prudentia rerum

est illis, sine qua Curia quaeque perit.

Urbes, Regna, Domos juvenum quos rexerit ardor,

sint quanquam fortes, certa ruina manet.
[42]

Weislicher handlen die jenige, welche das Alter wegen seiner Erfahrenheit, die allein einen verständigen Mann machet, Lieben vnd Ehren. Eine elende Blindheit der Jugend, wann sie sich [Rand: Dunckel der / Jugend] duncken lasset, vnd ihre Vnwissenheit nicht erkennet! Mercke du dieses, ist dir nicht auch also?


[Rand: Owen lib. 2./ Ep. 39.]

Omnia te, dum junior esses, scire putabas,

Quo scis plus, hoc te scis, scio, scire minus.


Durch großes Pralen vnd Aufschneiden wird keiner Weise, sondern gibt nur seinen Vnverstand den Mänschen desto mehr zu erkennen.


[Rand: Owen 1. 3./ Ep. 48.]

Uberiora ferunt valles, brevioraque montes

gramina, Multum humilis mens sapit, alta parum


Stillschweigen ist der Jugend beste Kunst,

Red vngefragt der Jugend macht vngunst.


Schaue, da üben auf der Lincken seiten, das klintzerli klin [Rand: Doctor Fürtzel] Manly do; du glaubest nicht, das Er aller welt witz allein gefressen? noch darff er auß Eigenlieb sich dessen offentlichen berühmen. Alle Mänschen sind ihm Unmänschen. Alle Gelehrte sind ihm Thoren vnd Narren, vnd ist kein Stand, den er nicht zierlicher, bequemer vnd besser weiß vorzumahlen, dan von Anfangs der Welt je einer thun mögen, Also das alle Mänschen vor ihm nichts verstanden haben, auch nach ihm vnd ohne ihn nichts werden verstehen können. Wie so? sprach ich, und durch was mittel vermag er so grosse dinge? Vermittels Eines Bryllenrohrs, das Er La Gamba pflegt zu nennen, durch welches bequemlichkeit Er nicht nur die unvollkommenheit vnserer bißhero außgeübten Philosophi, sondern auch die Nichtigkeit der Edelen Medicin, die Falschheit der Herrlichen Iurisprudentz, Ja sogar die vngewißheit vnserer vnfehlbarer Principiorum Theologicorum entdecket; sondern auch so vil hirnfertiger Weise ersehen, wie alle diese hohe Künste vnd Wissenschafften, mit drei oder vier Buchstaben, nicht nur reflexive, sondern auch archipodialiter, einem jeden Fantasten unvermerckterweise einzugiessen; vnd also krafft dieses la Gamba mehr vermag, alß alle Rabinen[43] mit ihrem Schemhamphoras je vermögt haben. Wannen hat er dan, fragte ich, so hohe Geheimnussen erlangt? Er kan, Antwortete der Alte, mit dem Gras vnd Kräuttern reden, von denen hatt er alles dieses erlernet. Das möchte ich auch lernen, sprach ich. Es ist dir unmüglich, sagte der Alte, du bist zu hoch vnd weit von der Erden, diser aber ist nahe beim Boden, darum hört er auch das Gras wachsen vnd hat so grosse Einbildungen von sich selbsten. [Rand: Eigenlieb] Aber so dan geschicht es, daß Wer zu viel von sich selbst haltet, vff den halten andere Leute desto weniger.

Soltestu wol glauben, das jener köstlicher dort ein Schneider wäre? gleichwol ist er ein Schneider vnd bleibt auch ein Schneider sein leben lang, ob er schon an Kleidung einem von Adel nichts will bevorgeben; dieser ist auch ein Ertz-Heuchler. Zu Sonn- vnd Festtagen verstellet er sich dergestalt in Seiden, Sammet, Atlas, in Silber vnd Güldine flecken, stücker, Nestel, Schnür vnd Bändel; daß, wo man alle Ehlen in der Welt, alle Scheren vnd Nadlen, Alle Fingerhüte vnd Wachsknollen zu rath fragen solte, wer dieser Esel wäre, sie ihn nicht mehr kennen wirden, dann sein Stand vnd Tracht können sich in Ewigkeit nicht zusammen reymen.

Ist derowegen die lose Heucheley eine allgemeine seuche in allen Ständen, auch bei den geringsten Handwercken, die alle sich in ihrem Wesen selbst schmeichlen vnd Liebkosen, so, daß keiner sich selbsten mehr recht kan oder mag erkennen.

[Rand: Schuhflick] Ein kahler Schuhflicker haltet jetzt in seinem Sinn von sich selbsten so viel, daß anstatt seines gebürlichen Namens er sich einen Conservatorem Calceitatis, einen Herren-schuster, Stiffel-schuster darff träumen lassen.

[Rand: Kieffer] Der Kieffer düncket sich auch eines bessern Namens werth seyn vnnd nennet sich deßwegen deß Bacchus Hoffschneider, alldieweil er dem Wein seine Kleidung zu werck richtet.

[Rand: Stallknecht / Cammerdiener / Hencker] Der Stallknecht träumet sich einen Stallmeister; Der Cammerdiener einen Hoffmeister; Der Hencker supremum judicem, ein [Rand: Gauckler] Hochrichter sc: wan er auff der Leytern sitzet; Der Gauckler einen [Rand: Zechhauß] Zeitvertreiber. Das Zechhaus, Rathstube, de virtute in virtutem, [Rand: Zöllner] von einem Wirthshauß in das andere; Der Zöllner Schatzmeister;[44] Der Schöffen Stattmeister; Die Huren freundliche Jungfrauen; Die [Rand: Schöffen./ Huren./ Kupplerinne / Gauch / Hurerey / Wucher / Betriegerey / Lügen / Boßheit / Bernhäutere / Dollheit / Edelknab /Lacquay / Schalcks Narr / etc.] Kupplerinne Gottsförchtige Matronen; Der Gauch geduldigter Job; Hurerey Freundschaft; Wucher Häuslichkeit; Betriegerey Geschwindigkeit; Lügen Auffrichtigkeit; Die Boßheit Wackerkeit; Ein Bernhäuter Friedliebender; Dollkühnheit Dapfferkeit. Der Edelknab (Page) Ehrenhold; Der Lackay Trabandt; Der Schalcksnarr Höffling; Ein schwartzer Schleppsack Brauns Annelein; Ein Esel Doctor; Ein jeder langer Mantel will Herr Candidatus, Ein jeder Balger Herr Capitain, Der nur ein gut Kleid an hat, Bester Juncker, Ein jeder Glöckner Ewer Würde, Ein jeder Dintenfresser Secretarius, Ein jeder Blackvogel Edel Ehrenvest vnd Hochgelehrt tituliret werden. Aber vnder diesen allen ist keiner das, was er seyn will. Keiner will seyn, was vnd wer er ist. Also ist eytel Heucheley, Lügen vnnd Triegerey in allen Ständen, vnd nachmahlen heysset es: Mundus Opinione regitur, Mundus titulis titillatur.

