Zehnte Scene.

[179] Hugo. Elvire.

Tiefe Stille. Während derselben sitzt Hugo rechts vom Schauspieler in einem Sessel, und scheint mit Seelenruhe zu beten. Elvire geht, nach dem Abschied von Otto, auf die andere Seite, wo ihre Harfe lehnt, fällt auf die Knie, und betet ohne Lippenbewegung, mit heißer Andacht. Die Wanduhr schlägt zwölf. Ein leichter Schauder erschüttert Elviren. Sie steht langsam vom Gebet auf, und Ruhe herrscht auf ihrem Gesicht. Hugo verläßt, wenn die Uhr ganz ausgeschlagen hat, ebenfalls langsam den Sessel, und nähert sich Elviren.


HUGO.

Die Stunde

Hat gerufen. – – Milde! gieb,

Was du hast, und was ich brauche!

ELVIRE.

Oh, ich habe dich verstanden!


[180] Sie zieht den Dolch.


Du willst den!

HUGO.

An deinem Herzen

War sein Platz.

ELVIRE.

Du sollst ihn haben.


Ihn feurig umarmend.


Hugo! – Bis auf Wiedersehn!

HUGO.

Dort, wo Schwester, Freund und Gattin

Man mit Einer Liebe liebt.

Gieb den Stahl, und – flieh!

ELVIRE.

Gemach!


Indem sie von ihm geht, und mit der Linken die am Stuhl lehnende Harfe anfaßt, entschlossen und mit Erhebung.


Mir, wie dir, fehlt ja der Frieden,

Und mich drückt, wie dich, die Schuld;

Darum, muß es seyn geschieden,

Geh' ich dir zu Gottes Huld[181]

Kühn voran die dunkle Straße!


Sie stößt sich den Dolch in die Brust, die Knie wanken, die Harfe fällt, am Stuhle hingleitend zu Boden, und sie sinkt, den Dolch in der rechten Hand behaltend, darauf nieder.


HUGO heftig erschüttert.

Gott! Elvire! – – Ha, nun fasse

Ganz ich selbst erst, was ich sprach!

Mord zeugt Mord, und ich verderbe

Durch die unglückselige That

Alles, was mir liebend naht.

Es hat Eile, daß ich sterbe –

Gieb geschwind!


Er nimmt ihr den Dolch, den sie krampfhaft zu halten scheint, mit einiger Mühe, küßt ihre Hand und sagt, indem er rasch nach seinem Sessel zu geht.


Ich flieh' dir nach,

Aus des Lebens finstrer Höhle!

ELVIRE mit Anstrengung.

Gott sei gnädig – deiner Seele!


Hugo faltet während dieser Worte die Hände[182] gen Himmel, dann stößt er beide Hände am Griff, den Dolch sich in die Brust; die Knie knicken halb ein, die rechte Hand faßt den Stuhl, der Dolch bleibt in der linken; in dieser Stellung hält er sich einige Sekunden.


Quelle:
Adolph Müllner: Dramatische Werke. Band 2, Braunschweig 1828, S. 179-183.
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