Dritte Erzählung.

[27] Der König von Neapel verführt die Frau eines Edelmannes und wird schließlich selbst betrogen.


Saffredant begann folgendermaßen: Ich habe mir, meine Damen, selbst oft gewünscht, Schicksalsgenosse desjenigen zu sein, dessen Geschichte ich Euch berichten will. In Neapel lebte nämlich zur Zeit des Königs Alphons, dessen wollüstiges Leben in seinem Reich den Scepter führte, ein so hochstehender, schöner und liebenswürdiger[27] Edelmann, daß ein alter Graf ihm wegen seiner Vorzüge seine Tochter zur Frau gab, die an Schönheit und feiner Lebensart in nichts ihrem Manne nachstand. Die Freundschaft war groß zwischen diesen beiden, wenigstens bis zu einem gewissen Karneval, während dessen Dauer der König in einer Maske in die Häuser ging und Alle um die Wette sich anstrengten, ihn aufs beste zu empfangen. So kam er auch in das Haus jenes Edelmanns, wo er besser bewirthet wurde, als in irgend einem anderen, mit feinen Speisen und Gesängen, und wo ihn die schönste Frau unterhielt, die er noch gesehen hatte. Diese trug am Ende des Gastmahls mit ihrem Mann zusammen ein Lied vor, und zwar mit so großer Lieblichkeit, daß ihre Schönheit nur noch mehr hervortrat. Als nun der König so mannigfache Vorzüge in einer Person vereinigt sah, empfand er an dem harmonischen Verhältniß zwischen den beiden Gatten nicht etwa Wohlgefallen, vielmehr dachte er sofort daran, wie er dasselbe zerstören könnte. Die Schwierigkeit bestand aber eben in der großen Zuneigung zwischen jenen beiden. Deshalb verbarg er, so gut er konnte, seine Leidenschaft in seinem Herzen.

Um ihr aber wenigstens eine theilweise Befriedigung zu gewähren, gab er den Herren und Damm von Neapel große Festlichkeiten, bei denen der Edelmann und seine Frau nicht vergessen waren. Da nun der Mensch gern glaubt, was er sich zu sehen einredet, schien es ihm, daß die Augen dieser Dame ihm ein Glück verhießen, und daß nur die Gegenwart ihres Mannes das Hinderniß sei. Um also zu erproben, ob er sich auch nicht irre, gab er ihrem Mann auf, auf zwei bis drei Wochen in Staatsgeschäften nach Rom zu reisen. Kaum aber hatte er die Stadt verlassen, als seine Frau, in deren Erinnerung sein Bild noch lebendig war, in große Trauer verfiel. So viel er konnte suchte sie der König durch freundliche Worte, Geschenke und Gunstbezeugungen zu trösten, so daß sie am Ende sich nicht nur wegen der Abwesenheit ihres Mannes ganz beruhigte, sondern ganz zufrieden damit war. Auf diese Weise waren die drei Wochen noch nicht verstrichen, und schon war sie so sehr in den König verliebt, daß die bevorstehende Rückkehr ihres Mannes ihr jetzt gerade so ungelegen erschien wie vorher seine Abreise. Um nun der ihr theuern Gegenwart des Königs nicht[28] verlustig zu gehen, machten sie beide unter einander ab, daß sie, wenn ihr Mann auf seine Güter gehen würde, den König benachrichtigen wolle, damit er dann heimlich und ganz sicher vor ihrem Mann, den sie mehr fürchtete als ihr Gewissen, sie besuche.

In dieser Hoffnung wurde sie ganz lustig, und als ihr Mann zurückkehrte, empfing sie ihn so gut, daß er den Gerüchten über ein in seiner Abwesenheit zwischen dem König und seiner Frau entstandenes Liebesverhältniß keinen Glauben schenkte. Mit der Zeit aber konnte sie ihre Leidenschaft nicht mehr verbergen, so daß ihr Mann bald nicht mehr die Wahrheit jener Gerüchte bezweifeln konnte; auch paßte er so gut auf, daß er bald volle Sicherheit erhielt. Aber da er, wenn er sich etwas anmerken ließ, befürchten mußte, daß der König noch Schlimmeres gegen ihn unternehmen würde, als ihm nur seine Ehre rauben, entschloß er sich, sich zu verstellen, denn er wollte lieber mit einem Flecken auf seinem Namen leben, als sein Leben selbst wegen einer Frau in die Schanze schlagen, die keine Liebe für ihn hatte. Nichtsdestoweniger beschloß er in seinem Unmuth, dem König wenn möglich die gleiche Schmach anzuthun, und da er wußte, daß die Liebe am leichtesten ein liebeleeres Herz ergreift, nahm er sich eines Tages, als er bei Hofe war, die Kühnheit, der Königin zu sagen, es schmerze ihn tief, daß sie nicht andere Liebe erhielte, als ihr ihr königlicher Gemahl gebe.