Vnd wann ich eben die Teutsche Warheit reden soll, so haben [Rand: Heucheley alles / vbels Vrsach] Zorn, Schwälgerey, Stolz, Geitz, Uppigkeit, Faulkeit, Mord vnd viel tausend andere Sünden einig vnd allein ihren Vrsprung von der Heucheley. Wie grob auch ein Mensch fehlet vnd irret, will er doch solches alles sub specie, praetextu et apparentia alicuius boni, vel necessitatis causa, vnder dem fürwand vnd Schein, Er hab es nicht so böß gemeynt, Er hab es nicht also verstanden, Er hab es ums besten willen gethan, Er hab dißmahlen nicht anderst gekönt, Er hab es auß Noth vnd gezwungener weise thun müssen, bemänteln, vnd zu entschuldigen sich vnderstehen. Aber die Hoffnung der Heuchler wird verlohren seyn, dann seine Zuversicht [Rand: Job. 8. 13.] vergehet, vnd seine Hoffnung ist ein Spinnweb. Dann weil er ein Heuchler vnd Bößwicht ist, wie kann er Hoffnung haben? Weil er sich außgibt vnnd haltet für den, der er nicht ist, wie kan er Hoffnung haben? Ist also ein Gleißner vnder allen Sündern der hochmütigste vnd trotzigste. Dann alle andere Sünder sündigen zwar wider Gott; aber ein Heuchler sündiget wider Gott, mit Gott vnd in Gott; Stellet sich heilig, ist doch ein Schalck im Hertzen. Vnd ob schon in Worten nichts von ihm als das Seinem Gott, vnserm Gott, Ich will Meinen Gott zuhülffe[45] nemen, Unserm Gott sage ichs etc. zu hören, welches dan Heilige vnd Gute Worte sind bey einem Frommen Christen, so [Rand: Carol. Scrib./ Adoles. Prodig./ p. 15.] ist doch Ein Heuchler dadurch nicht desto mehr zu achten si enim eminus tuearis, Ovem arbitreris innocentiae primae, blandientem sinu catulum; si propius, Lupus est; nunquam mansuescit lupina rabies et nunquam magis quam in mentita saevit pace. Ergo Togas male induunt qui saltant.


[Rand: Martial 1. 7./ Ep. 57./ lib. 6. Ep. 24./ lib. 10. Ep. 52.]

Qui Curios simulant et bacchanalia vivunt.

Quaere aliquem Curios semper Fabiosque loquentem

Hirsutum et dura rusticitate trucem

Invenies; Sed habet tristis quoque turba Cinaedos.


Nil lascivius est Carisiano

Saturnalibus ambulat togatus.


Thelin viderat in toga spadonem,

Damnatam Numa dixit esse moecham.


In wehrendem Dicurs kamen wir in mitte dieser großen Gasse, darinnen ich sahe alles das, so der Alte mir vorgesagt hatte; begaben vns deßwegen auff einen hohen Ort, da man alles wol beschauen vnd vbersehen kondte.

[Rand: Leichbegängnussen] Daß erste, so mir zu Gesicht kame, war eine Todtenleiche, so man zu Grab truge, sampt einer grossen mänge Verwandter, Schwäger, Vettern vnd Bäslen vnnd anderer erbettener, die der Leiche nachfolgeten vnd zu Ehren einem ihrer Freunde dem Witwer, wegen seines verstorbenen Weibs das Geleyt gaben. Er, der Leydige, war mit einem schwartzen Tüchin Mantel verhüllet biß auff den Boden, hatte eine lange Traurbinde vmb seinen Hut herab hangen, den Kopf vnder sich haltend, ob wolte er die Schlüssel suchen, wie jener Apt; gienge langsam vnd als ob er vor mattigkeit erligen wolte. Ich, auß bewegnuß vnd mitleiden, wie ist, sprach ich, der[46] gute Mann zu bedauren vnd betrauren, daß er in ein so grosses Haußcreutz gerathen! O ein seelig Weib, die so inniglichen von ihrem Mann vnd Freunden wird beweinet vnd o Ein betrübter Mann der eines so Edelen Weibs muß beraubet leben. Ach, sprach der Alte, mein Sohn, nur gemach, nur gemach, tout beau! nicht Urtheile so bald, dann dieses alles, so du siehest, ist eine eytele Heucheley, Ein geschmincktes wesen. Alles, was da geschicht, ist angenommener, gezwungener weise, es gehet nicht von Hertzen, ist lauter Scheinsal, vnnd wirst du bald erfahren, wie sehr das innerliche thun dem eußerlichen Anschauen sogar nicht gleiche. Lese du die Carmina funebria, die Leichgedicht, so der verstorbenen zu Ehren gemacht worden. Höre das Gepräng der Abdanckung, warin des Rühmens der Person, Geburt, Herkommens, Stammens, Namens vnnd Standts titul, der Freundlichen Frawen, der Lieben Frawen, der Frommen Frawen, der Trefflichen Haußhälterin, des Güldinen Hertzens, des Edelen Schatzes, des traurens, des klagens kein ende ist.

Wer wolte nicht meynen vnd sagen, daß alles dieses Prächtige wesen vmb hoher Ursachen wegen angestellet vnnd warhafftig wahr wäre! Aber wisse, daß dasjenige, so in dem Sarck liget, ist [Rand: D. Meyfart,/ Jud. Extrem./ part. 2. cp. 3./ p.55/ vnd Höll:/ Sodom: lib. 1./ cap. 8. p. 196/ et cap. 12./ p.239.] weniger als Nichts, dann schon bey seinen Lebzeitten war der Mänsch Nichts, vnd solches Nichts ist durch den Todt noch mehr geringer vnd noch Nichtiger geworden. Ist also auch alle Ehr vnd Pomp, so deßwegen angewendet wird, lauter Nichts vnnd so wol im Todt deß Mänschen alß in dessen Leben die vnbeständige flüchtige Eitelkeit daß beste. Gewiß ist es, dz dieses Mannes Weib in Ewigkeit nimmermehr also wäre gelobt worden, wan sie bey Leben verblieben wäre. Laedimus insontes vivos laudamus eosdem defunctos. Auch die grosse scheinbare Traur, so die Nachfolgende sehen lassen, gehet weder von Hertzen noch zu Hertzen, geschicht allein darumb, weil es also der Brauch vnd Gewohnheit ist, vnd Sie zu solcher letzten Ehre vnd Begängnuß sind beruffen vnd eingeladen worden. Wünschten theils vielleicht lieber auß einer oder [Rand: Leichgedancken] der andern ihnen bekandten Ursach, daß der Teuffel den Todten sampt der gantzen Freundschafft hinweg hätte. Anstatt daß sie sich bey diesem Exempel erspieglen, sich der Sterblichkeit vnnd ihres [Rand: Leichengespräch] Endes erinneren vnd dazu geschickt halten solten, so fangen sie an von der verstorbenen Letztem Willen oder Testament vnd der[47] verlassenschafft zu erzehlen. Der eine sagt, er wäre in streit vnd mißverstand mit dem Leidigen, auch zu dem der Verwandtnuß nach ihme so nahe nicht beygethan, nehme ihn wunder, warum man ihn zur Begräbnüß beruffen lassen, bevorab weil er andere vnd wichtigere Geschäfft dadurch versäumet hätte, mit Gelt Einnehmen, mit Wechselzahlungen, mit Rathßverrichtungen, mit Grävlichen vnd Fürstlichen Bestellungen! Ach wer weiß, obs war ist.

Eine andere sagt, man hätte ihr die gebührende Ehre nicht angethan, hätte Ehren vnd Verwandnuß wegen wol weiter davornen gehen sollen, der Teuffel soll also ins künfftig einem Freund mehr dienen. I wott E, dassä Hexä rittä. Einem ist die verstorbene eine stattliche Haußhälterin gewesen, dem anderen eine Mistfeige, Schleiffe vnd Kötsche.

[Rand: Wittwer] Der Wittwer selbsten ist so bekümmert nicht, wie er sich stellet, vnd du ihn dafür ansiehest; ist meist darumb traurig, daß er so viel Unkosten bey der Begräbnuß auffwenden muß, die doch eben wol mit minderem Gepräng vnd wenigerem seinem schaden hätt geschehen können. Sagt bey sich selbsten, daß, weil sein Weib je hab sterben sollen, sie es vor langem hätte thun können, ehe der Doctor vnnd Apothecker so viel Kosten auffgeschrieben vnd getriben. So hoch ist der gute Mann bekümmert, daß er sich tausenterley Gedancken macht, wie bald? wie? wo? vnd welche? er ehest widerum Freyen wolle? kommen ihm viel Schöne vnnd vorträgliche Liebgen im Sinn, vil werden ihm tröstlich angetragen, so, daß er nicht weiß, wessen er sich entschließen solle. Wird also das grosse Leyd bald in Freude, die Trauer vnd der Todt in eine Neue Auferstehung verwandelt werden.

[Rand: Vrtheil der / Mänschen / falsch] Ich stunde da vnd hörete dem Alten so fleissig zu, daß ich meiner selbsten darob vergaß vnd daß Maul auffsperte wie ein Narr, vnnd in dem ich mich wider erholet, sprach: Ja freylich ist das Ansehen Mänschlichen Wesens seiner Natur gar nicht gleich, will deßwegen mich in das künfftige wol bedencken, ein Vrtheil von ichtwas zu fällen; vnnd die sachen, so mir am scheinbahrsten vorkommen, will ich hinfort vor die verdächtigste vnd betrieglichste halten.

Indeß erhub sich ein grosses Geschrey, als ob man (ein Octo)[48] auff acht Stimmen zusammenheulen wolte, wir folgeten dem Ort, vmb zu vernehmen, was es bedeuten möchte, vnd fanden in einem Hauß eine Junge Wittib, deren der liebe Mann vor zwei Tagen [Rand: Wittwe] allererst gestorben. Diese schrye, heulete, seufftzete vnd kluxete dermassen, ob der letzte Athem ihr außgehen und sie verzagen wolte. Bald schlug sie die Hände in einander, wande sie umbher, manibus inter se usque ad articulorum strepitum contritis, rauffte [Rand: Petr. Arbit.] ihr das Haar auß vnd ließ zu zeitten mit vber sich verkehrten Augen einen solchen seufftzer vnd so tief von Hertzen, als ob sie ihn auß dem Bronnen zu Breysach erschöpfen müssen, welches Wesen alles doch dem verstorbenen nicht einen Heller nutzete. Alle Zimmer vnd Cammeren des Hauses waren ihres Zieraths beraubet, die Leidige Junge Wittwe saß in einem mit Traur und schwartzem Tuch behangenen finsteren Gemach, da nicht wol eines das andere sehen konte, welches aber dem Blindmäusigen Frawen-Zimmer zu sonderlichem Vortheil vnd behülff dienete, in dem man nicht sehen konte, wie manche die Thränen herauß gedruckt vnnd gezwungen vnnd das Gesicht so scheußlichen wird verstellet haben, damit sie ihrer Traurigkeit in etwas mögen einen schein vnd gestalt geben.


[Rand: Martial 4./ Ep. 58.]

In tenebris luges amissum Galla maritum:

Nam Plorare pudet te, puto, Galla virum.


Eine der Gevatterinnen oder Gespielen, so die Wittwe in ihrem Leid nach gewohnheit trösten wolte, sprach: Ach liebe Frau Gevatterin, all euer trauern ist vergebens vnd vmbsonst, ihr könt den Frommen Herren damit doch nicht wieder lebendig machen, gebt derowegen euer Hertz in Gedult vnnd nemt Exempel an mir, dann euer Creutz gehet mir so hart zu Hertzen, als ob es mein eigenes ware. Die andere vermittelst eines schröcklichen Seufftzers sing also an zu sagen: Liebe Nachbäurin, ihr solt euch so sehr nicht bekümmern, euer Herr ist ein so seiner Herr gewesen, daß ich nicht zweifele, er sey gewiß im Himmel, stillet demnach euer weynen, dann vnmüglichen Dingen ist doch anderst nicht zu helffen. Die dritte, ach liebe Schwester, du weissest den edlen trost [49] Batzientzia Fintzi Domine! gib derowegen dein Hertz zur Ruhe Gott wird dich bald wider erfreuen! vnd so fortan, Eine nach der andern wußte ihren tröstlichen Weidspruch her zusagen. Je mehr aber die gute Weiblein der Wittwen zusprächen, je mehr sie sich allererst anhebet, sich zu jammern vnd zu beklagen vnnd mit halb gebrochener stimme: Ach daß es Gott erbarme, sprach sie, ich armes elendes Weib, was soll ich thun? Ach, wer wird mich nun trösten vnd erfreuen? wer wird mir nun meine Spindlen hasplen? Wer wird mir jetz mein Betbuch vom schäfftel langen? hab ich doch keinen Mänschen mehr, der am Sontag bei mir am gätter liege? Ach was soll ich nun anfangen? wer wird mich jetzt mehr? Ach mein hertzallerliebster Schatz! wie ist mir dein Abschied so schmertzlich! ach, ich arme Wittwe, wer wird sich meiner in diesem schwerem Creutz doch annehmen! Ach nicht wunder wäre es, ich ließ mich zu ihm in das Grab legen! ich begere doch also nicht länger zuleben, weil ich Den verlohren, den ich lieber gehabt als die gantze Welt! o ich vnseliges Weib! o weh mir armen Witwen? wer wird mich? o weh wer halt mich? ich spring in den Bornnen! Zu diesen figural geschrey kam dann das vbrige ganze Choral-Geheul, indem die andern Weiber alle, mit Naseschneutzen, räusperen, husten, schnupffen, schluxen, kluxen, ritschen, wischen, wäschen, klappern vnd bappeln zugestimmet, daß ich kein Wort verstehen konte, was mehr geredet oder gesagt worden. Dieses alles, sprach der Alte, ist der Weiber Ordnung vnd Weise, vnd meines erachtens ihre gewöhnliche purgation vnd Artzney, in dem sie die boßhafftige Feuchtigkeiten vnnd hartnäkigte Flüsse des Haupts also durch die Naslöcher vnd Augen außtreiben, eben als bey den Mannsleuten die Tabac-Narren pflegen. Aber ich antwortend sprach, daß meines erachtens die gute Wittwe billich zubetrauren wäre, als welche von aller Welt jetzt verlassen, dannenhero auch die Heylige Schrifft sie männiglichen, insonderheit der Oberkeit vnd denen, die Recht vnd Gerechtigkeit außzusprechen haben, so hoch befiehlet, dann, Wie reich auch eine Wittib an allen Mitlen sein mag, so ist sie doch ein armes elendes Weib, dessen man sich so lang annimmet vnd erbarmet,[50] als lang man von ihr kan genieß vnd Vortheil haben, vnnd wann sie der Hülff am nöthigsten bedarff, so ist doch niemand, der sich [Rand: Wittwen] ihrer ohne gesuchten Eigennutz, in sonderheit gegen grossen Hansen, von Hertzen will annehmen. Denn die grossen will niemand erzürnen, sondern jeder bei denselben ein bene oder Lehen verdienen, vnd bleibt bey ihnen

Sic volo sic jubeo, stat pro ratione voluntas.


Ich bin ein Herr,

trotz, der sich sperr,

Recht hien, Recht her.

Ein jeder thu, was ich begehr;

Wer daß nicht thut,

Den kost es Ehr vnd gut;

Ich bin das Recht,

trotz, der mir widerfecht.


Aber wehe denen, die der Wittwen sache nicht recht in acht nehmen, noch ihr Recht befürderen helffen, so sie anderst recht haben!