Die Königin, welche von dem Verhältniß des Königs mit seiner Frau gehört hatte, antwortete ihm: »Ich kann nicht gleichzeitig die Ehre und den Genuß haben, ich weiß wohl, daß ich die Ehre habe und eine andere den Genuß, dafür hat sie aber auch nicht die Ehre, die ich habe.« Er verstand wohl, worauf sich diese Worte bezogen, und entgegnete: »Hoheit, die Ehre ist mit Euch geboren, denn Ihr seid aus so vornehmem Hause, daß Euer Adel nichts dadurch gewinnen konnte, ob Ihr Königin oder Kaiserin wurdet. Aber Eure Schönheit und Anmuth verdient so sehr, die Freuden der Liebe zu genießen, daß diejenige, die Euch Euren Antheil daran raubt, mehr sich selbst als Euch schadet; denn der Ruhm, um dessenwillen sie Euch den Euch gebührenden Liebesgenuß entzieht, gereicht ihr nur zur Schande. Und ich wage Euch zu sagen, edle Frau, daß, wenn der König seine Krone nicht hätte, er[29] nichts vor mir voraus hätte, ein liebendes Herz zu beglücken; ja, ich meine sogar, wollte er eine erlauchte Dame, wie Ihr seid, wahrhaft glücklich machen, er müßte mir gleichen.«

Die Königin antwortete lächelnd: »Mag auch der König von schwächerem Körperbau sein, als Ihr, im merhin befriedigt mich die Liebe, die er mir schenkt, so sehr, daß ich sie jeder anderen vorziehe.« »O Königin«, sagte der junge Edelmann, »wenn dem so wäre, würdet Ihr mir nicht Mitleid einflößen, denn ich weiß wohl, daß die keusche Liebe Eures Herzens Euch genug sein würde, wenn sie nur eine gleiche Gegenliebe beim König fände; aber Gott hat Euch davor bewahrt, daß Ihr aus ihm Euren Gott auf Erden macht, obwohl er Euch nicht geben kann, was Ihr verlangt.« »Aber ich sage Euch«, erwiderte die Königin, »daß die Liebe, die ich für ihn hege, so groß ist, daß kein anderes Herz mit dem meinigen verglichen werden kann.« »Verzeihet mir, Königin«, sagte der Edelmann, »aber Ihr habt die Liebe noch nicht bis in ihre letzten Tiefen erkannt, denn ich wage zu behaupten, daß ein Mann Euch mit so großer und verzehrender Liebe zugethan ist, daß die Eure sich neben der seinigen nicht sehen lassen kann, und je mehr er sieht, daß die Liebe zum König in Eurem Herzen noch wurzelt, um so mehr wächst und steigt die seine, so daß, wenn Ihr ihn nur erhören wolltet, er Euch für alle Eure verlorenen Tage entschädigen könnte.«