Nun sehe ich wohl, sprach der Alte, daß du auch nach gebrauch der eitelen Weltkinder deine Geschicklichkeit wilt sehen lassen vnd die Leute glauben ma chen, daß du ein so stattlicher Theologus, ein Geistlichgelehrter Doctor seyest, da du doch warten sollen, biß ich dir die rechte Bedeutung dessen allen, so dir noch vnbekandt ist, erkläret hätte. Aber schwärlich kann ein Mänsch, der sich duncket gelehrt zusein, so weit inhalten, daß er sich dessen nicht [Rand: Eigen witz] merken lasse. Ein weiser Mann kan besser schweigen.


Viel weiser Leut die Welt wol hätt,

Wann nur der leidig stoltz nicht thät,

Der die Leut auch beredt so fern,

Als wann sie jetzt schon Doctor wern;

Wer aber meynt, Er kan es gar,

Der bleibet ein Narr immerdar.


Vnd ist zu besorgen, wann sich der Fall mit dieser Witwen nicht erzeiget hätte, alle deine Geschicklichkeit dir im Leib verrostet wäre. Auch was die Wittib an ihr selbst belanget, so ist gewiß, daß sie, eusserlichem ansehen nach, scheinet, ob ihr gantzes Hertz nichts[51] als Andacht, Traurigkeit vnd Kyrieleyson wäre. Aber die Kleider sind nur schwartz, das Hertz ist grün vnd in frischer hoffnung, bald widerumb einen andern Mann an dem gätter vnd an der seite zu haben, Ihre Thränen sind herauß gepresset vnd gezwungen, lacrymae ad ostentationem paratae, ihre eusserliche Gestalt ist triegerey.

Wiltu aber das Hertz erforschen? mein, so lasse sie allein, das sie niemand wisse, du wirst den Betrug vnd Heucheley bald erfahren, wie sie nemlich sich so frisch erzeigen vnd einen Sarrabanden daher singen vnd springen werde, so gayl vnd rammelig als die Katzen vmb Liechtmeß immer sein mögen.


[Rand: Martial I. 1./ Ep. 34.]

Amissum non flet, cum sola est Gellia, sponsum,

Si quis adest, jussae prosiliunt lacrymae,

Non dolet hic quisquis laudari Gellia quaerit,

Ille dolet vere, qui sine teste dolet.


[Rand: Wittwen trost] Bald auch wird eine ihrer vertrauten kommen vnd nach der Weiber art ex lachrymis in risum mota sagen: Liebe Gespiele, nur frisch vnd guets muhts, was Elements soll das verfluchte trauren? ihr habt es besser als ihr selbsten meynet, ist schon euer Herr vnd Mann gestorben, botz zipfel, ihr seit noch jung vnnd wacker genug werd euers gleichen bald finden, wann ihr nur wollet: Es liegt nummen an uch: der vnd der haben schon nach euch gefraget: dieser hat schon ein Aug auf euch geworffen, solltet ihr nur einmahl mit ihm zu sprechen kommen, ihr wirdet des verstorbenen bald vergessen; wann es nur also zu thun wär, o weh wie bald wot i mi gressolfiert han. Werrly liebe Nachbarin, wird die andere zustimmen, wanns mir asso wär, i wot mi bald bedächt han; Einer verloren, zehen wider gefunden, I wot dem Roth folgen, den uch min Gevatterin do allewil gän hött, dann werly der vn der höt ein grosse anffechtion zu uch,[52] man mercks an allem sim thun, er ist ein wackerer Kerle: hött ä schwartz Hoor, höt schwartze Augen, höt ein hübst schwartz bärtel. Mayn, er kan eim Blick gän. I Mayn, er kan wohl dantzä. Er ist noch Jung vnd stark, vnnd auer wol wärth, vnd wär werly immer schad, wann er uch nit sott bekommen! Alsdann wird die Wittwe mit verkehrten Augen, beneben einem tief geholten schluxer, fein zimperlich anfangen vnd sagen: O we! was sagenir do? o weh! o wo binni? vergessä? Ja wol vergessä, Ach mein lieber Mann, wie kan ich, wie will ich deiner so bald vergessen! Ja freylich! Ach Gott, es ist noch nicht von Heyrathen zureden! Ich wot wol verschwören, mün Lebtag mehr ein Mann zunehmen, wan es aber ja Gottes sonderbahrer will sin sott, o so wotti au wissä, wassi zethun hätt. Nun bollan.
[53]

Was Gott beschert,

Bleibt vnverwehrt.


Doch, i möcht werly schier lachä, dasser mi asso fexierä, i will auerä guottä roth drumb nit veracht han, i thu mi der guotä vorsorg von Hertzä bedanckä etc.

Siehe mein lieber Sohn, diß ist der Weiber allermeistes [Rand: Strenoph./ pag. 467./ pr. et n. 8.] Wesen, hi sunt viduarum mores; priusquam mortuus elatus est aede, vivus alius elevatus est in corde. Der Mann ist kaum vergraben, vnd ihr Hertz will schon einem andern nachtraben. Ehe der Mann recht erkaltet, so hat sie schon einen warmen in den armen vnd nimt den rothen für den todten; da siehet sie, wo ein frischer hergehe. Was hat sie nicht für ein Mordgeschrey bei dem Grab verführet? wie hat sie sich gestellet? ist in Ohnmacht gesuncken, hat vor Leyd hungers sterben wollen, hat in Bronnen springen wollen, wan man sie nicht vff ihr selbs begehren gehalten hätte; vnd nun wol an: Gedult kan alls vberwinden, thut weit für Reichthum gan; was nicht anderst kan sein, da gebe ich meinen willen darein etc.

[Rand: Schergen] Indem der Alte dieses geredet, erhub sich ein geräusch vnd ruffens in der Gassen, vnd als wir vns vmbsahen, war es ein Scherge, ohne Hut vnd Kragen, mit blutigen Schädel, der verfolgete einen Dieb mit lautem nachschreyen: Hebt den Dieb! au Voleur, au Voleur! hebt den Dieb! hebt den Dieb! welcher aber davon liesse, ob ihm der Teuffel nach dem Buckel greiffen wolte. Da dachte ich bey mir selbsten, gleichwol muß dieser Scherge ein rechtschaffener Mann sein, weil er den Bösewicht so ernstlich verfolget. Aber der Alte sprach: Mein Sohn, dieser Dieb ist sonst deß Schergen bester Freund, mit dem er stets in Würthshäuseren vnd Weinschäncken hien vnd wieder gefressen vnd gesoffen. Weil aber der Dieb ihm nicht part an einer Beute oder diebstahl geben wollen, darumb ist er so erzürnet; vnd wolte den armen schlucker gern an Galgen bringen helffen; dahero Er auch diese grobe stösse von ihm bekommen. Es muß dan dieser Gesell, sprach ich weiter, wol zu Fuß sein, weil er diesem Schergen, deß Henckers Jaghund, hat entlauffen können. Ist also der Scherge nicht wegen befürderung Rechtens, sondern wegen eigenen genieß vnd Vortheils vnder[54] dem scheinbaren Fürwand der Justitien, so eyfferig gewest, sonsten er den Gesellen wol wirde vnberuffen haben vorüberstreichen lassen Dann ja ein Scherge sonst kein ander Einkommens oder Renten hat, als was ihm auf Ruth, Schwerd vnd Strang per anticipationem, zum Vorauß mag gedeyen vnd gebühren. Mein rath, der Schergen vnd ihres gleichen Gesindlein in der Welt abzukommen, wäre, daß die Mänschen es versuchen, vnd ein Jahr oder etliche nicht sündigen wolten, als dann ihr Handwerck erliegen vnd sie hungers sterben müßten: wiewol es heyßt: non tam [Rand: Petr. Arbit.] crimine quam sorte nocentes fiunt. Et suam habet fortunam ratio. wann sie an den Hund wollen, so muß er Leder gefressen haben, ob er schon keines je gesehen.


[Rand: Martial I. 1./ Ep. 33.]

Non amo te Sabidi, nec possum dicere Quare:

Hoc tantum possum dicere: Non amo te.


Vnd wäre einer so fromb als Abel, dann noch, so Scherge vnnd Schreiber Schälcke sind, so müste er den Namen haben, er [Rand: Gerichtschreiber] wäre eine Dieb; welches insonderheit an etlichen Orten in der Welt, da die Schreiber ohne gewissen schreiben, zusehen: indem sie zum offtermalen nur daß jenige in einer Zeugen Aussage setzen, was ihnen wol beliebet, das andere aber aussen lassen; gleichwol, wann sie dem Zeugen die Aussag widerumb vorlesen, so vber alle massen stattliche Gedächtnuß haben, das sie auch nicht vmb ein Wort fehlen, damit der Zeuge es ja nicht mercken könne. Aber gleich wie die Schreiber den Zeugen Meineyds verwarnen vnd, die schlechte Wahrheit außzusagen, mit Eyden beladen; sollte wahrlich nicht vneben, sondern wol nöthiger sein, das die Zeugen heutiges Tags die Schreibere ebenmessig Meineyds verwarneten vnd, die schlechte pure Wahrheit zu schreiben, voranhin mit Eyden beladen thäten, damit sie nicht anderst lesen wolten, als geschrieben; nicht anderst schreiben wolten, als außgesagt worden.

Wie wir nun weiters gehen wolten, begegnete vns von ferne [Rand: Hoffleben] eine ansehnliche Manns-Person, der dem Augenschein nach zwar[55] ein vortrefflicher Herr, aber, als er vns nahete, von innerlichem stoltz dermassen auffgeblasen war als ein Frosch. Er gienge so richt vnd strack als ein boltz, vnnd als ob er mit palissaden (Saketen) vmbzäunet wäre, Langsame, satte schritte, sahe saur vnnd gonnete keinem wol das Gesicht; war vmb den Halß mit einem grossen Kragen vmbgeben vnd dermassen eingespannet, als ob er am Pranger oder Halßeisen stunde; kein Glied noch geleych kondte er bewegen oder regen, sonderen scheinete, als ob ein scheit Holtz mit kleideren angethan vmbher gienge; vnd hätte es ihn das Leben [Rand: Reputation] kosten sollen, wirde er doch zu erhaltung der Reputation (wann ich dieses Worts gedencke, so jammert mich, daß es so viel vornehme Leute zu Narren machet, vnd so viel Potentaten, deren ich vnden einen grossen hauffen in der Hölle gesehen, zur Verdamnuß triebet) auff keine seite gesehen, noch an seinen Hut gegriffen [Rand: Höfflinge art] haben. Ihme giengen nach viel Diener, die auch vermeynten Herren zu sein, vnder welchen ein Fuchsschwäntzer vnd Schalcks-Narr die nächste waren; deren einer je bißweilen herbey trate vnd dem Herren mit tieffer reverentz ein wort etliche in die Ohren pausete. Ha, was ein seeliger Mann ist das! fienge ich an zu dem Alten zusagen, diesem Herren manglet gewiß auff Erden nichts, vnd hätte der Alte Gesatzschreiber Solon, wann er noch bey leben wäre, sein Urtheil (das man niemand vor seinem Ende solte glückseelig preisen) versichert vmb dieses Manns willen gern widerruffen vnnd für vnkräfftig erklären wollen. Da gehet es noch brav her, wo einer sein Gelt zu solchen Ehren vnd so rechtschaffen weiß anzuwenden vnd zu gebrauchen. Es muß ja ein vortrefflicher Herr sein, der so köstliche dolle Diener hat nach ihm her prangen.


[Rand: Des Accords]

Que de Gens vestus de veloux!

Vennez voir les beaux personnages!

Ils suivent un Seigneur trestous

Qui les entretient à grands gages.

Et pourquoy? paix! si tu es sage,

Il n`en faut point dire de mal.

Mais Monsieur à bien du bestail

Il fera s`il veut du formage.
[56]

So elendig ist es auch, sprach der Alte zu mir, in deinem Hirn bestellet, das nach so vielen Exempeln, du dannoch den schein vnd die Farb von dem Eigendlichen Wesen noch nicht kannst vnderscheiden. Es ist hie nichts als Betrug vnd Falsch. Aula est splendida miseria. Alle diese scheinende Herrlichkeit ist ein gelehntes geborgtes Wesen, welches allein auff vergebener Hoffnung vnnd vielen verheissungen bestehet.

Es ist das Hoffleben gleich einem herrlichen, fast köstlichen [Rand: Aulica vita] Bauw, der aber zuletzt vnd am Ende einen krach lasset vnd viel zu boden schläget. Eine herrliche Musica, die anfangs lieblich klinget in den Ohren derer, die es hören, aber zuletzt auf ein la mi endet


Aulicus ingrediens


Welt-Wesen

ascendit in aula


Omnis at in


Welt-Wesen

clausula nostra cadit.


Es heisset Nil hic ita cernis, ut est.

Vnd gewiß, wann du diesem großen Herren in das Gewissen vnnd in den Beutel sehen soltest, so wirde es sich befinden, das zu fortsetzung des scheinbaren eitelen Prachts, so die Welt glückseeligkeit heißet, er zehenmahl mehr mühe vnd Arbeit, sorg, angst,[57] forcht vnnd schrecken muß anwenden vnnd außstehen, als sonst ein armer Taglöhner vmb das tägliche Brod. Es ist mit diesem großen Schein beschaffen alß mit einem Zimmet-baum, das beste an ihm ist die Rinde, dz andere ist alles nicht sonders zu achten.


[Rand: Des Accords / aux touches]

Un jour quelquun me demandoit

Qui est ce brave port-Espée?

Qui a la Chausse decouppée,

Qui je voy marcher ainsy droit,

J`estime qu`il soit bien adroit,

Et qu`il a vigoureuse force.

C`est Canelle, dis je, qu`on voit,

Le meilleur de lui c`est l`escorce.


[Rand: Aulicum] Der witzigste vnder allen seinen Dienern sind der Schalcksnarr vnd Fuchsschwänzer; diese zween haben zu Hoff das prae vnd den vorzug: sie reden dem Herren, was er gern höret, lachen heimlich in die Faust, fressen vnd sauffen das beste, machen sich zeitlich bezahlt vnd lassen den Herren sampt den vbrigen Hoffdienern das Nachsehen haben. Daß Hoffleben ist gleich einem Mann, der Almosen außgibet, bei welchem offt ein starcker Schelm durch die andern tringt vnd dem Armen Mann, an dem es wohl angelegt wäre, das Brod vor dem Maul hinwegnimt, vnd doch dessen nicht werth ist.


[Rand: Des Accords / aux touches]

Sçays tu que ressemble la Court?

Une aumosne parmy la presse,

oú de tous costez on accourt,

Mais, un grand Coquin qui se dresse:

Et plus s`auance, prend la graisse;

Et le petit rien ne reçoit:

Car le donneur, tant on oppresse,

Que jamais il ne l`aperçoit.


[Rand: Aulicum] Dann wer sich zu Hoff schämen, vnd der gelegenheit nicht frisch gebrauchen will, der thut Närrisch. Weil es nicht alle Tag mit vollem Löffel zu Hoff hergehet.
[58]

[Rand: Owen 1. 2./ Ep. 1.]