Sowohl aus seinen Worten wie aus seiner Haltung ersah die Königin bald, daß Alles, was er sagte, ihm aus dem Herzen kam. Ich entsinne mich auch, sagte Saffredant, daß er schon lange eifrig sich bemüht hatte, ihr zu Diensten zu sein, und zwar mit solcher Ergebenheit, daß er ganz trübsinnig wurde. Anfangs hatte sie gedacht, er sei es wegen seiner Frau, jetzt aber gewann sie die Ueberzeugung, daß es aus Liebe zu ihr sei. Auch die Innigkeit seiner Liebe, die man sehr wohl herausfühlt, wo nicht etwa Verstellung vorliegt, gab ihr Gewißheit über seine Gefühle, die im übrigen vor der Welt verborgen blieben. Sie sah auch, daß der Edelmann viel liebenswürdiger als ihr Mann war und wie sie vom König, so er von seiner Frau verlassen. Zorn und Eifersucht wegen ihres Gemahls und die Liebe des Edelmanns wirkten in gleicher Weise[30] auf sie ein, und eines Tages sagte sie mit Thränen in den Augen und unter Seufzen: »O mein Gott, soll Rachsucht über mich gewinnen, was die Liebe nicht zu Wege gebracht hat?« Der Edelmann aber, der diese Bemerkung gehört hatte, erwiderte: »O Königin, süß ist die Rache desjenigen, der, anstatt den Feind zu tödten, den wahren Freund glücklich macht. Es scheint mir an der Zeit, daß die Erkenntniß Euch die thörichte Liebe für den, der Euch nicht mehr liebt, aus dem Herzen reiße und die wahre Liebe Euch alle Furcht, die in einem großen und tugendhaften Herzen nicht Platz haben sollte, nehme. Wohlan, Königin, legen wir Euren hohen Rang bei Seite und berücksichtigen wir nur, daß wir augenblicklich auf der ganzen Welt die beiden am meisten bespöttelten Menschen sind, und von denjenigen verrathen, die wir am herzlichsten liebten. Rächen wir uns, nicht sowohl um ihnen Gleiches mit Gleichem zu vergelten, als vielmehr um unsere eigene Liebe zu befriedigen, denn ich wenigstens kann mit der meinen so nicht weiter leben. Und Euer Herz müßte härter als ein Kieselstein oder ein Diamant sein, wenn Ihr nicht einen Funken von dem Feuer fühltet, das in mir verzehrend wächst, gerade je mehr ich mir Gewalt anthue, es zu verbergen. Wenn Mitleid mit mir, der ich vor Liebe zu Euch sterbe. Euch nicht Liebe für mich einflößen kann, so muß Euch wenigstens der Gedanke darauf hinführen, daß Ihr, so vollkommen und rein, das liebevollste Herz Euer zu nennen verdient, gerade Ihr, die Ihr von dem schmählich verlassen seid, um dessenwillen Ihr alle anderen zurückgewiesen hattet.«

Als die Königin diese Worte vernahm, kam sie ganz aus der Fassung, und um nicht in ihrem Aeußern die Unruhe in ihrem Herzen sehen zu lassen, stützte sie sich auf den Arm des Edelmanns und ging mit ihm in einen Garten nicht weit von ihren Gemächern, wo sie lange auf und ab gingen, ohne daß sie ihm ein einziges Wort sagen konnte. Aber der Edelmann bemerkte wohl ihr halbes Nachgeben, und als sie am Ende einer Allee waren, wo Niemand sie sehen konnte, überwältigte sie die Leidenschaft, die sie so lange unterdrückt hatten, und sie nahmen an ihren ungetreuen Ehegatten Rache. Dort kamen sie auch überein, daß jedesmal, wenn er auf sein Gut gehe und der König dann von seinem Schloß zu[31] seiner Frau nach der Stadt käme, er zur Königin aufs Schloß kommen würde; so, ihre Betrüger ihrerseits betrügend, wollten sie wenigstens alle Vier sich den Liebesgenuß verschaffen, den jene beiden allein hätten haben wollen.

Nachdem sie diese Abmachung getroffen, kehrten sie, die Königin in ihr Zimmer und der Edelmann in seine Wohnung zurück, beide so überglücklich, daß sie den Kummer der letzten Zeit vergaßen. Während sie früher alle beide jedes Zusammentreffen des Königs und der Edelfrau gefürchtet hatten, war ihnen jetzt nichts lieber, so zwar, daß der Edelmann viel häufiger als es seine sonstige Gewohnheit war, auf sein nur eine halbe Meile von der Stadt entferntes Gut reiste. Und sowie dies der König erfuhr, verfehlte er nicht, sofort zu seiner Dame zu eilen, und umgekehrt ging bei Anbruch der Nacht der Edelmann zur Königin aufs Schloß und übernahm die Rolle des Königs; das Alles geschah so in der Verborgenheit, daß in der That Niemand etwas davon merkte.