Nil distant Labor atque Labos, nil Arbor et Arbos

Idem Honor est et Honos: qui Rapit ergo Sapit.


Derowegen so nemme, weil es da ist; sonsten, indem du dich lang bedencken wilt, ob du recht oder Unrecht daran thuest; so ist der Brey gefressen, vnd du zwischen zweyen stühlen nider gesessen.


[Rand: Owen 1. 3./ Ep. 71.]

Praeteriti spes nulla manet, spes nulla futuri

Res abeunt sine spe, spes redeunt sine re

Dum nos praeteriti dolor angit, cura futuri;

Bellua, quod praesens est, capit: Illa sapit.


Sind derowegen theils grosse Herren recht elende Leute, welche eine Lügen, einen Fuchsschwantz so thewer kauffen müssen, vnd sie eh selbsten nothleiden, als daß ihrer Schalcks-Narren oder Fuchsschwäntzer einer manglen solte:


[Rand: Owen 1. 3./ Ep. 38.]

Ergo ne

Atria magna colam? vix tres aut quatuor ista

Res aluit, pallet caetera turba fame.


Ja welche eh alle ehrliche Diener mit Ungunst abschaffen, eh sie einen Suppen-fresser oder Zeitung-flickerin erzörnen wolten. Der [Rand: Aulicum] arme verblendete Herr meynet wunders, was treu er von den Haluncken zu gewarten habe, wie all sein aussnehmen an Ihnen allein stehe, weil sie ihm reden was er gerne höret, zu allem Ja, vnd Recht sagen, GOTT gebe, es müsse das Land darüber zu Grund vnd scheitteren gehen. Aber, gardez Monsieur


[Rand: Owen 1. sin / Ep. 65.]

Qui cuivis quidvis credit, male creditur illi:

Quò credis mihi plus; hoc tibi credo minus.


Rühmen vnd loben ihn, als ob in der Welt er allein ein Cavallier, Ritter vnd Held wäre, vnnd bey den Damen allein den Danck zu gewarten hätte. Ist also zu Hoff irgend ein Esel zu finden [Rand: Efel zu Hoff][59] (wie sie dann alle Esel sind) so ist es gewiß der Herr selbsten, wan er diesen beyden ohne vnderscheid also volget. Taubmannus einsmahls gefragt, was die Hoffleute seyen? sagte: sie sind alle Narren. Dann wie witzig vnd klug sich einer je duncken läßt, so findet er doch allezeit seinen Mann, der ihn Narren kan.


[Rand: Owenus]

Est oculus tibi Quinte unus? metuendus Ulysses:

Centum oculi vigiles sunt tibi? Mercurius.


Gefragt, was aber der Fürst selbst seye? antwortete: Ille est [Rand: Aulicum] eximus. Dessen dieser Hoffmann hie Exempel gibt. Dann wer die meyste sorge, trewe vnnd Arbeit zu hoff thut, den last mann sich zwar wohl zu todt arbeiten, aber hat es doch gemeiniglich am wenigsten Danck. Wie die Westreicher Pferde vor Jahren (Gott erbarme es jetzt) zwar den Habere gebauet, frembde außländische Pferde aber, oder wol Esel, denselben gefressen haben, das heisset:


Sic vos non vobis Habrificatis Equi.

Sic vos non vobis mellificatis Apes.

Sic vos non vobis nidificatis Aves.

Sic vos non vobis fertis aratra Boves.

Sic vos non vobis vellera fertis Oves.


Der Alte konte das Wort nicht wol außreden, siehe, da kam eine vornehme Dame von Hoff auff vns zugegangen, deren eine Matron sampt einem kleinen Lackayen nachfolgeten. Die Gebärden vnd Gestalt dieser Dame waren vbermänschlich anzusehen, gienge [Rand: A la mode / Dame] langsam, wußte im Gehen ihre Glieder so à la monde zu kehren vnd zu wenden, zu rencken vnd zu lencken, das alle die, so sie ansahen, gegen derselben mit vnverhoffter inniglicher Lieb entzündet wurden vnd nach ihr als dem Schlauraffen Land verlangen trugen. Wen sie einmahl zu Gesicht bekame, vor dem verdeckete sie das Antlitz hernach. Welche sie zuvor noch nicht gesehen hatten, denen [Rand: Petr. Arbit.] ließ sie einen Blick oder etliche mobili oculorum petulantia widerfahren: dergestalt als ob ihre Augen voll helles, zu sich ziehendes,[60] ansteckendes, durchtringendes, vberwindendes, verzehrendes Liebesfeuer wären; insonderheit wann sie sich annahme, ob wolte sie den Flur oder Kreppe, oder Mimy, so ihr vber das Gesicht herabfloge, richten. Bald entdeckete sie das Antlitz mir halb, vnnd dann, sich stellende, als ob sie das Halß-tuch stecken vnd sich decken wollte, entblössete sie indem etwas ihre Brüstlein, welche weisser waren als Alabaster anzusehn vnd nach Athem grableten wie die junge Mäusger. Ihre Haare waren zierlich als ein Kunstreiches Kettlein von art vnd von sich selbsten in einander geringlet vnd kräuselicht geschläncket vber die Stirne vnd Wangen herab fliegend. Crines [Rand: Petr. Arbit] ingenio suo flexi per totos sese humeros effuderunt.


[Rand: Martial 4./ Ep. 42.]

Lumina sideribus certant, mollesque flagellant

Colla comae.


Ihr Angesicht war wie der weisse Schnee mit Laibfarben Rosen lieblich besprenget, Ihre Lefftzen wie Corall, Nares paululum [Rand: Petr. Arbit.] inflexae, et osculum, quale Praxiteles habere Dianam credidit. Ihre Zähne wie Perlen, Ihre Hände, welche sie alle Augenblick, das Auffgesetz recht zu machen, auff den Haaren erblicken liesse, waren dem Helffenbein weit vorzuziehen. Mit einem Wort, alle die ihrer ansichtig wurden, vergaffeten sich vnd waren mit Liebe gegen sie gefangen. Ich Narr, sagt Hanß, war durch solche gestalt dieser vortrefflichen Dame selbst dermassen eingenommen, daß ich nicht wußte, wie mir war, vnd meynete, ich müßte auß den Schuhen springen, auch mir gäntzlichen vorgesetzt, Ihro nachzuschleichen, es koste was es wolle; derowegen vnd zu besserer Gewinnung ihres geneigten willens ich hurtig in der Hitz beyseits vnd vngeachtet des Redlichen Frommen Alten hinder meine schreibtafel her, wie die Närrische Poeten in solchen Jahren pflegen, zu sehen, ob ich ihro zu Diensten etwas Lobs schreiben möchte, damit ich des Korbs wegen kein Gefahr zu förchten hätte.

Wohin, wohin? Du vnbesonnener vnd närrischer junger Mänsch, wohin? wie? wiltu deine Sünden, dein poenitere, den Reuer so theur kauffen? denckst du auch noch quod
[61]

[Rand: Owen 1. 2./ Ep. 138.]

– – – voluptas

Venturo praesens empta dolore nocet?


[Rand: lib. 1. Ep. 13.]

Principium dulce est, at finis Amoris amarus;

Laeta venire Venus, tristis abire solet.


Also ruffete mir der Alte auß treuer wohlmeynender fürsorge zu, als er vermercket, daß ich mich so leichtsinniger weise bethören lassen. Ich gehe diesem Engel nach, Antwortete ich dem Alten hinwiderumb, es koste, was es immer wolle; Es müste ja einer ein grausamer Unmänsch sein vnd ein recht steinern Hertz haben, der sich durch solche Gestalt vnd geberden nicht solte gewinnen lassen; man redet doch in den Schulen davon, quod


Aut Deus aut lapis est, qui non juveniliter ardet.


Ist diß nicht ein warhafftiger vnd Heiliger verß, den auch der H. Lehrer Hieronymus zu machen sich nicht geschewet. O seelig der, dem das Glück so wohl wolte, vnd er so eines Edelen Geschöpfs könte theilhafftig werden.


[Rand: Petr. Arbit.]

Quid factum est, quod tu proiectis Juppiter armis

Inter Coelicolas fabula muta taces?

Nunc erat à torva summittere cornua fronte,

Nunc pluma canos dissimulare tuos.

Haec vera est Danae; tenta modo tangere corpus;

Jam tua flammigero membra calore fluent.


Was lusts vnd Heyls soll dem doch manglen, der ohne scheu vnd furcht eines so lieben Bilds darff geniessen? Meines theils wolte ich gern auff alles das andere, was in der Welt mag herrlich genennet werden, ja auff alle Schätze der Americanischen Landen verzug thun, wo alleinig dergleichen Lustbilde mir gedeyen möchte.


[Rand: Plaut. Penul./ Act. 1. Scen. 2./ fin.]

Mea voluptas, meae deliciae, mea vita, mea amoenitas:

Meus oculus, meum labellum, mea salus, meum suavium:

Meum mel, meum cor, mea colostra, meus molliculus caseus.


[62] O Dea mea, per formam tuam te rogo, ne fastidias hominem [Rand: Petr. Arbit.] peregrinum inter cultores admittere, invenies religiosum, si te adorari permiseris. Was durchtringende vnd zwingende blicke ihrer Strahlfuncklenden äugelein? oculi Clariores stellis extra Lunam fulgentibus. Wie fassen vnd gewinnen sie eines Mänschen Hertz so leichtlich! wie vnd wer wolte solchem vbermänschlichen gewalt widerstehen? hat man auch je was schöneres gesehen als ihre Augbrawen, die schwärtzer sind dan Ebenholtz! Nimmermehr wird der Kristall so weiß erscheinen als ihre gewölbte Stirn. Milch vnd Blut können sich so wol nicht vereinigen als ihre wangen, der Rubin vnd Perlen sich so zierlich nimmer sehen lassen als ihre Lefftzen vnd Zähne. Sie ist ein rechtes Meister-stuck der Natur, das man in Ewigkeit nicht genug loben vnd rühmen kann, vnd an welchem alles das zufinden, was ein Mänsch wünschen vnd begehren möchte. Mit wenig Worten viel zu sagen:


[Rand: Petr. Arbit.]

Candida sidereis ardescunt lumina flammis.

Fundunt colla Rosas, et cedit crinibus aurum,

Mellea purpureum depromunt ora ruborem:

Lacteáque admixtus sublimat pectora sanguis etc.


O wie weiß die meiste Welt so gar nicht, wo die rechte Wollust zusuchen! mancher sucht sie in dem Feuer, als da sind die närrische Goldmacher, mancher auff vnd in dem Wasser, als die großmögende Kauffleute vnnd arme Fischer. Mancher in der Erden, als die nachgrüblige Bergleute vnnd Arbeitsame Ackerleute. Mancher in der Lufft, als die Vogler, Vogelfänger vnd Falckner. Aber, ô wie weißlich gibt der Studenten Cornelius seinen außschlag hierin, wan er sagt:


O ihr thoren alle vier,

Was ihr sucht, das findt ihr hier.


Als ich in meiner lieblichen thorheit vnd thorheitlichen Lieblichkeit, in meiner inbrünstigen zuneygung vnd zuneiglichen Inbrünstigkeit noch ferner fortfahren wolte, nahm mich der Alte beim[63] Arm vnd erschüttelte mich zimmlicher massen. Vnd, wie? sprach er, bistu nun gar zum Thoren worden? weistu auch an deiner Narrheit noch ein Ende zu finden? Ich höre auß deinem Buhlengeschwätz sehr wohl, daß du mehr der Studenten Cornelius alß deine Compendia oder Institutiones gesehen, gehöret vnd gelesen, vnd daß du den oberzehlten schönen vermeynten Heiligen verß, den [Rand: Aventin./ ib. 2. p. 146.] Aventinus dem Hieronymus zuschreibet, aut Deus aut lapis est etc. gewiß besser in der Schule behalten als den D. Thomas, Scotus, Suarez vnd andere; meines erachtens, weil dir jene thorheit besser ingeflogen als dieser ihre subtilisationes, gespitzte [Rand: Reysen] grillen oder Grillen-spitzen. So gehets, wo einer hinauß in die frembde ziehet, ehe er seinen völligen verstand hatt, dann lernet ihr thörichte Junge Leute einen Narrenbossen für was besonders, vnd haltet einen lächerlichen vers höher als die Künste alle vnd vbet euch in der närrischen Thorheit mit allen Sinnen, ja wan es gar hoch kommet, so kan es euch, eurer Meynung nach nicht fehlen, alß die ihr


den Schneidewein beim zapffen,

den Clarum im Keller,

den Balduinum im Glaß,

den Baldum im Bastetenhauß


gelesen, vnd nunmehr


die Institutiones bei den Ohren haltet,

die Paratitla bei den Armen,

den Codicem de ventre,

die Novellas in den Hosen,

die Authenticas in den Haaren,

die Reichß-Abscheide im Seckel,

die Extravagantien im Hertzen
[64]

habet, mit welchen Ihr vagiret wie die Vaganten alle; vnd wann ihr nach Hauß kommet, euch das hirn vnd der verstand wie eine Gallrey verstabert stehet vnd zu keinen geschäfften was zu reden oder zu sagen wisset; dann heisset es wol:


Gyckes Gäcke ist deine lehr,

Vnd ob du schon fährst vber Meer,

Damit so geht die Jugend hien,

vnd ziehstu schon nach Genff und Wien.

Nach Bourges vnd nach Orleans

vnd wilt sein ein Herr grosser Hanß,

so ist doch alles dein studirn

nichts als ein vppigs fabulirn,

vnd wann du wider kompst nach Hauß,

führst Mistlinum auff Waglinum auß.


O bedächtestu jetzt, was dich hernach reuen werde, du wirdest dieses gefährlichen Nachtrabs bald vergessen: dann du bist mit dem schönen Engel, wie du ihn haltest, heßlich betrogen; vnnd wo du ein jedere Eitelkeit dergestalt mit Worten außstreichen wilt, so wird deines Geschwätzes nimmer ein ende werden.


Qui de l`amour est agité

Idolatrant de sa parolle,

Fera d`une petite folle

Une grande divinité;

Mais quand il a prins la verolle,

Alors mon Amant despité

Blasme toutte Impudicité,

Voyla le bien qui le console.


Ach wie vnerfahren bistu doch in dergleichen fällen. Vnd gibt dein grosses verwunderen leichtlich an Tag, das du die Welt vnd ihr Wesen noch nicht recht thust kennen. Biß hierher hab ich dich nur für vbersichtig gehalten; Nun aber sage ich, du seyest beides Blind an deinen Augen, vnd verstockt in deinem verstand wie die Thoren alle, vnd weissest eben noch nicht warumb dir GOtt deine Augen gegeben? vnd wazu?