So ging es eine lange Zeit; aber der König war doch eine zu bekannte Persönlichkeit, daß nicht schließlich die Stadt von seiner Liebe erfuhr. Alle ehrbaren Leute bemitleideten den Edelmann, denn die Gassenjungen machten hinter seinem Rücken Zeichen und verspotteten ihn. Er merkte das wohl. Aber diese Verspottung war ihm ganz gleichgiltig, und er schätzte die Hörner, die er trug, gerade so hoch wie die Krone des Königs. Dieser konnte sich eines Tages, als er bei der Frau des Edelmanns war und im Zimmer des Edelmanns ein Hirschgeweih an der Wand sah, nicht enthalten, in seiner Gegenwart lächelnd zu sagen, daß dieses Geweih recht passend in diesem Hause sei. Der Edelmann wollte ihm an Witz nicht nachstehen und schrieb auf den Schädel:


Wohl trage ich Hörner und trag' sie mit Fleiß,

Doch manch einer trägt sie und nichts davon weiß.


Als der König wieder einmal in seinem Hause war, fand er diese Aufschrift und fragte den Edelmann nach der Bedeutung derselben, worauf dieser erwiderte: »Wenn das Geheimniß des Königs in diesem Hirschgeweih steckt, so ist das noch kein Grund, daß auch das Geheimniß dieser Aufschrift dem König kund gethan werde. Glaubet nur, nicht alle, die Hörner tragen, haben deshalb auch[32] den Verstand verloren; sie sind manchmal so niedlich, daß sie garnicht verunzieren, und der trägt sie am leichtesten, der garnicht dergleichen thut«. Aus diesen Worten ersah der König wohl, daß jener etwas von seinem Verhältniß wußte, aber wegen der Königin kam ihm kein Verdacht. Je mehr diese nämlich innerlich mit dem Leben ihres Mannes zufrieden war, um so mehr stellte sie sich, als wäre sie nur ihm zugethan. Deshalb lebten beide Paare lange Zeit in aller Freundschaft weiter, bis in ihr Alter.

»Hier, meine Damen«, fuhr Saffredant nach Beendigung seiner Erzählung fort, »habt Ihr also eine Geschichte, die ich Euch gern als Beispiel hinstelle, damit Ihr, wenn Eure Gatten Euch betrügen, ihnen das Gleiche thut«. Lächelnd wandte sich Emarsuitte an ihn mit den Worten: »Wißt Ihr, Saffredant, ich glaube gern, daß, wenn Ihr heute noch so liebt, wie ehemals, Ihr Euch gern Hörner so groß wie ein Eichenstamm aufsetzen ließet, um Eure Angebetete Euch geneigt zu machen; jetzt aber sind Eure Haare weiß, und es dürfte doch wohl an der Zeit sein, die Gluth Eures Herzens zu mildern.« »Meine Gnädige«, erwiderte Saffredant, »wie sehr mir auch die, die ich liebe, alle Hoffnung und meine weißen Haare die Gluth meiner Leidenschaft genommen haben mögen, meine Liebe hat sich nicht vermindert. Da Ihr mich aber so schön zurechtgewiesen habt, gebe ich Euch das Wort, damit Ihr mich durch ein anderes Beispiel Lügen strafen möget.«

Nun muß bemerkt werden, daß während dieser Rede eine der Damen laut zu lachen begann, weil sie wußte, daß diejenige, welche die Worte Saffredants auf sich bezog, durchaus nicht etwa so sehr von ihm geliebt wurde, daß er um ihretwillen sich hätte lächerlich machen lassen. Als Saffredant sah, daß sie ihn wohlverstanden hatte, gab er sich zufrieden und schwieg, um Emarsuitte zu Worte kommen zu lassen, welche folgendermaßen begann: »Damit Saffredant und Ihr alle erfahret, daß nicht alle Damen seiner Königin gleichen und nicht alle dreisten Männer zu ihrem Ziele kommen, will ich euch eine Geschichte erzählen, deren Personen ich freilich nicht nennen werde, denn sie ist vor garnicht langer Zeit erst geschehen, und ich müßte befürchten, bei den Verwandten der Betreffendes Anstoß zu geben.«

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 27-33.
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