Sage dir derowegen, es habe dir GOtt die Augen gegeben, daß du damit sehen sollest; was aber anlanget, von dem innerlichen Wesen eines dings zu Urtheilen, das gehet den Verstand[65] an: Aber du thust gerade das widerspiel; dahero auch, wann du allein nach dem Augenmaß vnd Meynen Urtheilen wilt, so wirstu dich allezeit betrogen finden vnnd offtmal böses für gut, Mäußdreck für Pfeffer ansehen vnd halten: dieweil ja das Gesicht offt durch ferne vnnd dunckele wird verführet oder verhindert.


[Rand: Petr. Arbit.]

Fallunt nos oculi, vagique sensus

oppressa ratione mentiuntur:

Nam turris, prope quae quadrata surgit,

detritis procul angulis rotatur.


Also auch dieses Weibsbilde soltu deinem geschwätz nach an ihrem äusserlichen Wesen, nicht mit deinem Verstand, sondern augenmaß allein angesehen haben, weil sie dich betrogen; vnnd im Sinn viel anderst von ihr halten, als du nicht thust. Gestern abends ist sie ein heßlich vngestaltet Mänsch gewesen; heut frühe hat sie sich mit aller dieser entlehnten schönheit, welche du also lobest, gezieret vnd geschmücket; sciteque jacturae lineamenta sequuta totam sibi formam istam dedit, wann du aber sie in ihrem Wesen recht anschauen vnnd betrachten soltest, wirdestu nichts als Pflaster vnd Lumpen an ihr finden.

[Rand: Frauenzimmers/ anatomia] Vnd nur ein wenig sie anatomiren vnd in Stücke zerlegen, So sind erstlich die Haare nicht ihre eigene Haar, sondern sie kommen auß dem Kram-Laden, vielleicht von einer, deren der Schädel abgeschlagen worden, vnd dieser elenden, mit Eisen und Zangen gemarterter Haare gebraucht sie sich, weil die ihrige entweders durch einen bösen Frantzösischen Lufft außgefallen, oder doch, wann sie noch etliche deren hat, auß forcht, ihr alter dadurch verrathen wirde, dieselbige nicht darff sehen lassen. Wann keine Schwärtze wäre, so hätte sie auch keine Augbrawen, supercilia [Rand: Petr. Arbit.] protulit de pixide. Wann das Geschminck nicht wäre, so hätte sie weniger Farb als ein Jud. Sie ist ein alter Götz, mit destillirten gebranten Mercurialischen gifftigen Wassern verjüngert:


[Rand: Martial 1. 6/ Ep. 93.]

Psilotro nitet, aut acida latet oblita creta

aut tegitur pingui terque quaterque faba.


[66] Inter rugas malarum tantum cretae reperies, ut putabis [Rand: Petr. Arbit.] detectum parietem nimbo laborare, welche, so du anhauchen oder mit einem feuchten Leinwat angehen soltest, nichts als eine abscheuliche förchterliche gestalt sehen vnd nicht mehr kennen wirdest. Color enim arte compositus inquinat corpus, [Rand: Petr. Arbit.] non mutant.


Dum sumit cretam in faciem Sartoria, Cretam

Perdidit illa simul, perdidit et faciem.

[Rand: Petr. Afran.]


Voyant Jaquette se mirer

Enfin de penser attirer

prez d`elle quelque personnage

Je luy dis: va voir ton pelage

qui rit de ton plaisant effort,

Et dit que tu veux en tel age

Aller aux nopces de la mort.


Vnd wann das Geschmünck alles, als Zibet, Bisam, Balsam, Haarpulffer, poudre de Cypre, Hurenpulffer (dann Venus [Rand: Des Accord] ist eine Hur gewest) bisamirte Handschuch, Strimpff vnnd anderes nicht wären, wirdestu die Nase bald mit einem Schnuptuch wegen des vblen geruchs vnd Gestancks verbollwercken müssen.


[Rand: Martial 1. 6./ Ep. 93.]

Cum bene se tutam per fraudes mille putabit,

Omnia cum fecit Thaida, Thais olet.


Soltestu sie einmahl küssen, du wirdest die Lefftzen vnd Wangen mit feißte vnd schmutz dermassen besudlen, als ein Kuttelfeger am Bubeneck. Soltestu sie vmbfangen vnd begreifen, du wirdest nichts als Karten-Papier, groben Zwilch vnd Lumpen finden, mit welchem allem ihre Schnürbrüste, Brusttücher vnd Röcke gefüllet sind, damit sie dem verstelten Leib irgend ein ansehen vnd gestalt geben möchte. Es heisset Vestissez buisson, semblera baron; Gehet sie dann Schlaffen, so lasset sie auff dem Tisch den besten theil ihres Leibs, nemlich die Kleider liegen.
[67]

[Rand: Martial 1. 9/ Ep. 38.]

Non dentes aliter quam serica nocte reponit,

Et lateat centum condita pyxidibus.

Nec secum facies sua dormit.


Wie ist nun dein Verstand noch so verfinstert, indem du dir eine solche Schöne an diesem elenden Leib magst einbilden? Darum du dich dann auch vielmehr vber deinen vnverstand selbsten als vber den Betrug dieses Weibes magst verwunderen.

[Rand: Weiber/ definition] Vnd mit einem wort den außschlag zu geben, so wisse, daß der größere theil der Weiber nichts anders als mit stoltz bekleidete vnd mit falschheit gefüterte Thiere sind, deren meiste gedancken dahin stehen, wie sie der Männer Einfalt vnnd Aufrichtigkeit verlachen vnd stumpffieren mögen; vnd daß diejenige, so man für die beste haltet, den Männern offt die meiste sorge machen, vultum [Rand: Petr. Arbit.] enim quae permutant, fraudem parant, non satisfactionem. Vnd gemeiniglich bey ihnen hergehet, wie bey allen bösen Schuldnern, bey welchen, wann man zur Rechnung kommet, die Zinse vnnd unkosten offtmahls das Capital oder die Hauptsumm vbertreffen.


[Rand: Owen 1. 1./ Ep. 19.]

Est mulier tanquam generalis regula: quare?

In multis fallit regula, sic mulier.


Welche weibliche schwachheiten alle dich, also vnverständig hineinzuplumpen, billich abhalten sollen, vnd wird dich endlich reuen, das vmb ein so vnvollkommenes werck du dich doch so sehr bemühet.


Die böse Weiber meyn ich nur,

Ein fromb Weib ist darumb kein Hur.

Drumb soll manns nicht entgelten lahn

Ein fromb Weib, was die böß gethan.

Ein Weib die Freundlich häußlich, frumb,

Ein Weib die Ernsthafft häußlich, frumb,

Ein Weib die Gehorsam häußlich, frumb,

Ein Weib die Holdseelig häußlich, frumb,

Ein Weib die Säuberlich häußlich, frumb,

Die ist zu loben vmb vnd vmb.


Quelle:
Johann Michael Moscherosch: Gesichte Philanders von Sittewald. Berlin; Stuttgart [.o. J.], S. 29-68.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Arnim, Bettina von

Märchen

Märchen

Die Ausgabe enthält drei frühe Märchen, die die Autorin 1808 zur Veröffentlichung in Achim von Arnims »Trösteinsamkeit« schrieb. Aus der Publikation wurde gut 100 Jahre lang nichts, aber aus Elisabeth Brentano wurde 1811 Bettina von Arnim. »Der Königssohn« »Hans ohne Bart« »Die blinde Königstochter« Das vierte Märchen schrieb von Arnim 1844-1848, Jahre nach dem Tode ihres Mannes 1831, gemeinsam mit ihrer jüngsten Tochter Gisela. »Das Leben der Hochgräfin Gritta von Rattenzuhausbeiuns«

116 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon