Drittes Buch
1814–1822

Neben diesen großen Ereignissen von weltgeschichtlicher Wichtigkeit gingen denn auch die kleinen Angelegenheiten der einzelnen ihren stillen Gang fort und wirkten, von den großen bedingt und geleitet, auch auf die einzelnen verschiedentlich ein. Und so verdenke man es mir nicht, wenn ich unmittelbar nach jenen merkwürdigen Auftritten meiner selbst und meines Stückes, Heinrich von Hohenstaufen, das auf eine gewisse Weise nahe damit zusammenhing, erwähne.

Ich hatte es während jener Zeit banger Erwartung vollendet. Es wurde der Theaterdirektion überreicht, und die Rollen, sowie ich gebeten, ausgeteilt. Nur bei Rudolf von Habsburg, der als Page Friedrichs II. in demselben erscheint, mußte ich mit einiger Festigkeit darauf bestehen, daß Herr Wothe, damals ein junger, hoffnungsvoller Schauspieler, diese Rolle spielen solle, und nicht ein Frauenzimmer, wie manche meinten. Ich hätte es höchst unschicklich gefunden, den glorreichen Ahnherrn des Hauses Habsburg durch ein Weib vorstellen zu lassen und Wothe, dessen Gestalt sich sehr wohl zu einem ritterlichen Edelknaben schickte, rechtfertigte durch sein Spiel meine Ansicht. Das Stück wurde einstudiert, wann es aber gegeben werden würde, war ungewiß.

Jetzt kam die Nachricht von dem Siege bei Leipzig, und nun sollte meinem Stücke und mir selbst eine große und wirklich unverdiente Ehre widerfahren. Wenige Tage nach Graf Neippergs Ankunft sollte dieser »Heinrich von Hohenstaufen« als Benefizevorstellung[3] für die in der Leipziger Schlacht Verwundeten mit großer Feierlichkeit und »Beleuchtung des äußern Schauplatzes« vorgestellt werden. Die Direktion ließ mich ersuchen, einen Prolog zu dichten, der die Absicht des Festes erkläre, und Herr Roose (Manfred in dem Trauerspiel) schlug mir vor, ihn durch Frau von Weissenthurn sprechen zu lassen. Es gab Leute, die nachher meinten, diesen Prolog hätte ein Mann mit mehr Schicklichkeit bei solcher Gelegenheit vorgetragen als eine Frau. Das ist möglich, aber ich hätte Frau von Weissenthurn durch eine solche Weigerung vielleicht beleidigen können, und das hätte ich durchaus nicht gewollt, da diese Frau in freundschaftlichen Verhältnissen zu uns allen stand und wegen vieler ausgezeichneten Eigenschaften Achtung verdient.

Die Direktion hatte mir eine Loge geschickt; da ich es aber, bei dem stets ungewissen Schicksal einer ersten Aufführung geratener fand, mich verborgen zu halten, so nahm ich dankbar den Antrag des Fürsten von Odescalchi an, der durch meinen Schwager Franz von Kurländer mir ein freundlicher Gönner geworden war, mich in der Loge desselben wenigstens während der ersten Akte aufzuhalten, wo man mich nicht vermuten, und weil ich im Fond saß, auch nicht sehen konnte. Die Versammlung war zahlreich und glänzend, der gesamte Hof erschien in den kaiserlichen Logen, und wurde mit allgemeinem Klatschen empfangen, als man ihn zum erstenmal nach jenem denkwürdigen Siege erblickte. Nun rollte der Vorhang auf – das Bild unsers geliebten väterlichen Monarchen stand vor den Augen der Menge, die Schauspieler reiheten sich zu beiden Seiten, die Volkshymne wurde angestimmt, und ein Sturm des Jubels brach los. O, ich werde dieses[4] und noch manches andern wichtigen Momentes, den jene unvergeßliche Zeit von 1805 bis 1815 unter Leiden und Hoffen, Verzagen und mächtigem Erheben uns brachte – nicht vergessen!

Als der Gesang unter der Teilnahme des ganzen Publikums geendet war, trat Frau von Weissenthurn hervor und sprach den ganz kurzen Prolog, der aber natürlicherweise durch die Hindeutung auf den edlen Zweck der heutigen Vorstellung, die Pflicht der Dankbarkeit gegen jene, die unsere Freiheit und unsern Ruhm mit ihrem Blut bezahlt hatten, große Sensation machte. Nun begann das Stück – und es hätte viel schlechter sein dürfen, als es war – denn ungeachtet seiner Mängel, die ich später sehr wohl erkannte, halte ich es nicht für schlecht – um an einem solchen Tage eines glänzenden Erfolges nicht zu verfehlen. Gespielt wurde es auch im ganzen trefflich, und bei dem erhöhten Gefühl des Publikums wurde jede Stelle, die sich – und auch oft ohne meine Absicht – auf die Lage Deutschlands und seine Stellung gegen den gewaltigen Eroberer deuten ließ, mit lautem Beifall aufgenommen; und diese Stimmung erhielt sich bis zu Ende. Von besonderem Effekt war die Erzählung des Traumes, die Herr Koberwein (Friedrich II.) vortrefflich gab, und Rudolfs (Wothes) Eintreten, das diese Erzählung hervorruft. Ebenso wurde die Szene zwischen Vater und Sohn (Koberwein und Korn) und die zwischen diesem (Heinrich von Hohenstaufen) und seiner Gattin, Margarete von Österreich (Dem. Adamberger, jetzt Frau Arneth), mit Beifall aufgenommen.

Am Schlusse des Stückes wurde heftig applaudiert und die Dichterin gerufen, die aber wohlweislich sich im Hintergrund der Loge verborgen hielt. Es gab Personen,[5] welche meinten, ich hätte mich in der Direktionsloge, bei Fürst Lobkowitz, der mir sehr wohl wollte, zeigen sollen, aber ich hätte das unerträglich anmaßend gefunden. Überhaupt war es mir – und ich glaube, ich habe dies schon in diesen Blättern erwähnt – nicht möglich, mich so wie andre Dichter mit ihren Werken zu identifizieren und von den Schicksalen derselben, guten oder widrigen, so lebhaft ergriffen zu werden. Mit großer Lust und Liebe entwarf ich meine Pläne, arbeitete fleißig und mit wahrer Seelenfreude daran; waren sie aber einmal vollendet, so waren sie auch gleichsam aus mir herausgeworfen und mir fremd geworden. Ihr Gelingen freute mich, besonders weil es mir sehr oft Teilnahme, Dank und warmes Wohlwollen von Unbekannten oder in weiter Ferne ein freundschaftliches Band erwarb; gefiel eins oder das andere nicht, so kränkte es mich durchaus nicht, und erregte mir höchstens jene unangenehme Empfindung, die man etwa hat, wenn man in einer großen Gesellschaft mit einer nicht ganz passenden Toilette erscheint.

Bei dieser Gesinnung freute mich daher der allgemeine Beifallssturm; aber ich war mir wohl bewußt – was mir hauptsächlich durch die Aufführung klar geworden war, denn ich hatte den Proben nie beigewohnt – daß das Stück in dramatischer Hinsicht viele Fehler hatte, und daß es hauptsächlich der Gelegenheit, bei welcher, und den Umständen, der Stimmung des ganzen Publikums, unter welchen es aufgeführt wurde, zuzuschreiben war, daß ein an sich mittelmäßiges Produkt so vielen Applaus erhielt.

Am andern Morgen kamen viele meiner Bekannten und Freunde, mir Glück zu wünschen, die Rezensionen ließen sich günstig vernehmen; doch sprachen einige[6] deutlich die Ansicht, welcher ich schon früher erwähnte, aus, daß es nämlich ein Gelegenheitsstück, eigens für diesen Tag verfertigt, sei. Nur, hätten diese Rezensenten recht gehabt, mußte es dann auf jeden Fall schon früher in Hoffnung des Erfolgs geschrieben sein, weil es doch kaum ins Reich der Möglichkeiten gehört, daß ein fünfaktiges Stück in vier Tagen gemacht und einstudiert werde.

Im Gange der Weltbegebenheiten folgte nun Fortschritt auf Fortschritt, Sieg auf Sieg. Bayern, Württemberg und andre Rheinbündner fielen von Napoleon ab, wie das Glück von ihm abgefallen war. Man sagte freilich, sie hätten es nicht wagen können, früher mit ihrer deutschen Gesinnung hervorzutreten. Meines Bedünkens nach war aber dieses Verfahren nicht edel, nicht loyal und der unglückliche König von Sachsen, der treu bei seinem französischen Alliierten oder eigentlich indirektem Souverain aushielt, schien mir achtungswerter gehandelt zu haben. Fürst Wrede, der lange an unsern Grenzen mit einer bayerischen Armee gestanden hatte, und dem eine österreichische hatte entgegengestellt werden müssen, um ihn in Schach zu halten, brach nun mit seinen Truppen auf, um das französische Heer, das von Leipzig zurück gegen den Rhein eilte, seinerseits zu verfolgen und die Schlacht bei Hanau wurde geschlagen, von welcher abermals die Siegesnachricht mit großer Freude in Wien empfangen wurde. – »Die Lese war, nach Schenkendorfs Gesang, am Rhein gehalten worden«. Die verbündeten Armeen rückten in Frankreich ein, und die Schmach, welche wir Deutsche dadurch erfahren, daß die Gallier unsere innersten Provinzen betraten, ward nun glorreich wett gemacht.[7]

Hier in Wien war alles freudig und in begeisterter Stimmung. Man dachte daran, die frohen Ergebnisse auf alle Weise zu feiern, und mir wurde der Antrag gemacht, eine Kantate: »das befreite Deutschland« zu dichten, welche Spohr in Musik setzen sollte, was er, nachdem ich meine Aufgabe nach besten Kräften zu lösen gesucht hatte, auch wirklich mit großem Beifall ausführte. Schon früher hatte ich meine Trauer über Th. Körners Verlust, der einer für ganz Deutschland war, und meine Anerkennung seines Verdienstes in einem kleinen Gedichte ausgesprochen, das ich durch Baron Merian den unglücklichen, mir so werten Eltern des Verstorbenen geschickt hatte. In diesem »befreiten Deutschland« fand ich es nun der billigen Anerkennung von Theodors Verdienst ums Vaterland, für dessen Freiheit er einer der ersten das Schwert gezogen, und der Befriedigung meines eignen Gefühls entsprechend, wenn ich seiner auch gedachte. Und so legte ich einer Person der Kantate, dem Mädchen, welches den Tod ihres in der Schlacht gefallenen Liebhabers beklagt, folgendes Akrostichon in den Mund:


K–eine Freude kenn' ich mehr,

Ö–d' ist alles um mich her,

R–eizlos, was ich sonst geliebet habe usw.


Es war mir eine wehmütige Freude, in den Worten, welche der Jüngling selbst im ersten Teil der Kantate spricht, und in der Klage des Mädchens um ihn den edlen Gefallenen mit inniger Achtung zu feiern.

Überhaupt war mein Gefühl und meine Phantasie damals sehr angeregt, und ich dichtete viel. Ich erinnere mich der Veranlassung nicht mehr, welche mich bestimmte, aus dem schönen und damals viel gelesenen Roman der Mad. Cottin »Mathilde ou les Croisades«[8] eine Oper zu dichten. Ich ließ sie zierlich abschreiben und dem Erzherzog Rudolf, der sich mir stets als teilnehmender Gönner gezeigt hatte, überreichen. Beethoven sah und las sie bei dem Prinzen. Eine stolze Hoffnung fing an, sich in mir zu regen: wenn dieser Genius sich entschlösse, meine Oper zu komponieren! Aber es blieb bei der Hoffnung; doch erfuhr ich viele Jahre später durch den unvergeßlichen C.M. Weber, daß sie zweimal in Deutschland in Musik war gesetzt worden. Leider bekam ich nichts davon zu sehen oder eigentlich zu hören.

Hofrat von Mosel wünschte ebenfalls einen Operntext von mir, und zwar über das Sujet: Rudolf von Habsburg. Nun ist es schon lange mit ästhetischen Gründen dargetan worden, daß dieser Gegenstand sich viel mehr zu epischer als dramatischer Behandlung eigne, daß Rudolfs Charakter und Handlungsweise zu ruhig, zu klug, zu weise gewesen war, um jene rasche Bewegung und leidenschaftliche Entwicklung zu gestatten, welche eigentlich das Leben im Drama charakterisiert. Es hat sich auch gezeigt in einem Stücke von einem gewissen Meinrath oder wie jener angenommene Name hieß, welches an der Wien um jene Zeit aufgeführt wurde, und worin der damals sehr beliebte Schauspieler Grüner den Rudolf spielte, und selbst in Grillparzers mit so vielen Schönheiten ausgestattetem Trauerspiel: Ottokars Glück und Ende, daß Rudolf in diesem Konflikte mit dem leidenschaftlichen, kühnen, durchgreifenden Böhmenkönig nur als zweiter Held des Dramas gelten könne. Auch hatte ihn unser edler Collin auf diese Art zu bearbeiten angefangen, und ein anderer vielgeschätzter vaterländischer Dichter L. Pyrker hat das Epos wirklich gedichtet.[9] Indessen Hofrat von Mosel wünschte es, und der Sukzeß einer Oper hängt ja immer vielmehr von der Musik als dem Texte ab. – Ich übernahm es also, tat mein Möglichstes, richtete mich (was jeder Dichter, der Ähnliches unternommen, für eine mißliche Aufgabe erkennen wird) nach den Fähigkeiten oder Wünschen der Sänger, welche damals zur Aufführung vorhanden waren, schaltete hier eine Arie, dort ein Duett nach Begehren ein, und – sei es nun, daß Mosein die Arbeit mißfiel, oder was für andere Hindernisse dazwischen traten – genug, nachdem ich mich ziemlich mit dieser Oper geplagt hatte, ward sie mir unter einem höflichen Vorwande, den ich vergessen habe – zurückgegeben.


*


Über diesen poetischen Arbeiten war der Winter größtenteils hingegangen. Die Art dieser Beschäftigung, vielleicht auch die vielen Anregungen des Gefühls und des Geistes, die jene Zeitepoche für jedermann mit sich brachte, die aber natürlicherweise noch stärker auf eine lebhafte Phantasie wirkten, mochten mein Nervensystem, das stets reizbar war, zu sehr aufgeregt haben. Es fanden sich Migräne und Krämpfe, an welchen ich sonst nur selten gelitten, nun sehr oft ein. Dessen ungeachtet fuhr ich fleißig in meinen Arbeiten fort und überzeugte mich aus eigener Erfahrung, wieviel Fertigkeit und Leichtigkeit eine anhaltende Übung nicht bloß in mechanischen, sondern auch in geistigen Arbeiten gibt. Das Schreiben in gebundener Rede, ja in Reimen ward mir so geläufig, daß ich bei prosaischen Aufsätzen, Briefen usw. mich völlig vor Jamben und Reimen in acht nehmen mußte, welche[10] sich mir unwillkürlich darboten. Die Ursache dieser Erscheinung und anderer ihr ähnlicher, worin eine Verrichtung unsers geistigen Vermögens wie nach einer mechanischen Regel geschehend sich darstellt, wird von jenen, welche dem Materialismus huldigen, und in jeder Prozedur unserer Seele nur mechanische oder dynamische Kräfte und Bewegungen zu sehen meinen, vielleicht in ebensolchen Bewegungen gesucht werden. Ich, wenn ich, wie oft geschah, darüber nachdachte, sah in dieser Erscheinung nichts als eine Bestätigung der alten Erfahrung, daß die Vorsicht uns Sterblichen gar hilfreiche Gefährten in der Gewohnheit und Übung auf dem Wege des oft mühsamen Erdenwallens beigegeben hat, die uns treulich begleiten, das anfangs Beschwerliche allmählich erträglich, dann leicht und endlich so homogen machen, daß wir dessen Abgang zuletzt empfindlich vermerken.

Die Schlachten von La Ferté, von Troyes usw. waren vorüber; die verbündeten Heere rückten auf die Hauptstadt Frankreichs los; und am 31. März langte Graf Friedrich von Fürstenberg, der Schwager des Feldmarschalls Schwarzenberg, mit der Nachricht von der Eroberung von Paris an. Auch diese Botschaft erregte großen Jubel; und jeder Wiener fühlte sich durch den Gedanken befriedigt, daß nun die Franzosen auch erfahren mußten, was sie uns zweimal, und den Berlinern einmal zu fühlen gegeben hatten, an welches Gefühl sich unmittelbar die Aussicht auf einen wahren Frieden und endliche Ruhe knüpfte. Doch ward meine unbefangene Freude an diesem Ereignisse einigermaßen durch die Betrachtung gestört, daß nicht Napoleon, nun in seine gehörigen Schranken, das ehemalige Frankreich, zurückgewiesen, dies Reich, das er[11] aus den Wirren der Anarchie mit Energie und Klugheit gerissen hatte, künftig regieren sollte, wie es viele gemeint, sondern daß man ihn zwingen würde zu abdizieren, daß die Bourbons zurückkehren und Monsieur mit dem Namen Louis dix-huit auf den Thron gesetzt werden würde. Diese Bourbons, von denen sich vor, während und nach der Revolution so manche ungünstige Meinungen in ganz Europa verbreitet hatten und von deren sehr vorgerückten Jahren sich wenigstens die Kraft und der Geist nicht erwarten ließen, welche nötig schienen, um ein so durch und durch aufgeregtes und bis in seine untersten Hefen aufgerütteltes Volk zu regieren!

Es zeigte sich bald nachher, daß es nicht ganz so ging, wie viele gleich mir gefürchtet hatten, wenn jene Menschen, die, wie das Sprichwort lautete, »nichts gelernt und nichts vergessen hatten«, über eine Nation herrschen sollten, in der vom Kleinsten bis zum Größten seit 30 Jahren alles ganz anders geworden war, als es je gewesen. Ludwig XVIII. regierte mit vieler Klugheit, Sanftmut und der nötigen Kraft. Leider war er ein Greis, als er den Thron seiner Väter bestieg, und sein Nachfolger verkannte seine Stellung, sein Volk und den Zeitgeist. Doch das gehört nicht ins Jahr 1814, es steht auch nur darum da, um die Befürchtungen derjenigen zu entschuldigen, und auch wohl zu rechtfertigen, welche sich von dieser wiedergekehrten Dynastie kein dauerndes Heil für Frankreich versprachen. Übrigens möchten sich wohl auch jene getäuscht haben, welche es für möglich hielten, daß Napoleon aus dem ungeheuern Wirkungskreis, den sein Heldengenie ihm geschaffen, zurückgedrängt in engere Schranken, obwohl noch stets in einer beneidenswerten Stellung, als[12] Herrscher von Frankreich, sich mit dem innerlichen Glücke seines Volkes beschäftigt und ferneren Eroberungsplänen entsagt haben würde. Dies, behaupteten viele, wäre nicht zu erwarten gestanden, und des Kaisers Feuergeist würde, sobald der Friede die geschlagenen Wunden geheilt hätte, wieder auf die alte, ihm von der Natur und seinem Genius gleichsam vorgezeichnete Bahn des Helden und Eroberers zurückgekehrt sein, die ihn einengenden Schranken durchbrochen und noch einmal die Welt mit Krieg, Jammer und Blut erfüllt haben.

Dies behaupteten viele; da es aber nicht möglich ist, daß ein Ding und folglich auch eine Weltlage zugleich sein und nicht sein könne, so bleibt das, was Napoleon getan oder nicht getan haben würde, wenn er Kaiser von Frankreich geblieben und die Bourbons nicht mehr auf den Thron gelangt wären, ein Problem, welches jeder nach seinen psychologischen, philosophischen und politischen Grundsätzen und Ansichten lösen kann, ohne daß man ihm sein Unrecht apodiktisch beweisen könnte. Das sind politische Träume, in die eine Frau sich am wenigsten einlassen soll. Ich breche daher hier ab und fahre in der Schilderung meiner individuellen häuslichen oder mich zunächst berührenden Ereignisse fort.

Baron Hormayr hatte mich ein paar Jahre früher mit einem unsrer vorzüglichsten Kavaliere, dem Grafen Franz von Szecheny bekannt gemacht, dessen schon erwähnt worden. Diesem vaterländisch gesinnten Manne verdankt Ungarn die Stiftung der Nationalbibliothek und des Museums. Er war mit der alten sowohl als der neuen Literatur vertraut, und sein Haus ein Sammelplatz für gebildete und wohlgesinnte Menschen. Er lebte mit seiner, ebenfalls sehr geistreichen[13] Frau, im Kreise seiner zahlreichen Familie, zweier verheirateten Töchter und dreier Söhne, von denen zwei ebenfalls Frauen und Kinder hatten. In diesem Hause, in welchem der Geist, der diese Familie belebte, patriarchalische Sitte und Einfachheit mit dem Glanz und der Würde, der ihrer äußern Stellung in der Welt ziemte, auf eine Weise zu vereinigen wußte, die jeden, der es betrat, mit Ruhe und Wohlbehagen erfüllte – in diesem würdigen und mir unvergeßlichem Hause hatte ich viele angenehme Stunden zugebracht. Jetzt als der Frühling herannahte, lud mich Graf Szecheny sehr gütig ein, ein paar Wochen auf seinem, nur eine Stunde von Ödenburg gelegenen Gute »Zinkendorf« bei ihm und seiner Familie zuzubringen. Ich und meine Tochter, die mich begleiten sollte, damals ein blühendes Mädchen von etwa 15–16 Jahren, freuten uns sehr auf diese kleine Reise. Pichler konnte seiner Geschäfte wegen Wien nicht verlassen, und so blieb er mit meiner Mutter, der ich für diese wenigen Tage ein Fräulein aus unserer Bekanntschaft zur Gesellschafterin gesucht und gefunden hatte, zurück, als wir endlich gegen Ende des Mais an einem schönen Morgen über Laxenburg, Windpassing und neben Eisenstadt hin das erstemal nach dem benachbarten Ungarn reisten. Der Graf hatte es so veranstaltet, daß wir mittelst eines Relais schon zu Mittag in Ödenburg in seinem schönen Hause eintrafen. Dort zeigte er uns seine Bibliothek, seine Sammlungen, das ganze höchst zweckmäßig und edel eingerichtete Haus. Nach Tische fuhren wir nach dem, nur eine kleine Stunde entfernten Zinkendorf. Die nächste Gegend um das kleine Städtchen Ödenburg ist freundlich, lachende Hügel mit Weinreben besetzt umgeben es, gegen Zinkendorf zu[14] wird die Gegend flacher. Mitten in schön gepflanzten Gärten liegt das Schloß, und wie wir durch die Avenue hinfuhren, ertönte aus allen Gebüschen der Gesang zahlloser Nachtigallen, die der Graf in dieser Zeit ihrer Liebe und ihres Gesanges mit besonderer Sorgfalt hegen und pflegen ließ; sowie er stets für den Ankauf neuer und die Erhaltung der schon vorhandenen Vögel bemüht war. Wenn die Brutzeit begann, wurden im Schloß und rings um dasselbe alle Katzen eingefangen und indessen nach Ödenburg in des Grafen Haus gebracht, wo sie wohlgefüttert und gehalten, und wenn die Brutzeit vorüber war, wieder nach Zinkendorf geführt wurden. Wirklich war auch den ganzen Tag ein unaufhörliches Konzert in den Gebüschen, welche das Schloß umgaben, und die ganze Sommernacht durch wirbelte, seufzte und schlug es in denselben seinen tiefaufflötenden Laut und bezauberte Ohr und Herz der Bewohner.

Die Familie des Grafen brachte den Sommer in diesem lieblichen Aufenthalte zu, und die verheirateten Kinder besuchten hier zuweilen die Eltern, wie denn die eine Tochter, Gräfin Batthiany, sich für längere Zeit hier befand. Es war ein patriarchalisches, schönes, stilles und doch so genußreiches Leben, erhöht und erheitert durch die jüngstvergangenen glücklichen politischen Ereignisse und die Aussicht auf die nahe Wiederkehr des geliebten Landesvaters, der nach den verhängnisvollen Begebenheiten des glorreich beendigten Krieges nun mit den Segnungen des Friedens und der Ruhe nach so langen, so verderblichen Stürmen in die Mitte seiner Kinder zurückkehrte.

Unsere Lebensweise war still, aber mir sehr zusagend. Am Morgen frühstückte jedes in seinem Zimmer, dann[15] versammelte die tägliche h. Messe alle Bewohner des Schlosses in der Kapelle, worauf wieder jedermann an seine Geschäfte oder spazieren ging, bis die Eßglocke um 1 Uhr in den Speisesaal zu ebener Erde rief, der mit Gartengewächsen geziert war und, soviel ich mich erinnere, wohl im Winter eine Art Glashaus sein mochte. Nach Tische stiegen wir wieder hinauf in den Salon der Gräfin, wo bei ungünstigem Wetter die Zeit aufs angenehmste mit Musik oder Lesen verging, indem Gräfin Batthiany, meine Tochter oder wer sonst musikalisch war, sich am Piano unterhielt und die übrigen, mit Handarbeit beschäftigt, zuhörten; wenn es aber schön war, wurde ausgegangen oder in die Umgegend ausgefahren. Um halb 9 oder 9 Uhr rief abermals die Eßglocke in den Gartensaal, und nun ging der Zug der Gäste von einer Tür zur andern, um jeden in sein Schlafzimmer zu begleiten, und meistens kehrten die zuerst Hingeführten wieder mit um, die letztern zu konvoyieren, und es wurde noch lange geplaudert, gelacht, bis man endlich die Ruhe suchte und nun in die stillgewordenen Gemächer der Gesang von tausend Nachtigallen aus den Büschen des Gartens drang und die Müden in Schlaf lullte.

So waren einige Tage vergnügt hingegangen, als eines Morgens Besuch aus dem nahen Ödenburg kam. Es war die Familie des Barons (jetzt Grafen) von Zay – und ich verweile mit wehmütiger Lust bei diesem Punkte meines Lebens, der mit so weitreichenden als sanften, erfreulichen Wirkungen in meine künftigen Tage eingriff. Der Baron war ein heiterer, anspruchsloser Mann zwischen 40 und 50 Jahren; seine Frau eine schlanke, nur etwas zu hagere Gestalt, an der man trotz ihrer Kränklichkeit Spuren ehemaliger Schönheit[16] sah. Sie begleiteten ihr einziger Sohn, damals ein Knabe von 14–15 Jahren, sein Mentor, Fräulein Therese von Artner, mir schon früher zwar nicht persönlich, aber unter ihrem dichterischen Namen Theone aufs vorteilhafteste bekannt, und ihre jüngere Schwester Wilhelmine von Artner. Alle diese Personen zeichneten sich durch eine echte Geistesbildung, welche diesen Namen nach meiner Ansicht nur dann verdient, wenn durch sie auch das Gemüt, der Charakter gebildet wird, und die einzelnen Kenntnisse, »in Saft und Blut verwandelt«, nur ein schönes, untrennbares Ganzes ausmachen, sowie durch feinen Ton und jene wohlwollende Höflichkeit aus, die nicht bloß von guter Erziehung, sondern aus gutem Herzen und natürlicher Bescheidenheit kommt.

Mir ward sogleich wohl unter diesen Menschen. Lebhafte und bedeutende Gespräche knüpften sich zwischen den Fremden und mir an, wir fühlten uns einander nahe, obwohl wir uns an diesem Tage zum erstenmal sahen, und ein herzliches Freundschaftsband, das den ganzen Kreis umschloß und wovon einige noch innigere Empfindungen hegten, vereinte uns durch ein nun verflossenes Vierteljahrhundert und bewahrt auch den leider! Vielen, die seit dem schon aus dieser Zahl hinübergegangen sind, über den Gräbern ein lebhaftes, dankbares Andenken.

Eines nachmittags wurde eine Spazierfahrt ins Juliental bestimmt. Auf der weiten Fläche, die das Schloß rings umgab, konnte ich mir nicht vorstellen, wo denn dies Tal, das doch Berge oder mindestens Hügel voraussetzte, liegen sollte, wenn wir nicht vielleicht bis nach Ödenburg fahren würden. Aber es zeigte sich bald ganz anders. – Nicht sehr lange fuhren wir über die[17] Ebene hin, als sich plötzlich eine überraschende Ansicht darbot. Am Ende des Plateaus, wenn ich mich dieses Wortes bedienen darf, auf dem Zinkendorf liegt, senkt sich plötzlich der Grund. Schön begrünte und bebüschte Hügel ziehen sich rechter Hand an der Höhe hinab, ebensolche werden an der linken Seite sichtbar, und unten breitet sich auf einmal eine ungeheure Wasserfläche aus. Das war der Neusiedler See, den hier von der Seite, wo wir uns befanden, jene lieblich grünen Hügel umsäumten, die sich auf der linken Seite noch eine Strecke hin am Ufer zogen, während die rechte Seite flach auslief, und gegenüber der weite Wasserspiegel ohne erkennbare Ufer das Bild eines Meeres darbot. Mich überraschte und ergriff diese scheinbare Unendlichkeit und überhaupt das ganze, so unerwartete Landschaftsbild, und mit sehr regem Gefühl für diese Schönheiten und für den Umtausch lebendiger Gedanken und Empfindungen stieg ich mit der Gesellschaft, die nun allesamt die Wagen verlassen hatte, auf angenehmem Pfade durch dies Juliental hinab, das der Graf zu einem kleinen englischen Garten hatte umschaffen und nach dem Namen seiner Frau nennen lassen. Auch ein hübscher Pavillon in Tempelform stand auf einer der Anhöhen und trug den Namen des Erzherzogs Palatin, der, wenn ich mich recht erinnere, dies Tal einst mit seiner Gegenwart beehrt hatte. Die übrigen zerstreuten sich hier und dort in den Schattengängen, ich fand mich bald mit Theresen (Theonen) allein, zu welcher mich von dem ersten Augenblicke unserer Bekanntschaft an ein innerer Hang gezogen und mich hier eine gleichgestimmte Seele hatte ahnen lassen. Therese war nicht mehr jung – nur um wenige Jahre jünger als ich – sie war nicht schön, eine kaum mittelgroße,[18] etwas gedrungene Gestalt, mit feinen, aber höchst einfachen Manieren, bei der die talentvolle Dichterin ganz hinter der anspruchslosen häuslichen Frau verborgen, und nur dann sichtbar ward, wenn im vertrauten Gespräche die angeregte Seele jene einfache Hülle durchbrach und sich in ihrer wirklich hohen und klaren Schönheit zeigte. So zeigte sie sich auch mir an jenem unvergeßlichen Tage im Juliental, da erkannten sich unsere Geister, da hatten beide, die irdische Hülle durchstrahlend, einander schwesterlich und liebend umfaßt, und den Bund treuer Anhänglichkeit und Freundschaft geschlossen, der über Theresens nun lange schon begrüntes Grab hinaus gewiß noch zwischen unsern Seelen in Gott besteht. Auch sie – und noch so viele andere Teure habe ich überlebt, und wohl kann ich, ohne den meinem Herzen nahestehenden Umgebungen, in deren Besitz ich jetzt mein Glück finde, zu nahe zu treten, in so mancher Beziehung sagen:


Aber meine Welt ist tot!


Die Welt, deren Bildung mit der meinigen einerlei Richtung hatte, einerlei Schritt mit mir hielt, die meine Geistesbedürfnisse kannte, nur solche hatte wie ich, die mich verstand, in der meine Gedanken Anklang und Widerhall fanden – diese Welt ist nicht mehr da, und ich fühle das recht oft und recht wehmütig.


*


Doch ich kehre zu dem Faden meiner Erzählung zurück. Therese und ich hatten uns in einem Gespräche über Poesie und über das, was in unserer beider Seelen vorging, wenn die Stunde der Weihe über uns kam, warm, innig, offen ausgesprochen. Da fand jede Empfindung ihr Echo, jede Äußerung ihr Gegenbild im[19] Geiste der Freundin, unsere Seelen, möchte ich sagen, berührten sich unmittelbar, und in solchen Augenblicken, deren es freilich im Leben nur wenige gibt, dringt gleichsam durch eine Spalte in unserer dichten Erdenatmosphäre ein Strahl des Himmels herein, und wir lernen die Möglichkeit fassen und glauben, wie entkörperte Geister sich einander ohne Worte, durch bloße Anschauung erkennen.

Noch einige Tage verweilte dieser angenehme Besuch in Zinkendorf, und da gerade während dieser Anwesenheit die Nachrichten aus Wien einliefen, daß der Kaiser an einem bestimmten und ziemlich nahen Tage in seiner Hauptstadt eintreffen und feierlich einziehen werde, beschloß die gesamte Gesellschaft, wie sie hier beisammen war, uns mit eingeschlossen, nächstens aufzubrechen und nach Wien zu eilen, um jenen schönen Tag mit zu feiern. Die Baronin Zay, welche ebenso wie ihre Jugendfreundin Therese sich mir mit herzlicher Freundlichkeit genähert hatte, lud mich und meine Tochter ein, an dem zu unserer Abreise bestimmten Tage bei ihr in Ödenburg, durch welches uns unser Weg führte, das Frühstück einzunehmen. Hier lernten wir noch die beiden verheirateten Artnerschen Schwestern, Frau von Witte und von Torkas, kennen, fanden uns in einem Kreise trefflicher, guter, gebildeter Menschen aufs herzlichste aufgenommen und bald so heimisch, als ob wir uns seit langen Jahren gekannt hätten. Nur selten in meinem langen Leben war es mir auf diese Art mit neuen Bekanntschaften so wohl geworden. Ich begreife auch, daß das seiner Natur nach nicht anders sein kann und in spätem Jahren sich immer mehr verliert, wie sich die Empfänglichkeit für neue Eindrücke und die Möglichkeit, sich unbedingt hinzugeben,[20] mit der nähern Kenntnis der Menschen und manchen unangenehmen Erfahrungen ebenfalls aus unserm Gemüte entfernen.

Der Aufenthalt in Zinkendorf war zu Ende. Alles eilte nach Wien. Die nahe Ankunft des Kaisers, die Begebenheiten der jüngstvergangenen Tage, Napoleons Abdankung, seine Verbannung nach Elba, die Wiedereinsetzung der Bourbons, die Aussichten in die Zukunft, die Erwartung des Kongresses, der in wenigen Monaten in Wien eröffnet werden und eine Menge europäischer hoher Häupter hier versammeln sollte, hielten die ganze Welt in reger Spannung. Alles bereitete sich zum Empfange des Kaisers vor. – Eine Illumination sollte statthaben, Gedichte überreicht werden usw. Auch die Taubstummen, bei deren Institut der Zug des Monarchen von der Favoritenlinie hereingehen sollte, wollten ihre Gefühle in einem Gedichte aussprechen, und ich wurde ersucht, es zu machen. Ich tat es, und in Zinkendorf wurde es vollendet, während ich in den Schattengängen des Gartens unter dem Geflöte der Nachtigallen herumwandelte.

Endlich erschien der Tag der Ankunft, wenn ich nicht irre, so war es der 14. Juni. Unser lieber Hausgenosse Karl von Kurländer, der sich auch für die Abfassung jenes Gedichtes für die Taubstummen interessiert hatte, war so gefällig gewesen, uns in eben diesem Hause, von dem man den Zug sehr gut sehen konnte, bei Herrn Direktor Mey Plätze an einem Fenster zu verschaffen, und so wanderten wir vier, Pichler, Karl, meine Tochter und ich, recht früh am Morgen auf die Wieden hinüber; denn zu fahren, wenigstens bis dorthin, war an einem solchen Tage nicht möglich. Aber[21] damals war mir solch ein Gang auch nur eine Kleinigkeit. Die Straßen waren mit Menschen bedeckt. – Endlich verkündete fernes Vivatrufen die Annäherung des Hofes. Die gedrängten Massen bewegten sich unruhig; es erschienen in langem Zuge österreichische und ungarische Große zu Pferde in höchster Gala; wobei sich freilich die letztern in ihrer Nationaltracht, welche einen großen Aufwand von Gold und Silber gestattet, und im ganzen viel kleidender ist als unser Männeranzug, weit besser ausnahmen, obwohl damals noch jene malerische Verschönerungen der ungarischen Tracht, diese Attilas und wie sie sonst heißen, noch nicht üblich waren. Sonderbar, und wenn man die eigentliche Bedeutung dieser Erscheinung nicht wußte, höchst unpassend mußten die Herren von der sogenannten böhmischen Legion auffallen, die in ihren von Sonne, Wetter und Strapazen heruntergebrachten Anzügen, sowie sie im Felde ihren Monarchen begleitet hatten, jetzt mitten unter den von Gold und Silber schimmernden Ungarn und Deutschen erschienen. Wie man aber die Ursache dieses Kontrastes wußte, verschwand das Ungehörige und machte der Achtung für die Anstrengungen dieser Offiziere Platz; aber es wäre nicht unpassend gewesen, wenn man vorher darauf vorbereitet gewesen wäre.

Unendlich war der Jubel, als jetzt der Kaiser selbst an der Seite seines Bruders, des damaligen Großherzogs von Florenz, von der Generalität umgeben, erschien. Rührend, freudenvoll und erhebend war dieser Moment durch seine eigentümliche Wichtigkeit und durch die Betrachtung dessen, was zum Glück und ruhigen Wohlsein der Völker geschehen war und sich für die Zukunft hoffen ließ. Dennoch muß ich gestehen, für mein Gemüt[22] war jene unvermutete glanz- und geräuschlose Rückkehr des geliebten Landesvaters nach dem unglücklichen Kriege von 1809 am 27. November abends viel großartiger und erhebender gewesen. An dem Tage der feierlichen Ankunft i.J. 1814 war die Stadt samt den Vorstädten beleuchtet, man hatte sich darauf vorbereitet, Transparente, Inschriften, architektonische Feuerlinien machten den Anblick der Straßen glänzend und feierlich und verscheuchten die ohnedies kurze Sommernacht. An jenem nebligen, düstern Winterabende, wo noch alle Herzen gedrückt und beklommen waren, fiel auf einmal wie ein heller Hoffnungsstrahl die Nachricht: der Kaiser ist da! in das Dunkel unserer Seelen. – Hoffnung und Freude, Zuversicht und Ruhe erwachte in den bedrängten Gemütern, die Brust erweiterte sich jedem, das Vaterland, das Vaterhaus schien wieder gesichert, weil nur der Vater wieder unter uns war, und schnell entzündete an diesem innern frohen Gefühl sich auch der hellglänzende Ausdruck desselben im Äußerlichen. In der kurzen Zeit von ein paar Stunden war die improvisierte Beleuchtung in der Stadt und den Vorstädten bis an die äußersten Linien fertig. Freudenschüsse knallten, Pöller donnerten, Schwärmer zischten, Vivat und Jubelgeschrei erscholl in den Straßen, und jeder gab seine Freude auf irgendeine Weise kund.

Auch am 14. Juni 1814 war dieser Jubel groß, aber er war vorzusehen, er war sozusagen unvermeidlich gewesen. Es war auch eine herrliche Nacht. – Wir durchstrichen mit einigen unserer Bekannten die Straßen der Stadt, in denen es hell wie am Mittag war, und scheuten kein Gedränge, keine Verwirrung, um die bedeutendsten Punkte der Illumination zu sehen, an der[23] Universität, am Rathaus, bei Graf Erdödy (jetzt Graf Collowrat) und an vielen andern Plätzen, deren ich mich nicht mehr erinnere, und fühlten uns alle, trotz mancher Rippenstöße, die bei solcher Gelegenheit nicht zu vermeiden sind, und die uns eigentlich nur Lachen erregten, sehr vergnügt.


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Noch habe ich einige kleine Erinnerungen aus jenem denkwürdigen Jahre 1813 nachzutragen, die ich, um den Faden der Erzählung nicht zu unterbrechen, übergangen habe. Schon seit mehr als einem Jahre hatten ich und meine Tochter, welche eine angenehme Stimme besaß, und von einem italienischen Meister nicht für Produktion, sondern zu ihrem eigenen musikalischen Genuß, gründlich war unterrichtet worden, uns bei den Chören des hiesigen Musikvereins, welcher sich damals zu bilden anfing, sie zum Sopran und ich zum Alt einschreiben lassen, und bei den herrlichen Händel'schen Oratorien, Alexandersfest, Jesus Messias, Samson und, wenn ich nicht irre, auch Acis und Galathea mit großem Vergnügen mitgewirkt. Damals war das ganze Orchester 600 Personen stark; man fand das bewundernswert, ungeheuer; jetzt – 25 Jahre später, werden die Haydn'schen Kompositionen von 1000 Mitwirkenden aufgeführt. So hat sich die musikalische Welt oder die Liebhaberei vermehrt! Mir waren jene Musiken, die Proben sowohl als die Produktionen sehr angenehm, die Musik gewährte mir einen hohen geistigen Genuß, und die Versammlung der Mitglieder, worunter ich sehr viele Bekannte zählte, war mir eine erwünschte Gelegenheit, manche wohlbekannte öfter, und manche mir fernerstehende interessante Personen[24] doch zuweilen zu sehen. Gleich jenen Vorlesungen der beiden Schlegel und Hofrat Müllers gewährte auch dies geistigen Genuß mit geselliger Annehmlichkeit verbunden. Bei einer solchen Generalprobe nun im Herbst oder Winter 1813–1814, welche im Reitschulsaale gehalten wurde und wobei der Hof gegenwärtig war, erschien in einer Loge General Ostermann Tolstoi, er, der Held, der wie der Cherub mit dem Flammenschwerte vor dem bedrohten Böhmen bei Kulm gestanden und im Vereine mit unsern Truppen den General Vandamme von unserer Grenze zurückgeschlagen hatte. Daß er bei dieser Gelegenheit den einen Arm verloren, und so die ehrenvolle Beglaubigung seines Heldentums allen sichtbar wurde, erhöhte noch das Interesse an dieser Erscheinung, und ein Beifallssturm: Vivat Ostermann! brach von allen Seiten in dem sehr gefüllten Saale aus, und diese Akklamationen, so von selbst aus den dankbaren Herzen der Wiener aufsteigend, die Erwägung, was dieser Mann für unser Vaterland und für die gute Sache gekämpft, gelitten, regten jedes Herz auf und machten gewiß jedem diesen schönen Vormittag unvergeßlich. Aber auch ihn, den Helden, schien dieser Ausbruch ehrender Freude zu rühren, und die Art, wie er sich überrascht und gerührt dankend neigte, und sich gleich darauf hinter seine Begleiter zurückzog, stellte ihn noch höher in der allgemeinen Achtung.

Um diese Zeit hatte ein besonderes Zusammentreffen von Umständen auch zwischen Frau von Humboldt und mir, – ich kann nicht sagen, Frieden gestiftet; denn ich wenigstens war nie feindlich gegen sie gesinnt, und hatte, weiß Gott, von meiner Seite keine Ursache zu dem frostigen, ja beinahe schnöden Betragen gegeben, welches sie bei ihrem ersten Zusammentreffen mit mir[25] im Hause meiner Freundin von Schlegel und seitdem stets gegen mich beobachtet hatte; aber wir waren einander durch andere genähert worden, und endlich fanden wir uns gegenseitig nicht so übel, wie wir uns – oder sie sich eigentlich mich – zu erst gedacht haben mochten. Fr. von Humboldt war eine berühmte Frau, welche in der großen Welt als Gemahlin des preußischen Gesandten, der selbst ein ausgezeichneter Gelehrter war, als Schwägerin des großen Alexanders von Humboldt Aufsehen gemacht und als eine geistreiche Person, trotz ihrer ungünstigen Gestalt, welche der hübsche Kopf nach meiner Ansicht nicht ganz übersehen machen konnte, Leidenschaften, wie man erzählte, eingeflößt hatte. Es ist so ein eigenes Ding um dies Einflößen von Leidenschaften, um dies Wandeln auf gebrochenen Herzen, wie ich es von einer andern sehr schönen Frau nennen hörte – wenn es von einer verheirateten Frau gesagt wird, und scheint mir, nach meinen altfränkischen Begriffen, nicht wohl mit dem vereinbar, was eigentlich weibliche Würde und eheliche Treue genannt werden soll. Meine Erfahrungen haben mir in einem langen Leben gezeigt, daß so ein Einflößen, so ein Herzbrechen niemals ganz einseitig vorgehen kann. Sei die Frau noch so schön, noch so geistreich, wenn sie wahrhaft tugendhaft ist, wenn sie ihre frauliche Würde, wie sichs gehört, bei jeder Gelegenheit behauptet, so wird sie es freilich nicht hindern können, daß man sie schön oder geistreich oder liebenswürdig findet; weiter aber wird dies nicht gehen, wenn sie nicht selbst Anlaß zu ferneren Schritten gibt, wenn sie selbst gleichgültig bleibt und der Anbeter keine Ermunterung von ihrer Seite findet. Dann verglimmt die entstandene Flamme still und bald in sich selbst. Jene Geistesrichtung,[26] als ein Ritter seiner Dame zu Ehren, die ihn vielleicht kaum kannte oder der er sich nicht nähern durfte, Abenteuer bestanden, die Welt durchzogen und im Tod sich noch glücklich gepriesen hatte, wenn er ihn für sie erleiden konnte – diese schwärmerische Richtung ist mit der Ritterzeit verschwunden, wenn sie je in dieser Strenge und Ausdehnung existiert hat. In unserer Zeit muß dem Anbeter einige Möglichkeit des Gelingens, einige Hoffnung auf Gegenliebe lächeln, wenn eine Zuneigung, entstanden durch den Anblick der Schönheit oder durch den Zauber des Umgangs, bis zur Leidenschaft oder zum »broken heart« sich steigern soll. Darum erregt in mir eine Berühmtheit solcher Art immer einiges Mißtrauen gegen die eigentlichen Grundsätze einer Frau, der man sie beilegt, und im besten Falle könnte ich sie von einiger Koketterie oder, wenn auch unschuldiger, Gefallsucht nicht freisprechen.

Doch ich kehre zu Frau von Humboldt zurück. Es war eine andere, aber in anderer Richtung berühmte Frau, Frau von Wolzogen, Schillers Schwägerin und Verfasserin des lieblichen Romanes Agnes von Lilien nach Wien gekommen und wohnte bei Humboldt. Ein gemeinschaftlicher Freund von uns allen Dreien, Hofrat Büel, Mentor des jungen Grafen Browne, führte die beiden Damen Humboldt und Wolzogen zu mir. Eine gelehrte Frau und Schriftstellerin kennen zu lernen, war mir im voraus nicht angenehm, weil diese Wesen alle, besonders die aus Norddeutschland, damals einen ganz besondern Zuschnitt hatten, selten wahre Frauen, und größtenteils nur »weibliche Naturen« waren, wie damals der Modeausdruck sie bezeichnete, die in kein häusliches, in kein bürgerliches, in kein Familienverhältnis paßten, und meistenteils den Bann, den die Männer[27] auf weibliche Schriftstellerei legten, nur zu sehr rechtfertigten. Es wird manchem, der dies liest, seltsam auffallen, eine Frau, welche selbst schreibt, so über ihre Kunstgefährtinnen reden zu hören; aber es war nun einmal meine individuelle Ansicht, und daß sie sich nicht auf alle erstreckte, denen die Musen ihre Gaben mitgeteilt, läßt sich daraus erkennen, daß Frau von Schlegel, von Weißenthurn, Fräulein Artner und andere schriftstellernde Frauen, die ich später kennen lernte, mir vom ersten Augenblicke an teuer waren und blieben.

Frau von Wolzogen machte meiner Meinung nach ebenfalls eine schätzbare Ausnahme von jener Regel. Sie schien mir einfach, edel, sehr gebildet und ohne Anmaßung; und Körners Andenken, der ihr sowohl als Frau von Humboldt sehr wohlbekannt und teuer gewesen, schien vermittelnd unsere Geister zu vereinigen. Frau von Humboldt, in deren Hause er hier viel gewesen, sprach mit Tränen von ihm, die auch die meinigen hervorriefen, und von nun an war alles Störende zwischen uns verschwunden. Wir sahen uns öfters, und ich hatte mich durchaus in nichts mehr über Frau von Humboldt zu beklagen. Sie ist mir nun auch schon längst vorangegangen, und ich freue mich, ihr hiermit volle Gerechtigkeit widerfahren lassen zu können; denn sie war unstreitig eine Frau von vielem Verdienst, höchst gebildetem Geiste, eine gute Mutter und treue Freundin für die, die sie einmal liebgewonnen. So war sie auch gegen Bedrängte recht hilfreich. Baron Ramdohr, ebenfalls preußischer Gesandter in Neapel oder Rom, war auf seiner Durchreise mit uns bekannt geworden und hatte uns oft besucht. Ich verwahre wirklich noch einige Bücher und Landkarten, die er mir bei seiner[28] Abreise übergeben und nie wieder hat abholen lassen, da der Tod ihn übereilte. Er hatte unlängst geheiratet, eine ziemlich junge, hübsche Frau, und mir aus Rom und Neapel öfters freundlich geschrieben. Wie es aber gekommen, daß seine Frau ihre Wochen hier in Wien und zwar bei Frau von Humboldt gehalten, erinnere ich mich nicht mehr. Nur das weiß ich, daß sie sehr gefährlich krank gewesen, daß seltsame Symptome magnetischer Art ihre Krankheit begleiteten, daß Doktor Koreff sie behandelte, und Frau von Humboldt ihrer mit treuer Freundschaft und großer Aufopferung gepflegt hat.


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Der Krieg war geendigt, Napoleon hatte dem Thron entsagt und lebte auf der Insel Elba. Ludwig der Achtzehnte war in den Tuilerien eingezogen, und in unserer Kaiserstadt sollte der Kongreß gehalten werden, der nun, nachdem Napoleons Eroberungen von dem eigentlichen Frankreich abgerissen waren, die Ansprüche der Fürsten, die Schicksale der Völker ausgleichen und bestimmen sollte. Vom September des J. 1814 an kamen beinahe täglich einer oder mehrere größere oder kleinere Monarchen, Großfürsten, Herzöge usw. an – jene durch Glockengeläut und Kanonendonner dem Volke verkündigt, die übrigen bloß durch das Gerücht bekannt gegeben. Endlich kam der Tag, an welchem die zwei Mächtigsten unter allen, Alexander von Rußland, und Friedrich Wilhelm von Preußen, die eigentlichen Alliierten unsers Kaisers, ihren Einzug zu Pferde unter lautem Jubel des Volkes, zu beiden Seiten unsers Monarchen hielten. Zwei edle Gestalten, schlank, hoch, kräftig – doch jede in Ausdruck[29] und Farbe ganz von der andern verschieden, und beide wieder ebenso weit von der Persönlichkeit unsers Kaisers entfernt, der wie ein ehrfurchtgebietender und doch wohlwollender Vater zwischen kräftigen Heldensöhnen ritt.

Nun wimmelte die Stadt von hohen und bedeutenden Fremden, nun wohnten in der Kaiserburg selbst mehrere der höhern Monarchen, und die andern, sowie die Gesandten derjenigen, welche nicht selbst erschienen, ringsherum in der Stadt und den Vorstädten, wo eben anständige Quartiere nach dem Bedürfnis eines jeden aufzutreiben waren; denn diese Zusammenkunft so hoher Personen und die Wichtigkeit des Zeitpunktes überhaupt, hatte eine Menge Neugieriger sowohl als bei den bevorstehenden Verhandlungen Beteiligter in Wien versammelt. Die Feste begannen – und eines der schönsten, das Schönste meiner Meinung nach, nicht bloß in diesem merkwürdigen Jahre, sondern für lange Zeit, das Praterfest, die Jahresfeier der Leipziger Schlacht am 18. Oktober eröffnete die Reihe, und ward von keinem folgenden übertroffen.

Das angenehmste Herbstwetter begünstigte die im Freien veranstaltete Festlichkeit. Am frühen Morgen war alles in Wien in Bewegung, und wer nur irgend konnte, schloß sich an Offiziere und deren Familien an, um Platz und Gelegenheit zu erhalten, alles zu sehen. So hatten mich meine vieljährigen Freundinnen, die Gemahlin und Schwägerin des Landwehrobersten Baron von Richler samt meiner Tochter unter ihren Schutz genommen, und wir fuhren zeitig in den Prater hinab, wo rechts von der Allee das Kapellenzelt auf einer eigens dazu errichteten Erderhöhung aufgeschlagen war. Ein dichter Nebel lag, wie das im Herbste gewöhnlich[30] ist, auf der Gegend. – Die Monarchen – gleichviel von welcher Konfession, denn sie waren ja hier versammelt, um dem allgemeinen Vater, Schöpfer und Erhalter zu danken und ihn, der für alle derselbe ist, im Geist und der Wahrheit anzubeten – also alle diese hier versammelten Großen der Erde befanden sich auf jener Erhöhung, wo die feierliche Messe gehalten wurde. Kanonenschüsse donnerten bei den wichtigsten Teilen derselben, und ihre Erschütterungen zerteilten die Nebel und zeigten uns die helle Sonne am klaren Himmel; ein schönes Bild des erheiterten Himmels über Europas Schicksalen, der, auch von Kampf und Kanonendonner gereinigt, uns wieder lichte Hoffnungen und ruhige Klarheit zeigte.

Mich hatte schon diese Feierlichkeit sehr erhoben, meine Begleiterinnen teilten mein Gefühl, wir waren alle so vergnügt! Daß wir mehrere Bekannte fanden, mit ihnen sprachen, ihre Ansichten vernahmen, erhöhte das Vergnügen des Tages. Endlich war es Zeit, uns nach dem Lusthaus und der Simmeringer Haide zu begeben. Hier war der Ort der Mahlzeit für die ganze, damals in Wien anwesende Garnison – eine unabsehbare Menge von Tafeln war im Freien aufgeschlagen, an denen mehrere tausend Krieger, meist solche, die den Freiheitskampf mitgestritten, bewirtet wurden. Im Lusthaus selbst waren die Tafeln für die Souveräne und was zu den respektiven Höfen gehörte. Alles war Leben, alles Fröhlichkeit, heiterer Mut und selige Hoffnung einer bessern Zukunft. Die Offiziere speisten meistenteils an demselben Tische mit ihren Gemeinen, und so sah man zunächst dem Lusthaus die Tafeln für Offiziere und Gemeine des berühmten Regiments, einst Dampierre, dann 1809 Hohenzollern, 1813 Großfürst[31] Konstantin – und den Prinzen mitten unter seinen Kürassieren ihr Mahl teilend.

Aber dieses Mahl war gar nicht schlecht. Wir hielten uns zu dem Oberst von Richler, der an diesem Tag unser aller Haupt und Schirmer war, und so wurde uns an der Tafel, an der er mit seinen Leuten aß, ein freilich etwas schmaler Platz gemacht, denn wir waren ja Eindringlinge, und uns von den für alle recht gut, recht schmackhaft und genügend bereiteten Speisen mitgeteilt, so daß wir hinlänglich gesättigt waren. Hier nun, mitten unter gemeinen Kriegern, an einem Tage allgemeiner Freude, bei ungewöhnlich guter Speisung, wo Wein und mitgeteilte Lust und das erhebende Gefühl in jedes Soldaten Brust, auch das Seinige an Mühe, Gefahr und Blut zu dem nun errungenen glänzenden Sieg und beglückenden Frieden beigetragen zu haben, den Mut eines jeden steigerte, wo durch selbst ein lärmenderer Ausbruch dieser Gefühle entschuldigt gewesen wäre – hier wurde kein unziemliches Wort laut, kein roher Ausdruck innerer Lust bemerkbar. Einer fühlte sich in allen geehrt, erhoben – alle bewachten den einzelnen, und so schienen diese Tausende von Geladenen und Zusehern eine einträchtige, geordnete Familie, die sich um ihren Vater versammelte und ein gemeinschaftliches Fest beging.

Es war ein herrlicher, ein unvergeßlicher Tag – durch seine Bedeutung, durch seine erhebende Feier – am meisten durch den schlagenden Beweis, den dieses anständige Benehmen einer zahllosen Menge bei so mancher Anreizung zum Gegenteil von dem Adel gab, der in der menschlichen Natur liegt, dem man nur zu vertrauen, ihn nur vorauszusetzen braucht, um ihn mit Sicherheit hervorzurufen und auf ihn zählen zu können.[32] Wenn der Spruch unbezweifelt wahr ist: Nemo perditae dignitati parcit, so ist es auch wahr, daß edles Vertrauen oft, wo nicht immer, ein entsprechendes Betragen in dem andern bewirkt. O, der Mensch ist nicht so schlimm, als man gewöhnlich glaubt! Aber es ist leichter zu verdammen, als mit Mühe zu bessern, zu versuchen.

Auch schien sich der Himmel unserer Freude zu freuen. Die heiterste Sonne strahlte über den Glücklichen, und einzelne Ausbrüche lauter Anerkennung, gleichsam Episoden in dem schönen Ganzen, wie z.B. der Jubel, mit welchem Fürst Alois von Liechtenstein von seinem Regimente empfangen wurde, trugen bei, Vergnügen und Begeisterung unter dem zahlreich anwesenden Volke zu unterhalten. Erst mit dem sinkenden Tage trennte man sich, und eine schöne Erinnerung an dies Fest blieb gewiß in aller Herzen.


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Auch mein Gemüt war durch diese Ereignisse in große, aber freudige Aufregung gebracht und darin erhalten worden, indem alles, was mich umgab, was ich hörte und sah, zu dieser Stimmung beitrug. Ich dichtete fleißig; ich habe schon erwähnt, daß die beständige Übung in gebundener Rede, ja in Reimen zu schreiben, mir eine solche Leichtigkeit in dieser Schreibart erworben hatte, daß mir fast willenlos, auch in Briefen oder andern Aufsätzen, skandierte Prosa oder Reime in die Feder kamen. Der schmeichelhafte Erfolg, welchen das Trauerspiel »Heinrich von Hohenstaufen« erhalten hatte, und den ich, als größtenteils bloß in den Umständen gegründet, und daher diesen zuzuschreiben, damals noch nicht klar erkannte; mehr noch meines[33] guten Pichlers Freude an meinen dramatischen Arbeiten, hatten mich schon früher bei der Ankunft des Kaisers bestimmt, ein kleines, nur zweiaktiges Stück, unter dem Titel: Wiedersehen, zu schreiben, dessen Inhalt aus der Zeitgeschichte genommen war und daher bloß warme Vaterlandsliebe für Deutschland und Österreich und Widerwillen gegen Frankreich atmete. Am Schlusse hatte jede der handelnden Personen ein Couplet zu sagen, das nach dem Charakter derselben ihre Empfindungen bei der jetzigen Epoche, bei dieser Erneuerung der Zeit – wie man damals glaubte – aussprach. Unter andern hatte Fräulein Adamberger folgende Strophe zu sagen:


Mit fremdem Modeband und fremden Sitten

Beschlich uns auch die fremde Sklaverei,

Ausländisches war nur zu wohl gelitten

Und längst der deutsche Geist schon nicht mehr frei.


Das Couplet wurde sehr schön gesprochen und mit großem Beifall und allgemeinem Klatschen aufgenommen; wie erfolgreich aber diese Anerkennung sei, zeigte sogleich ein Beispiel; denn eine junge Dame aus unserm nähern Freundeskreise, Fräulein Natalie Rothkirch, jetzt Gräfin Beckers, die mit uns in der Loge war, hörte nebenan ein Frauenzimmer ausrufen: Ah! elle a bien raison!

Das Stück, das denn wirklich nur ein Gelegenheitsstück war, wurde auch nur ein paarmal gegeben; dagegen erhielt sich »Heinrich von Hohenstaufen« einige Zeit auf dem Theater und wurde, nachdem er ganz vergessen schien, nach zehn Jahren ungefähr noch einmal an der Wien gegeben.

Noch ein kleines Stück in drei Akten, dessen Stoff aus einem Roman der Madame Cottin: Amélie Mansfield,[34] genommen war, deren Mathilde ich ebenfalls den Stoff zur gleichnamigen Oper entnommen hatte, arbeitete ich in jener fruchtbaren Zeit aus, und endlich wagte ich mich noch einmal an ein größeres Stück, ein Schauspiel: Ferdinand der Zweite, aus unserer vaterländischen Geschichte. Ich war wohl mit dem »Anathema«, möchte ich sagen, bekannt, das seit der Reformationszeit auf diesem historischen Charakter ruht; seit dem nämlich, als die uns in mancher Hinsicht vorausgeeilten Protestanten sich der Geschichtsschreibung bemächtigt, und den ihrigen so gut wie uns Katholiken die Begebenheiten und Charaktere jener Epoche in dem Lichte und der Färbung, in denen sie (die Protestanten) dieselben betrachteten, überliefert haben. Seitdem haben auch wir Katholiken uns gewöhnt, Luther, den Papst, Gustav Adolf und Ferdinand II. ganz so zu beurteilen, wie ihn jene beurteilen mußten und noch müssen, wie sie aber gewiß nicht in dem Maße von Höhe und Tiefe wirklich waren. Es ist keinem Menschen übel zu nehmen, wenn er in seinen Ansichten die Farbe seines Vaterlandes, seines Glaubens, seines politischen Bekenntnisses trägt, ja eine völlige Unparteilichkeit, wenn sie möglich wäre, würde nur einen gänzlichen Mangel an Gemüt voraussetzen. Nur das glaube ich, dürfte die Billigkeit fordern, daß das Gemälde auch durch jemand von der Gegenpartei, von der entgegengesetzten Seite beleuchtet und so ein Gleichgewicht hergestellt werden möchte. Seit 200 Jahren wird Ferdinand II., seine Intoleranz, seine Härte gegen die böhmischen Aufrührer und gegen seine protestantischen Untertanen, denen er nur zwischen Abfall von ihrem Glaubensbekenntnisse oder Auswanderung die Wahl ließ, mit den abschreckendsten Farben[35] geschildert. – Wohl großenteils mit Recht; aber über dieselbe Härte und Intoleranz, welche von akatholischen Fürsten, sowohl gegen Katholiken als gegen die Anhänger derjenigen unter den beiden neuen Lehren, zu der sich jene Fürsten nicht selbst bekannten, geübt wurde, wird großenteils geschwiegen. So wissen vielleicht nur wenige, daß, während unser Ferdinand II. die Protestanten aus allen seinen Staaten vertrieb und ihnen, nur um ihre Vermögensumstände zu ordnen, in dieselben zurückzukehren erlaubte, in Schweden alle Katholiken verbannt, und ihnen bei Todesstrafe jede, auch nur zeitweise Rückkehr in ihr Vaterland verboten war. Erst vor ein paar Jahren hat die »österreichische Zeitschrift« (herausgegeben von Kaltenbaeck) einige Bruchstücke, teils Briefe, teils Berichte aus jener Zeit geliefert, welche zwar Ferdinands II. Benehmen weder rechtfertigen noch entschuldigen, aber zeigen, daß die akatholischen Fürsten sich teilweise dasselbe und noch Ärgeres gegen ihre anders glaubenden Untertanen erlaubt haben. Das hören nun freilich die Protestanten nicht gern, sie sind wohl der Meinung, man sollte so verjährten Streit lieber ruhen oder alles mit dem Mantel der Liebe bedeckt lassen. Mir aber erscheint dies wie Parteigeist, solange noch Ferdinand II. und überhaupt die strengkatholischen Fürsten jener Zeit und ihre Maßregeln allein von den Geschichtsschreibern in das grellste Licht gestellt, und somit alle Gehässigkeit auf sie wie in einem Brennpunkte versammelt wird.

Ehe ich indes manche dieser Daten gesammelt, hatte ich mir selbst aus dem, was ich über jene Zeit gelesen und gedacht, ein Bild von Ferdinands II. Charakter und Handlungsweise zusammengesetzt, das ihn, freilich nicht liebenswürdig, aber doch in vieler Rücksicht[36] achtungswert darstellte. Ich hatte seine Erziehung in dem streng katholischen Bayern, unter der Leitung der Jesuiten, seine Jugendfreundschaft für Maximilian von Bayern, seine Stellung in der damals heftig bewegten Welt, zwischen Reichsfürsten, die mit heißem Eifer entweder für oder gegen den Glauben kämpften, den er bekannte, zwischen mißvergnügten Ständen, die gern unter dem Vorwande der Religion größere Macht an sich gerissen hätten, und zwischen aufrührerischen Untertanen beherzigt und gefunden, daß man jene Zeit überhaupt, nicht bloß durch ein protestantisches Glas betrachten, daß man besonders einen Fürsten des 17. Jahrhunderts in Rücksicht seiner Aufklärung nicht nach dem Maßstabe des 19. beurteilen und dem, der nun einmal mit ganzer Seele glaubt, seine Religion sei die allein selig machende, die Begierde andere, ja alle Menschen dazu zu bekehren, und wenn es nötig wäre, dazu zu zwingen, nicht als eigentliche Grausamkeit auslegen könne. Schiller selbst, dessen sehr eifriger Protestantismus deutlich aus jedem Blatt seiner Geschichten des 30jährigen Krieges und des Abfalles der Niederlande spricht, läßt dem im Grunde menschlichen und rechtlichen Charakter dieses Fürsten Gerechtigkeit widerfahren. Arndt spricht in einer seiner Schriften mit Achtung von ihm, und so entwarf ich denn nach jenen Beobachtungen und diesen Autoritäten den Plan zu einem Stücke, dessen Inhalt mir ebenso patriotisch, als für Bühneneffekt geeignet schien.

Schon in meiner Kindheit hatte ich von meiner Tante, die sehr gern und sehr angenehm erzählte, die Geschichte von jener, ans Wunderbare streifenden Befreiung Ferdinands II. aus der Hand seiner aufrührerischen Untertanen im letzten Augenblick der dringendsten[37] Not gehört, wie schon ein großer Teil der Bewohner Österreichs und selbst der Residenzstadt bereits der neuen Lehre gehuldigt, wie Graf Matthias Thurn mit dem Heere der böhmischen Aufrührer vor der Stadt lagerte, und nun, ermutigt durch diese Hilfe, die Häupter der mißvergnügten Stände von Österreich, Steiermark und Kärnten in das Zimmer des Kaisers drangen, um ihn zur Unterschrift der Artikel zu bewegen oder – zu zwingen, die der neuen Lehre Duldung, aber auch ihnen größere Rechte und Freiheiten sichern sollten, wie der kühne Thonradl von Ebergassing den Kaiser beim Knopfe seines Wamses faßte und ihm zuherrschte: Nun, Ferdinandl, wirst du unterschreiben? – und wie in diesem Augenblick auf dem Burghof die Trompeten des Dampierreschen Regiments erschollen, das von niemand bemerkt, unter Anführung seines Obersten, Grafen von St. Hilaire, den viele und auch meine Tante Santalier nannten, auf der Donau von Krems herabgekommen, durchs Arsenal in die Stadt marschiert war, und gerade im entscheidenden Augenblick zur Rettung des hartbedrängten Monarchen erschien. Dieses merkwürdige Ereignis, verbunden mit der ebenfalls zu jener Zeit noch in vieler Andenken lebenden Legende von dem wundertätigen Kreuzbild, welches dem, in seiner höchsten Bedrängnis vor ihm betenden Kaiser soll gesagt haben: Ferdinande non te deseram – hatte ich nun oft und stets mit frommer Freude über eine offenbare Gebetserhörung erzählen gehört, möge nun das Kruzifix wirklich gesprochen, oder nur der im Gebet mit Gott vereinigte Kaiser diese tröstende Stimme in seinem Innern gehört haben, wie denn der ebenso gelehrte als fromme Fénélon, sehr oft von dieser Stimme Gottes in uns spricht, die man aber[38] nur hört, wenn die Kreaturen um uns schweigen und wir uns ganz in Gottes Nähe fühlen. Mancher einzelne Zug in den Umständen der Begebenheit sowohl als in des Kaisers Charakter erlaubte mir Anspielungen auf unsere damalige Zeit, wo auch Österreich aus großer Bedrängnis durch Gottes Fügung war gerettet worden und auf unsern Kaiser Franz, und so entstand denn dies Schauspiel, und ich hoffte, es aufführen zu sehen.

Indessen waren der Kongreß hier in Wien, die Feste, die ihn begleiteten und das raschbewegte Leben, das er mit sich brachte, ihren Gang fortgegangen. Es kamen viele und mitunter sehr schätzbare oder merkwürdige Fremde in unser Haus, und unsere Gesellschaftsabende an Dienstagen und Donnerstagen waren sehr besucht. Unter den Bedeutenderen nenne ich vor allen den Grafen Heinrich von Stolberg-Wernigerode, der nicht allein durch seinen Rang, sondern vielmehr noch durch die gediegene Bildung seines Geistes, wie durch ein edles, ebenso anstandsvolles als herzliches Benehmen uns allen ungemein wert geworden war. Daß auch er sich durch Achtung und Wohlwollen an unser Haus gezogen fühlte, bewies die Treue, mit der er nicht allein keinen der Abende versäumte, an denen meine Mutter und ich Gesellschaft empfingen, sondern sehr oft noch an den Sonntagsabenden, wann sich nur wenige und nur die nähern Freunde versammelten, zu uns kam. Unser alter geschätzter Freund, Hofrat Büel, hatte uns diesen vorzüglichen Mann zugeführt, mit dem er schon früher in Norddeutschland bekannt geworden war und Freundschaft geschlossen hatte. Noch bewahre ich als Andenken vom Grafen ein einfaches, aber geschmackvolles Teeservice von Wedgewood, das ich in einem kleinen Gedicht gefeiert habe, welches unser aller wehmütige[39] Erinnerung an die, mit ihm zugebrachten Abende schilderte und sein Porträt, das er mir viele Jahre darnach aus Marienbad zusandte, und das seine gehörige Stelle unter den Porträten werter Freunde in meinem Besuchzimmer einnimmt.

Graf Stolberg gehörte mit Fürstenberg, Ysenburg und vielen andern zu jenen Reichsfürsten, die durch den Kongreß ihre Reichsunmittelbarkeit verlieren, und künftig unter der Landeshoheit größerer deutscher Monarchen stehen sollten. Natürlicherweise ertrugen sie das ungern und waren hauptsächlich dieser drohenden Unterordnung wegen beim Kongreß anwesend. Alle versammelten sie sich in dem Hause der ebenso achtungswerten als geistreichen Fürstin von Fürstenberg-Donaueschingen, die sich an ihre Spitze stellte und, wie man sagt, sehr mutig und besonnen das Wort für sie führte. Auch diese Frau lernte ich näher kennen, wurde von ihr besucht und besuchte sie wieder. Ich zähle noch mehrere dieser Großen, die damals unser Haus besuchten, nur mit ihren Namen auf, weil sie mir, mancher persönlichen Liebenswürdigkeit ungeachtet, sonst eben durch nichts bedeutender wurden: wie den Fürsten von Lippe-Schaumburg und seine Schwester, den Grafen und die Gräfin Münster, die Baronin Münchhausen, die Fürstin Ysenburg und einige andere. Bedeutend in anderer Hinsicht waren mir General La Harpe, der vor nicht langem in der Schweiz starb, Herr Bertuch aus Weimar, Baron Cotta (der Vater), Oberst Hövel, vom Hofe des Fürsten von Hohenlohe, Herr von Rengger aus Aarau, Major von Kronenthal, Schwiegersohn des Schriftstellers Herrn Ewald, von dem er mir Briefe brachte, Dr. Weissenbach aus Salzburg usw.[40]

Es versteht sich, daß es nicht an Festen aller Art fehlte, um den höchsten und hohen Gästen angenehme Zeitkürzung zu bieten, und zugleich ihnen eine glänzende Vorstellung von dem Reichtum und Geschmack des hiesigen Hofes, wie von der Lebensweise der Residenz überhaupt zu geben. Im Theater gab es allerlei eigens für diese Zeit gedichtete Stücke, prächtige Ballette, unter denen eines: »Nina pazza per amore«, durch das unübertreffliche Spiel der Mad. Bigottini wirklich einen hohen Genuß gewährte. Die psychologisch richtige Art, mit der diese Künstlerin den Beginn des Wahnsinns bei Anhörung der Nachricht vom Tode ihres Geliebten, sowie das Erwachen aus diesem Zustande beim Wiedersehen des Totgeglaubten darstellte, wird jedem, der es sah, unvergeßlich bleiben. Der Musikverein, bei welchem meine Tochter und ich im Chor mitsangen, studierte das Oratorium »Samson« von Händel ein, und die Proben gingen sehr gut, so daß bei der Generalprobe uns lauter Beifall der ziemlich zahlreich anwesenden Zuhörer lohnte. Leider fiel dieser und mit ihm alle Freude und Begeisterung des mehr als 600 Personen starken Orchesters bei der Aufführung aus dem einzigen Umstande weg, weil eben diese Aufführung ein glänzendes Fest sein sollte, gegeben dem Hofe und allen seinen erlauchten Gästen. Man hatte die Teilnehmer des Orchesters ersucht, in Putz zu erscheinen, und zwar die Damen in weißen Kleidern, womöglich von Seide, und wer Schmuck besaß, sollte ihn anlegen, die Herren im schwarzen Frack und Claquehüten. So erschienen wir auch im herrlich, weiß mit Silber dekorierten und aufs blendendste erleuchteten Saal der k.k. Reitschule, der überhaupt in diesem Winter gewöhnlich zu den Festen verwendet wurde, wozu[41] er sich seiner Größe und Architektur wegen wohl schickte, und wenn es nötig war, sich mit den Redoutensälen in leichte Verbindung bringen ließ.

Der Saal war schon ziemlich gefüllt, und das Instrumentalorchester bereits an seinem Platz, als das Corps der Sänger und Sängerinnen die Stufen von der Galerie herab in gemessenen Reihen schritt, alle Frauen in weißen, alle Männer in schwarzen, zierlichen Anzügen. Sopran und Alto machten den Anfang. Sie schritten nebeneinander – zwei Damen hoch könnte man sagen – und bei den Bänken angelangt, die ihnen angewiesen waren, wandte sich der Sopran rechts, der Alt links und nahm seine Plätze ein. Ihnen folgten die schwarzgekleideten Herren und teilten sich ebenso in Tenor und Baß. Es soll, wie man uns später erzählte, sehr gut ausgesehen haben. Als alles placiert war, ließ der Hof nicht lange warten. Die ganze glänzende Versammlung so vieler regierender Häupter erschien in den, für sie prächtig dekorierten Logen, das Orchester erhob sich von seinen Sitzen, ein dreimaliger Beifallssturm brach los durch den ganzen, von Menschen gefüllten Saal, es war wieder ein recht erhebender Moment, aber er machte das Unglück unsers armen Oratoriums. Da der Hof mit Klatschen war empfangen worden, durfte dieses Beifallszeichen für niemand und für nichts anders mehr gebraucht werden, und so gingen denn die schönsten Tonstücke unbeklatscht, und wie es schien, ungewürdigt vorüber. Es verbreitete diese scheinbare Nichtbeachtung eine erkältende Atmosphäre über die Künstler. – Lust und Eifer ließen nach, und ich, die als ein Mitglied des Chores freilich auf keinen persönlichen Beifall hatte rechnen können, fühlte dennoch mit den übrigen das Entmutigende, das in dieser gänzlichen[42] Stille und scheinbaren Teilnahmslosigkeit des Publikums lag. Diese Bemerkung machte es mir begreiflich, welchen unendlichen Wert der Beifall des Publikums für den Schauspieler haben und wie selbst dessen Leistungen dadurch gesteigert werden müssen. Wahr ist es zwar auch, daß der Text und Gegenstand unsers Oratoriums, trotz aller Gediegenheit der Komposition und des tiefen Ausdruckes der einzelnen Tonstücke sich nicht recht für eine festliche Gelegenheit paßte. Es war der Tod Samsons – dieser aufopfernde Tod, der von Vaterlandsliebe und Rachegefühl herbeigeführt, seine Feinde mit sich selbst zugleich zugrunde richten wollte, und der letzte, wunderschöne Trauerchor: »Pflücket Lorbeern, Blumen pflückt, streut sie auf des Helden Grab«, konnte nicht anders als einen höchst ernsten, feierlichen Eindruck zurücklassen, und so war es mitunter auch wohl die Wahl dieses Oratoriums selbst, was seinem Zwecke, Freude und Heiterkeit zu verbreiten, hinderlich war. Auch sagte mir Pichler, als wir nach geendigter Musik nach Hause gingen: »Wenn ihr einmal an einem Karfreitag etwas aufführen wolltet, so könntet ihr diesen Samson wählen«, und ich mußte gestehn, daß er nicht unrecht habe.


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Die glänzendsten Feste schienen mir stets jene, bei welchen das gar so schöne Lokal des Reitschulsaales in Anspruch genommen wurde, z.B. jene Bals parés, bei welchen die Räume dieses und der beiden Redoutensäle sowie der dazugehörigen Zimmer kaum für die geladene Menge hinreichte, und der Hof nebst allen seinen hohen und niedern fürstlichen Gästen, im größten Staat, durch die ehrerbietig weichende und ebenfalls glänzend[43] geputzte Versammlung in einer Polonaise daherschritt, der Kaiser von Rußland unsre Kaiserin, unser Kaiser die russische Kaiserin führend, dann die Könige von Preußen, Dänemark, Württemberg, Bayern usw. nebst zahllosen Großfürsten, Herzögen, Prinzen usw. Unstreitig waren Figur, Anstand, Haltung und sogar auch die Jahre viel vorteilhafter bei den beiden mächtigsten Monarchen, die unserm Kaiser damals am nächsten zur Seite standen, und auch mit ihm die Hauptpersonen des großen geschichtlichen Dramas waren, das sich damals vor den Augen der bewundernden Mitwelt entrollte. Dennoch fühlten nicht bloß wir Österreicher, sondern auch die Fremden gestanden es zu, daß in der schmächtigem Person, in der einfachem Haltung unsers Kaisers eine Art von fürstlicher, ja wahrhaft kaiserlicher Würde, mit väterlichem Wohlwollen vereint, sich zeigte, welche ihn in einem geziemendern Licht als seine beiden jüngern, wohlgebildeten Gefährten erscheinen ließ, wovon der eine, Kaiser Alexander, zu viel vom modernen Elegant, der andere, Friedrich Wilhelm von Preußen, zu viel von steifer Soldatenhaltung hatte.


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Da, nachdem die deutsche Freiheit wieder erkämpft, das Fremdenjoch gebrochen war, in vielen die Hoffnung lebte, alles oder doch das meiste im Vaterland wieder in die alte Ordnung zurückkehren zu sehen, und da um jene Zeit die, schon früher durch die Bemühungen der Gebrüder Schlegel und Tiecks, der Brüder Grimm, Hagens, La Motte Fouqués usw. erregte Liebe fürs romantische Mittelalter und seine Sitten sehr weit und tief in Deutschland um sich gegriffen hatte: so war es ganz natürlich, daß auch die deutsche Tracht, und[44] eigentlich eine Nationaltracht, die uns von dem gefährlichen Einfluß der französischen Moden losgemacht hätte, zur Sprache kam und für viele ein Lieblingsgedanke wurde. Im Karneval wurde ein Karussell im Reitschulsaale gehalten, wobei Kavaliere und Damen in prächtigen Kostümen des Mittelalters erschienen und jene Gedanken noch mehr belebten. Die damalige Männertracht wurde im Vergleich mit den Anzügen der frühern Jahrhunderte übel kleidend und vor allem höchst unmalerisch befunden, und der Wunsch, sie nach jenen schönern Mustern, sowie auch die Frauentracht umzubilden, lebte in vielen Gemütern auf und bildete sich auch in dem meinen mit Liebe aus. Ich schrieb einen Aufsatz über deutsche Frauentracht, dem Herr Bertuch einen Platz in seinem, damals sehr beliebten Modejournal einräumte, und überdies hatte ich mir vorgenommen, auf einer Redoute, wo alle hohen Herrschaften gegenwärtig sein würden, mit meiner Tochter, in solcher mittelalterlichen Tracht maskiert, zu erscheinen und ein Gedicht auszuteilen, das ich zu diesem Behuf gedichtet und das die Ermahnung unsrer Ahnfrauen sein sollte, welche mit Verwunderung jenes Karussell geschaut, und ihre Enkelinnen aufforderten, sich deutsch zu kleiden. Das Gedicht begann so:


Lautlos und ruhig haben wir geschlafen,

Dreihundert Jahr in unsrer Ahnen Gruft,

Als plötzlich Fackelschein und Glanz der Waffen,

Und Zymbelnklang uns aus dem Schlummer ruft.

Die Neugier treibt uns an uns aufzuraffen,

Uns umzuschauen in der freien Luft.

Da sehn wir wundernd, fürstliche Gestalten

Ein Ritterspiel nach unsrer Weise halten.

– – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – – – –[45]

O holde Tracht! Bild guter, frommer Zeiten!

Wir grüßen dich mit freudigem Gefühl!

Ein schönres Dasein kann sich jetzt bereiten,

Wir hoffen schon von deinem Anblick viel.

Doch siegreich mußt du erst ins Leben schreiten,

Nicht dienend bloß zu Mummerei und Spiel.

Die Deutsche muß im deutschen Kleide prangen,

Nicht mehr vom Ausland das Gesetz empfangen.

Das sollen unsre Fürstinnen uns geben,

Mit hohem Sinn für deutschen Frauenstand.

Sie, die als Vorbild längst schon vor uns schweben,

Geliebt, verehrt in dem beglückten Land.

Nicht Modetorheit nur ist unser Streben,

Mit mancher stillen Tugend ist's verwandt.

Es kehrt ein beß'rer Geist und frömmre Sitte

Vielleicht mit dieser Tracht in unsre Mitte.


Das war unser Vorsatz, aber wie es mir denn in jener Zeit öfters erging, den Tag vor der Redoute bekam ich wieder Migräne und Kopfweh, und an den Ball war nicht zu denken. Die Verse aber erschienen in einer Zeitschrift.


*


So waren wir denn alle recht fröhlich und guter Dinge, und ich hatte beabsichtigt, einen kleinen Ball zu veranstalten und bereits viele meiner Bekannten dazu geladen, als ein durchaus nicht vorzusehender Fall sich ereignete, von dem ich mit Schiller sagen konnte:


Wie wenn auf einmal in die Kreise

Der Freude mit Gigantenschritt

Geheimnisvoll nach Geisterweise

Ein ungeheures Schicksal tritt.


Meine Mutter war bisher, trotz ihrer hohen Jahre – sie zählte 75 – sehr gesund und an Körper und Geist außerordentlich kräftig gewesen. Nur ihre Augen waren seit langer Zeit schon so schwach, daß sie allem Lesen und Schreiben entsagen und ich für sie das Amt[46] eines Sekretärs und Vorlesers hatte übernehmen müssen. Dies kostete mich viele Zeit, und wenn ich in früheren Jahren oft mit Betrübnis daran gedacht hatte, warum mir denn Gott nur ein einziges Kind geschenkt? so konnte ich mich später damit trösten, daß ich unmöglich die Sorge und Pflege für mehrere Kinder mit dem, was ich meiner Mutter zu leisten hatte, vereinbaren hätte können.

Um jene Zeit nun, im Jänner 1815, befand sie sich noch sehr wohl und erfreute sich des bewegten Lebens um sie herum, nur ein ganz unbedenklicher Husten, der sie seit einigen Tagen befallen hatte, störte sie bisweilen im Reden und in der Nachtruhe. Wir hatten ein Buch bekommen, das von magnetischen Kuren und Erscheinungen des Somnambulismus handelte. Wunderbare Krankheitsgeschichten waren darin nicht bloß erzählt, sondern mit Zeugnissen von berühmten und glaubwürdigen Männern, Ärzten u.a. belegt und bestätigt. Meine Mutter, die überhaupt sich sehr auf die realistische Seite neigte, verwies das alles, sowie das meiste, was sich nicht den Sinnen klar beweisen läßt, ins Reich der Träume. Mich hatten manche Erfahrungen ebenfalls sehr argwöhnisch gegen solche magnetische Wunderkuren und Erscheinungen gemacht, jedoch dünkte es mich, man könnte solche Autoritäten, wie das Buch sie anführte, ohne zu große Anmaßung nicht als ganz unstatthaft verwerfen; daher las ich meiner Mutter das Buch vor, und wir teilten uns unsre Gedanken und Bemerkungen darüber mit. Je weiter wir lasen, je mehr reizten die wunderbaren und wirklich oft aller ruhigen Beurteilung und Erfahrung spottenden Erscheinungen in diesen Krankheitsgeschichten meiner Mutter überhaupt nur zu leicht beweglichen Zorn. Sie ereiferte sich[47] sie sprach heftig, und obwohl ich ihr recht gab und durch keinerlei Widerspruch ihren Eifer erhöhte, womit sie sich gegen diese Träumereien, wie sie ihr schienen, aussprach, geriet sie doch, eben durch jenes heftige Sprechen, in ein wirklich erschreckendes Husten, so daß ich sie bat, für jetzt lieber mit ihren, gewiß richtigen Bemerkungen inne zu halten und mich nur ruhig weiter lesen zu lassen. Das geschah denn auch – der Husten stillte sich wieder, und der Tag verging wie jeder andere still und ruhig. Abends – es war ein Dienstag, und daher kamen ziemlich viele Besuche – erwähnte meine Mutter gegen einen jungen Arzt, Dr. Pohl, der in unsrer Nachbarschaft wohnte und unser Haus fast täglich besuchte, des Buchs vom tierischen Magnetismus, das ihr den Morgen so viel Ärger verursacht hatte. Auch Dr. Pohl war großenteils, obgleich nicht so unumschränkt, als sie es vielleicht gewünscht hatte, ihrer Meinung. Der Gegenstand wurde nochmals mit großem Eifer und mit aller der Heftigkeit erörtert, welche, wie ich oft bemerkt habe, gerade diejenigen Menschen in ihre Debatten legen, welche die Sache des kühlen Verstandes gegen Schwärmerei, Begeisterung, Aberglauben usw. zu führen meinen, was ich Intoleranz der Vernunft nennen möchte, die oft unnachsichtiger als der Enthusiasmus selbst ist. Abermals reizte die Heftigkeit des Sprechens den Husten auf, und abermals war meine Mutter gezwungen, das Gespräch abzubrechen. Glücklicherweise trat ein junger Offizier, Baron E., ein, der Sohn meiner verehrten Freundin, den der Frieden und der Kongreß ebenfalls nach Wien zurückgeführt hatte, und bot der Gesellschaft einen Gegenstand angenehmer Unterhaltung, indem er sehr hübsche, in zierliche Verse gekleidete[48] Rätsel vorlas, die jeder sich zu erraten bestrebte, aber nur wenige trafen, indes meine Mutter mit ihrem gewohnten Scharfsinn alle leicht löste. Es ist dies an sich ein unwichtiger Umstand, aber ich führe ihn nur an, um zu zeigen, wie geistig kräftig meine gute Mutter sich damals befand, und wie fern wir alle davon waren, zu ahnen, was zwei Stunden darnach sich zutragen sollte.

Die Gesellschaft verließ uns um die gebräuchliche Zeit. Meine Mutter war noch aufmerksam auf kleine Vorbereitungen zum Nachtmahl, welches Dr. Pohl und mein Schwager Karl Kurländer, der bei uns lebte, gewöhnlich mit uns einnahmen. Fröhlich setzten wir uns alle um den Tisch; – da ließ meine Mutter den Löffel fallen, Pichler befahl seiner Tochter ihn aufzuheben; mit Erstaunen sahen wir, daß meine Mutter, die sonst freundlich für jede kleine Leistung zu danken pflegte, dies geschehen ließ, ohne sich zu regen – allmählich sank ihr Kopf tiefer – wir blickten sie erschrocken an – es hatte sie der Schlag gerührt!

Wie mir in diesem Augenblicke war, kann ich nicht beschreiben. Es war der erste solche Fall; ich sollte noch einen zweiten erleben, der in vieler Hinsicht noch schmerzlicher, aber weil nicht so unvorbereitet, doch minder erschütternd war. Wir trugen die Mutter auf das nächste Bett. Sie gab kein Lebenszeichen, die rechte Seite war gelähmt, Dr. Pohl äußerte sich sogleich sehr bedenklich. Zwei nahe Ärzte, die gerufen wurden – der eine von ihnen Dr. Rust (später Präsident in Berlin), an den mich unser gewöhnlicher Arzt und alter Freund, Baron Türkheim, wenden hieß, da er selbst unwohl war – erklärten dasselbe, was Dr. Pohl angedeutet hatte, daß hier nichts zu hoffen sei. Doch[49] versuchten wir Einreibungen, Ziehpflaster, Arzneien. Das einzige Zeichen wiederkehrenden, obwohl nur dumpfen Bewußtseins, war der Widerwille, mit dem meine Mutter alles von sich stieß, was man ihr geben oder anbringen wollte. Sprechen konnte sie gar nicht, und ihre Sehorgane, welche sonst durch jedes hellere Licht beleidigt worden waren, vertrugen jetzt ohne zu zucken den Schein der Kerzen, die man ihr bei der Hilfeleistung ganz nahe bringen mußte. Späterhin – als der erste Tumult vorüber war – legte ich mich in meiner Trauer um sie zu ihr aufs Bett, und sie umschloß mich mit ihrem linken Arm und drückte mich innig an sich. Das war das einzige Zeichen von hellerm Bewußtsein – der Abschied zwischen Mutter und Kind – für dieses Leben! Dort find ich sie wieder.

Die Nacht verging, wie man es denken kann. Am andern Morgen kam Baron Türkheim sogleich, aber sein Ausspruch lautete ebenso trostlos: Hier ist nichts mehr zu tun! Nun wünschten wir, daß ihr die Sterbesakramente möchten gereicht werden können. An ein Beichten und Kommunizieren war nicht zu denken, aber die Letzte Ölung konnte ihr gegeben werden, und so ging mein guter Pichler eilig zu seinem Bruder, dem Pfarrer auf der Laimgrube, meldete es in unserer Pfarre, daß ein Fremder die geistliche Zeremonie verrichten werde, und wir konnten nur zu sehr aus der gänzlichen Apathie, mit der meine Mutter alles geschehen ließ, und gar nicht über die Anwesenheit meines Schwagers befremdet schien, schließen, wie vollkommen gelähmt auch ihre Geisteskräfte sein mußten.

So vergingen noch zwei ängstliche, traurige Tage. Nicht genug danken konnte ich es meinen Freundinnen, die in dieser trüben Zeit mir redlich beistanden und[50] einigen jungen Ärzten, die damals unser Haus besuchten, und meine sterbende Mutter bei Tag und Nacht nicht verließen. Am 21. Jänner endlich abends um elf Uhr verließ ihr Geist seine unbrauchbar gewordene Hülle oder schien sie wenigstens verlassen zu haben. In derselben Nacht aber war es mir plötzlich, als lege sich etwas Weiches, Warmes dicht an mich, und drücke sich fest mir an Hals und Brust. Mir war dabei sehr wohl und doch schauerlich zu Mute. Ich erwachte – es war gegen drei Uhr, und mein erster Gedanke rief mir jenen Augenblick zurück, wo meine Mutter mich vor drei Tagen zum letzten Male an sich gedrückt hatte. Fern davon, etwas behaupten zu wollen, was nur auf Ungewissen Mutmaßungen und Möglichkeiten beruht, gibt es mir doch einigen Trost, daß niemand mir beweisen kann, es sei nicht möglich, daß der Geist meiner Mutter, der vielleicht damals, als die Ärzte sie für tot erklärten, ihren Körper noch nicht wirklich verlassen hatte, erst dann entschwebt sei, und der Tochter ein nochmaliges Zeichen ihrer Liebe habe geben wollen.

So hatte ich denn beide Eltern sterben gesehen und Gott, der überhaupt, solange ich denken kann, gütig für mich gesorgt und mir die Last der auferlegten, dem Menschen unausweichbaren Leiden nie hatte zu schwer werden lassen, hatte es so gefügt, daß ich bei meines Vaters Tode bereits vermählt, in der Liebe meines Mannes und in meinem Kinde großen Trost gefunden hatte, und jetzt stand mir diese schon erwachsene Tochter zur Seite, die, rein, liebenswürdig und vielversprechend herangeblüht, mir zu großer Hilfe und Unterstützung in jener trüben Epoche war.

Das Leichenbegängnis – das an die Stelle des projektierten Balles getreten war – war endlich auch vorüber.[51] Ein paar Wochen vergingen, und obwohl ich nicht in Gesellschaften ging, empfing ich doch wieder die Besuche meiner Freunde, aber durch lange Zeit ward in dem geselligen Kreise die Lücke gefühlt, die die Abwesenheit einer so geistreichen und in jeder Hinsicht verehrungswürdigen Frau in demselben gelassen hatte, und nur langsam fand sich alles wieder in sein altes Geleise, bloß daß meine Gesundheit, die schon lange etwas gelitten hatte, durch die letzten Schrecken noch mehr erschüttert wurde, und es mehrere Monate dauerte, ehe ich mich ganz erholen konnte.

Die erste Teilnahme an den Vorgängen außer dem Hause ward mir hinsichtlich meines Stückes: »Ferdinand II.« zugemutet, das schon vor längerer Zeit bei der Direktion des Hofburgtheaters (welche damals Graf Ferdinand Palffy führte) eingereicht war.

Die Polizeihofstelle hatte es, nach den damaligen Vorschriften, der Staatskanzlei zur Einsicht übergeben. Hier fand es an dem böhmischen Patriotismus des Barons von Bretfeld, der die Ahnen seiner Landsleute nicht gerne als Rebellen und Unruhstifter auf dem Theater sehen mochte, ein unübersteigliches Hindernis; obwohl eigentlich gar kein böhmischer Rebell auftrat, Zierotin und Schlick von dieser Nation dem Könige getreu blieben und die Widerspenstigen, welche in dem Stück erschienen, österreichische Stände waren, wie denn auch wirklich Ebergassing und Tschernembl den König am härtesten bedrängt und ihn zum Unterschreiben zwingen hatten wollen. Man ersuchte mich, selbst zum Staatskanzler Fürst Metternich zu gehen und ihn um die Bewilligung zur Aufführung des Stückes zu bitten, das bereits einstudiert und probiert war worden. Ich tat es ungern. Sollizitieren war mir von jeher[52] ein sehr widerndes Geschäft, und wenn es mir selbst galt, am widrigsten. Zudem war ich in tiefster Trauer, und dieselbe Ursache, welche mir den schwarzen Anzug aufgedrungen, machte mich noch abgeneigter, mich mit außerhalb liegenden Dingen zu befassen. Indessen, Graf Palffy wünschte es, die Schauspieler, wenigstens jene, die dankbare Rollen hatten, wünschten es auch, und so ging ich denn, schon im voraus mir wenig Erfolg versprechend, denn der Sinn der Böhmen ist unbeugsam und viel früher hatte einer unserer nähern Freunde, der eben auch dieser Nation angehörige Regierungsrat Ridler, sich gegen mich selbst stark und unverhohlen über den Inhalt meines Stückes ausgesprochen, und ich glaube nicht zu irren, wenn ich die erste Motion dagegen ihm zuschreibe.

Fürst Metternich empfing mich sehr gnädig, aber aus seinen Äußerungen, daß er zwar nachsehen und das Stück selbst lesen werde, im übrigen sich aber auf seinen Zensor verlassen müsse – eben diesen Baron Bretfeld, einen Gelehrten, aber nach dem allgemeinen Urteil äußerst engen und beschränkten Geistes – verstand ich nur zu deutlich, daß hier nichts zu hoffen sei, und so war es auch. Das Stück wurde auf dem Hoftheater nie aufgeführt, die böhmische Partei war stets dagegen, und nur lange darnach ging es in einer argen Verstümmelung als Christian von Dänemark, ein- oder höchstens zweimal an der Wien über die Bretter. In dieser Gestalt, abgestreift von jeder Individualität, jedem Lokal-, jedem vaterländischen Interesse war es ein wahres Unding. Ich ging gar nicht hin, es zu sehen, denn ich hätte mich nur geärgert.

Der Februar 1815 war vergangen. Mein Haus wurde nach wie vor von meinen hiesigen Bekannten und vielen[53] Fremden besucht, alles schien geordnet, der Friede geschlossen; wir sahen einer ruhigen Zukunft entgegen, als eben wieder so plötzlich wie damals in meinen Familienverhältnissen nun ein für das Allgemeine viel überraschenderer und entmutigender Schlag fiel und alle kaum beschwichtigten Stürme erneuerte.

Es war ein Abend, an dem ich Gesellschaft erwartete. Schon waren mehrere Damen und Herrn versammelt, als Graf Stolberg mit einer Miene, die Verstimmung und Mißmut aussprach, eintrat, sich an seinen gewohnten Platz neben dem Sofa setzte, und wenig oder keinen Anteil an der Unterhaltung nahm. Während ein lebhafteres Gespräch die übrige Gesellschaft in Anspruch nahm, flüsterte er mir leise zu: »Wissen Sie schon die Nachricht, die eben gekommen? Napoleon ist von Elba entflohen, und der Krieg beginnt von neuem«. Noch sprachen wir – ich halb ungläubig und zweifelnd darüber, weil solche Gerüchte manchmal doch nur Börsespekulationen oder dergleichen absichtlich Verbreitetes sind. Bald aber trat Major Kronenthal vom badischen Hofe ein, er näherte sich uns, und bestätigte die gefürchtete Kunde, die nun durch noch andere Eintretende erzählt und der ganzen Gesellschaft zu ihrem nicht geringen Schrecken mitgeteilt wurde. In diesem Augenblicke war ich beinahe froh durch den Gedanken, daß meine arme Mutter, die durch die Wechselfälle der langen Kriege so oft und so tief erschüttert worden war, die Katastrophe, von der sich damals nur Unglück fürchten ließ, nicht erlebt hatte.


*


Indessen, das Schlimme, was wir gefürchtet hatten, und mit uns halb Europa, ging nicht in Erfüllung. Die[54] verbündeten Armeen sammelten sich aufs neue und rückten gegen Frankreich vor – die hundert Tage begannen, verliefen – die Schlacht von Waterloo wurde geschlagen, alles kehrte in seine vorige Lage zurück, und das furchtbare Meteor, das über Europas Horizont emporgestiegen war, versank in eine einsame Insel des weiten Ozeans, um dort nach einigen Jahren, ohne fernere Einwirkung auf die erschütterte Welt, zu verlöschen. Wunderbares Geschick! Fingerzeig der Vorsicht, die sich dieses gewaltigen Werkzeuges bedient hatte, um ihre Pläne mit dem Menschengeschlecht auszuführen! Nun bedurfte sie seiner nicht mehr und ließ sein Dasein spurlos enden, das durch mehrere Jahre der Leitstern, der Lebenspuls, das unumschränkte Gesetz Europas gewesen war!


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Um den Faden der Erzählung nicht zu unterbrechen, habe ich einige Ereignisse übergangen, die in dieselbe Zeit fielen, und eigentlich nicht in den Gang der Begebenheiten gehörten, die aber dennoch, besonders das letzte, welches Einfluß auf mein inneres Leben hatte, einen Platz in diesen Erinnerungen verdienen.

Eine ganz unerwartete und höchst erfreuliche Erscheinung war mir an einem Vormittag im Beginne des verflossenen Winters von 1814–1815 das plötzliche Eintreten eines lange entbehrten und sehr werten Freundes, des damals im königlich sächsischen Finanzministerium angestellten Herrn Streckfuß, der, wie sich die Leser dieser Blätter erinnern werden, in den Jahren 1805 und 1806 zu den nächsten Freunden unsers Hauses und des kleinen Kreises, in dem wir lebten, gehört hatte. Die Auseinandersetzungen, welche der[55] Frieden in den Finanzen der beteiligten Länder nötig gemacht hatte, waren die Veranlassung, welche unsern Freund im Gefolge eines sächsischen Beamten, von Miltitz, wenn ich nicht irre, damals nach Wien führte. Unsere und des ganzen Freundeskreises Freude war sehr groß, nur leider war die Anwesenheit, die seine Geschäfte ihm hier gestatteten, viel zu kurz für unsere und wohl auch für seine Wünsche. Bald darauf trat er aus den sächsischen in preußische Dienste, erhielt eine Anstellung in Berlin, ebenfalls im Finanzdepartement, stieg mit mehreren Orden geschmückt dort von Stufe zu Stufe, und lebt nun als Vater von vier wohlgeratenen Kindern und seit kurzem als Großvater in einer sehr bedeutenden Stellung, die er ganz allein seiner Geschicklichkeit, Redlichkeit und Anstrengung verdankt, und zu der er sich vom unbedeutenden Hofmeister in einem Privathause durch eigene Kraft aufgeschwungen hat. Auch hat er, trotz eines ganz ernsten und nüchternen Berufsfaches, nie seine frühere Beschäftigung mit den Musen auf die Seite gesetzt, und seine Übersetzungen der italienischen Klassiker, sowie manche eigenen Arbeiten zeugen von der strengen Benützung seiner Zeit, sowie von seiner ausgezeichneten Geisteskraft.

Sonderbar ist es, daß, vielleicht zufälligerweise, mir so viele Dichter bekannt sind, die im finanziellen oder Kameralfache ihre Berufsarbeit suchten und fanden. So sind nebst unserem verehrten Streckfuß in Berlin hier die beiden unvergeßlichen Brüder Collin bei der hiesigen Hofkammer angestellt gewesen; so gehören jetzt zu dieser Stelle: Grillparzer, Bauernfeld, Baron Schlechta, Baron Nell und der zwar nicht als Dichter, aber als Maler ausgezeichnete Herr von Habermann.[56] Daß viele unserer bedeutenden Dichter Ärzte sind oder waren, wie Haller, Lenau, Frankl, Hornbostel, Feuchtersleben u.a. kann weniger befremden, da die Arzneikunde mit den Wissenschaften und der gesamten Literatur näher verwandt, und nach der Meinung der Alten dem Schutze desselben Gottes, des Apollo untergeordnet ist.

Sehr passend reiht sich an diese Erwähnung aus der Dichterwelt die Erinnerung an den Sänger der Söhne des Tals und der Weihe der Kraft, den schwärmerischen, aber gewiß achtbaren Werner an, der, als ich ihn 1807 kennen lernte, Kammersekretär in Warschau war. An einem frühern Orte habe ich auf den passenden Zeitpunkt verwiesen, um von seiner Erscheinung und Wirkung als Priester und Prediger zu sprechen. Dieser Zeitpunkt war nun im Jahr 1814 und 1815 gekommen. Als Katholik und Geistlicher war er nach einer Abwesenheit von mehreren Jahren wieder nach Wien gekommen, hatte sich auf der Kanzel hören lassen, viel Aufsehen erregt und noch mehr Widerspruch gefunden. Endlich erfuhr ich, daß er (ich glaube es war im Herbste 1814) in einer benachbarten Vorstadtkirche predigen würde. Ich ging hin, ihn zu hören und fand im Bewunderns- und Tadelnswürdigen alles ganz so, wie verständige Freunde es mir schon geschildert hatten. Ergreifende Gedanken, erhabene Schilderungen, höchst poetische Anschauungen wechselten auf das Grellste mit ganz nüchternen, für den Ort gar nicht passenden Bemerkungen, mit fast lächerlichen Details ab. So erwähnte er in eben jener Predigt (in der Kirche im Liechtenthal) der Zerstörung Jerusalems durch den Kaiser Titus – den nämlichen Kaiser Titus, fügte er erklärend hinzu, den ihr hier auf dem Theater in der[57] Oper vorstellen seht. Späterhin, wo von der Unzulänglichkeit einzelner guter Regungen oder verdienstlicher Handlungen als einem Anspruch auf ewige Belohnungen die Rede war, sagte er: »Das wäre ebenso, als wenn der Bettler, der im Evangelio ohne hochzeitliches Kleid erschienen war, seine Lumpen mit kostbaren Spitzenmanschetten, die er angehabt, hätte rechtfertigen wollen.«

Viele, viele solcher grellen und durchaus unpassenden Bilder, Gedanken, Bemerkungen enthielten seine Predigten, und besonders liebte er es, die Tagesgeschichte und seine eigene Person mit einzuflechten. Er hatte aber ungeheuren Zulauf, und ich war ebenfalls unter seinen fleißigen Zuhörerinnen, obwohl meine Entfernung von der Stadt mir dies erschwerte. Denn damals war ich zwar nicht jung, aber rüstig, kraftvoll und munter, und ein Gang von der Alservorstadt zu den Ursulinerinnen oder den Augustinern, bei denen er öfters predigte, das Warten und Stehen in der Kirche bis die Predigt anfing und während derselben, und dann die Rückkehr zu Fuße waren mir wenig beschwerlich.

Bei den Ursulinerinnen hörte ich ihn einst des heil. Augustinus mit vieler begeisterten Wärme erwähnen, und des Herzeleids, das dieser nachmals so große Mann in seiner Jugend durch ein wüstes Leben seiner Mutter gemacht hat. Werner schilderte dies mit lebhaften Farben, und schien tief ergriffen. Da klopfte ein mir unbekannter, aber sehr anständig gekleideter Mann mich sachte auf die Schulter, und sagte: Das ist seine eigene Geschichte; und ich hörte später, daß dieser Unbekannte mir die Wahrheit gesagt habe.

Einer andern Predigt bei den Ursulinerinnen erinnere ich mich auch noch, wo er von den sieben heiligen[58] Sakramenten sprach und sie, nach dem Text des Tagesevangeliums von den fünf Broten und zwei Fischen, mit diesen auf höchst sinnreiche Weise verglich. Fünf von diesen heiligen Gnadenmitteln nämlich, sagte er, sind gleich dem Brote eine Nahrung für jedermann: die Taufe, Firmung, das Sakrament des Altars, die Buße und die letzte Ölung; zwei davon sind, wie die Fische, eine nicht jedem gedeihliche Speise: die Ehe und Priesterweihe. »Im Orient,« fing er dann mit gehobener Stimme an, indem er, sich auf die Kanzel mit beiden Armen lehnend, sich den Zuhörern gleichsam zu nähern und ihnen seine Rede recht ans Herz legen zu wollen schien – »Im Orient gibt es eine Frucht, die der heiße Sonnenstrahl zu solcher Reife und Köstlichkeit auskocht, daß sie den Geschmack und die Vorzüge aller übrigen Früchte in sich vereinigt, dies ist die Ananas – und so ist auch eins der Sakramente, welches alle Gnaden der übrigen in sich schließt, und dies ist das Sakrament des Altars.«

Gar schön verglich er ein anderes Mal am Feste Allerheiligen den Himmel mit einem herrlichen Blumengarten, in welchem die Rosen der Märtyrer, von ihrem heiligen Blut gefärbt, prangen; die Lilien der Jungfrauen blühen; die heiligen Einsiedler wie bescheidene Veilchen sich verbergen, und endlich die Sonnenblumen der Patriarchen sich sehnsüchtig der kommenden Heilssonne zuneigen, noch ehe sie erschienen war.

Besonders merkwürdig war mir eine solche Predigt bei den Jesuiten »am Hofe«. Ich war mit der Baronin Richler wie schon öfters hingegangen, um Werner zu hören. Es war im Advent über den Text jenes Evangeliums von den Predigten Johannis, welche Pharisäer und Sadduzäer zu hören gingen, freilich nicht um sich[59] zu erbauen, oder die Ermahnungen zu benützen. Mit nicht ganz bescheidener Hindeutung, wie mich dünkt, verglich er sich selbst dem heil. Johannes, indem er, unter den Sadduzäern die Weltmenschen verstehend, sagte: sie seien in Johannis Predigten gegangen, um sich zu desennuyieren und die Pharisäer (die Geistlichen nämlich) um zu sehen, wie er das Handwerk treibe. Bei dieser Stelle, so wie später bei einer andern, wo er von dem heil. Franz Xaver sagte, er sei in seiner Zeit der beste Tänzer in Paris gewesen, sah ich mehrere Personen und besonders einige junge Männer, die nicht weit von uns standen, lachen. Ich selbst fühlte mich nichts weniger als erbaut durch solche Stellen, und bei der von den Sadduzäern stieß ich meine Gefährtin leise an, indem ich sagte: das gilt uns!

Und in derselben Predigt, deren Beginn mir so wenig passend und des Gegenstandes würdig vorgekommen war, erhob sich derselbe Mann zuletzt in wahrer, begeisterter Andacht, indem er von der göttlichen Langmut sprach, welche den Sünder lange erträgt, und oft an sein Herz klopft, um ihn zur Sinnesänderung, zur Buße einzuladen. »Wird sie ihn aber immerfort ermahnen? wird sie gar nie aufhören, an sein Herz zu pochen? – Nein! Nein! rief er endlich mit donnernder Stimme: es kommt ein Tag, wann sie den Sünder verläßt und ihn dem ewigen Verderben preisgibt.« Hierauf schilderte er dies mit furchtbaren Farben; dann erhob er beide Hände gefaltet wie im brünstigen Gebet, und rief: Ich will hoffen, ja ich will zu Gott hoffen, daß dies noch bei keinem der hier Anwesenden der Fall ist usw. – Der plötzliche Schwung, den seine Rede bei dieser Wendung des Ganzen nahm, die Energie, mit der er von jenem: Nein! Nein! angefangen sprach, riß alle[60] Zuhörer unwillkürlich mit sich fort, und ich sah Tränen in den Augen derselben jungen Leute, die im Anfange der Predigt gelacht hatten.


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Von diesem Geistlichen und ausgezeichneten Manne, und von Erinnerungen religiöser Art ist der Übergang zu einem verwandten Gegenstande, nämlich zu der Einwirkung, welche, ungefähr um eben diese Zeit, von einem andern, ebenfalls diesem Stande angehörigen Manne auf mein Inneres und auf die Richtung meines Gemütes geschah, natürlich und passend.

Der Leser wird sich erinnern, daß mein Gemüt von Kindheit an nicht unfromm gewesen, daß religiöse Gedanken und Gefühle mich gern und oft beschäftigten und daß ich besonders, seit ich mehr von mir selbst abhing, auch die äußern Gebräuche der Kirche, in welcher ich geboren und erzogen worden, gern mitmachte. Es war eine Zeit, da dies so sorgfältig auch von mir nicht geschah; es war jene Zeit des öffentlich zur Schau getragenen Unglaubens, als das Beispiel und die Grundsätze von Personen, die sonst die allgemeine Achtung im höchsten Grade verdienten, so wie eine falsche Scham für beschränkt oder gar für bigott zu gelten, mich dann und wann abhielt, die Zeremonien des katholischen Gottesdienstes, insofern sie in meine Willkür gestellt waren (denn die Messe am Sonntag versäumte ich schon des Beispiels für meine Hausleute wegen niemals), mitzumachen. In meiner Eltern Haus kamen viele Leute, die entweder geradezu gar nichts glaubten, oder die, wenn ein wahrhaft religiöses Gefühl in ihnen wohnte, durchaus alle geoffenbarten Wahrheiten verwarfen und eigentlich reine Deisten waren. Es gab unter diesen[61] aber so manche höchst verehrungswürdige und strengrechtliche Menschen, daß ich sehr natürlich zu der Ansicht gelangen mußte, man könne auch ohne positive Religion recht pflichtmäßig und würdig handeln. Hierzu gesellten sich denn so viele Eindrücke, die ich durch Umgang und Lektüre erhalten, und die mir das Priestertum, die Hierarchie, den furchtbaren Kampf dieser letztern mit der weltlichen Macht als etwas ansehen machten, das nachteilig auf die Menschheit eingewirkt. Vieles trug dazu der Umstand bei, daß in der Periode des Kaisers Josef selbst die Bücher, aus denen die Jugend ihren Unterricht empfing, großenteils von Protestanten verfaßt waren, welche überhaupt seit 300 Jahren, nämlich seit der Reformation, das große Wort in Deutschland führten. So lernten wir Geschichte aus Schröckh, Naturgeschichte und Geographie aus Raffs Büchern, und sehr wohl erinnere ich mich noch, daß schon damals meine patriotische Gesinnung sich beleidigt fühlte, wenn bei Ortschaften in Böhmen oder Sachsen, die durch irgend eine Schlacht zwischen Österreich und Preußen berühmt waren, die Siege der Preußen immer mit vollem Munde gepriesen, und die unsrigen nur kurzweg angezeigt wurden. Dies war im Grunde doch auch der Antagonismus der Reformation gegen die katholische Religion; denn Preußentum und Luthertum ist so ziemlich eins, und der König von Preußen wird eigentlich von den Protestanten als der Defensor ihres Glaubens, ja als ihr Papst betrachtet!

So tief und innig auch mein religiöses Gefühl schon seit meiner Kindheit gewesen: so hatte es doch oft Zeiten gegeben, in denen dies Gefühl durch wenige äußere Übungen, wie oben gesagt, unterstützt und angefacht, durch schädliche Lektüre erschüttert, durch Zweifel beunruhigt[62] worden war. Mehr als einmal hatte sich dasselbe durch gnadenvolle Einwirkungen göttlicher Langmut wieder zurecht gefunden, und nachdem die politischen und äußern Stürme sich rings um uns zu legen anfingen und ein still geregelter Lebenslauf beginnen konnte, fing auch mein Geist an, sich nach innerer Ruhe und Beschwichtigung in gegründeter Sicherheit zu sehnen. Sichtbar hatte die Vorsicht die Begebenheiten, die Geister der Menschen, den Sinn der Gewalthaber zu einem großen, guten Zwecke hingeleitet. Diese Einwirkung war nicht zu verkennen, und der anerkennende Dank dafür öffnete das freudige Herz den milden Einflüssen der Religion, so wie schon früher Druck und Unglück uns gedrängt hatten, uns vom Allzumateriellen zur Idee zu erheben, wie eben unser Dichter Z. Werner gesungen hatte.

Es bildete sich in mir ein bestimmtes Sehnen nach den Tröstungen und Gnadenmitteln der Religion aus, und schon einige Zeit vor der Periode des allgemeinen Friedens setzte sich der Entschluß in mir fest, mich um einen würdigen Beichtvater für meine Tochter und mich umzusehen, weil ich dies für einen wesentlichen Teil der Seelenführung ansah, und damals, so wie jetzt, überzeugt bin, daß ein vernünftiger Geistlicher hierin sehr viel tun kann, und daß daher die Wahl des geistlichen Arztes mit eben der Aufmerksamkeit und Gewissenhaftigkeit geschehen sollte als die des leiblichen.

Hier aber zeigten sich mir sogleich nicht unbedeutende Schwierigkeiten. Durch die Erziehung, welche ich im Hause meiner Eltern empfangen, durch den steten Umgang mit Menschen von hoher geistiger Ausbildung, durch die Ansichten und Grundsätze, welche ich diese so oft hatte äußern hören, war ich selbst auf[63] einen Punkt der geistigen Ausbildung geführt worden, der es mir höchst wünschenswert machte, in dem Priester, welchen ich zu meinem Beichtvater erwählen sollte, einen überlegenen Geist zu finden, der in wissenschaftlicher Tiefe mir voranginge, in moralischer würdig und rein vor mir stände, und in religiöser weder durch krasse Mönchsbegriffe meinen Verstand noch durch modernen Rationalismus mein warmes Gefühl verletze. Wohl fühlte ich, daß bei dem Kulturstande, der im allgemeinen unter unserer Geistlichkeit herrschte und vermöge dessen sie sich unter die beiden letztgenannten Nuancen teilte, jene Forderungen schwer zu erfüllen sein werden. Und dennoch empfand ich bestimmt, daß ich einen solchen Beichtiger finden müßte, wenn mein Zweck, die Wirren und Zweifel, welche meinen Verstand beunruhigten, geschlichtet zu sehen und auf einen festen Pfad des Heils zu gelangen, erreicht werden sollte. Oft wandte ich mich deswegen im Gebete an Gott, und er verließ mich nicht, der gütige Menschenvater und Hüter, er sandte mir, wessen ich bedurfte, und das kam so von ungefähr, so wie von selbst, daß ich es für nichts anderes als eine wahre Manifestation der göttlichen Gnade ansehen kann, wodurch mir kund ward, wessen ich damals so sehr bedurfte.

Herr von Hammer – damals noch nicht mit allen den Würden, Orden und irdischen Gütern überhäuft, die ihm seitdem wohl verdient zuteil geworden sind – war doch schon damals (im Jahre 1813 oder 1814) einer unserer ausgezeichnetsten Gelehrten, und das darf ich mir wohl mit frohem Selbstbewußtsein sagen, ein treuer Freund unseres Hauses. Da seine Schriften, wie sein Umgang mich stets einen Mann voll religiösen Gefühls, wenngleich vielleicht nicht in ganz christlichem Sinne[64] in ihm ahnen ließen, so brachte ich, als ich einmal allein mit ihm sprach, die Rede auf meinen Wunsch, einen verständigen und wahrhaft frommen Geistlichen zu finden, dem ich meine und meiner Tochter Seelenführung anvertrauen könnte. Hammer nannte mir sogleich einen Pater Marcellian aus dem Franziskanerorden, und bei Nennung dieses Namens standen plötzlich alte Erinnerungen aus der Josefinischen Periode in mir auf; da dieser Geistliche durch seine geläuterten Religionsbegriffe wie durch seine Gelehrsamkeit sich manche Verfolgungen von seinen Ordensbrüdern zugezogen hatte, ohne darum wie ein Eulogius Schneider, Ignaz Feßler, oder Reinhold den drückenden Fesseln durch einen verbrecherischen Schritt zu entfliehen, und in noch verletzenderer Gewalttat auch den angestammten Glauben zu verläugnen. Dies alles erwog ich jetzt bei mir – Hammers Empfehlung, eines so würdigen und freundlich gesinnten Mannes, die Erinnerung an den Ruf, den sich Pater Marcellian vor mehr als 25 Jahren schon in Wien erworben, selbst die Beständigkeit und Kraft, womit er unter einem harten Drucke ausgeharrt, indes jene sich ihm widerrechtlich entzogen – alles dies bestimmte meinen Entschluß. Durch des schätzbaren Freundes Vermittlung näherte ich mich dem würdigen Seelsorger und fand alles in ihm, wessen mein Geist und mein Gefühl bedurften.

Schon lange ist mir der fromme Mann in eine bessere Welt vorangegangen, und ich war und bin außerstande, ihm alles das zu lohnen, was ich ihm für mich und mein einziges geliebtes Kind verdanke; denn sein strenger Orden und seine eigene unabhängige Gesinnung machten es mir unmöglich, ihm meinen Dank durch irgend eine kleine Aufmerksamkeit oder Gefälligkeit zu beweisen.[65] Aber nachrufen darf ich ihm denselben in das Reich des Lichts, dessen verkannter Bürger er damals schon war, und dessen volle Seligkeit er jetzt, in dasselbe aufgenommen, genießt, aus warmer, tiefer Seele; und seine milden Züge, die mich von der Wand, meinem Schreibtische gegenüber, mit schmerzlichem Leidenszuge anlächeln, rufen mir alle die trost- und erhebungsvollen Augenblicke, die sanften Ermahnungen, die weisen Lehren, welche ich von ihm hörte, ins Gedächtnis zurück.

Wie ein erfahrner und einsichtsvoller leiblicher Arzt schnell die Krankheit und ihre Ursache erkennt, so erkannte auch dieser vielerfahrne und psychologisch-scharfsichtige Mann den Gemütszustand seiner Pflegebefohlenen sogleich, sprach mit Bestimmtheit aus, was in ihren Seelen vorging, und gab ihnen die besten Vorschriften an die Hand, wie sie den offnern oder geheimem Feind in der eigenen Brust bekämpfen sollten. Oft habe ich mit Staunen und stiller Beschämung ihn die geheimsten Falten meines Gemüts entwickeln und mir über das, was in mir vorging, Belehrung geben hören. Auch hatte er in diesem Fache außerordentliche Praxis, denn nicht allein im Beichtstuhl, sondern auch an Kranken- und Sterbebetten, beim Unterrichte der Jugend und in trüben Familienangelegenheiten war P. Marcellian als vielfach gesuchter, geprüfter Rat, Tröster, Lehrer und milder Freund in ganz Wien bekannt und geehrt.

Durch ihn wurde ich mit den Schriften der christlichen Weisen St. François de Sales und Fénélon bekannt, die mir nun seit mehr als 25 Jahren eine unerschöpfliche Quelle des Trostes, der Belehrung, Erbauung und des Segens geworden sind. Ihnen verdanke ich[66] so viel Gutes, so viele Befestigung auf dem zuerst wankend betretenen Pfade, so viel Kraft und Ergebung, daß ich auch ihnen in die Auen des Friedens meinen Dank nachrufen möchte, wenn ich nicht bedächte, daß sie sowohl als mein guter, väterlicher Freund P. Marcellian dort besser als wir hier im Dunkeln Tappenden wissen, wie es mit uns steht und was wir von ihnen gelernt oder nicht gelernt haben.

Vor und noch mehr nach P. Marcellians Tode, der im Jahre 1821 oder 1822 erfolgt sein mag, da ich ihn in der letzten Zeit seiner Hinfälligkeit nicht mehr sehen und sprechen konnte, habe ich wieder längere Zeit nach einem Nachfolger desselben gesucht und endlich einen zwar nicht vollkommenen Ersatz für den Hingegangenen, aber doch nacheinander ein paar würdige Priester in unserer Nachbarschaft gefunden, die bei vielen guten Eigenschaften dem Verewigten aber an ausgebreiteter Gelehrsamkeit und ehrwürdigem Alter nachstanden. Es ist dies letzte, wenn man es genau betrachtet, wohl eine Nebensache, indessen, da ein höheres Alter auch längere Erfahrungen und ruhigere Übersicht des Lebens mit sich bringt, und das Verhältnis des Beichtigers zum Beichtkinde doch auf eine gewisse Art ein väterliches sein soll, so gab das weit vorgerückte, das meinige überragende Alter des P. Marcellian ihm auch noch diesen Vorzug. Aber freilich muß man, wenn man sich nahe an den siebzig Jahren befindet, darauf verzichten, leicht einen auf diese Weise väterlichen und noch in seinen Seelsorgerpflichten tätigen Mann zu finden.


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Es war ungefähr um diese Zeit, als ich durch die Briefe meines Freundes, Baron Merian, die erste Kunde[67] von zwei der merkwürdigsten Erscheinungen in unserer literarischen Welt, nämlich von den beiden englischen Dichtern Walter Scott und Byron erhielt. Er schickte mir einige Gedichte des Letztern in Abschrift, und schilderte mir die Arbeiten des erstem auf eine so richtige und anerkennende Weise, daß ich noch viel mehr Verlangen fühlte, Walter Scotts Dichtungen kennen zu lernen als die des Lords, obgleich die tiefe und dunkle Glut, welche aus diesen sprühte, und der Reichtum von Gefühlen, Gedanken und Bildern in denselben jeden Leser mächtig ergreifen mußte. Sobald ich konnte, suchte ich mir die versifizierten Erzählungen Scotts: den »Gesang des letzten Minstrels«, den »Fürst der Inseln«, die »Dame vom See«, zu verschaffen, und kaufte sie mir sogleich. Später erhielt ich dann, teils durch Herrn von Hammer, dem ich zuerst von diesen beiden Schriftstellern sprach, teils durch andere, den Ivanhoe, Waverley und so nach und nach, wie sie erschienen, wenigstens die meisten seiner Romane, und jeder war ein hoher, tief ergreifender Genuß für mich. Es war nicht bloß die Treue und Echtheit in der Schilderung vergangener Zeiten und Zustände, welche uns gleichsam mitten in jene längst verschwundene Welt versetzten; es war auch die Natur und tiefe psychologische Wahrheit dieser Charaktere und Seelenstimmungen; es war endlich der Reiz einer spannenden Verwicklung und überraschenden Auflösung der Begebenheiten, der oft echt dramatische, ja ich möchte sagen, theatralische Effekt mancher Situationen, vor allem aber war es das edle Gemüt, das rein menschliche Gefühl des Autors, welches mich beruhigend, zuversichtsvoll, ermunternd und erhebend aus seinen Dichtungen ansprach. Man fühlte unwillkürlich, daß nur ein durchaus guter,[68] rechtlicher und wahrhaft einsichtsvoller Mensch so denken, so gerecht, so klar und so mild zugleich die Menschen beurteilen und schildern könne, wie Walter Scott sie in seinen Werken auffaßt und darstellt. Da ist kein so verruchter Verbrecher, so lächerlicher, verkehrter Charakter, der nicht durch einen Faden rein menschlichen Gefühls, durch einen Zug weicher Empfindlichkeit mit der bessern Menschheit zusammenhinge; da ist hinwieder kein noch so edler, erhabener Mensch, der nicht durch irgend eine Schwäche oder eine zu wenig gebändigte Leidenschaft der menschlichen Gebrechlichkeit ihren Zoll entrichtete. Im allgemeinen aber muß jedes richtig gebildete Gefühl sich von Walter Scotts Schilderungen zu seiner Persönlichkeit hingezogen fühlen, und wahrlich alles, was uns Zeitungen, Journale und gediegnere Werke in Schilderungen von Walter Scotts häuslichem und Familienleben erzählen, was und wie wir es durch seines, selbst hochachtbaren Schwiegersohnes, Herrn Lockharts, Buch erfahren, dient nur dazu, den Eindruck, den Scotts Schriften und seine daraus hervorgehende Persönlichkeit auf ein unbefangenes Gemüt machen müssen, zu bestärken, zu beleuchten und zu rechtfertigen.

Von ganz anderer – und in mancher Hinsicht von ganz entgegengesetzter Art war der Eindruck, den, wenigstens auf mich, Lord Byrons Schriften gemacht haben. Blendend, überwältigend, erschütternd wirkten im ersten Augenblick seine Schilderungen, seine leidenschaftlichen Bilder und Ausdrücke auf mich. Sie drangen tief in mein Innerstes, sie regten es auf, sie beschäftigten meine Phantasie. Aber dennoch fühlte ich ebenso bestimmt ein Grauen vor diesen heimlichen Untaten,[69] verbotenen Gelüsten, rastlos wilden Leidenschaften, Meuchelmorden und offenbaren Verbrechen, welche diese Dichtungen schilderten und in denen zu wühlen, sie den Tätern nachzuempfinden, sie recht deutlich auszumalen, der Verfasser eine Art von dämonischer Lust zu finden schien. Diese Bewunderung und dieses Grauen zugleich löste sich, wenn ich länger darüber nachsann, in eine Art von mitleidigem Gefühl auf, daß so ein hochbegabter Geist, durch widrige Schicksale, vielleicht durch unbändige Leidenschaften, durch einen über alles sich aufbäumenden Stolz zu dieser innern Zerrissenheit und Menschenverachtung gekommen war, in welchen Stimmungen er gleichsam der Stifter jener unseligen Sekte der Zerrissenen unserer Zeit, das Vorbild der vom Unglück verfolgten Dichter geworden ist. Traurig ist es nur für die Hörer oder Leser dieser nachgeahmten Klagen, daß wohl die Unzufriedenheit, die ungemessenen Ansprüche, der aufbäumende Stolz überall – aber leider nur selten oder nur in einzelnen Anklängen etwas von dem hohen Genius und dem göttlichen Feuer seiner Dichtkunst bei seinen Jüngern und Nachbetern zu finden ist. –

Was uns des Lords Freund, Herr Thomas Moore, in seinen »Notices« über den Verewigten sagt, erklärt manches im Charakter und rechtfertigt oder entschuldigt manches in den Handlungen des jungen, leidenschaftlichen, hochbegabten und hochgestellten Mannes, der ganz allein in der Welt stand, nicht einmal die Liebe seiner Mutter besaß und kein befreundetes Haus hatte, in dem er sich heimisch fühlen konnte. Aber ich muß gestehen, daß die Liebe und Sorgfalt, mit welcher Moore jeden Lichtpunkt im Charakter seines Freundes hervorzuheben, jeden Schatten zu verbergen oder zu[70] entschuldigen strebt, mir unwillkürlich den Darsteller werter als den Gegenstand seiner Darstellung gemacht hat.

Von den Werken Byrons, die ich zuerst las, zog mich der »Corsair« sehr an, und es machte mir Vergnügen, mich an die Übersetzung desselben zu wagen. Da ich mich natürlich sehr mit diesem und den übrigen Gedichten Byrons beschäftigte, wurde es mir sehr wahrscheinlich, daß Lara eine Fortsetzung des Corsair sei, daß der Fremde, der bei dem Feste, wie er Lara erblickt, 'tis he! ausruft, in ihm den Konrad erkannt habe, und der treue Kaled niemand als die unglückliche Gulnare sei, welche ihm in Männerkleidung gefolgt war. Da ich eben zu jener Zeit auch Scotts Werke las und ein paar Kleinigkeiten daraus übersetzte, drängte sich mir die Bemerkung auf, daß es eigentlich zweierlei Englisch gäbe, oder vielmehr, daß nach der Sinnesart und Richtung der Autoren, der eine sich mehr der französischen oder lateinischen Bezeichnungen der Dinge, der andere mehr der deutschen bedient, ich möchte sagen: der eine schreibe ein normännisches, der andere ein angelsächsisches Englisch; denn aus diesen zwei Grundstoffen ist diese Sprache zusammengesetzt, wie denn auch sehr viele Worte, besonders die, welche konkrete Gegenstände bezeichnen, zweierlei Ausdrücke haben, z.B. Waterfall und Cataract, Well und Fountain, Earl und Count, House und Mansion usw. usw.

Scott bedient sich mehr der angelsächsischen, Byron der normännischen Bezeichnungen. Des Ersten Ausdruck, Ansicht, Sinnesart ist überhaupt dem Deutschen näher, und so habe ich es viel leichter gefunden, etwas von ihm ins Deutsche zu übertragen, und manchmal[71] Wort für Wort und in einzelnen Fällen sogar den Klang der Reime mit herüberschreiben zu können.


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Ich ergreife den Faden der Erzählung wieder im Frühling von 1815, als ich mich anschickte, die Baronin Zay, ihrer freundlichen Einladung gemäß, in Buchen auf ihrem Schlosse, einige Stunden hinter Preßburg, zu besuchen, wohin sie mich diesen Winter, den sie des Kongresses und seiner Freuden wegen in Wien zugebracht, eingeladen. In ihrem Hause traf ich denn auch mit großem Vergnügen die beiden Schwestern Therese und Wilhelmine Artner wieder, die ich in Zinkendorf das Jahr vorher kennen gelernt, und Frau von Neumann, die Gemahlin eines Offiziers der kaiserlichen Garde, eine Frau, ebenfalls in mittleren Jahren wie Therese, und eine Jugendfreundin derselben, die mit ihr vereint, die Feldblumen auf Ungarns Fluren, gesammelt von Nina und Theone, herausgegeben hatte. Marianne, so hieß Frau von Neumann, war eine sehr verständige, gebildete und in jeder Rücksicht achtungswerte Frau, aber jene anspruchslose Güte, jenes offene und doch so bescheiden milde Wesen, welches in Theresens Erscheinung lebhaft und innig ansprach, besaß Marianne nicht. Es war eben eine andere Eigentümlichkeit, so wie Marie (die Baronin Zay) und Wilhelmine Artner ebenfalls ganz verschieden von jenen beiden, und doch alle vier in den Grundzügen, nämlich in Trefflichkeit der Denkart, hoher Geistesbildung und praktischer Herzensgüte ganz überein kamen. Mir war dieser Kreis den Winter über sehr wert und nahe befreundet geworden. Ich folgte also willig der freundlichen Aufforderung, besonders da der Verlust meiner[72] teuren Mutter mir in diesem Stück eine traurige Freiheit gegeben hatte.

Die Schlacht von Waterloo war vorüber, und die Nachricht davon hatte großen Jubel hervorgebracht. Mir persönlich hatte indes dieser Jubel lächerlicher Weise Schaden getan. Ich war um einen echten Schal mit einer Schalhändlerin im Verkehr. Die Ware war in Einlösungsscheinen zu bezahlen, und an einem bestimmten Tage sollte ich den Schal erhalten und das Geld hergeben. Nun aber kam gerade an diesem Vormittag die Siegesnachricht, der Kurs stieg, die Einlösungsscheine hoben sich bedeutend im Wert und mein Schal kostete nachmittags um 50–60 fl. mehr als er noch morgens gekostet haben würde. Aber wie gern ertrug man solchen Verlust, und fand ihn eigentlich komisch! Auch erwähne ich seiner nur, um einen Begriff von dem damaligen Schwanken unserer finanziellen und daher auch ökonomischen Verhältnisse zu geben, die in so manchen Familien bedeutenden Verlust oder Entbehrungen verursachten.

Ein langjähriger und mir sehr geschätzter Bekannter, der Feldkriegskommissär von Romano, den ich seit meiner frühesten Jugend kannte, da er der Sohn werter Freunde meiner Eltern und sogar meines Vaters Taufpate war, nach dem er auch Franz von Sales hieß, Wilhelminens von Artner Freund und längst designierter Bräutigam, bot sich uns zum Begleiter nach Buchen an, wo er seine Geliebte und künftige Braut besuchen wollte. Sehr gern ergriffen meine Tochter und ich dieses Anerbieten. Pichler konnte uns, seiner Geschäfte wegen, nicht begleiten, aber er versprach, uns in Preßburg abzuholen, und so reisten wir an einem herrlichen Juniusmorgen mit Landkutscherpferden ab, und fuhren gleich[73] hinter der Leopoldstadt über die Donau, dann durchs Marchfeld bis Schloßhof, wo wir über Mittag blieben. Der Stabsoffizier, welcher hier befahl, war Romanos Freund, er führte uns in den kaiserlichen Stallungen und endlich im Schlosse umher, das nach dem Geschmack der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vom großen Prinzen Eugen mit Feldherrnblick auf einer weiten Fläche, die Umgegend dominierend, erbaut worden ist und das er einst bewohnte. Wir besahen seine Zimmer, die wohl seitdem – es war nahe an hundert Jahre – manche Veränderungen mochten erfahren haben. Aber ein Schrank von altväterischer Form, der jetzt als Rokokko schon deshalb geschätzt werden würde, bewahrte noch bestimmter, kostbare Andenken des erhabenen Mannes, dem er einst gedient. Der Schrank war ein sogenannter Aufsatzkasten, der unten Schubladen, dann ein schiefes, herauszulegendes Pult, und loben in dem eigentlichen Aufsatze viele größere und kleinere Fächer und Schubladen hatte, auf denen noch die Etiketten von des Prinzen eigener Hand, auf schmale Papierstreifen geschrieben, angebracht waren. Es ist ein eigenes Gefühl, nach so langer Zeit ein solches Überbleibsel der Vergangenheit und solche Spuren einer ehemaligen berühmten Wirksamkeit zu betrachten, das sorgfältig bewahrt, geradeso aussah, als ob der Prinz – der Held, dieser Sieger von Zenta und Salankemen, die Hauptstütze der österreichischen Macht – gestern noch an demselben gesessen hätte.

Nachdem wir mit vielem Vergnügen diese Anstalten der Gegenwart und diese Reliquie der Vergangenheit betrachtet hatten, setzten wir unsern Weg gegen die von fern sichtbaren Berge oder vielmehr Hügel fort, an deren jenseitigem Fuße Preßburg liegt. Im Sommer,[74] bei schöner Witterung ist diese Straße nicht unangenehm zu befahren, obgleich dem Auge auf der weiten Fläche des Marchfeldes wohl viele Dörfer und eine gedeihliche Kultur, nirgends aber – eben jenes Schloßhof ausgenommen, und dies auch nur seiner Erinnerungen wegen – irgend ein schöner oder merkwürdiger Punkt sichtbar werden. Im schlechten Wetter ist sie des fruchtbaren, aber weichen Bodens wegen sehr schlecht.

So wie man sich der Hügelreihe nähert, die meist mit Wein bepflanzt ist, wird die Gegend hübscher. Es war Abend, als wir hinkamen, alles in freundlichen Schimmer gekleidet, und sonderbar! wir bemerkten sehr viele Distelfinken, die hier in der Nähe des Weges herumhüpften und durch ihr buntes Gefieder dem Auge angenehm auffielen. Endlich hatten wir auf dieser Straße die Höhe des Weingebirges erreicht, und nun lag jenseits eine recht schöne Landschaft zu beiden Seiten der Donau verbreitet vor uns, drüben die Auen und weiter hin eine unabsehbare Fläche, diesseits die freundliche Stadt, am Flusse hin gedehnt, und mit ihren Häusern, aus denen der altertümliche Dom hervorragt, auf den Hügeln hinauf bis zum gespenstischen Schloß steigend, das – seit dem Brand 1801 nicht wieder aufgebaut, ohne Dach, ohne Abteilung der Stockwerke, ohne Fenster und Türme, wo »des Himmels Wolken hoch hineinschauen« – mir wie ein großes schauerliches Totengeripp vorkam, das von seiner Höhe auf die lebenvolle Welt unten hinabblickt. Das alles vom Abendgold verklärt, sah sehr einladend aus. Wir übernachteten in Preßburg in einem reinlichen Wirtshause, in dem Bedienung, Küche, Sprache usw. uns durch nichts erinnerten, daß wir nicht mehr in Österreich, sondern in[75] einem Lande von ganz verschiedener Nationalität waren. Alles war hier auf deutschen Fuß eingerichtet, und freilich liegt diese zweite Hauptstadt des ungarischen Reiches ganz auf der Grenze und kaum ein paar Stunden tiefer im Lande.

Am andern Morgen setzten wir unsere Reise fort. Noch war die Gegend um uns angenehm. Die Auen der Donau begleiteten uns bis Lanschitz, und hier führt noch der Weg wie durch einen Park bis zum gräflich Esterhazyschen Schlosse, dessen zierlicher Turm aus Baumwipfeln hervorragt. Hinter Lanschitz verlieren sich die freundlichen Bäume, wir sahen uns auf einer weiten, unübersehbaren Ebene, nur linker Hand zogen sich die grünenden Hügel, auf welchen St. Georgen, Bibersburg, Modern liegen, in einiger Entfernung hin. Alles übrige war eine fruchtbare, mit mehreren Ortschaften besetzte, aber übrigens sehr einförmige Fläche. Nur später erquickten das Auge die reichen, bunten Farben der Mohnfelder, die eben in schönster Blüte standen und dem Lande das Ansehen eines Gartens gaben, indem sie es zugleich zieren und den Bewohnern ihre so beliebte Speise, den Mohnsamen liefern, der zu allerlei Mehlspeisen und Bäckereien, meist mit Honig vermischt, verwendet wird. Endlich tauchten eine Menge Kirchtürme aus der weiten Fläche auf, und zu gleicher Zeit zeigten sich uns rechter Hand liebliche, begrünte Höhen, die letzten Ausläufer der mächtigen Karpathen, die sich hier in der Ebene verlieren. Auf diesen Höhen erschien ein niedliches Schloß Freistadtl, dem Grafen Erdödy gehörig, und am Fuße desselben strömt, wie unser begleitender Freund uns berichtete, jetzt noch von uns nicht gesehen, der Waagfluß hin, ein bedeutender, aber wilder und regelloser Bergstrom, der oft ungeheure[76] Verwüstungen anrichtet und, wie die Ungarn sagen, von seinem irren, ungezügelten Laufe – vagari – den Namen Vagus hat, den die Deutschen mit Waag wiedergeben. Jene vielen Türme zeigten sich bald als die kleine, aber hübsche Stadt Tyrnau, damals noch der Sitz des Domkapitels von Gran, das, als im 16. Jahrhundert diese Stadt nebst Ofen und vielen andern Bezirken in die Macht der Türken gefallen war, sich von Gran nach Tyrnau gezogen. Überhaupt begegnet man in Ungarn vielen geschichtlichen Erinnerungen, aber meist trauriger Art, von innerlichen Kriegen und auswärtigen barbarischen Eroberungen, wie denn sogar behauptet wird, daß die Türken einst bis Freistadtl gekommen, und der runde, halbzerfallene Turm, den man daselbst sieht, noch ein türkisches Überbleibsel sei.

Nach drei Viertelstunden erreichten wir den Ort unserer Bestimmung, das Schloß Bucsan, das recht freundlich zwischen den hohen Pappeln und andern Bäumen des großen Gartens in einer Niederung vor uns lag. Daß wir mit großer Herzlichkeit aufgenommen wurden, und die vierzehn Tage unsers Aufenthalts aufs Angenehmste und nur zu schnell vergingen, war zu erwarten. Außer Theresen und Minna von Artner trafen wir auch eine verwitwete Schwester derselben, Frau von Witte an, eine der trefflichsten Frauen, die ich gekannt, und Mutter von zwei Söhnen, einem Stiefsohn, der bereits Offizier war, und einem eigenen Jüngern, welcher noch studierte. Alle diese Personen gehörten der protestantischen Kirche an, aber kein Wort, keine Bemerkung berührte je diese verschiedene Stellung, und Fürst Ernst von Schwarzenberg, einer der Graner Domherrn, ein höchst liebenswürdiger Gesellschafter und ebenso schätzbarer Priester, kam sehr[77] oft von Tyrnau herüber, um einige Stunden mit seinen evangelischen Nachbarn und Freunden zuzubringen. Da trug uns denn zuweilen die Abendluft, wenn wir an einem der lieblichen Gartenplätze das Vesperbrot einnahmen, plötzlich die harmonischen Töne von zwei oder drei wohlklingenden Männerstimmen zu, welche in irgend einem nahen Gebüsch ihren Gesang anstimmten, und das waren Fürst Ernst und ein paar Herren seines Gefolges, welche die Gesellschaft aufs Angenehmste überraschten. Überhaupt wurde in Bucsan viel Musik getrieben. Der einzige Sohn des Hauses, jetzt Graf Karl Zay, spielte sehr gut Klavier, meiner Tochter Spiel und Gesang war ebenfalls nicht unbedeutend, Therese und ich halfen mit, wo es nötig war, und es herrschte ein Grad von Bildung und ein gesellschaftlicher Ton in diesem ungarischen Magnatenhause, den man nicht leicht in einer Stadt wiederfinden würde. Auch war dieses Haus, durch Vermögensumstände, allgemein anerkannte moralische Würde, Gastfreiheit und Heiterkeit, der Mittelpunkt der ringsum wohnenden Nachbarn. Das hat das ungarische Landleben vor dem in Österreich und Böhmen voraus, daß nicht ein einziger Herr die ganze, oft sehr große Herrschaft sein nennen kann, sondern daß auf demselben Dorfe sich mehrere, wenn auch unbedeutendere Mitbesitzer (compossessores) befinden, die auf anspruchlosen, aber keiner wahren Bequemlichkeit ermangelnden Edelhöfen Winter und Sommer leben, und sich auf diese Weise bald aus der Nachbarschaft ein ganz artiger Kreis von gebildeten und selbst mitunter talent- und kenntnisreichen Menschen zusammenfinden kann. Sonderbar mag es verwöhnten Großstädtern dann wohl zuweilen erscheinen, wenn sie in einen solchen[78] Edelhof treten, dessen bescheidenes Rez-de-chaussée in Österreich höchstens eine Verwalterwohnung ankünden würde; und nun in geweißten oder einfach gemalten, aber reinlichen Stuben neben einem eisernen oder wohl gar Kachelofen elegante und bequeme Möbel, eine nicht unbedeutende Bibliothek oder naturgeschichtliche Sammlung, und vor allem eine Profusion von Silbergeschirr auf der Toilette der Frau vom Hause oder bei der Tafel finden. Diese Verhältnisse sind es, welche, wenigstens in dem Teil von Ungarn, der mir bekannt geworden, dem Landleben einen großen Reiz selbst im Winter geben, und die gesellige Bildung befördern.

Die vierzehn Tage, welche zu diesem Landaufenthalt bestimmt waren, flogen nur zu schnell dahin. Romano und wir brachen endlich auf, kehrten nach Preßburg zurück, fanden hier meinen geliebten Pichler und den Schwager Karl Kurländer, die uns abzuholen gekommen waren, und in deren Begleitung wir ebenfalls über das Marchfeld nach Wien gelangten.

Denselben Herbst wurde noch eine Reise nach Linz, über Lilienfeld, gemacht. Lilienfeld, in dem romantischen Tale der Traisen gelegen, würde schon durch seine Umgebung, durch sein Alter – es ward im dreizehnten Jahrhundert vom Herzog Leopold dem Glorreichen aus dem Hause Babenberg begründet – für jeden Reisenden interessant sein. Für uns hatte es noch den Wert, hier einen alten werten Freund, den damaligen Prälaten zu finden, welcher uns stets mit der größten Freundschaft und Gastfreiheit aufnahm. Bei einem dieser Besuche, die wir fast jährlich bei ihm machten, traf es sich, daß mir in meinen ältern Tagen eine so schmeichelhafte Auszeichnung wurde, wie ich sie in[79] meiner Jugend nicht erfahren. Es regnete eben diesen Tag ganz gewaltig, was denn überhaupt in diesen Gebirgen oft der Fall ist, und mir zur Veranlassung wurde, recht anhaltend nasse Witterung ein »Lilienfelder Wetter« zu benennen, wogegen freilich unser Freund Abt Ladislaus höchlich protestierte. An jenem Tage also stand ein junger Mann – den ich übrigens nicht kannte und nie gesehen habe – durch mehr als drei Stunden trotz des schlimmen Wetters unter dem Torwege eines Hauses, um die Verfasserin des Agathokles und der Hohenberge vorüberfahren zu sehen. Diese Hohenberge gelangten überhaupt hier in Lilienfeld zu einer großen und nicht ganz verdienten Zelebrität. Man setzte nämlich sehr gütig voraus, daß alles in dem Buche Erzählte oder wenigstens das meiste geschichtlich sei – man suchte das Fenster, aus dem sich Herrmann geflüchtet, das Haus, worin Mechtild gewohnt; ja einer unserer, freilich minder berühmten Historiker bezog sich sogar in einem Werke über die Vorzeit von Steiermark auf diesen Roman, als auf einen geschichtlichen Beleg (worin er aber ganz Unrecht hatte, denn die im Romane vorausgesetzte Teilnahme des Grafen Hohenberg an dem Mord Kaiser Albrechts war reine Fiktion). Ein paar Jahre später wurde diesem Buch die Ehre, daß die Kaiserin Marie Louise, die nach ihrer Trennung von ihrem Gemahl nach Österreich zurückgekehrt war, und nach dem damals herrschenden Geschmack an Gebirgsreisen und den damit verbundenen Altertümern, auch mehrmals nach Lilienfeld kam, das Grabmal des letzten, eines Grafen Friedrich von Hohenberg, das dort im Kreuzgang befindlich ist, für ihre Mappe selbst abzeichnete.

Auf dieser kleinen Reise, und auf der Rückkehr von Lilienfeld ereignete sich das erstemal jener böse Zufall,[80] der wohl den eigentlichen Grund zu Pichlers folgenden, oft wiederkehrenden körperlichen Leiden legte. Er hatte im Stifte mit den Beamten desselben und denen des Kreisamtes, die ihn begleiteten, sowie mit den Gräflich Hoyosschen und mit den Besitzern der Schwemmen usw. mehrere Tage kommissioniert, und solche Auseinandersetzungen, wobei der Privatvorteil mit dem des Staates in sehr begreiflich leichten Konflikt kam, konnten ebenfalls dem höhern Staatsdiener, der hier die Interessen dieses letztern vertrat, leicht Verdruß erregen. Das geschah denn auch, und Pichler kam den Abend vor unserer Abreise so spät in die uns angewiesenen Zimmer zurück, daß Lotte und ich uns bereits niedergelegt hatten. Er war erhitzt und unmutig im höchsten Grade; erzählte mir, daß er viel Verdruß gehabt, äußerte sich aber nicht bestimmt mit wem? und worüber? und ging dann auch zur Ruhe. Am andern Tage war es kalt, stürmisch, wir fuhren ab. So lange wir zwischen den Bergen blieben, war die Kälte erträglich, bei Mödling aber auf die freie Ebene gelangt (wir fuhren die Wallfahrtsstraße, welche ungleich schöner ist als die über St. Pölten) wurde der scharfe Nordostwind sehr empfindlich. War es nun diese Kälte, war es der gestrige Verdruß und die dadurch gereizten Nerven oder beides zusammen; genug, Pichler fühlte schon im Wagen Schmerz und Krämpfe. – Zu Hause angekommen, mußte er sich sogleich zu Bette legen und Karl (Kurländer), unser treuer Freund und Hausgenosse, eilte selbst zu einem Doktor aus dem Universalspital, um sogleich Hilfe zu schaffen, weil hier Gefahr auf dem Verzuge war. Sodann wurde, weil unser Ordinarius Baron Türkheim abwesend war, ein anderer, für geschickt bekannter Arzt gerufen und die nötigen Mittel[81] unter Angst und Sorge angewendet. Pichler litt sehr, es dauerte einige Stunden, endlich löste sich durch Gottes Hilfe der fürchterliche Krampf, das Übel war besiegt, und Ruhe und Wärme heilten es vollends aus. Wie mir und der Tochter war und wie entzückt wir Gott dankten, als die Heilung versichert war, brauche ich wohl nicht zu schildern. Aber leider mag sich in diesem Anfall der Grund zu allen nachfolgenden ähnlichen gebildet haben, die denn auch – freilich erst nach mehr als zwanzig Jahren, aber dennoch unwiderleglich die Ursache seines Todes wurden.

Noch muß ich eines Ereignisses erwähnen, das, obwohl es ohne alle Folgen blieb, mir und meiner Tochter immer wert und wichtig bleiben wird. Einer unserer ausgezeichnetsten Männer, der als Gelehrter eines mehr als europäischen Rufes genießt, und als Mensch nicht weniger allen seinen Bekannten und Freunden schätzbar ist, warb um diese Zeit um Lottchens Hand. Der Antrag war ebenso schmeichelhaft als ehrenvoll. Pichler und ich erfreuten uns dessen sehr, und würden, wenn die Tochter Liebe für den Freier empfunden hätte, über den einzigen ungünstigen Umstand einer zu großen Altersverschiedenheit hinweggesehen haben. Da aber Lottchens Herz, so sehr sie übrigens den Mann als einen Freund ihrer Eltern ehrte, nicht für ihn sprach, machten wir uns ein Bedenken, das Mädchen, das noch nie geliebt hatte, zu einer Vernunftheirat zu überreden, fürchtend, daß, wenn früher oder später diese Gefühle in ihr erwachen und vielleicht die Richtung auf einen andern jüngern Gegenstand nehmen sollten, ihr und ihres Gatten Glück auf dem Spiele stehen würde. So enthielten wir uns alles Zuredens und erwarteten bloß, ob und wie Lottchens Herz entscheiden würde. Es[82] sprach nicht für den Bewerber, und dieser zog sich mit ebenso viel Würde und Zartgefühl, als er sich genähert, wieder zurück, blieb aber fortan unser und Lottchens treuer Freund. Ungefähr ein Jahr darnach fand er in einem andern, ebenfalls sehr jungen und höchst gebildeten Mädchen unserer Bekanntschaft vollen Ersatz, und mehr als dies, indem seiner jetzigen Gemahlin Geschmack und Lebensbegriff, der sich mehr für die große Welt eignet, viel besser zu dem ihres Gatten paßten, als der stillere Sinn Lottchens je getan haben würde.

Bald darauf wurden uns noch ein paar Anträge dieser Art gemacht; ebenfalls von älteren, angesehenen Männern, deren einer Besitzer eines Landgutes und Vater von drei Kindern in dem Alter meiner Tochter war. Hier war kein persönlicher Ersatz für entbehrtes Jugend- und Liebesglück – bloße Versorgung, und dieserwegen bedurfte, durch Gottes Gnade, unsere Tochter nicht zu heiraten.


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So ging das Jahr 1815, das mir viel Schmerz, viel Sorgen, aber auch mitunter manches Angenehme gebracht hatte, vorüber und wir standen wieder erwartungsvoll vor einer Pforte der Zukunft.

Unser geselliges Leben setzte sich auf die Weise, wie es bisher gestaltet gewesen, fort. Es besuchten uns viele Einheimische und beinahe noch mehr Fremde. Durch das Haus Friedrichs von Schlegel, mit dessen Frau ich seit dem Anfange unserer Bekanntschaft einen freundschaftlichen Umgang unterhalten hatte, lernte ich viele, und mitunter bedeutende Auswärtige kennen, deren einige denn auch in unser Haus kamen. Einer derselben, der uns sehr wert wurde, war der nun auch verstorbene[83] Herr von Bucholtz, als Schriftsteller und Mensch gleich achtungswürdig. Hofrat Büel, unser mehrjähriger Freund, führte vieler seiner Landsleute, Schweizer, bei uns ein, von denen der eine, ein ungemein achtungswerter Mann, Herr Peter, Kaufmann aus Winterthur, uns bis jetzt seine Freundschaft treu bewahrt, uns, so oft er nach Wien kommt, stets die Freude seines Besuches gönnt, und öfter freundliche Andenken zurückläßt. Ich werde später Gelegenheit haben, dieses Mannes noch dankbar zu erwähnen. Auch Baron Retzer, damals als Bücherzensor ein wahrer Mäcenas und schützender Hort vieler Autoren, der diese Mäcenatenschaft mit Umsicht benutzte, um sich an den von ihm protegierten Schriftstellern, die er nicht allzustreng zensurierte, ebenso viele Panegyriker und Klienten zu erwerben, die seinen Namen und sein Lob in Dedikacen oder Gedichten in alle Welt trugen – auch Baron Retzer stellte mehrere Fremde bei uns vor. Dies war überhaupt sein gern geübtes Geschäft, und er teilte dann mit den eingeführten Fremden die diesen erwiesenen Artigkeiten, Diners, Einladungen usw., gab sich aber auch sonst mit vieler Gefälligkeit Mühe, den Ankommenden, die sich aus der Ferne schon an ihn wandten, hier Quartier zu bestellen, sie überall hinzuführen, wo etwas Merkwürdiges zu sehen war oder wo sie hingebeten waren. Seit längerer Zeit hatten wir immer mit einer unserer ausgezeichnetsten Schauspielerinnen, Fräulein Toni Adamberger in freundschaftlichen Beziehungen gestanden. Schon ihre Eltern (ihre Mutter war früher eine große Zierde der hiesigen Bühne gewesen, und ihr Vater, ein ausgezeichneter Sänger und Mitglied des Opernpersonales sowohl als später der Hofkapelle, hatte mich im Gesang unterrichtet) waren mit den meinigen[84] wohl bekannt, und oft in unserm Hause gewesen. So setzte sich dieses Verhältnis auch nach der Eltern Tod, als Fräulein Adamberger mit ihren Geschwistern bei ihrer unverheirateten Tante lebte, fort. Für sie hauptsächlich war in meinem Heinrich von Hohenstaufen die Margarethe, und im Ferdinand II. die Maria Hofkirchen geschrieben. Wir besuchten uns öfters, und Toni, so wurde sie allgemein nach ihrem Taufnamen genannt, galt in ganz Wien, ja in ganz Deutschland, vor dessen Augen sie nicht bloß ihr schönes Talent, sondern noch mehr Körners Liebe und Wahl verklärte, für ein Muster weiblicher Zucht und Sitte, sowohl unter den Schauspielerinnen als den Mädchen überhaupt. – Un dragon de vertu nannte man sie sogar in den Zeiten des Kongresses, und mit den Zeilen, welche sie als Margarete im Heinrich von Hohenstaufen zu sprechen hatte:


Und die so freundlich sich um uns erweisen,

Die stets umsonst der Schuldbewußte sucht,

Die guten, reinen Engel heißen

Geduld und Frömmigkeit und Zucht –


glaubte ich, der Schauspielerin eigenstes Wesen geschildert zu haben, und ganz Wien teilte meine Überzeugung.

Da mein Ferdinand II. nicht gegeben werden durfte, veranstalteten wir wenigstens zu Hause eine Lesung des Stückes mit ausgeteilten Rollen; eine Art geselliger Unterhaltung, die damals in Wien und so denn auch in unserm Hause sehr gewöhnlich war. Die beiden Mitglieder des Hoftheaters, Fräulein Adamberger und Herr Korn, der so wie seine Gattin, mit der er damals in musterhafter Ehe lebte, ebenfalls zu den nähern Bekannten unseres Hauses gehörten, hatten die ihnen im Theater bestimmten Rollen übernommen, Korn den[85] St. Hilaire, Toni, Marien von Hofkirchen, Heurteur den Kaiser Ferdinand, Herr von Deinhardstein, jetzt Vizedirektor des Hoftheaters, den Ebergassing, Pichler den Grafen Zierotin – der übrigen erinnere ich mich nicht mehr, nur das weiß ich, daß, als im dritten oder vierten Akt der Wienerstudent Ulrich Moser auftreten sollte, ein herzliches Gelächter erscholl, indem meine Tochter, aus Mangel eines andern jungen Menschen, diese Rolle übernommen hatte, und sich nun an einen der Tische setzte, um mitzulesen. Sie las recht gut, die übrigen auch, viele, worunter Deinhardstein, meisterhaft. Aber es blieb Lotten in unserm Kreise noch eine Weile der Beinamen: Der Student. Baronin Zay, die mit den Artnerschen sich gerade damals in Wien befand, wohnte der Lesung bei, und es setzte sich unsere in Ungarn geschlossene Freundschaft hier fort.

Im Hause von Tonis Tante lernten wir jenen Winter von 1815–1816 einen jungen Mann: Otto Ignatius kennen, der sich eigentlich der Malerkunst gewidmet hatte, aber recht im Sinne der alten deutschen Meister mit seiner Kunst auch Musik und Poesie verband, und in allen dreien zwar nichts Großes, aber recht Dankenswertes leistete. Er wurde bald einheimisch in unserm Hause, malte meiner Tochter Porträt, das ziemlich gelang, aber doch von Kunstkennern als eine Anfängerarbeit, die für die Zukunft mehr versprach, beurteilt wurde. Ignatius war ein Liefländer, weitläufig mit Kotzebue verwandt, ein sittlicher, gebildeter, junger Mann, der in Berlin ein Liebesverhältnis mit der Tochter eines dortigen Künstlers angeknüpft hatte, von hier nach Italien zu reisen, und wenn er sich dort genugsam ausgebildet, nach Rußland zurückzukehren, eine Anstellung zu finden und sein Mädchen heimzuführen[86] gedachte. Durch ihn lernten wir noch andere, eben auch hier befindliche Künstler kennen, und ein anderer junger Mann, Herr Arneth, im k.k. Münzkabinette angestellt, führte einen jungen Grafen Dietrichstein, bei dem er Mentorstelle versah, nebst andern Jünglingen dieses Standes, wie Grafen Walter Stadion, zwei Grafen Lanckoronski, bei uns ein. Späterhin ließen sich zwei junge Fürsten Schwarzenberg bei uns vorstellen. Alle diese waren ausgezeichnete, sehr artige und einige davon sehr gebildete junge Leute, welche unsere fixierten Abendgesellschaften fleißig besuchten, und deren einige, wie Graf Dietrichstein samt seinem Mentor Arneth und Walter Stadion, beinahe täglich zu uns kamen. Ihre Eltern und Verwandten wußten und billigten dies nicht bloß, sie hatten es veranlaßt, und mancher Vater, manche Mutter dieser jungen Leute ließ mir durch andere Personen dafür danken, daß ich ihren Söhnen erlaubte, unser Haus zu besuchen. So kam ich mir vor wie eine jener römischen Matronen, deren Cicero erwähnt, denen man Jünglinge, die sich dem Staatsdienst und der Rednerbühne widmen wollten, zur Aufsicht und zum Umgang übergab, damit sie sinceram latinitatem, und wohlanständige Sitten im Hause solcher Frauen lernen sollten. Die Latinitas war bei mir nicht zu erlernen; aber feine Sitte und gebildeten Umgang fanden sie wohl in unserm Kreise.


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Eben in diesem Winter machte eine Räuberbande, deren Haupt ein ehemaliger Soldat mit Namen Grasel war, und die ihr Wesen jenseits der Donau trieb, hier viel Aufsehen. Lange stellte die Polizei ihnen und hauptsächlich dem Hauptmann nach, allerlei sonderbare[87] und mitunter poetische Züge wurden von ihm erzählt, die von einem wilden, aber nicht gemeinen Charakter zeigten. Der nun längst verstorbene, angesehene Polizeibeamte Regierungsrat la Roze befand sich auf einem Ball zufällig bei demselben Soupertisch mit mir, und gab uns mehrere Anekdoten von Grasel zum besten, die mir Anteil, ja Mitleid mit dem damals schon Gefangenen und zum Tode Verurteilten einflößten. Dies regte meine Phantasie auf, und ich schrieb die Erzählung »den schwarzen Fritz«, der damals vielen Beifall erhielt und in fremde Sprachen übersetzt wurde. So ging der Winter vorüber, im Frühling hatte jene Lesung des Ferdinand statt, und hierauf trat ich, wie schon erzählt wurde, meine Reise nach Ungarn mit meiner Tochter zu unserer Freundin Baronin von Zay an, wo wir einige Wochen im Kreise so wertgewordener Freunde zubrachten. Wieder nach Wien zurückgekehrt, versetzte uns eine Kränklichkeit meines Mannes wohl nicht in augenblickliche Angst, wie das vergangene Jahr, aber in dauernde Besorgnis. Es war keine Krankheit, aber es war ein fortwährendes Übelbefinden mit periodischen kleinen Fiebern und Husten, die sich regelmäßig jeden Abend zwischen acht und neun Uhr einstellten, und unerklärlicher Mattigkeit, welche ihm den Besuch des Bureaus unmöglich machte und im ganzen drei bis vier Wochen anhielt. Die Ärzte erklärten es für eine Folge zu großer Anstrengung im Arbeiten, und so kam denn auch eine abermalige Reise in die Berge bei und hinter Lilienfeld sehr gelegen, da die Geschäfte hier nicht anstrengend, die Bergluft aber höchst wohltätig befunden wurden.

Hofrat Büel, unser alter Freund, der Lilienfeld und Maria-Zell nie gesehen, und als Schweizer von Geburt[88] neugierig war, unsere Berge kennen zu lernen, begleitete uns mit seinem Eleven, dem Grafen Moritz von Browne. Wir fuhren alle zusammen in zwei Wagen ab, diesmal nicht auf der Wallfahrts-, sondern der gewöhnlichen, einst sogenannten Reichsstraße. In dem anmutigen Waldtal, wo Hadersdorf und Weidlingau, eine Besitzung des Fürsten Dietrichstein liegt, kamen uns dessen Sohn, Graf Dietrichstein und sein Mentor Arneth freundlich entgegen und bewirteten uns mit einem eleganten Frühstück. Dann ging es weiter bis St. Pölten, wo mein Mann, von einigen der Kreis- und Forstbeamten begleitet, seinen Weg gegen Ybbs fortsetzte, wir aber, Lotte und ich, Hofrat Büel und sein Zögling, den unsrigen nach Lilienfeld verfolgten.

Im Stifte wurden wir wie gewohnt mit großer Freundlichkeit empfangen. Wir trafen hier einen alten Bekannten, Herrn Haschka an, den des Herrn Prälaten Sinn für höhere Bildung und längere Bekanntschaft mit demselben ebenfalls zu einem Besuch des Stiftes vermocht hatte. Noch schwebt mir lebhaft unsere Unterhaltung an jenem Abend vor, wie wir alle in meinem Zimmer versammelt, recht heiter und gemütlich mit den sogenannten Kühlheiten oder Rätseln des Hofrat Lehmann uns unterhielten, die damals in allen geselligen Kreisen zirkulierten, und je platter und komischer sie waren, desto mehr unser Lachen erregten. Haschka, der ehemalige Professor der Ästhetik, nahm indes den größten Skandal daran und bemühte sich, uns die Geringfügigkeit dieser Witze zu beweisen, an der wir ohnedies nicht zweifelten, die uns aber doch unterhielt, z.B.

Fr. Was für ein Unterschied ist zwischen einer Violine und einem Baum?[89]

Antw. Die Violine hat ein G (Saite), der Baum hat Zweige.

Fr. Was war König David für ein Landsmann?

Antw. Ein Holländer, denn er sagt von sich: er sei zu Leiden geboren.

Fr. Was trieb der Apostel Paulus für eine Beschäftigung?

Antw. Er war Artillerist, denn er sagt: Unser Wissen ist Stückwerk usw. usw.

Solcher kindischer Rätsel brachte nun Hofrat Büel und wir übrigen eine Menge vor, zu Haschkas großem Ärger. Beim Eintritt des Prälaten, den früher Geschäfte von uns entfernt gehalten hatten, hoffte der gute alte Herr auf Sukkurs, er eilte dem Probste entgegen, und beschwerte sich über uns, die ihn schon die ganze Zeit mit elenden Witzen plagten. Aber da kam er vom Regen in die Traufe, denn Prälat Ladislaus, ein genauer Freund von Hofrat Lehmann, brachte nun erst die allerkomischesten und plattesten vor, so daß endlich Haschka selbst mitlachen mußte, und dieses Lachen als Professor der Ästhetik eigentlich damit rechtfertigte, daß er uns die Theorie des Lächerlichen entwickelte, das nach seinem Ausspruch in einer erregten, aber schmählich getäuschten Erwartung bestand.

Am andern Tage, einem herrlichen Septembermorgen, brachen wir – Büel, Graf Browne, Lotte und ich – nach Maria-Zell auf, durch die Felsenschluchten, über die sonnigen Waldhöhen, an klaren, rauschenden Bächen hin, immer tiefer in die Gebirgswelt hinein, wo schon hinter dem Annaberg der majestätische Ötscher mit seiner zur Seite, wie eine Nachtmütze geneigten Spitze vor uns stand. Es war mir leid, daß diese Gebirgswelt, die ich unserm Freund hier aufzuführen mich freute,[90] auf ihn – aus sehr begreiflichen Gründen, eben weil er ein Schweizer war – wohl einen angenehmen, durchaus aber keinen großartigen Eindruck machte. Doch fühlte er sich so wie die übrigen durch die Schönheit der Gegenden, durch die Bequemlichkeit und Reinlichkeit der Herbergen, durch das herrliche Herbstwetter sehr behaglich gestimmt, und wir kehrten vergnügt nach zwei bis drei Tagen ins Stift zurück, wohin auch bald Pichler kam, uns abzuholen, um nach Wien heimzureisen.

Denselben Herbst sprach man viel von der Erwartung eines ersten Produkts eines bisher ganz unbekannten Dichters, Herrn Grillparzers, dessen wahrlich sehr unromantischer Name bei dieser Gelegenheit zum erstenmal genannt wurde, und von dem wenig Jahre darauf Lord Byron, der gewiß juge compétent war, mit Recht und prophetischem Geiste sagen konnte: Die Welt und Nachwelt werde diesen etwas seltsamen Namen schon aussprechen lernen. Herr von Schreyvogel, einer unserer ausgezeichnetsten Literaten, ein vieljähriger Bekannter von uns, und damals Vizedirektor des Hoftheaters, welcher Stelle er mit Kenntnis, Geist und Kraft vorstand, besuchte uns zuweilen, und hatte die Güte, mir fast alle seine neuen Produktionen, noch bevor sie gedruckt wurden, mitzuteilen. Eine Sitte, die in unserm Kreise seit undenklichen Zeiten, schon als meine Eltern noch ihr großes glänzendes Haus hielten, eingeführt war, und wo einst Haschka, Alxinger usw., später Hofrat Collin, Streckfuß, Rothkirch und andere uns ihre Leistungen avant la lettre mitteilten. Jetzt ist das, wie so manches andere aus der Mode gekommen. Schreyvogel gab mir auch die erste Nachricht von dem bisher unbekannten Dichter und dem Trauerspiel: »Die Ahnfrau«, das wir[91] zu erwarten hätten, indem er mir einige leichte Umrisse desselben mitteilte: die Schuld der Ahnfrau, die erst mit dem Untergang des ganzen Geschlechts gesühnt werden sollte, die Stellung Jaromirs zu seiner Schwester usw.; und im Voraus freute sich Wien auf diese neue Erscheinung.

Um dieselbe Zeit machte ein Ereignis anderer Art ebenfalls in gewisser Rücksicht Aufsehen. Fräulein Toni Adamberger verließ das Haus, den mütterlichen Schutz und mit demselben die mächtige Ägyde, die bis jetzt ihren Ruf vor allen Pfeilen der Verleumdung, ihre Person vor jeder unbescheidenen Annäherung geschützt und sie nicht bloß in Wien, sondern in ganz Deutschland als Körners Braut mit einem Tugendnimbus umgeben hatte. Sie zog in unsere Vorstadt, wo ihre verheiratete Schwester mit vielen Kindern still und eingezogen lebte. Das Zimmer, welches diese der zu ihr Geflüchteten geben konnte, war geräumig und anständig, aber es war so gelegen, daß man Toni besuchen konnte, ohne die Schwester und andere Hausgenossen zu sehen oder von ihnen gesehen zu werden; schon ein schlimmer Umstand, welcher Toni jedem, auch unwillkommenen Besuch und einer möglichen Nachrede bloßstellte. Daß sie uns sogleich besuchte, fortan viel bei uns war und wie sie mit Vergnügen an jeder Unterhaltung in unserm Hause teilnehmen müssen, versteht sich von selbst, so wie sie mich und meine Tochter auch öfter ins Theater oder zu Bällen begleitete, wo ich dann als garde de dame von hübschen Kindern, deren eine eine edle Augenweide für die ganze Stadt war, gar gern gesehen wurde.

Zu Weihnachten war es bei uns seit langem Sitte gewesen, nach Gewohnheit des übrigen Deutschlands[92] einen Christbaum zu errichten und die jüngeren Mitglieder der Gesellschaft durch kleine Geschenke zu erfreuen, die früher aber meist scherzhafter Art waren, Anspielungen auf Verhältnisse, Liebhabereien, kleine Vorfälle usw. enthielten und meist von mir mit einigen flüchtigen Versen begleitet und erklärt wurden. Toni wurde dann wie natürlich auch beigezogen und sie sowohl als die übrige jugendliche Gesellschaft – Ignatius, Arneth, Graf Dietrichstein, Graf Stadion, Malchen Schechtern, eine Gespielin meiner Tochter und sehr hübsches Mädchen, mein Schwager Karl Kurländer und manche andere, deren ich mich nicht mehr entsinne, bekamen kleine Gaben von oben beschriebener Art. Bei diesem Christbaum war es nun – Gott weiß wie – daß zuerst zwischen Fräulein Adamberger und Herrn Arneth sich ein Verhältnis entspann, das mit der Zeit zu unsrer aller Verwunderung immer deutlicher hervortrat, bis es sich endlich zuletzt im kommenden Frühling 1817 zum größten Erstaunen von ganz Wien und zur Betrübnis aller Theaterfreunde und Bewunderer dieser Schauspielerin mit der ehelichen Einsegnung des Paares und Tonis Abschied von der Bühne endigte.

Wohl hatte ich bald, in den ersten Wochen hier eine Annäherung bemerkt, aber bei Tonis entschiedenem Liebreiz und ihres Bewunderers ernstem, schüchternem, ja etwas steifem Wesen und seinem oft und laut erklärtem Widerwillen gegen den Schauspielerstand, hielt ich und mit mir die übrigen das Ganze für eine, in seinem Herzen einseitig auflodernde Flamme, der kein Erfolg und durchaus keine Erwiderung entsprechen würde. Ich benützte indessen das Vertrauen, welches Toni mir oft gezeigt und die freundschaftliche Achtung,[93] die Arneth schon meiner Mutter und dann auch mir bewiesen hatte, um in dem vorliegenden Falle ein mütterlich gemeintes Wort mit den beiden jungen Leuten zu reden, um sie auf die Gerüchte aufmerksam zu machen, die sich bereits über dieses Verhältnis zu verbreiten anfingen. Aber – ich kam zu spät! Die beiden Leute hatten sich bereits untereinander verständigt. Fräulein Adamberger war fest entschlossen, die günstige Gelegenheit nicht entwischen zu lassen, an der Hand eines sehr rechtlichen Mannes das Theater zu verlassen, welches ihrer nicht sehr festen Gesundheit und seit sie die schützende Ägyde der Tante verlassen, auch ihrem Ruf nachteilig zu werden begann und Arneth, der, man kann es dem jungen, verliebten Mann nicht verdenken, fühlte sich nur zu geschmeichelt, zu glücklich, von einem Mädchen geliebt zu sein, dessen Schönheit, Anmut und ausgezeichnetes Talent sie zum Gegenstand der allgemeinen Bewunderung und vieler geheimer Wünsche machten. Als ich mit meiner wohlgemeinten Ermahnung auftrat, hörten mich beide recht geduldig an, erwiderten auch manches, aber ich hätte, wie Figaro von jenem Billette, das schon geschrieben war, als er es zu schreiben anriet, sich selbst scheltend, auch sagen sollen:


era già scritto.


Von den Klatschereien, lieblosen Nachreden, komischen oder boshaften Ausfällen, die nun über dies Paar in der Stadt zirkulierten, ist sich kaum ein Begriff zu machen, und ich mußte den Bräutigam und neuen Ehemann oft gegen die widersinnigsten Angriffe verteidigen, z.B. daß er zu alt für seine Braut sei, da er doch in Wahrheit um einige Monate jünger war als sie, und nur sein gar zu trockenes, ernstes Aussehen ihn älter[94] zu machen schien. Kurz, die ganze Welt war gegen ihn, weil er ihnen die Lieblingsaktrice entführte und auch sie wurde bei dieser Klatscherei nicht geschont. Zu ihrem Abschiede vom Theater gab sie die Jerta in der Schuld, eine ihrer besten Rollen und ich dichtete ihr einen Epilog dazu, den sie sehr schön sprach.

Die Hochzeit war nun vorbei. Arneth mit seiner Frau und seinem Zögling, dem jungen Grafen Dietrichstein, ging nach Genf, wo sie ein paar Jahre verweilten, während welchen jene Gespräche und Bemerkungen in Vergessenheit gerieten und kamen mit einem hübschen Knaben wieder nach Wien zurück. Seitdem leben sie hier, haben zwei wackere Söhne und genießen die allgemeine Achtung. Frau von Arneth erfreut sich überdies in hohem Maße des Vertrauens der Kaiserin Mutter Majestät, welche ihr die Leitung ihrer Erziehungshäuser für weibliche Dienstmädchen übergeben hat.

Endlich führte uns Schreyvogel seinen jungen Schützling, den Verfasser der »Ahnfrau« auf, die indessen gegeben worden war, und wodurch die Augen nicht bloß der Stadt, sondern Deutschlands, ja Europas auf denselben gerichtet worden, wie jenes Wort Lord Byrons beweist. Nie werde ich den Abend vergessen, und den allgemein günstigen Eindruck, den seine Erscheinung hervorbrachte; Grillparzer war nicht hübsch zu nennen, aber eine schlanke Gestalt von mehr als Mittelgröße, schöne blaue Augen, die über die blassen Züge den Ausdruck von Geistestiefe und Güte verbreiteten und eine Fülle von dunkelblonden Locken machten ihn zu einer Erscheinung, die man gewiß nicht so leicht vergaß, wenn man auch ihren Namen nicht kannte, wenn auch der Reichtum eines höchstgebildeten[95] Geistes und eines edlen Gemüts sich nicht so deutlich in allem, was er tat und sprach, gezeigt hätte. Dieser Eindruck war allgemein in der kleinen Gesellschaft, die sich an jenem Abend in unserm Garten versammelt hatte, und es mochte sich auch der junge Dichter durch das, was er hier gefunden, auf genügende Art angesprochen gefühlt haben, denn er kam von nun an zuweilen und gegen den Winter zu immer öfter.

Noch eine zweite merkwürdige Erscheinung war uns diesen Sommer beschieden, nämlich Öhlenschläger, dem ein großer literarischer Ruf voranging und ihn beinahe neben Goethe stellte. Wir erwarteten ihn eines Abends im Garten, wo ihn uns der dänische Gesandtschaftssekretär von Koß aufzuführen versprochen hatte. Alles war gespannt auf seine Ankunft, da man nicht bloß von Öhlenschlägers poetischem Verdienst, sondern von seiner Persönlichkeit viel Lobenswertes gesagt hatte. Aber es wurde spät und immer später, der Erwartete kam nicht. Eine Freundin meiner Tochter, die Erzieherin in einem großen Hause und ein sehr gebildetes Mädchen war, wollte sich eben, da ihre Stunde zur Rückkehr schon geschlagen hatte, mißmutig über die verfehlte Hoffnung, entfernen, und stand mit ihrer Elève am Tor des Hauses, als ein Wagen vorfuhr, und Herr von Koß mit einem Fremden ausstieg, dessen schöne Gestalt jenes Mädchen ganz verblüfft machte, wie sie uns selbst hernach gestand. Es war auch nicht zu leugnen, daß körperliche Schönheit und männlicher Anstand Öhlenschlägers literarischem Ruhm noch zur Folie dienten, so wie im Gegenteil der Gedanke an sein großes Talent seine Wohlgestalt noch anziehender erscheinen machte. Daß er allgemein gefiel, war also kein Wunder, erhöhte aber in meinen und vieler unparteiischen[96] Augen Grillparzers Persönlichkeit noch mehr, der ohne Hilfe eines bestechenden Äußern bloß durch den geistigen Eindruck, den er machte, so viel Wohlmeinung gewonnen hatte.

Auch Öhlenschläger schien sich bei uns zu gefallen. Er besuchte uns sehr oft und hielt sich, der ernste Mann, der bereits die vierzig überschritten hatte, am liebsten in den Kreisen der jungen Mädchen und Männer auf, welche meine Tochter in unseren Gesellschaftsabenden umgaben, worüber manche der ältern Frauen, die sich lieber selbst an seinem Umgange hätten erfreuen mögen, spöttisch die Nase rümpften. Er aber fuhr fort, wenn größere Gesellschaft da war, sich mit der Jugend zu unterhalten, der ihn sein offenes, zwangloses Benehmen, die Frische seiner Empfindungen und Ansichten gleich stellte; war aber nicht minder liebenswürdig, geistreich und interessant im ernsteren Gespräch, wenn er von seinen Reisen, seinen Dichtungen, seinen Ansichten über Poesie und Leben sprach, in welchem allen sich ein höherer moralischer Charakter und ein würdiger Standpunkt aussprach, der über die gemeinen und beschränkten Lebensverhältnisse erhaben, diese in ihrem wahren Lichte betrachtete, und so selbst dem Tode mit echt tragischer Ruhe eine heitere Seite, wie unser verklärter Freund Collin, abzugewinnen wußte. Belege dazu finden sich genug in seinen Schriften, und im Gegensatze mit den damals Mode gewordenen Fluch-, Schauer- und Schicksalsdichtungen schrieb er in das Stammbuch eines meiner Bekannten:


Die klare, heit're Sonnenhöh' der Tugend

Ist schöner als der Abgrund grauser Schuld;

Erhabenheit wohnt in der Tiefe nicht,

Und Gott ist doch poet'scher als der Teufel.
[97]

Ich bitte Öhlenschläger um Vergebung, wenn die erste Zeile nicht treu wiedergegeben ist – aber ich schreibe nach so vielen Jahren aus dem Gedächtnis – die übrigen drei sind genau, und das Ganze charakterisiert den Dichter, wie mich dünkt, vollkommen. Sein Andenken lebt noch wie ein wertes Bild der Vergangenheit unter uns.

Während Öhlenschläger noch in Wien war, kam die Zeit unserer gewöhnlichen Reise nach Ungarn. Wir fanden alles so lieb, herzlich, freundlich wie sonst im Schlosse und bei allen übrigen Bekannten in jener Gegend, aber unter dem Landvolk herrschte Not und Elend; denn eine Reihe unfruchtbarer Jahre hatte die alten Vorräte aufgezehrt, und nun trat der Mangel hart heran an diese armen Menschen. Es war ebenso in Österreich, nur gewahrt der Großstädter dies nicht so schnell und so sichtlich, wie es sich auf dem Lande zeigt. Und selbst auf dem Lande war noch ein großer Unterschied zwischen den Bewohnern der fruchtbaren Ebene um Bucsan und Tyrnau herum, und den kargeren Gebirgsgegenden, wo das Stammschloß Ugrócz, die große bedeutende Besitzung des Hauses Zay, liegt. Dahin wollte die Baronin in diesem Sommer gehen, und mir das Vergnügen verschaffen, sie zu sehen. Ihr Gemahl konnte sich nicht entschließen, sie zu begleiten, weil er den Anblick der Not und das Flehen der Hilfsbedürftigen fürchtete, denen er vollkommen zu helfen nicht imstande war. Sie ging daher allein mit uns und den Artnerschen über Pistyan und Trentschin, diese zwei berühmten ungarischen Badeorte, nach Ugrócz. Das erste liegt in einer unbedeutenden Gegend, am Ufer der Waag, die hier eine starke Krümmung macht, und daher oft Überschwemmungen verursacht. Damals[98] waren noch gar wenig Anstalten für die Bequemlichkeit der Badegäste getroffen (ein späteres Mal fand ich hier große Verbesserungen). Man wohnte in Bauernhütten, die nicht einmal gediehlt waren, und ein großes Tuch, längs der Wand gespannt, diente zum Schrank für die Kleider, die hinter demselben an Pflöcken aufgehängt waren. Merkwürdig ist die Hitze des Badewassers, dessen Quellen unmittelbar neben der Waag fortlaufen, worin man keinen Finger halten, wohl aber ein Ei sieden lassen könnte. Als in einem folgenden Jahr meine Freundin Therese Artner sich die Bäder von Pistyan nach Bucsan, anderthalb Stunden weit, führen ließ, mußte das Wasser, wenn es ankam, noch eine Weile stehen bleiben, bis es zu der für ein Wannenbad geeigneten Temperatur herabsank.

Von Pöstyan oder Pistyan ging nun unsere Reise ins Waagtal hinein, das in geschichtlicher Hinsicht eine merkwürdige Gegend ist, und wo mehrere noch bestehende oder zerstörte Schlösser, Betzko, Trentschin, so wie früher schon Cseithe und Temetvény geschichtliche Erinnerungen hervorrufen. Baron Mednyánsky, dessen Namen jedermann kennt, der mit Ungarn und seiner Geschichte nur einigermaßen bekannt ist, und der damals, in der Nähe von Bucsan auf seinen Besitzungen lebend, sehr oft ein Gast im Zayschen Hause war, hatte die Güte gehabt, mich mit einer von ihm selbst entworfenen Schilderung jener Gegenden und ihrer geschichtlichen Merkwürdigkeiten zu versehen, denen noch dazu kleine Handzeichnungen von einigen Ruinen des Waagtals beigefügt waren. Er hatte diese Notizen aus dem reichen Schatze geschichtlicher Quellen, Dokumente, Autographen usw. geschöpft, deren Sammlung seine Lieblingsbeschäftigung war. Die Gegend ist[99] schön, die Berge begrünt, zum Teil bewaldet, dennoch schien es mir, als hätten ihre Formen, so wie das Kolorit ihrer Vegetation einen andern Charakter als bei uns in Österreich oder Steiermark. Gegen Abend erblickten wir das Trentschiner Schloß auf einem mäßigen Hügel, an dessen Fuße die Waag tobend und wild, wie es im Charakter eines Waldbaches liegt, dahinströmte. Wir gingen hinauf und besahen uns diese mächtigen und noch großenteils unzerstörten Gebäude, welche von der Macht und Fürstengröße Johann Zapolyas zeugten, der hier mit seiner Gemahlin, einer polnischen Prinzessin, als Gegenkönig Ferdinands I. durch Unterstützung der Pforte Hof hielt und sich lange behauptete. Von hier fuhren wir tiefer in ein Waldtal hinein, in dem das Bad liegt, das man wohl mit Unrecht das Trentschiner nennt, indem es eigentlich Töplitz wie das böhmische von dem slavischen Worte »Tepel« warm heißt. Auf dem Wege dahin hinderte die einbrechende Nacht und ein Gewitter mit Regengüssen, uns an dem Anblick des freundlichen Waldtales zwischen mäßigen, schön begrünten Bergen zu erfreuen, und auch der nächste Morgen, an dem mehrere Bekannte meiner Freundinnen, die wir hier trafen, und die schon den Abend vorher mit uns soupiert hatten, uns überall herum begleiteten, um uns das Bad, das Schloß usw. zu zeigen, war zu unfreundlich und nebelhaft, um uns einen rechten Genuß der Gegend zu gestatten.

Gegen Mittag hellte das Wetter sich auf, und wir gelangten auf nicht gar bequemen und durch Regen verdorbenen Wegen nach Zay-Ugrócz. Auf einer kleinen Anhöhe liegt das halb moderne Schloß, denn nur zwei Seiten des Vierecks, welches es bildet, sind von neuerem Bau, etwa aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, die zwei[100] anderen, viel älteren lagen unbewohnt und unbewohnbar, dem Verfalle nahe. Gegenüber dem Schlosse zieht sich eine Hügelreihe hin, deren obere Teile mit Wald gekrönt sind, während unten der Lehmboden ziemlich nackt zu sehen ist, aber das Ganze sich doch freundlich ausnimmt. Diese Beschaffenheit der Berge, daß nämlich das harte Gestein, aus dem sie bestehen, nicht bis ganz hinab ins Tal reicht, sondern diese Täler bis auf eine gewisse Höhe mit Lehm, Sand usw. gleichsam aufgeschwemmt sind, ist wohl auch die Ursache, daß sie alle beinahe muldenförmig erscheinen, und man äußerst selten auf Quellen stößt. Es war daher notwendig, bei den vielen und oft weiten Spaziergängen in die anmutigen Berge ringsum, uns immer Wasser nachtragen zu lassen, das freilich matt und warm geworden war, wenn wir nach einem angenehmen Gang von ein paar Stunden uns auf einer Waldwiese oder einer Berghöhe lagerten, die einen hübschen Ausblick in die Gegend gestattete, dann Feuer gemacht, der Kaffee gekocht und von der Gesellschaft unter Scherzen und Lachen verzehrt wurde. O, das waren schöne Abende, wenn ich an Theresens Seite sitzend, mich an ihrer Freundschaft für mich, an ihrem edlen Gemüte, an ihrem gebildeten Verstand und der Einfachheit, mit der sie alles betrachtete, erquickte, und oft die zwei »Grasgrünen«, wie wir von den andern scherzhaft genannt wurden, fast die ältesten und zugleich die heitersten des Kreises waren. Jene Benennung von der grünen Farbe hatte aber ihren Ursprung in einem Scherze, indem wir nämlich die Gemütsstimmungen der Menschen um uns nach Farben zu bezeichnen anfingen, trübe Menschen grau oder dunkelbraun, jugendlich heitere Gemüter rosenfarb, heftige gelb oder feuerfarb, sanfte blau usw. gedacht[101] wurden, und in diesem Sinn auch uns beiden, als stets heitern, Gutes hoffenden, vertrauenden Seelen, die grasgrüne Farbe zugeteilt wurde. O, meine Therese! von welchem Stern blickst du vielleicht jetzt nieder und denkst der Freundin, die so lange nach dir noch auf dieser, ihr stets fremder werdenden Erde weilt?

Der Baron hatte in Rücksicht des hier herrschenden Elends richtig gesehen. Täglich erschienen in der Vorhalle des altertümlichen Schlosses, vor den Zimmern der Baronin, abgezehrte Jammergestalten, deren manche, wie man später erfuhr, mit Gras in Ermanglung jeder andern Nahrung ihren schreienden Hunger hatten stillen müssen. Die gütige Herrin half so vielen und so viel sie vermochte, sie unterstützte sie mit Nahrungsmitteln, mit Geld, sie gab ihnen Arzneien, denn viele waren krank, und so war ihr Erscheinen auf dem Bergschlosse wirklich das eines hilfreichen Engels.

Unter den Spaziergängen, welche wir von hier in die Umgegend machten, war einer der fernsten, aber auch der schönsten, der Besuch der alten Bergfeste Zay-Ugrócz, die im Anfange des vorigen Jahrhunderts während der Religionskriege noch bewohnt gewesen war, und einmal einer großen Anzahl Flüchtiger zur Zufluchtsstätte vor den Gräueln des Krieges gedient hatte. Dieses Schloß liegt wie ein rechter Adlerhorst auf der Spitze eines, aus der übrigen Reihe tretenden Felsens, rückwärts und an den Seiten von andern Felsenwänden umgeben und nur vorne, über den bewaldeten Rücken des Berges herab, weit über die Ebene schauend, die ihr damals ringsumher unterworfen war. Sie ist noch ziemlich wohl erhalten. Eine Zisterne mit köstlichem Wasser, eine Küche mit Herd und Schornstein, eine Kapelle, viele Türen und Fenster sind noch in gutem[102] Stande, und konnten mit nicht zu großen Anstalten für ein Mittagsmahl oder auch ein Nachtlager, einer nicht unbedeutend großen Gesellschaft wohnlich gemacht werden. Auch wir speisten oben, und es stand Theresen und mir frei, uns recht in die mittelalterliche Sitte, von der wir rings umgeben waren, hineinzuträumen. – Seitdem ist diese Ruine von dem jetzigen Besitzer sehr viel verbessert und zum Gebrauch hergerichtet worden, so wie das halb neue Schloß, die eigentliche Wohnung der Familie, ebenfalls ganz umgestaltet wurde.

Zurück nach Wien gekommen, trafen wir Öhlenschläger noch, was uns sehr freute, und genossen noch mehrete Male seines anziehenden Umganges. Denselben Sommer begleiteten wir noch Pichler auf einer Geschäftsreise, die ihn nach Brünn führte. Ich hatte gehofft, die drei oder vier Tage, während Pichler sich anhaltend mit der Untersuchung der Strafanstalten zu beschäftigen hatte, nach Raitz zu Graf Salm zu gehen, zu diesem ebenso durch seinen würdigen Charakter als seine Geistesbildung allgemein geschätzten Kavalier, mit dem ich, so wie mit seiner ihm ganz gleichen Gemahlin, einem gebornen Fräulein Mac-Affry, seit langem bekannt war, und bei welchem sich Hormayr, der damals noch nicht nach Wien durfte, seit seiner Freilassung aufhielt. Hormayr hatte das eingeleitet, aber ein Zufall vereitelte den Plan, und so blieben meine Tochter und ich in der uns ganz fremden Stadt, wo ich nur einmal in meiner frühern Jugend mit meinen Eltern ein paar (herzlich langweilige) Tage zugebracht hatte, uns ganz allein überlassen, denn der Vater und Gemahl war zu beschäftigt, um uns Gesellschaft zu leisten. Alle diese Umstände, so wie die Erinnerungen[103] machten mir diesen Séjour unangenehm, und überdies kam mir noch die Feste des Spielbergs, die die ganze Stadt überragt und in alle Gassen hineinschaut, wie eine Personifikation der Inquisition oder geheimen Polizei vor, die ebenfalls überall in alle häuslichen Geheimnisse oder freundschaftlichen Verhältnisse blicken will. Hier war ja Hormayr längere Zeit gefangen gehalten worden, und als wir hinaufstiegen, das Äußere des Baues zu besehen, uns die Gefangenen entgegen kamen, welche Wasser holten, und wir hier und dort die, wie vergitterte Brunnen oder hohe Drahtkäfige aus der Erde heraufragenden Maschinen sahen, die wahrscheinlich unterirdischen Gefängnissen zu Soupirails dienten, da überfiel uns Bangigkeit und Grauen, und wir waren froh, als wir wieder hinabstiegen und uns die Straßen und Häuser der Stadt umgaben. An einem Nachmittag spazierten wir, weil wir gar nichts zu tun wußten, auf ein nähe gelegenes Dorf Kumrowitz, wenn ich nicht irre, wo Kirchtag sein sollte. Wohl begegneten wir mehreren Personen, die sich in gleicher Richtung mit uns bewegten, aber von der heitern Fröhlichkeit, der lauten Freude, welche in Österreich einen solchen Tag charakterisiert, war hier keine Spur, und Lotte sagte: Sieh nur einmal, die Leute sehen alle aus, als ob man sie zum Kirchtag geprügelt hätte.

Pichlers Geschäfte waren bald geendet, und wir kehrten nach Wien zurück, aber nur um sogleich eine zweite Reise nach Linz zu machen, und zwar in derselben Absicht, nämlich, damit mein Mann auch hier die Strafanstalten besehen könne, weil er sich mit der Einrichtung und Verbesserung des Strafhauses in Wien, während ihm das Referat über mehrere Stiftungen und Anstalten, nämlich über das Waisen-, Kranken-, Findel-,[104] Straf- und Arbeitshaus aufgetragen war, sehr ernstlich beschäftigte, und daher sich überall von dem Stande, den Einrichtungen, Wirkungen solcher Anstalten überzeugen wollte. Vieles und Nützliches hat er in diesem Kreise geleistet, die Einrichtung des hiesigen Strafhauses ist sein Werk, er hat die Arbeitszimmer gestiftet, in denen die Sträflinge unter strenger Aufsicht und bei gänzlichem Stillschweigen, je nach ihrem Geschlecht, Alter, Kräften und Geschicklichkeit zu verschiedenen Arbeiten, deren Ertrag großenteils den Sträflingen zugute kommt, angehalten werden. Diese Arbeiten bestehen meist in den Bedürfnissen der Anstalt selbst oder anderer milden Stiftungen. Hier werden also Leinwanden gewebt, Kotzen verfertigt, Schuhe, Anzüge für die Sträflinge usw. gemacht. Verstand der Sträfling schon eine Arbeit, so wurde er dazu verwendet, war er zu keiner geschickt, so mußte er die eine oder andere hier lernen. Dadurch geschah es, daß mancher, besonders jüngere Leute, hier erst in der Strafanstalt in den Stand gesetzt wurden, sich künftig ihr Brot ehrlich zu erwerben. Auch wurde ihnen beim Austritt aus der Anstalt das Geld, was ihnen nach Abzug ihrer Verpflegungskosten von dem Erwerb ihrer Arbeit übrig geblieben, eingehändigt, so daß sie etwas besaßen, wann sie entlassen wurden, und nicht gezwungen waren, sich sogleich einem nichtswürdigen Leben hinzugeben, sondern sich ruhig um einen rechtlichen Erwerb umsehen konnten. Überdies war durch einen Geistlichen, der die Sträflinge in der Religion unterrichtete und durch Sonntagsschulen auch für ihre geistige Ausbildung gesorgt. Diese Pläne und ihre Ausführung beschäftigten Pichler sehr, und auf jenen Reisen suchte er durch Besuch dieser Korrektions- sowohl als anderer[105] Anstalten, sowie durch Lesung alles dessen, was über diesen Gegenstand geschrieben wurde, seine Ansichten immer mehr auszubilden und zu berichtigen.

Während dieser Reise nach Oberösterreich, welche unmittelbar auf jene nach Brünn folgte, konnten wir recht den Unterschied des Nationalcharakters in Gestalt, Aussehen und Benehmen der deutschen und slavischen Nation bemerken. Wenn uns in Brünn, sowie viele Jahre später in Prag, ein ernster, beinahe düsterer Ausdruck des ganzen Volkes entgegentrat, wenn weder Mienen noch Geberden, noch Gesang oder Musik auf den Straßen (selbst nicht im »klangreichen Böhmerland«) eine fröhliche Stimmung verkündeten, und die mehr den mongolischen Charakter tragenden Züge nicht freundlich erschienen, so begegneten uns in der Nähe von Linz muntere Landleute mit fröhlichen Gesichtern. Blühend hübsche Bauernmädchen, ihre bunten Tücher nicht ohne Schönheitssinn um den Kopf gebunden, saßen auf Wagen mit Grummet, und alle sahen heiter aus, obgleich auch dieses Land, so wie die übrigen, den Druck der Zeit durch mehrjährige schlechte Ernten fühlte. In dieser Rücksicht trug man sich mit allerlei Sagen und Prophezeiungen, wie nämlich der Türmer von St. Stephan in einer, ich weiß nicht welcher Nacht, ein Gesicht gesehen habe, das ihm für das kommende Jahr 1818 die Pest mit Hungersnot und Leichen in allen Straßen der Stadt gezeigt hatte usw.

Mir war dieses Jahr ziemlich angenehm vergangen, nur ein langwieriges Augenübel, das eigentlich in einem für das Licht allzu empfindlichen Nervenreiz bestand, nötigte mich oft, mich eines Schirms zu bedienen, ja manchmal die Augen ganz zu schließen, weil jeder hellere Strahl sie verletzte. Nicht ein weißes Kleid[106] durfte ich tragen, weil es mir die Augen fast schmerzlich reizte. Dieser Zustand war mir oft sehr peinlich, denn er machte mir Lesen, besonders musikalischer Blätter, beschwerlich und jede Handarbeit, außer dem Stricken, fast unmöglich. Eine große Erleichterung war es für mich, daß mich das Augenübel nicht am Schreiben hinderte, und ich daher meinen Fleiß in dieser Hinsicht nicht einzustellen brauchte.

Wirklich hatte ich jetzt eine größere Arbeit angefangen, einen Roman: »Frauenwürde«, welcher den zweiten Vers des Schillerschen Spruches: »Das Leben ist der Güter höchstes nicht, der Übel größtes aber ist die Schuld«, ebenso durch Leben und Beispiel zeigen sollte, wie im »Agathokles« den ersten auszuführen meine Absicht gewesen. Es sollte aus diesem Romane hervorgehen, daß auch die glänzendsten Eigenschaften, Talente, Geistesschwung und Herzensgüte nicht hinreichend sind, ein dauerhaftes Glück zu begründen, sobald sie nicht von Achtung für die Pflicht und strenger Befolgung derselben begleitet sind. Rosalie Sarewsky, eine junge, reiche, schöne, talent- und gemütvolle Frau, erreicht nicht allein das Ziel ihres Strebens nicht, sich ein dauerndes Glück zu gründen, sie fühlt sich vielmehr in jeder Lage ihres Lebens unglücklich, sie klagt beständig über ihr hartes Geschick, das sie verfolgt, und ahnt nicht, daß es ihr pflichtwidriges Benehmen ist, zu dem sie sich durch Phantasie und Leidenschaft hatte hinreißen lassen, was ihren Frieden und ihr Glück zerstört.

Diese Romangestalt war nicht ein bloßes Ideal. Viele, ja die meisten Züge, welche nämlich nicht der äußern Stellung in der Welt, sondern dem moralischen Innern gelten, waren von jener schönen und interessanten[107] Frau v. K. entlehnt, die lange ein Mitglied unsers engen Kreises gewesen, deren Herz, unbefriedigt in ihrer Ehe, stets nach Außen um sich griff und nacheinander, bloß, so weit ich sie beobachten konnte, drei- bis viermal Leidenschaften eingeflößt und geteilt hatte. Nun war sie seit ein paar Jahren tot – aber nicht so wie ich Rosalien, und ich glaube, nicht ohne gehörige Konsequenz geschildert, durch Selbstmord, sondern an einer langen, unheilbaren Brustkrankheit gestorben, und ich konnte meine Schilderung ziemlich getreu machen. Auch bei Frau von K. waren, wie bei Rosalien, herrliche Geistesanlagen gar nicht oder zweckwidrig entwickelt worden, auch bei ihr führten Phantasie und Gefühl den Oberbefehl über die gesamten Geisteskräfte, und eine schöne Gestalt, die Leichtigkeit, womit sie alles, was sie zu lernen oder zu üben wünschte, in Musik, Zeichnung, ja auch in der Poesie auf einen bedeutenden Grad brachte, würden sie, bei zusagenden häuslichen Verhältnissen und Umgebungen vielleicht zu einer berühmten Frau wie die Sarewsky gemacht haben. Übrigens hatte ich die glänzende Periode des Freiheitskrieges in Deutschland zum Hintergrund des Gemäldes gewählt, und dadurch sowohl, als durch die mancherlei politischen und sozialen Ideen, welche damals die Gemüter erfüllten und bewegten, demselben einen lebhafteren Reiz zu verleihen gestrebt. Hierbei fällt mir eine Bemerkung ein, welche ich später aus dem Munde eines sehr gebildeten und geistvollen Mannes vernahm, und die mich auf eine Betrachtung leitete, welche ich seitdem bei meinen eigenen sowohl als fremden Arbeiten anzustellen nur zu oft Gelegenheit hatte. Wie es nämlich Schriftstellern, vorzüglich Dichtern, öfters ergeht, daß die Leser in ihren Schriften etwas suchen und finden,[108] und wirklich mit statthaften Gründen dessen Absichtlichkeit beweisen, woran der Dichter nicht gedacht hatte, als er jene Stellen schrieb oder diesen Charakter schilderte; so war es auch bei diesem Roman. Jener sehr geistreiche und gebildete Mann behauptete, daß ich in Fahrnau und Lothar die zwei Haupttendenzen jener Zeit, Aristokratismus und Liberalismus dargestellt hätte. Mich überraschte diese Bemerkung, da ich durchaus beim Entwerfen meines Planes nicht daran gedacht hatte. Ich hatte nur eines Charakters wie Lothar bedurft, um Rosalien in jene Lagen zu versetzen, wie sie notwendig bei ihr die beabsichtigte Katastrophe hervorbringen mußten. Oder vielmehr, da dies Verfahren für die Art, wie ich zu arbeiten pflegte, viel zu planmäßig und überlegt zu nennen wäre, ich sah mit den Augen des Geistes, der Phantasie diese Personen. – Ich erschuf sie nicht, sie waren da, und sie handelten und wirkten vor meinen geistigen Augen nach ihrer Natur, wie sie eben wirken konnten. An jenen Gegensatz der damals sehr oft besprochenen Ideen von Aristokratismus und Liberalismus hatte ich nicht gedacht, mußte aber, wie mir die Bemerkung gemacht wurde, selbst gestehen, daß es so aussah, als hätte ich geflissentlich jene zwei Systeme in Handlung und Konflikt miteinander zu stellen beabsichtigt. Eine sehr achtungswürdige Frau hatte es getadelt, daß ich auf Leonorens Charakter den Schatten einer leichten Neigung zu einem andern Mann, ihrem edlen Freunde Tengenbach, hatte fallen lassen. Auch hierüber glaube ich mich mit der Ansicht rechtfertigen zu können, daß es mir bei meinen Begriffen von dem richtigen und allein beglückenden Verhältnis zwischen Weib und Mann in der Ehe notwendig erschien, Fahrnau neben Eleonoren[109] nicht gar zu tief sinken zu lassen. Er soll und muß im innern Menschenwerte höher als sie stehen, wenn sie an seiner Seite sich glücklich fühlen soll. Darum muß er durch seine Teilnahme am Kampfe für die Freiheit des Vaterlands, durch seinen Mut, durch die Gefahr und Leiden, denen er sich bloßstellt, sich im allgemeinen schon über sie erheben, aber er muß auch eben in jenem Punkt, in welchem seine größte Schwäche liegt, die ihn dem Tadel billig aussetzt, nicht zu tief sinken. – Es muß aus ihrem, wie aus seinem Betragen hervorgehen, daß das menschliche Herz oft und vielfältig schwach ist, und nur wenige sind, die mit Recht den ersten Stein aufheben dürften, um es zu strafen. Auch Fahrnau hat zu verzeihen, wenn gleich nicht so viel und so Entschiedenes. – Leonore hat sich des Eindrucks, den der unglückliche, edle, aufopfernde Freund, der Mann, dem sie einst hätte angehören sollen, und den ein Zufall ihr nach langer Zeit entgegenführte, auf ihr Herz gemacht, nicht ganz erwehren, sie hat ihn nicht mit völlig ruhigem Gemüt betrachten können. Sie hat gefehlt; aber sie hat ihren Fehler erkannt, bereut und gebüßt – und wer wird in der Lage, in der sich die vom Gemahl Vernachlässigte, Verlassene, tief Gekränkte befand, sie wohl streng zu richten wagen? Fahrnau erkennt dies wohl, er fühlt sein Unrecht gegen sie, sie das ihrige gegen ihn, und so kommen sich Herzen und Geister nach schweren Prüfungen geläutert, liebend und treu entgegen. Das war meine Vorstellung von Leonorens Verhältnis zu ihrem Mann und zu Tengenbach.

Unser Freund Hofrat Büel verließ uns diesen Sommer, um, nachdem er die Erziehung des jungen Grafen Moritz Browne beendet hatte, und dieser an Geist und[110] Kraft wunderbar herabgekommene Jüngling ins Militär getreten war, über Oberitalien in sein Vaterland, nach Zürich zurückzukehren. Diese Abreise war ein großer Verlust für mich, insbesondere aber auch für unseren ganzen geselligen Kreis. Büel war ein Mann von gediegenem Charakter, gründlichen Kenntnissen, christlichem Sinn und herzlicher, beinahe kindlicher Wahrheit und Güte. Ihm konnte ich vertrauen, ihm vertraute ich auch von Herzen, ihm konnte ich recht ernst über manche Vorgänge in meinem Innern, über meine Fehler und Irrtümer sprechen, und oft sagte ich im Scherz (er war reformierter Prediger in der Schweiz und mit einer liebenswürdigen Frau verheiratet gewesen, nach deren Tod er seine Stelle aufgab, sein Vaterland verließ, in Deutschland herumreiste, und ich weiß nicht mehr wie, die Hofmeisterstelle bei Graf Browne übernahm), oft also sagte ich ihm im Scherz: für mich als Katholikin sei sein Priestertum ein Charakter indelebilis, und als solchen betrachtete ich ihn wie meinen Beichtvater. Und wirklich hat der erfahrene Freund, der Welt und Menschen genau kannte, und mir herzlich wohl wollte, mir manchen weisen Rat gegeben, manchen Trost erteilt, und mehr als einmal eben wie mein guter Pater Marcellian mir das rechte Verständnis meines Innern eröffnet.

Mit ihm verließen auch die beiden jungen Maler Ignatius und Pezzold Wien, um wenigstens einen Teil ihrer Römerreise mit dem väterlichen Freund zu machen. Wir gaben Ignatius noch eine hübsche Uhr meiner Mutter und andere kleine Andenken mit; wir hofften, ihn wieder zu sehen. – Es kam anders. Er kehrte über München nach Petersburg zurück, wo er nach einiger Zeit eine genügende Versorgung als Hofmaler[111] in Zarskoje-Selo fand, dann sein Mädchen (Fräulein Schadow) aus Berlin abholte, und nur zu kurze Zeit mit ihr glücklich lebte. Sie starb bald, und er folgte ihr in Kurzem. Friede seinem Andenken! Er war ein vorzüglicher junger Mann und ein freundlicher Briefverkehr verband uns bis zu seinem Tode. Noch besitze ich radierte Blätter, die er mir als Andenken geschickt, meist religiöse Sujets; ein anderes Kahier ebenfalls von seiner Hand, Ansichten von Petersburg, die uns besonders zur Zeit, als die große Überschwemmung der Newa aller Blicke auf diese hart mitgenommene Stadt zog, von großem Interesse waren, habe ich später einer Freundin, die selbst Künstlerin ist, der Frau Pauline von Schmerling verehrt. Wohl glaubte meine Tochter in einer Stelle eines Briefes, den Ignatius aus Rom an eine gewisse Frau von Krause geschrieben, die wir später kennen lernten, und die uns, wie Lotte sich erinnert, diesen Brief selbst mitteilte, einen bittern Anstoß zu finden. Er hatte nämlich an Frau von Krause geschrieben: Ein Wort von Ihnen ist mir lieber als ein Brief der Pichler. – Ich habe die Stelle auch gelesen, sie hat mich nicht erfreut, aber Frau von Krause war jung und ziemlich hübsch, Ignatius hatte sich sonst in jedem Stücke als rechtlicher Freund gegen uns bewiesen, so nahm ich ihm denn jene Äußerung nicht so übel, und blieb ihm nach wie vor herzlich gut.

Diese Freunde waren also fort und nur der älteste von ihnen, Büel, kam nach ein paar Jahren wieder, uns und seine übrigen Bekannten zu besuchen. Dies war das letztemal. Schon damals zeigte sich eine große Abnahme seiner Kräfte; später rührte ihn eine Art Schlagfluß. – Wir setzten unsere Korrespondenz fleißig fort, aber auch sogar seine Briefe trugen die Spur seiner zunehmenden[112] Schwäche. Ein paar Jahre später führte sich der damals neu angekommene schweizerische Gesandte, Baron von Effinger Wildegg, ein ausgezeichneter, gebildeter Mann, durch einen Brief von Büel bei uns ein. Ohne im geringsten Anspruch auf äußere Wohlgestalt zu machen, sprach sich in des jungen Mannes ganzem Wesen eine höhere Bildung, ein feinerer Sinn und richtiger Takt aus. Ich werde Gelegenheit haben, bei einer meiner späteren Arbeiten ihn, so wie jenes jungen Malers Pezzold zu erwähnen. Noch einige Jahre dauerte meine Korrespondenz mit Büel, die häufig jetzt durch Baron Effingers Vermittlung geführt wurde, fort. Öftere, sehr ernste Kränklichkeiten, die Schlaganfällen nur zu ähnlich waren, unterbrachen manchmal lange unseren brieflichen Verkehr. Endlich kam einmal – ich denke es war im Jahre 1830 – ein Brief mit so unsicherer Hand und in Ausdrücken geschrieben, die sehr deutlich auf einen gänzlichen Verfall der Kräfte und auch darauf hindeuteten, daß der verständige, fromme Freund seinen Zustand ziemlich klar erkannte. Mir tat das unendlich weh – denn, wenn gleich getrennt, hatte ich doch das mir so tröstliche Bewußtsein, daß, so lange Büel lebte, dort fern in den schweizerischen Bergen ein Herz schlug, das an allem, was mir und den meinigen begegnete, lebhaften, treuen Anteil nahm. Effinger, dem ich den Brief zeigte, urteilte ebenso: das ist ein Abschiedsbrief, sagte er mit wehmütigem Ausdruck und wirklich kam, vielleicht kein Jahr nach diesem Blatte, die Nachricht von Büels Tode mir durch einen andern bewährten Freund in der Schweiz, in Winterthur, Herrn Peter, den Büel vor vielen Jahren als einen jungen, blühenden Mann bei uns eingeführt hatte und der nun schon lange als angesehener[113] Kaufmann und Familienvater in Winterthur lebte, von wo er fast alljährlich eine Reise nach Wien macht und zu unserer Freude nie vergißt, uns zu besuchen. Von ihm erhielt ich auch später Büels wohlgetroffenes Porträt.

Nach dieser Abschweifung, die ich mir erlaubt, um das Verhältnis, in welchem Büel zu uns stand, ganz bis zu seinem Tode zu schildern, wozu in den spätern geeigneten Jahren, zwischen lebhafter bewegten Szenen vielleicht sich keine passende Gelegenheit geboten hätte, kehre ich zu dem Sommer von 1817 zurück.

Der Herbst nahte sich mit seinen geselligem Abenden, wir blieben jede Woche, so wie früher zu Lebzeiten meiner Mutter, ich denke jeden Dienstag und Donnerstag abends, zu Hause, um die Besuche unserer Freunde und auch Fremder zu empfangen. Außer diesen gingen wir aber auch an Sonntagen abends fast niemals aus, weil mir der Zusammenfluß so vieler Menschen, wie er an Feiertagen stattzufinden pflegt, unangenehm war. Des Sonntags aber kamen nur unsere näheren Freunde und Bekannten, die Baronin Rothkirch, Richler, Br. Bretton usw. zu uns.

Grillparzer, den unser Haus und der Ton, der darin herrschte, so wie der Kreis, der uns umgab, im Anfange angesprochen zu haben schienen, war an Dienstagen und Donnerstagen abends oft bei uns, und nicht selten an Sonntagen unser Gast zu Mittag, dann blieb er auch manchmal den Nachmittag und Abend bei uns, und machte mit mir und meiner Tochter Musik, denn er spielt sehr fertig Fortepiano, und phantasiert auf demselben mit ebenso viel Talent als Geschmack. Sein reich geschmückter Geist, noch mehr aber die Einfachheit und Herzlichkeit seines Benehmens, gewannen ihm[114] unser aller Achtung und Zuneigung, und auch er schien sich mit gleichen Gesinnungen an uns anzuschließen. Er benahm sich offen und herzlich; er erzählte von seiner Jugend, von seinen Eigenheiten, teilte uns seine poetischen Pläne mit (damals arbeitete er an der Sappho) und manches kleine Gedicht, von denen einige ihren Ursprung seinem Umgang mit unserm Hause dankten. So z.B.: Das Gespräch in der Bildergallerie, ein anderes bei der Zurückgabe eines Exemplars des Thomas a Kempis, den ihm meine Tochter geliehen hatte, und das schöne Frühlingsgespräch, das, wie ich glaube, bald darauf in der Aglaja erschien. Wir waren nämlich an einem schönen Frühlingsnachmittag, wo die außergewöhnliche Wärme die Blüten im Garten vor der Zeit erschlossen hatte, hinabgegangen, und standen vor einem Mandelbaume, der in den ersten Tagen des Aprils oder gar noch in den letzten des Märzes mit tausend halbrötlichen Blüten prangte, und sprachen darüber. Außer meiner Tochter und Grillparzer war noch Graf v. Stadion, der als Kadett in der nahen Kaserne wohnte, und uns oft besuchte, gegenwärtig, und ich stand bei dem Dichter in dem Verdachte, im Leben und auch in den Erzeugnissen der Poesie, das Ernste, das Moralische, welches den Menschen erhebt und bessert, dem rein Phantastischen, der poetischen Poesie vorzuziehen. Wenige Tage darauf brachte nun Grillparzer das folgende Gedicht, welches den Vorgang und die teilnehmenden Personen vortrefflich charakterisierte.


Mutter (ich):

Wie die Knospen schwellend blitzen!

Jede scheint ein schöner Stern;

Er kann blühen, er kann nützen,

Blüt' und Frucht, so hab ich's gern.


[115] Jüngling (der Dichter):

Glücklich bin ich wie ein König!

Mir gefällt der wackre Strauch.

Schläft acht Mond', blüht dann ein wenig,

Ja, bei Gott! so mach ich's auch.


Mädchen (meine Tochter):

Weiß der Unschuld, Rot der Freude,

Und der Hoffnung frommes Grün

Stehn auf ihrem Blütenkleide,

Und zum Himmel sehn sie hin.


Soldat (Graf Walter v. Stadion):

Weiß und rot, mit Grün umwachsen,

Recht gut kaiserlich, fürwahr!

Hat man Lust sich rum zu boxen,

Beut er seine Gerten dar.1


Der Gärtner, nachdem jene Personen sich entfernt haben:

Ei! mit Hoffen, Wünschen, Freuen!

Mit Erwartung, Blut und Frucht!

Heut nacht kommts, denk ich, zum Schneien,

Dann kommt morgen her, und sucht!


Und wirklich, um den Spruch des alten Römers wahr zu machen, daß die Dichter Seher sind: – ast sacri vates et divum cura vocamur – kam bald darauf Kälte und Reif, und der Mandelbaum, der die Veranlassung zu dem sonnigen Gedichte gewesen, brachte auch nicht eine Frucht. Ein paar Jahre darnach ging er ganz zugrunde, es war ein sehr alter Baum, und mit ihm die letzte sichtbare Erinnerung an jene schöne Zeit, wo wir uns an Grillparzers Umgang erfreuten, und er sich in unserer Freundschaft zu gefallen schien.

Die Sappho war nun vollendet und sollte gegeben werden. Ein Zug, der Grillparzers Gemütsstimmung treu abspiegelt, war ein Traum, den er uns damals erzählte.[116] Er träumte nämlich, er befände sich bei der ersten Aufführung der Sappho im Theater; das Stück mißfiel gänzlich, und er sah, wie ich und meine Tochter in einer Loge durch Lachen und spöttische Mienen in das allgemeine Urteil einstimmten, und uns über das Stück lustig machten. Dieses Traumbild war nichts anderes, als der Unfrieden, wie er ihn selbst in einem spätern Gedichte nennt; dies tückische Gespenst, das aus seinen Werken, so wie sie vollendet sind, hämisch herausblickt, und ihm sagt, daß sie nichts taugen; es war die Stimme des Hypochonders in ihm, welche ihm im voraus schon jede Freude verleidet.

Bei der Aufführung ging es ganz anders, als der mißmutige Dichter geglaubt hatte, die Sappho fand ungeheuren Beifall, und wir erfreuten uns bei der ersten Vorstellung von ganzem Herzen des Triumphs, den der Dichter feierte.

Bald nachher aber wurde seine Stimmung immer trüber und trüber, er kam selten und immer seltner zu uns, und da wir gar keine Veranlassung zu dieser Veränderung kannten oder ersinnen konnten, mußten wir sie, so leid es uns tat, ertragen, ohne etwas dagegen tun zu können.

Ich habe bei den Beziehungen unseres Hauses zu dem Verfasser der Sappho, so wie früher bei denen zu Büel, um des Zusammenhanges willen, der Zeit vorgegriffen, denn die Sappho wurde erst 1818 aufgeführt.

Dieses Jahr ließ sich in Beziehung der Witterung viel besser an, als mehrere vorhergegangene. Man versprach sich eine gesegnete Ernte, und die düstere Prophezeiung von dem Gesicht, welches der Türmer von St. Stephan gesehen haben sollte, ging nicht in Erfüllung. Aber niemand sprach darüber und so sind die[117] Götter gerettet, und die Orakel blieben bei Ehren. Trifft eine solche Vorhersehung ein, hält ein Lostag Wort, und bringt das Wetter, das er nach dem Sprichwort bringen sollte (und diese sind nicht bloß aus der Luft gegriffen, sondern auf vieljährige Erfahrung der Landleute, Jäger usw. gegründet), so wird es mit Vergnügen bemerkt; fehlt die Voraussagung, so denkt niemand daran; sie wird nicht Lügen gestraft, sondern man baut das nächste Jahr darauf mit eben der Zuversicht als auf etwas Unfehlbares.


*


Im Anfange des Sommers gingen wir wieder nach Lilienfeld, wo Pichler oft Geschäfte in den weitläufigen Waldungen des Stiftes sowohl, als den angrenzenden Gräflich Hoyosschen Besitzungen hatte. Wir freuten uns auch, den würdigen Herrn Prälaten wieder zu sehen, der uns stets freundschaftlich behandelte, und so zählten wir auf einige recht genußreiche Tage in der herrlichen Gebirgsgegend.

Und noch eine kleine Hoffnung gesellte sich dazu. Der Prälat nämlich als vorzüglicher Dichter und Verfasser der Tunisias und Rudolphiade hatte in Wien Grillparzers Bekanntschaft gemacht, den jungen Mann liebgewonnen und eingeladen, ihn in Lilienfeld zu besuchen. Wir hatten nicht ohne Grund vermuten können, er würde vielleicht während unserer Anwesenheit daselbst eintreffen. Es geschah nicht und diese getäuschte Erwartung schmälerte in etwas den sonst so großen Genuß dieses Aufenthalts in den schönen Gebirgen.

War es diesen Sommer oder den darauffolgenden, ich erinnere mich dessen nicht genau, und es ist auch[118] gleichgültig, genug, der Herr Prälat lud uns ein, die Klosteralpe zu besteigen, die sich gleich hinter dem Stifte in die Lüfte erhebt, und wir nahmen den Vorschlag mit Freuden an. Sehr frühmorgens brachen wir in zahlreicher Gesellschaft auf, an der leider mein Mann, den seine Geschäfte abhielten, nicht teilnehmen konnte, und stiegen munter bergan, bei dem schönen Wasserfall vorbei, ungefähr anderthalb Stunden, bis auf den sogenannten Kulm, wo sich eine Meierei des Stiftes befand. Von diesen Anhöhen sahen wir, wenn wir uns rückwärts wandten, die Abtei mit allen ihren weitläufigen Gebäuden, den ganzen Ort Lilienfeld, das dazu gehörige Marktl oder Dörfel, wie es heißt, wo die Gewehrfabrik ist, wie aus der Vogelperspektive, tief unter uns liegen. Es ist eine eigentümliche Empfindung auf einmal so hoch, so fern auf die Gegenstände herab zu blicken, die uns sonst nahe umgaben, zwischen denen wir wandelten, lebten, unsere Geschäfte trieben. Wie so ganz anders stellen sie sich nun unsern Augen dar! Wie klar sahen wir ihre Lage gegeneinander, ihren Zusammenhang, ihre ganze Örtlichkeit ein, deren Beziehungen uns früher, als sie uns noch dicht umgaben, ganz entgangen waren! Ist es im Leben nicht auch so? Gehört nicht ein längerer Verlauf der Zeit, eine Fernstellung durch Zeit oder Raum dazu – oft lange Jahre – bis wir über eine Periode unsers eigenen Lebens oder auch der Geschichte ein klares, richtiges Urteil, sine ira nec studio, wie Tacitus sagt, zu fällen imstande sind?

Auf dem Kulm wurde ein ländliches Frühstück eingenommen, und nach einigem Ausruhen der Weg auf die Alpe fortgesetzt. Hier wurde das Gehen oft beschwerlich. Es ging über steinichte Stellen, wo man[119] klettern mußte, oder über ziemlich gäh aufsteigende Alpenwiesen; und da die Sonne schon hoch am Himmel stand, wirkte auch die Wärme drückend auf uns, obwohl die reine Luft und der Duft der würzigen Kräuter dem Steigen viel von seiner Beschwerlichkeit benahmen. Die letzte steile Anhöhe am Saum eines Waldes hin kam mir, nachdem wir bereits mehr als drei Stunden immerfort bergan gestiegen waren, sehr ermüdend vor. Freundlich unterstützten mich unsere Begleiter und so gelangte ich endlich auf den Gipfel und zur Sennhütte.

Hinter oder vielmehr vor derselben führte man uns nun durch ein kleines Gebüsch auf einen freien Rasenplatz, und hier lagerte sich die ganze Gesellschaft ins kurze, balsamduftende Alpengras, und ruhte eine Weile aus. Ich hatte mich nach dem Rate, den man mir gab, der Länge nach hingestreckt, und – wunderbare Kraft der reinen Bergluft und der Alpennatur! – meine ganze Ermüdung und Erschöpfung verlor sich, und nach wenigen Minuten fühlte ich mich so gestärkt und erheitert, daß ich aufsprang und mir vorkam, als wäre ich wieder jung geworden. Doch konnte ich mich nicht mit Antäus vergleichen, denn sicherlich war es nicht die bloße Einwirkung der mütterlichen Erde, welche mit verjüngender Kraft auf mich eindrang, sondern das Ganze der mich umgebenden Natur. Jetzt traten wir alle an den Rand der Wiese, auf welche wir uns gelagert hatten, und welche Aussicht bot sich uns dar! Von St. Pölten, ja von Melk an, bis gegen Wien lag das ganze Waldviertel wie eine ausgebreitete Landkarte unter uns. Wir konnten den Lauf der Donau durch diese ganze Strecke verfolgen, und jenseits des Stroms noch einen großen Teil des hügelichten, größtenteils mit[120] Wald bedeckten Viertels Obermannhartsberg. Durch ein gutes Fernrohr entdeckten sich dem bewaffneten Auge noch entferntere Punkte, und der Herr Prälat glaubte mit Zuversicht, bei besonders reiner Luft einmal, als er sich mit dem Erzherzoge Johann eben auf diesem Punkt seiner Berge befand, den Stephansturm unterschieden zu haben. Sicher ist es, daß ein paar Jahre später, da ich eben auch in Gesellschaft des Herrn Prälaten und einiger seiner Begleiter den Stephansturm bestieg, wir in der Gegend, in der Lilienfeld liegt, durchs Fernrohr Berge gewahrten, deren Umrisse ziemlich mit denen des Mukenkogels (so heißt die Stiftsalpe) und der sie umgebenden Bergspitzen übereinstimmten. Wenn man nun vom Stephansturm aus jene Berge sehen kann, so kann man ja wohl auch bei recht heiterer Luft von diesen aus den Turm erkennen. Wunderschön war der Ausblick über diesen weiten Landstrich hin; es war von oberhalb Melks abwärts, über Pöchlarn, Mautern usw. der Weg, den die Burgunden des »Nibelungen-Liedes« gezogen waren, und es bestärkte sich in uns die Meinung, welche mehrere Schriftsteller geäußert, daß diese genaue Kenntnis und Schilderung des Reiseweges, sowie mehrere andere Umstände darauf hindeuten, daß der Sänger des berühmten Heldenliedes ein geborner Österreicher oder sehr bekannt mit diesem Lande gewesen sein mußte.

Das war die Fernsicht, welche sich auf dieser Seite darbot; sie war prächtig, erhebend; mir aber gefiel die andere, welche sich uns zeigte, als wir uns umwandten und rückwärts in die kolossale Bergwelt blickten, noch viel besser. Hier türmten sich die gigantischen Berge hintereinander und übereinander empor; einige mit Wäldern bedeckt, andere kahl und schroff. Da erhob[121] sich der Ötscher, hinter ihm blickte in weiter Ferne der Hochschwab hervor, und geheimnisvoll senkten sich in allen Richtungen zwischen diesen aufstrebenden Massen die Täler hinab, Wohnungen der Menschen, einzelne Gehöfte, ganze Dörfer, hier und dort wohl auch kleine Städte in ihrem tiefen unsichtbaren Grund verbergend; für mich war dieser Anblick anziehender als der des weit sich hinbreitenden Flachlandes.

Nachdem wir uns an diesen beiden Naturgemälden erquickt und gesättigt hatten, kehrten wir in sehr fröhlicher Stimmung zur Alpenhütte zurück, wo noch mancher Scherz getrieben und jene (wie es hieß nach einem alten Brauch), welche zum erstenmal auf eine Alpe kamen, getauft wurden. Die Herren (und ihrer waren mehrere) bekamen hübsche Ladungen aus dem Quellbrunnen der Sennerin, der immerfort von sich selbst quillt und treffliches Wasser spendet; aber auch meine Tochter und ich wurden bespritzt, und der Grafen von Hohenberg wegen, die sich in diesen Gegenden einer großen Popularität erfreuten, Mechtild und Agnes getauft.

Ein einfaches, aber sehr wohlschmeckendes Mahl, aus ländlichen Speisen bestehend, ward unter heitern Gesprächen und Scherzen verzehrt, und der Rückweg gegen Abend auf einem andern, aber nicht minder schönen Pfade angetreten. So verging der angenehme Tag, dessen Bild mir nach so vielen Jahren erfreulich wiederkehrt, und ein kleines Gedicht, das ich nach meiner Heimkunft dem Herrn Prälaten mit einem Exemplar der Nibelungenlieder übersandte, sollte ihm meinen Dank für jenen frohen Tag aussprechen, und ihn an die herrliche Aussicht und die Gespräche mahnen, die wir auf jenen heitern Höhen geführt hatten.[122]

Im Herbst, wann die meisten Familien vom Lande oder von Badeörtern wieder in die Hauptstadt zurückkehren, begann auch das angenehme gesellige Leben, wie es damals gestaltet war, sich zu entfalten. Mit ihm kamen seine Zerstreuungen, seine Vergnügungen, aber auch seine Enttäuschungen und mancherlei bittere Augenblicke, welche die unausweichliche Folge einer beziehungsreichen Stellung zu mehreren, ja zu vielen Menschen von verschiedener Denk- und Empfindungsweise sind, in deren Mitte wir uns befinden.

Eines der Häuser, mit welchen wir in nähern freundschaftlichen Beziehungen standen, war das des damaligen Obersten Barons von Rothkirch, dessen diese Blätter schon oft erwähnten. Er sowohl als seine in jeder Rücksicht verehrungswürdige Gemahlin hatten sich seit einer langen Reihe von Jahren als wahre, verläßliche Freunde gegen uns erwiesen. Die Nähe unserer Wohnungen, der – damals beinahe gleiche Fuß, auf dem wir trotz des großen Unterschieds der Geburt lebten; ein gleicher Sinn für Literatur und Bildung hatten diese Bande fester gezogen, und die Abende, an welchen sich unsere nächsten Umgebungen entweder bei uns oder bei ihnen versammelten, waren durch die geselligen Annehmlichkeiten der Frauen und die höhere Bildung der Männer, sehr genußreich. Hier trafen wir mehrere Offiziere des Generalstabes, zu dem auch Baron Rothkirch gehörte, die gehaltvollen Dichter Pannasch und Weingarten, die uns öfters durch Vorlesen ihrer meist dramatischen Arbeiten erfreuten, so wie auch der Herr vom Hause bereits mehrere Trauerspiele geschrieben und sich als militärischer Schriftsteller, ebenso wie jene beiden und die damaligen Hauptleute (jetzt Generäle) von Schönhals und Martini,[123] ausgezeichnet hatte, so daß einer von diesen den Generalstab nicht mit Unrecht »den Geist der Armee« genannt hat. Hierher kam sehr oft Baron Hormayr, der württembergische Gesandte Graf Mandelslohe, sein höchst geistvoller Sekretär Baron von Trott, Graf Bombelles und mehrere andere. Unter ihnen zeichnete sich vorteilhaft der Stiefsohn des früher öfters genannten Professors Schneller, von Prokesch, aus, der seiner hübschen Gestalt wegen vorzugsweise der schöne Fähnrich genannt wurde, dem Generalstab zugeteilt und ebenfalls Mitarbeiter an der militärischen Zeitschrift war, in welcher unlängst ein Aufsatz von ihm: Über die Schlacht von Waterloo erschienen war, der ungemein viel Aufsehen gemacht, und die allgemeine Aufmerksamkeit auf den noch sehr jungen Verfasser gelenkt hatte. Alle diese Personen zusammen bildeten einen höchst angenehmen Kreis der Geselligkeit, und manche derselben besuchten auch unser Haus, so wie wir sie ebenfalls in dem Hause der Baronin Pereira wieder fanden, wo ähnliche Unterhaltungen und überhaupt ein ähnlicher Geist herrschten. Hier durfte man auch darauf zählen, bedeutende fremde Notabilitäten kennen zu lernen, welche selten versäumten, sich bei der Baronin Pereira und ihrer Tante, der Baronin von Eskeles, vorstellen zu lassen. Der Besuch dieser beiden Häuser, die damals vor vielen ihresgleichen glänzend hervorragten, war auch mir sehr angenehm, besonders bei Pereira, wo ein ungezwungener Ton herrschte, viele Jugend sich versammelte, und Musik, Tanz, Vorlesen eine lebhafte Abwechslung der Unterhaltung boten. Ich und meine Tochter kamen oft hin, denn schon zwischen den Eltern der Baronin Pereira und den meinigen hatte ein freundliches Verhältnis gewaltet,[124] und zufällige Ereignisse hatten es zwischen uns fester gezogen.

Im Jahre 1810 entstand bei mancher dringenden, durch die Ungunst der Zeitumstände erzeugten Not unter den Bewohnern Wiens der Verein adelicher Frauen zur Beförderung des Guten und Nützlichen, und die allgemein geachtete Fürstin Karoline von Lobkowitz wurde zur Vorsteherin gewählt. Zwölf Damen bildeten den Ausschuß. Jeder von ihnen war ein Bezirk der Stadt oder der Vorstädte als Wirkungskreis angewiesen, und wohldenkende Frauen des Mittel- und Bürgerstandes waren zu wirkenden Mitgliedern ernannt, welchen die Pflicht oblag, sich um die nähern Umstände der empfohlenen Armen zu erkundigen; den in Kost gegebenen Findelkindern nachzusehen; arme, verheiratete Wöchnerinnen zu besuchen, für sie zu sorgen usw. Ohne mich zu befragen, hatte die Fürstin, in ehrenvollem Vertrauen auf meinen guten Willen, wie sie mich immer mit Auszeichnung behandelt hatte, mich unter die Zahl der wirkenden Mitglieder aufgeschrieben, und ich habe mit Freuden unter ihr sowohl, als unter ihrer unmittelbaren Nachfolgerin, der mir unvergeßlichen Gräfin Dietrichstein, Regentin des Damenstiftes, die Pflichten eines wirkenden Mitgliedes unserer Gesellschaft geübt.

Das Arnsteinische Haus, die beiden Familien Eskeles und Ephraim mit einbegriffen, war wegen seiner Mildtätigkeit gegen Arme und Hilfsbedürftige jedes Glaubens schon lange in Wien geschätzt und berühmt. Jährlich gaben B. Arnstein und seine Tochter bedeutende Summen für solche Zwecke aus, und die übrigen Zweige der Familie blieben nach dem Verhältnis ihres Vermögens nicht zurück. Man hat freilich oft, wenn von[125] reichen Wohltätigen die Rede war, eingewendet, daß sie eben, weil sie reich sind, dies leicht tun können; da es aber eben so viele Reiche gibt, die es unterlassen, so ist, wie ich glaube, diese Eigenschaft, wo sie sich mit dem Reichtum zusammenfindet, immer achtend anzuerkennen, und ich kann, da ich außer jenen Familien noch so manche bemittelte Wohltätige kennen gelernt habe, nicht ganz der Meinung sein, die der Verfasser des trefflichen Stückes: »der Adept« aufgestellt zu haben scheint: als müßte notwendigerweise der Besitz von Reichtümern die Menschen verschlechtern. Die B. Pereira wurde zu einer der zwölf Ausschußdamen gewählt, ihrer Obsorge war besonders das Marienspital in Baden, auch eine Privatstiftung wohltätiger Frauen, übergeben. Hier waren ihr nun, während unseres gemeinschaftlichen Aufenthaltes in Baden, meines Mannes einsichtsvoller Rat, seine freundliche Teilnahme und Unterstützung sehr willkommen; ja, er wurde später von der Frauengesellschaft zu einer Art von Konsulenten nach Graf Pergens Tode ernannt, und wohnte in dieser Eigenschaft ihren Sitzungen regelmäßig bei. Sein edles, menschenfreundliches Herz freute sich jeder Gelegenheit, wo er Gutes wirken, Arme unterstützen, Leidenden helfen konnte. In diesem Sinne war er die Hauptveranlassung, daß eine Quelle des Badner Heilwassers, welche bis dahin unbenützt abgeflossen war, gefaßt und zu einem Bade, das Franzensbad nach dem Namen des Kaisers genannt, für Arme eingerichtet wurde. In eben diesem Sinne war es abermals mein edler Pichler, der die erste Anregung zu dem Wohltätigkeitshause in eben dem Baden wurde, der die Fonds dazu aufsuchte und ermittelte, so daß man wohl sagen kann, daß es ihm seine Entstehung und mehrere hundert[126] Kranke oder Dürftige darin jährlich ihre Heilung oder zeitweise Verpflegung danken.

Alles dies brachte uns in nähere Beziehung mit Frau von Pereira und ihren Verwandten. Wir brachten oft Abende dort zu; im Fasching war jeden Mittwoch thé dansant daselbst, der bis 11, halb 12 Uhr währte, und bei welchen ich mit meiner Tochter und ihrer Gespielin, Fräulein Amalie Schechtern, beide hübsche Mädchen und flinke Tänzerinnen, stets eine willkommene Erscheinung war. An anderen stillen Abenden, wenn nur ein kleiner Kreis sich versammelte, wurde entweder Musik gemacht oder vorgelesen oder auch bloß geplaudert, indem wir Frauen mit unsern Handarbeiten um den runden Tisch herum saßen, die Herren zwischen oder hinter uns Platz fanden, und die Gesellschaft ein Ganzes ausmachte, dessen Seele die Frau vom Hause vorstellte, und jeder, so gut er es vermochte, zu der allgemeinen Unterhaltung beitrug. Die neuere Gewohnheit, daß die Frauen ebensowenig wie die Herren eine Arbeit zwischen den Fingern haben, und also wie diese nur auf das Gespräch, und nicht auf ein allgemeines, sondern auf das von einer oder zwei Personen angewiesen sind, die der Zufall neben sie geführt – diese neue Gewohnheit scheint mir der höhern Geselligkeit gar nicht günstig zu sein. Gewiß ist es, daß der leichte Austausch der Gedanken, zwischen mehreren Personen von ungleichen Ansichten, verschiedener Empfindungs- und Denkungsart, die sich in einem lebhaften allgemeinen Gespräch berühren, gleichsam Geistesfunken aus jedem der Teilnehmer lockt, die dann einer am andern schnell fortzünden, und in rascher Wechselwirkung eine Menge von Behauptungen, Ansichten, Witzspielen usw. zutage fördern, die jeden angenehm aufregen, und[127] ihm das Bewußtsein geben, ebenfalls seinen Anteil zum allgemeinen Vergnügen beigetragen zu haben. Freilich kommt hier das meiste auf die Frau vom Hause an, die es verstehen muß, dies allgemeine Gespräch in Gang zu erhalten, indem sie allgemein ansprechende Gegenstände herbeiführt, was nicht immer leicht ist, weil die Gesellschaft öfters aus heterogenen Teilen besteht. Indessen es geht, wenn nur die Frau vom Hause Lust und Geschick dazu hat, und es nicht vorzieht, ihre Gäste sich den Stoff zum Gespräch mühselig und unbefriedigend genug aus, auf den Tisch gelegten Zeitungen und Kupferwerken suchen zu lassen.

So wie es hier geschildert ist, waren die Abendgesellschaften in früherer Zeit bei den Familien, mit denen wir in freundschaftlichen Verhältnissen standen, beschaffen, unter welchen mir die des königl. preußischen Legationsrats von Piquot, und des hiesigen Staatskanzleirates von Hoppe vorzüglich wert waren. Bei Piquots waren eine Tochter und ein Sohn; Hoppe hatte keine Kinder. In beiden Häusern herrschte ein Ton und eine Geistesrichtung, die mit der unsrigen sehr übereinstimmte. – Bekanntschaft mit den bessern Erscheinungen der neuen Literatur; lebhaftes Interesse daran; zuweilen eine kleine Vorlesung oder ein geistreiches Gesellschaftsspiel erhöhten den Reiz dieser Gesellschaften, denen eine ehrenvolle Gesinnung und wahrhaft freundschaftliches Wohlwollen noch höhern Wert gaben. Bei Piquot hatte Marie, die Tochter, ein Mädchen in Lottens Alter, von seltner Geistesbildung und trefflichem Charakter sich warm an diese angeschlossen und der Sohn, ein geistig gebildeter, aber sonst nicht sehr bedeutender junger Mann, schien nicht gleichgültig gegen sie. Bei Hoppe waren die Frau und ihre Schwester,[128] Fräulein Justine von Krufft, zierliche Dichterinnen, und so wie ihr Bruder Nikolas, ausgezeichnet durch seine Klavierkompositionen und sein meisterliches Spiel, Jugendbekannte von mir und durch lange Jahre mir lieb und wert geworden. – Nun sind sie alle tot! Bei Piquot starben die Kinder noch vor den Eltern, diese folgten ihnen in einigen Jahren, dann beide Geschwister der Mutter; bei Hoppe sind er und sie, ihre drei Geschwister, ein Neffe usw. gestorben, kurz, beide Familien so werter Freunde sind im eigentlichsten Sinne verschwunden. Wievielmal habe ich dies schon erleben müssen, und wie schmerzlich ist es!

Es wird mir wohl als ein angenehmes, mütterliches Bewußtsein verziehen werden, wenn ich darauf hinwies, daß meine Tochter, ohne eine Schönheit zu sein, ohne schimmernde Talente zu besitzen, schon öfters von höchstbedeutenden Männern war ausgezeichnet, worden, auch von solchen, die keinerlei Absicht auf eine Verbindung mit ihr hatten oder haben konnten und die also nicht die Hoffnung auf ihr einst zu ererbendes Vermögen anlocken konnte. Eben die Einfachheit ihres Wesens, die Wahrheit und tiefe Weiblichkeit ihres Charakters, verbunden mit einer nicht alltäglichen Geistesbildung und einem wohl nicht glänzenden, aber tiefempfundenen Talent für Gesang und Klavierspiel mochte es sein, was eben geistreiche Männer an die, in der Welt immer seltner werdende Erscheinung einfacher Natur und wahrer Gefühle zog. Auch kann der Leser sich aus dem Gange der Erzählung selbst beantworten, ob meine mütterliche Eitelkeit mich bei dieser Bemerkung getäuscht hat.


*
[129]

Während dieser angenehm bewegten Zeit verlor sich aber leider einer der bedeutendsten Teilnehmer unseres geselligen Kreises, Grillparzer, immer mehr aus demselben. Die heitere Stimmung, die ihn eine Zeit hindurch beseelt und seinen natürlichen Trübsinn verscheucht zu haben schien, verschwand allmählich und machte düsteren Ansichten Platz. Er kam selten, meist nur, wenn er ausdrücklich gebeten wurde und selbst dann lag trotz der Feinheit seines Benehmens und des natürlichen Wohlwollens, das ihn stets belebte, etwas in seiner Art sich zu betragen, das uns zweifelhaft ließ, ob die Einladung ihm willkommen gewesen, ob sie ihn nicht geniert haben möchte. So machte er es bei Piquot, bei Hoppe, bei Pereira und bald wurde es eine Seltenheit, wenn er wieder einmal sich in einem dieser Häuser sehen ließ.

Wir pflegten alle Jahre eine kleine Weinachtsfeier bei uns zu halten. Ein Baum wurde mit Lichtern, Bändern usw. geschmückt, und der nähere Kreis der Freundinnen und Bekannten meiner Tochter mit kleinen Gaben beschenkt, welche meistens in Kindereien, in Anspielungen auf vorwaltende Verhältnisse bestanden, von erklärenden Versen begleitet, und so ein harmloser Scherz waren.

Im vergangenen Jahr 1817, wo wir unsere Bescherung statt zu Weihnachten nach der alten österreichischen Sitte am Nikolaustag hielten, war er ebenfalls gebeten. Viele ernste und komische Verse und Sprüche kamen vor, ihm wurde eine Leier mit einem Lorbeerzweige überreicht, welchen die folgenden Verse begleiteten:


Nimm dies Saitenspiel aus meiner Hand,

Mit dem wohlverdienten Reis umwunden,

Die Gefährtin deiner schönsten Stunden[130]

Und der besten Himmelsgabe Pfand.

Mächtig kannst du zu den Herzen sprechen,

Sie nach Willkür unter Martern brechen

Oder zaubern in die höchste Lust.

Laß dich einen Himmelsbürger2 warnen,

Von den dunkeln Mächten nicht umgarnen3,

Folg der Spur in deiner eignen Brust.

Auf der Tugend steilen Felsenwegen

Führ die Herzen jenem Ziel entgegen,

Das dir selber strahlt aus lichten Höhn.

Dann mag unter donnernden Gewittern

Jede Hoffnung, jede Lust zersplittern,

Mag das Leben untergehn,

Ewig wird ihr wahres Glück bestehn.


In diesem Winter (1818), in dem Grillparzer sowie im vorhergehenden, als einer der wertesten jüngern Bekannten, ebenfalls beschenkt wurde, hatte ich für ihn, der eben mit frischem Lebensmute an seiner Medea arbeitete, einen Kupferstich, der den Theseus im Kampf mit dem Minotaurus vorstellte, gewählt, und er wurde von folgenden Versen begleitet:


Mit der Argo kühnen Helden

Wagt' einst Theseus auch den Zug,

Und die alten Sagen melden

Uns von Kampf und Fährlichkeit genug.


Klippen waren zu umschiffen,

Oftmals hemmte träger Sand,

Oftmals zwischen Felsenriffen

Schien das Fahrzeug festgebannt.

Doch die Götter lächeln Gnade,

Und der Lauf beginnt aufs neu,

Alle feindlichen Gestade

Segelt Argo kühn vorbei.


Bringt das goldne Vließ zurücke

An der Heimat teuren Strand:

Und noch sind der Nachwelt Blicke

Rühmend auf die Tat gewandt.[131]

Dein Beginnen wird wie jenes enden,

Glück und Ruhm sind dir gewiß,

Und zum zweitenmal aus deinen Händen

Nehmen wir das goldne Vließ.


So wohl und herzlich gemeint diese Worte waren, schienen sie den Dichter doch eher trüb als froh zu stimmen, und es ging mit dieser kleinen Gabe, sowie mit manchem andern Versuch in dieser Zeit, der bestimmt war zur Aufheiterung, zur Herstellung des alten zwanglosen Verhältnisses wie es früher zwischen uns geherrscht hatte, beizutragen; es mißglückte und schien gerade das Gegenteil, Mißmut und Entfremdung hervorzubringen; ja, es war als berühre ihn schon jetzt die Vorahnung eines unseligen Ereignisses, das bald darauf eintrat.

Grillparzer liebte seine Mutter aufs innigste, und wurde ebenso von ihr geliebt. Ihm Freude zu machen, entschloß sie sich, ihr lange beiseite gesetztes Klavierspiel wieder hervorzusuchen, um mit ihm die vierhändigen Stücke aus Beethovenschen oder Mozartschen Sinfonien, Sonaten usw. oder die Ouvertüren der neuesten Opern zu spielen, die er mich und meine Tochter oft spielen hörte, und einst äußerte er sich gegen diese in Rücksicht seiner Mutter: daß, wenn sie sterben sollte, man ihn nur gleich mit ihr begraben möchte, weil er sonst niemand auf der Welt habe!

Und diese Mutter starb! eben in diesem Winter, eben während er an seiner Trilogie: der Gastfreund, das goldene Vließ und Medea arbeitete; und so wie man erzählte, war diese Katastrophe von sehr erschütternden Umständen begleitet. Ich war damals der Meinung, daß diese über alle Maßen störende Unterbrechung der Fortsetzung seiner Arbeit an jener[132] Trilogie nicht günstig sein könne und sagte es ihm, als ich ihn – sehr unvermutet bald darauf wieder sah, er aber war hierin anderer Meinung und setzte seine Arbeit fort.

Er war jetzt ziemlich lange nicht bei uns gewesen. Wenige Tage nach diesem traurigen Vorfall besuchte er meinen Mann im Bureau, was sonst äußerst selten geschah, und sagte ihm, daß er mit seinem Schmerze zu ihm komme, weil er glaube, daß nach seiner Mutter Tod niemand wärmer an ihm teilnehme als unser Haus. Befremdend war diese Äußerung seiner Anhänglichkeit wohl in einer Periode, wo er sich seit mehr als einem halben Jahre ganz von uns zurückgezogen, und auffallend kalt gegen uns benommen hatte. Dennoch empfingen ihn Pichler, und als er bald darauf zu uns kam, auch wir mit großer Herzlichkeit, obwohl ich nicht bergen kann, daß in der Tiefe unsrer Herzen etwas Gespanntes zurückblieb, erzeugt durch das Bewußtsein seines kalten Benehmens. Nach und nach glich sich das wieder aus, die alte Freundschaft trat wieder in ihre Rechte ein, aber das allererste Verhältnis ganz rücksichtsloser Annäherung, wie es im Anfang unserer Bekanntschaft und bis nach der Aufführung der Sappho bestanden, stellte sich nicht wieder her.

In diesem nämlichen Winter von 1818/19 lernten wir den Stiefsohn einer unsrer alten Bekannten, des Herrn Professor Schneller (damals in Grätz) kennen, Herrn von Prokesch, oder vielmehr wir erneuerten seine Bekanntschaft wieder, die wir schon im Winter 1816 gemacht, wo Ignatius, der junge livländische Maler, der in unserem Hause wohlbekannt und gerne gesehen war, diesen seinen Freund, einen sehr geistreichen, feingebildeten jungen Mann aufführte. Die Stellung,[133] welche dieser Mann seitdem in der Welt eingenommen hat, seine Kenntnisse, seine Talente, die Bahn, welche er durchlaufen, der Platz, den er jetzt behauptet, werden es begreiflich machen, daß seine Erscheinung in unserem Kreise nicht unbemerkt bleiben konnte und daß er bald unter der damaligen Bezeichnung »der schöne Fähnrich« ein bedeutendes Mitglied desselben wurde.

Im folgenden Frühling machte unser Hof eine Reise nach Italien. Grillparzers dichterischer Ruhm, sowie seine einnehmende Persönlichkeit hatten ihm viele Freunde und Teilnehmer an seinem Wohl erworben, und so fand er Gelegenheit, sich Personen des Hofes anzuschließen und die Reise im kaiserlichen Gefolge mitzumachen, wozu ihm jedermann, der ihn kannte, Glück wünschte, weil man sich eine günstige Einwirkung auf sein Gemüt wie auf seine Gesundheit versprach. Sein väterlicher Freund und Ratgeber, Schreyvogel, interessierte sich sehr dafür und freute sich dieses glücklichen Zufalls für seinen Günstling, und dieser in jugendlich frischem Mute, wie ihn ihm die Hoffnung, das Hesperische Land zu sehn, einflößte, rezitierte uns ein Gedicht, welches er auf die bevorstehende Reise gedichtet und wovon ich eine Strophe behalten habe, die ungefähr so lautete:


Dann komm ich zurück mit frischem Sinn,

Und schaff' in stolzer Ruh,

Was jung soll sein, wie ich es bin,

Und alt soll werden wie du (nämlich das ewige Rom).


Wie wenig entsprach der Erfolg diesen fröhlichen Erwartungen! Ebensowenig als die glänzende Aufnahme der Sappho, von der sich seine Freunde so viel Gutes für des Dichters Erheiterung versprochen. Es[134] war und ist wohl in dieses Sängers Innerm ein Zug, der ihm nicht erlaubt, sich irgendeines Gelingens recht zu erfreuen, wie er es auch in dem »Bann« und dem »Unfrieden« geschildert hat, und das ihm nach Iphigenias Worten: »die nächste Freude von den Lippen wegzehrt.«

Bald brachte uns Schreyvogel seinen ersten Brief aus Venedig. Die ganze Trunkenheit jugendlicher Lust sprach aus diesem Blatt. Der Anblick der Meerstadt, die Neuheit des Schauspieles, die italienische Luft – alles schien bezaubernd auf den empfänglichen, mit aller Kenntnis des Altertums und der Neuzeit geschmückten Geist gewirkt zu haben. Herzlich erfreuten wir uns dieses Briefes und der milden Freude seines väterlichen Freundes, der einigen Wert auf unseren warmen Anteil an seinem Günstling zu legen schien. Der zweite Brief, aus Rom, trug schon ein ganz anderes Gepräge. Hier sprach ihn alles weniger an, vieles widerte ihm, die Fasten (es war die Karwoche), die er, als zur Suite des Hofes gehörig, beobachtete, die italienische Küche schadete seiner Gesundheit, und aus diesen und ähnlichen Einwirkungen erkläre ich mir die so höchst gereizte, so befremdende Stimmung, welche ihn antrieb, auf den Ruinen des Kolosseums ein Gedicht zu verfassen, das zwar nichts Schlimmeres enthielt, als Schiller uns in den Göttern Griechenlands sagte, das aber einem Katholiken weniger zu verzeihen war und das noch darüber eine Bitterkeit der antichristlichen Stimmung zeigte, wie sie nur ein zweimal abtrünniger Gibbon gegen das Christentum aussprudeln konnte. Damals wußten wir von dem Gedichte noch nichts, und es wäre zu wünschen gewesen, daß nie jemand davon erfahren hätte. Daß es[135] bald darauf, ehe er noch hier war, in der Aglaja erschien, war gewiß ein Mißgriff seines sonst wohlgesinnten Freundes Schreyvogel, der dem Dichter viel Schaden getan, indem er aufs strengste von der Zensur gerügt wurde und sogar die Bogen der Aglaja umgedruckt werden mußten. Er selbst war indes bei dem schwer erkrankten Grafen Wurmbrand, der ihn liebgewonnen, in Neapel zurückgeblieben. Geschrieben hatte er uns nicht mehr, und die ganze freundlichere Stimmung, welche nach dem Tode seiner Mutter sich gezeigt, war wie ein freundlicher Sonnenstrahl an einem halbtrüben Tage hinter den Wolken verschwunden, ohne daß wir erraten konnten, warum. Nur Schreyvogel kam noch öfters, solange wir hier blieben, und brachte uns Nachricht von dem Entfernten.

In der Mitte dieses Sommers kam denn auch für uns abermals die Zeit, uns zur Reise nach Ungarn zu dem Wiedersehen so werter Freunde zu rüsten. Dieses Jahr wartete unser noch eine besondere Feierlichkeit. Unser vieljähriger Freund, der Feldkriegskommissär von Romano, derselbe, der uns vier Jahre früher das erstemal nach Bucsan begleitet hatte, sah sich nun, durch die Umstände begünstigt, am Ziele seiner lange genährten Wünsche und war auf dem Punkte, der lange und treu geliebten Freundin Wilhelmine von Artner seine Hand bieten zu können. Die Hochzeit sollte auf dem Gute des Barons von Zay im Gebirge, welches von jeher der Lieblingsaufenthalt der Baronin und der Artnerschen Schwestern gewesen war, gefeiert werden. Wir versahen uns daher schon hier mit »hochzeitlichen Kleidern« und freuten uns überdies sehr, daß noch vor unserer Abreise der Baron auf ein paar Tage nach Wien kam und sein Absteigquartier bei uns nahm. Während[136] dieser kurzen Frist fiel eine so außerordentliche Hitze ein, daß – es war eben um die Erntezeit – einige Personen auf den umliegenden Feldern vor Hitze krank wurden oder, wie man sagte, sogar starben. Ein paar Tage darauf erschien ein kleiner, aber mit freiem Auge sichtbarer Komet am nordwestlichen Himmel, der aber nicht lange über unserm Horizont verweilte. Nach wenig Tagen brach sich auch die allzugroße Hitze durch ein heftiges Gewitter und die Luft wurde wieder gemäßigt.

Ich glaube während meines langen Lebens bemerkt zu haben, daß jene Sommer, in welchen Kometen erschienen, besonders heiß waren, so der von meinem Geburtsjahre 1769, wie ich im Anfange dieser Blätter berichtet, so im Jahre 1811 und 1819. Nach den, freilich viel richtigern Beobachtungen, welche die Kalender des Herrn von Littrow enthalten, trifft dies sich nur zufällig; aber meine Erinnerungen sind eben jener Beobachtung günstig gewesen.

Von Grillparzer hörten wir, ehe wir Wien verließen, daß er auf der Rückreise aus Italien nach Gastein gegangen sei, wo er auch später öfters mit dem damaligen Prälaten von Lilienfeld, seinem Freund, zusammentraf oder die Reise mit ihm machte. Daß wir sonst gar nichts vernahmen, wunderte uns bei der Kenntnis von diesem düstern Charakter nicht, der so oft, trotz seiner tiefen Gefühle für alles Schöne und Gute, selbst die Berührung einer treuen Freundeshand nicht vertragen konnte.

Wir waren also nach Bucsan gekommen und sollten von dort in sehr zahlreicher Gesellschaft nach dem alten Stammschloß Zay-Ugrócz abgehen; nämlich mit allen Schwestern der Braut, Mariannen von Neumann, der[137] Jugendfreundin derselben, mit ihrem Gemahle und einem Offizier, dem Rittmeister vom Regimente Kronprinz-Kürassier, Hrn. Töpke, dessen sonderbares Schicksal hier mit ein paar Worten erzählt werden mag. In seinem Vaterlande Hannover zum ausübenden Arzte bestimmt, bereitete er sich in seinem zwanzigsten Jahre eben vor, die rigorosen Prüfungen zu machen und dann seinen Beruf anzutreten, als ihn das Los, Soldat zu werden, unter der Regierung Königs Jérôme von Westfalen traf, und er ohne weiteres in ein Regiment enrolliert wurde. Dies Regiment war eines von den beiden, mit welchen in der Schlacht von Leipzig der damalige Befehlshaber derselben, Baron von Hammerstein, zu den Österreichern überging. So warf ein unberechenbarer Zufall den jungen Mann aus seiner gewählten Bahn zuerst in eine ganz verschiedene, die er wahrscheinlich freiwillig nie betreten haben würde, und so brachte die zweite Begebenheit den jungen hannoverischen Arzt nach Österreich und in den Dienst eines Staates, den er kurz vorher als eine feindliche Macht hatte betrachten müssen. Seltsames Spiel scheinbarer Zufälligkeiten – und doch gewiß eine weise und zweckmäßige Leitung der Vorsicht. Töpke ist nun längst Stabsoffizier, und wenn ich nicht irre, in dem berühmten Regiment Savoyendragoner, das noch immer den Namen des Helden Eugen trägt. Er ist verheiratet, lebt angesehen und vergnügt, wie ich höre und wie es sein rechtlicher Charakter, sein gebildeter Geist verdient hat.

Damals war er ein junger, ziemlich hübscher Offizier, der der ganzen Gesellschaft durch seine Persönlichkeit sowohl als durch sein treffliches Talent zum Vorlesen willkommen war. Nebst ihm war noch ein Herr[138] von Maillard aus Tyrnau in der Gesellschaft, vielleicht noch ein paar Personen, deren ich mich nicht erinnere, und dann die Hausgenossenschaft der Zayschen Familie. Diese ganze ziemlich zahlreiche Versammlung, die sich in Bucsan zusammengefunden hatte, war bestimmt, von dort nach Ugrócz abzugehen, und diese Reise machte mir durch die begleitenden Umstände ein besonderes Vergnügen. Sie begann nämlich in der Nacht vor Tagesanbruch. Und dies war notwendig, um bei der schlechten Beschaffenheit der Straßen zum Mittagsessen noch Ugrócz, das 8 bis 10 Stunden entfernt im Gebirge und vor dem kein Ort zum Einkehren lag, zu erreichen. Alles ging daher den Abend vor dem Aufbruch zeitlich zur Ruhe, und um zwei Uhr nach Mitternacht, wo es selbst im Anfange des Juli noch Nacht ist, wurde die ganze Gesellschaft geweckt. Jeder suchte sich bald fertig zu machen, man frühstückte, trug sein kleines Gepäck zusammen – die Wagen mit den Koffern waren schon den Tag zuvor abgegangen – und allmählich sammelte sich die Gesellschaft im Schloßhof, wo die bereits angespannten zahlreichen Chaisen standen, und die Laternen und Fackeln der einpackenden Dienerschaft die Finsternis einigermaßen erhellten. Noch aber erkannte und fand man sich eigentlich nur an den Stimmen zusammen, und endlich zwischen 3 und 4 Uhr war alles in Ordnung, und die Gesellschaft in die Wagen verteilt. Kaum zeigte sich, wie wir hinaus ins Freie kamen, in Ost ein hellerer Streifen am Horizont. Das heilige Licht, wie alles Gute und Wahre in der Welt wurde langsam, aber unwiderstehlich stärker, die Schatten wichen allmählich, wir fingen an, uns selbst, die Wagen, die Gegend um uns zu erkennen. Jetzt war es Tag geworden, jetzt lag die freundliche[139] Landschaft und die Hügelkette, von welcher das Schloß Freistadtl aus seinen Gärten herabblickt, vor uns. Aber noch war die Sonne, die Königin des Tages, nicht erschienen. Der Wagenzug klimmte den Gabor, einen mäßigen Berg, hinan, und bei jedem Schritt vorwärts erweiterte sich der Gesichtskreis und traten uns mehrere Ortschaften und Fluren vor die Augen. Nun war der Gipfel erreicht, und in diesem Augenblick (die Marschroute war auf diesen Effekt berechnet) stieg die Sonne empor, und jetzt erst schien der Gegend Licht und Leben erteilt. Es war ein schöner Moment, der gar wohl zu frommen Gefühlen stimmen konnte. Alle hatten die Wagen verlassen und weideten sich an dem schönen Schauspiel, denn alle oder doch die meisten in diesem ziemlich zahlreichen Kreise hatten tiefen Sinn und warmes Gefühl dafür.

Die wieder angetretene Fahrt brachte uns nun durch minder pittoreske, aber fruchtbare Gegenden um Mittag an unser Ziel, das Schloß Zay-Ugrócz, wo unser in ländlicher Stille, aber zusagender Geselligkeit von werten Hochzeitsgästen angenehme Tage warteten. Schade nur, daß eine kühle, regnerische Witterung uns in der ersten Zeit manche Spazierfahrt und noch mehrere Spaziergänge verdarb. An einem recht regnerischen Abend aber kam, trotz der unfreundlichen Atmosphäre, ein gar lieber und überraschender Besuch; Baron von Jetzer, ein alter, treuer Freund des Hauses, damals Hauptmann im Generalstab, jetzt lange schon General, trat mit Grillparzer ein, dessen Ankunft uns ebenso erfreulich als unvermutet war, denn niemand von uns allen hatte seit langem von ihm etwas mehr gewußt, als daß er auf der Rückreise von Italien nach Gastein gegangen war.[140]

Herzlich freuten sich alle, besonders die treffliche Frau vom Hause über diesen Besuch, der ihrem Hause so schmeichelhaft war, und er versprach auch, mehrere Tage bis nach den Hochzeitsfeierlichkeiten zu bleiben. Er erzählte uns von Italien, von Gastein, er teilte unsere Spaziergänge und zeigte sich als ein rüstiger Fußgänger beim Erklettern der Berge. Aber statt des jugendfrischen, mutigen Gedichtes, das er zu machen gesonnen gewesen, und von dem ich eine Strophe angeführt habe, rezitierte er uns den wunderschönen, aber in ganz anderer Stimmung gedichteten »Abschied von Gastein«, der seine ganze trübe, mit sich und der Welt zerfallene Stimmung ausspricht und wie eine frühe Dämmerung den kurzen Tag seiner Heiterkeit verschlungen hatte. Mein glückliches Gedächtnis ließ mich vieles, ja den größten Teil des freilich nicht langen Gedichtes behalten, besonders da ich es ihn später noch einmal sagen hörte. In mein Zimmer gekommen, schrieb ich mir sogleich auf, was ich behalten hatte; aber mir fehlte mancher halbe und sogar mancher ganze Vers, und zuweilen hatte ich ein entfallenes Wort durch eines von ähnlicher Bedeutung ersetzt. Als ich Grillparzern, als er einmal in unser Zimmer kam, meinen Diebstahl gestand, schien er nicht angenehm davon berührt; ob wegen meiner Kühnheit ihm sein Gedicht aus dem Munde zu stehlen oder wegen der schlechten Ersatzwörter – das weiß ich nicht. Er las, schüttelte den Kopf, ergriff die Feder und füllte die Lücken aus, die ich aus Mangel an Erinnerung hatte stehen lassen und berichtigte die Ersatzwörter, und so besitze ich das herrliche Gedicht, halb von seiner Hand geschrieben, und hebe es sorgfältig auf. Die trübe Stimmung verließ ihn auch nicht mehr während seines Aufenthaltes[141] unter uns; aber sie tat der Liebenswürdigkeit und Feinheit seines Betragens keinen Eintrag.

Nur weiß ich noch jetzt nach mehr als zwanzig Jahren die eigentliche Veranlassung seines Kommens mit Baron Jetzer und seiner so auffallenden Verstimmung nicht zu erklären, wenn ich nicht ein Motiv, das in seinem Herzen seinen Grund hatte und ein darauffolgendes Mißverständnis voraussetze, das, dem Publikum, wenn auch nach so langer Zeit mitzuteilen, das Zartgefühl verbietet, obwohl jene beiden Voraussetzungen weder ihm noch sonst jemand nachteilig sein könnten, da ja verliebte Regungen der Jugend natürlich sind.

Endlich, nachdem das Regenwetter fast vierzehn Tage angehalten hatte, klärte sich mit dem Mondeswechsel der Himmel wieder auf, und an einem schönen Sonntagsmorgen im August wurde die Trauung Wilhelminens mit dem werten Freunde Romano in der katholischen Kirche des Ortes – denn die Protestanten machen die Mehrzahl der Bewohner aus, und auch die Herrschaft ist evangelisch – recht feierlich und an ständig vollzogen. Nur eine Kleinigkeit, die mit unterlief, machte uns alle, während der Messe, beinahe lachen, der Schulmeister nämlich spielte unter der Wandlung, wo der Kirchengesang wie gewöhnlich schweigt, die Musik des Liedes: »Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich«, aus der Zauberflöte, und meinte gewiß bei der Hochzeitsfeier etwas sehr Sinnreiches getan zu haben. Nach dem reichlichen Mittagsmahl wurde getanzt, wobei sich ungarische Tänzer in ihren nationalen Tänzen sehen ließen, und so der Tag froh beschlossen.

Wir waren unser vier Dichterinnen auf Schloß Ugrócz gewesen: die Hausfrau selbst, Therese von Artner,[142] Marianne von Neumann und ich. Im Scherze nannten wir uns: die Sänger auf der Wartburg, fühlten aber keinen Beruf in uns, unsere Musenkünste vor dem gewaltigen Sänger der Ahnfrau und Sappho, der uns hier wie Klingsor auf der Wartburg erschien, sehen zu lassen, sondern teilten uns Hochzeitsgedichte, die wir für dieses Fest gedichtet hatten, nur in der Stille mit. Bald darauf verließen uns Jetzer und Grillparzer; mich erfreute bald darauf meines lieben Pichlers Ankunft, und mit ihm kehrten wir im nächsten Septembermonat nach Wien zurück.


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Es wäre unnütz und darum beinahe lächerlich, die Ereignisse, welche nun in unserem Familienleben folgten und auf dasselbe einen großen und sehr schmerzlichen Einfluß hatten, in diesen Blättern mit Stillschweigen übergehen zu wollen, gleichsam als könnte das, was damals mit unserm Wissen und Willen bekannt war worden, nun aus dem Gedächtnis der Welt verlöscht werden. Drum stehe denn auch jene Katastrophe, so tief sie unser Haus verwundete, mit kurzen, aber durchaus wahren Worten hier und ich denke, der Mann, welcher jetzt sehr glänzend und einflußreich vor den Augen der Diplomatie und Literatur sich erhebt, wird, wenigstens in seinem Innern, bekennen müssen, wenn ihm einst nach meinem Tode diese Blätter in die Hände kommen, daß ich durchaus mindestens von meinem Standpunkte aus Wahrheit und nichts als Wahrheit geschrieben habe.


Im folgenden Winter von 1819 auf 1820 begann eine neue, aber wahrlich nicht glückliche Epoche für[143] uns alle, besonders aber für meine Tochter. Ein junger Offizier (Herr von Prokesch), der seit einem Jahre ungefähr ein immer fleißigerer Besucher unsers Hauses geworden war, fing jetzt an, sich meiner Tochter sehr bestimmt zu nähern, und nicht bloß wir, sondern alle unsere Bekannten bemerkten es, und nahmen freundlichen Anteil an dem hübschen und durch manchen Vorzug ausgezeichneten Paare. Pichler und ich hätten uns zwar einen Schwiegersohn gewünscht, der nicht einem so beweglichen Stande, als das Militär ist, angehört hätte, konnten aber billigerweise keine Einwendung machen, denn gegen den Charakter des jungen Mannes und seine Persönlichkeit war nichts zu sagen, und seine ausgezeichneten Geistesgaben sicherten ihm eine glänzende Laufbahn, wie es sich auch in der Folge bewährt hat. So sahen wir der Zukunft unsers einzigen Kindes ziemlich ruhig entgegen, als plötzlich Dienstverhältnisse den jungen Mann nach Prag riefen. Es war eine bittere Trennung, aber wir hofften Gutes von diesem Rufe für des talentvollen Offiziers künftige Laufbahn. Aus Prag warb er schriftlich um meine Tochter. Wir gaben die Antwort, über welche wir, Pichler und ich, früher schon übereingekommen waren. Des Bewerbers erste Anwort war voll Jubel und Liebe. Bald darauf zeigten sich Hindernisse, die sich seiner Rückkehr zu seiner Braut in den Weg legten. Er mußte seinen hohen Vorgesetzten, zu dem er gerufen wurde, nach L begleiten und wurde von ihm und seiner Familie mit großer Auszeichnung behandelt, wodurch wohl seine Hoffnungen, seine Erwartungen erweitert und ein bescheidenes Los, wie es ihm die Verbindung mit Lotten bieten konnte, ihm zu beschränkt erschienen sein mögen. Seine Briefe trugen ein seltsames Gepräge,[144] er konnte sich nicht entschließen zurückzukehren, bis sein Chef aus den Toren derselben Stadt, in welche er vor 7 bis 8 Jahren als Sieger eingezogen war, als Leiche hinausgetragen wurde. Am Tage seiner Ankunft war sein erster Weg nicht zu seiner Braut, sondern in das Haus seines verblichenen Chefs, das ihm wie sein Vaterhaus geworden zu sein und ihn dem eigentlich bürgerlich häuslichen Leben entfremdet zu haben schien.

Dieser Winter war durch die Anwesenheit eines hochberühmten Künstlers, des Dänen Thorvaldsen, merkwürdig. Wohl wurden ihm damals vor mehr als zwanzig Jahren die Ehrenbezeigungen nicht erwiesen, welche jetzt Mode geworden und der zufolge die Reisen, die Ankunft, der Abschied von berühmten Personen zu einer Angelegenheit des allgemeinen Interesses und durch die Zeitungsschreiber, welche ihre Spalten gern füllen, zu europäischen Bedeutenheiten gemacht werden, die aber eben dadurch, und weil sie in demselben Maße und Übermaße einer Tänzerin, einem Virtuosen usw. zuteil werden, viel an ihrem Werte verlieren und bald durch etwas anderes werden ersetzt werden müssen. Dennoch war Thorvaldsens Erscheinung in Wien auch damals ein Gegenstand ungeheuchelter, wahrer, tiefgefühlter Verehrung für alle, welche sich einen Begriff von seinen Leistungen zu machen imstande waren. Seine Persönlichkeit, diese hohe Gestalt von kräftigem Wuchse, die stark ausgesprochenen Züge, der ernste und doch so milde Ausdruck derselben, das blonde Haar und die lichtblauen Augen gaben ganz das Bild eines Skandinaviers oder eines alten Deutschen, wie sie Tacitus schilderte. Diese Augen waren aber auch von einer Klarheit, Helligkeit[145] und Farbe, wie ich sie nie gesehen, und schienen ungeachtet eines sehr freundlichen, wohlwollenden Ausdrucks, während er sprach, tief in des Zuhörers Seele einzudringen und sie zu durchforschen. Übrigens war sein Benehmen höchst einfach, anspruchslos und bei viel natürlicher Höflichkeit doch gerade so weit vom Weltton entfernt, wie man es bei einem so großen Künstler voraussetzen kann. Ich lernte ihn bei B. Pereira kennen, wo ich mit ihm speiste, und dann brachte er einen Abend bei uns zu, an welchem auch Madame Stich, jetzt Crelinger, bei uns war, welche unser Publikum damals durch ihr herrliches Spiel auf der Bühne entzückte. Nie werde ich vergessen, wie sie die Julie in »Romeo und Julie« spielte, besonders die Szene, in der sie den Schlaftrunk nehmen soll, und wo die innerste Natur sich vor dem Gedanken des Giftes und Todes entsetzt – und noch erklingt in meinem Ohr der Ton des: tausend gute Nacht! – das sie vom Balkon dem scheidenden Geliebten nachrief. Überhaupt war unser Haus damals von Einheimischen und Fremden viel besucht, und die Literatoren fanden es nicht so beschwerlich und widrig wie jetzt in einen Salon oder gar in die Vorstadt zu gehen. Aber freilich führt das Wort »Salon«, das jetzt überall gang und gäbe ist, eben durch die jetzt eingeführte Sitte einen unangenehmen Nebenbegriff von Zwang und Langweile mit sich, den unsere ehemaligen Abendgesellschaften, Soireen oder wie immer wir sie damals nannten und wie sie in diesen Blättern geschildert sind, nicht erweckten.


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Ich habe gesagt, daß der Verlobte meiner Tochter natürlicherweise, weil sie ihm von uns zugesagt worden,[146] und wir als Menschen, denen ihr Wort, das sie nicht ohne Überlegung gegeben, heilig war, dieses kein Hehl vor der Welt hatten. Im übrigen aber war sein Benehmen so sonderbar, daß sich uns immer mehr und mehr Zweifel über den Bestand und ein erwünschtes Ende dieses Verhältnisses aufdrängten. Am wichtigsten schien es mir, daß ich, wie oft ich auch in ihn drang, sich über seine Zukunft bestimmt auszusprechen, ob und wann er sich entschließen werde, aus dem Generalstab (in welchem zu heiraten damals den Offizieren nicht gestattet war) in ein Regiment überzutreten oder eine andere militärische Anstellung zu suchen? – nie eine klare, bestimmte Antwort erhielt. Zudem waren so manche Ansichten, die er aussprach, von der Art, daß ein Mann, der sie wirklich und mit Überzeugung hegen und sein Leben darnach gestalten würde, kein Mädchen, das Sinn für stilles, häusliches Glück gehabt hätte, und also auch Lotten nicht glücklich gemacht haben würde, so daß selbst die leidenschaftlichen Äußerungen seiner Liebe weder meine Tochter noch mich beruhigen, sondern nur dazu dienen konnten, uns zwischen Besorgnis und Hoffnung quälend hinzuhalten.

In den Frühling dieses Jahres fiel die Feier unserer silbernen Hochzeit. Sie wurde mit lebhaftem Dank gegen Gott, der uns vor 25 Jahren vereinigt und zwischen guten und bösen Tagen in Liebe und Zufriedenheit bis hierher geführt hatte, in einem Kreise treuer, bewährter Freunde gefeiert, die herzlichen Teil an uns nahmen, uns mit freundlichen Gaben beschenkten, und wobei wir und Lotte besonders, die das ganze kleine Fest anordnete, nur mit Schmerz ihren Verlobten vermißten, der bereits auf seine Mappierungsstation in der fernen Zips abgereist war.[147]

Unsere Freunde in Ungarn empfingen uns wie immer mit der gewohnten Herzlichkeit, und bei den mancherlei Sorgen und Befürchtungen, welche das seltsame Benehmen des Bräutigams meiner Tochter uns einflößte, war uns die liebevolle Teilnahme derselben ein wahrer Trost. Die Baronin sprach damals ein sehr treffendes Urteil aus, indem sie, eine Stelle aus Schillers »Wallenstein« auf Lottens Verhältnis anwendend, sagte: sie fürchte, diese möchte wie Wallensteins Gattin mit ihm an ein feurig Rad geflochten sein.

Dies Jahr gingen wir wie gewöhnlich mit der Baronin und dem ganzen Hause wieder nach Ugrócz, und dorthin kam denn auch Pichler, um einige Wochen der Landluft zu genießen und uns abzuholen, was jedes Jahr geschah. Diesmal aber wurde ein, an sich unbedeutender Vorfall zur Veranlassung einer bedeutenden Veränderung in unserer Lebensweise, und vieles gestaltete sich demgemäß jetzt auf andere Weise. Wir waren wie gewöhnlich nachmittags spazieren gegangen, Pichler begleitete uns diesmal nicht, was ihn abhielt, weiß ich nicht mehr, aber wie es anfing zu dämmern, wollte er uns nach dem kleinen Garten, Strebrnizza genannt, den der Baron zwischen den nächsten Hügeln hatte anlegen lassen (denn beim Schlosse selbst war nur ein altmodischer Obstgarten) und wo wir oft das Vesperbrot einnahmen, entgegen gehen. Der Weg über den Hügel, auf dem das Schloß steht, bis herab war ungleich, holperig, wie die meisten Wege in dieser Gegend; Pichlers kurzes Gesicht hinderte ihn, genau zu sehn, wo er hintrat und ich, die deshalb bei Abendspaziergängen an seiner Seite blieb, war diesmal nicht bei ihm. Er tat einen Fehltritt, glitt aus und fiel und verstauchte sich den Fuß, so daß er nur mühsam ins[148] Schloß zurückkehren konnte. Der jüdische, nicht ungeschickte Arzt in Bannowetz, den die Baronin sogleich im Wagen holen ließ, erklärte die Verletzung für nicht bedeutend und verordnete bloß Ruhe und Eisumschläge. Wirklich besserte sich das Übel zusehends, und nach Verlauf einiger Tage, während welcher die Baronin so gütig war, abends mit ihrer Gesellschaft in unser Zimmer zu kommen, damit Pichler des Umganges derselben genießen könne, war er imstande, mit der ganzen Gesellschaft nach Bucsan und kurz darnach mit uns allein nach Wien zurückzukehren.


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So verging dieser Sommer unter mancherlei Besorgnissen wechselnd mit einigen frohern Tagen.

Im Herbste wurde die Oper: der Freischütz, in Wien gegeben, deren Gegenstand ich als sehr hübsches Märchen von Kind bei Piquot in einem kleinen Kreise hatte vorlesen hören, und das allen sehr wohlgefallen. Mich entzückte diese Oper, als ich sie bei der zweiten Vorstellung hörte, um so mehr, als die enthusiastischen Bewunderer der italienischen Musik schon im voraus eine ungünstige Meinung dagegen ins Publikum zu bringen gesucht hatten. Aber das echt Schöne und Gute gewann wie natürlich den Sieg. Alles war hier aus einem Gusse, das Libretto, die Lebens- und Denkweise der handelnden Personen. Selbst das Geisterhafte, welches dem Ganzen ein ernstes, echt nordisches Gepräge aufdrückte, ergriff die Seele mit unabweisbarer Gewalt. Bald darauf ward mir die Freude, den Kompositor Herrn C.M. von Weber selbst kennen zu lernen, der mir einen freundlichen Gruß von dem berühmten Hofrat Tieck brachte und mir das angenehme Gefühl[149] erregte, von diesem ausgezeichneten Geiste, der meiner seit seiner Anwesenheit in Wien i.J. 1808 öfters gedacht, und manche bedeutende Personen an mich adressiert hatte, nicht vergessen zu sein. Webers Äußeres war von dem Thorvaldsens völlig verschieden. Von kaum mittlerer Größe, schmächtig, ja selbst schwächlich gebaut, mit scharfgezeichneten Gesichtszügen, einer verhältnismäßig zu großen Nase, und einem lahmen Fuß, war diese Erscheinung nicht geeignet, einen vorteilhaften Eindruck zu machen. Und dennoch bedurfte es nur kurze Zeit im Gespräche mit diesem ausgezeichneten Mann zuzubringen, um in ihm den durchaus gebildeten Geist, und die ganze höhere Natur, möchte ich sagen, dieses Künstlers zu erkennen; eine seltene Erscheinung überhaupt, am seltensten bei Tonkünstlern, selbst bei den ersten derselben. Feine Lebensart, hohe Geistesbildung, vor allem ein wohlwollendes, edles Gemüt sprach sich in allem aus, was Weber tat oder sagte, und sein Andenken – obwohl ich ihn nicht oft sah, und durchaus keinen nähern Umgang mit ihm hatte, – wird mir unvergeßlich bleiben. Er ist mir nun schon lange vorausgegangen in jene Auen des Friedens, wo alle Dissonanzen unsers Lebens sich in Harmonien auflösen werden und wo auch er, dem Kränklichkeit und mancher Kummer viel solcher Mißtöne hiernieden erzeugten, sich nun im Anschaun Gottes und im Erkennen seiner Werke des reinsten Wohllautes erfreut.

Ich habe ihn auch ein paarmal seine eignen Kompositionen auf dem Fortepiano vortragen hören. Er spielte mit vieler Fertigkeit und natürlicherweise auch mit Geschmack und gehörigem Ausdruck, doch war kein Vergleich zu ziehn zwischen diesem Spiel und dem[150] eines Thalberg oder Liszt. Es war eben wie einst bei Mozart und Beethoven, welche ich oft gehört, der tiefempfundene und mit Fertigkeit ausgeführte Vortrag eines ausgezeichneten Tonstückes von eigener Komposition. Aber es war keine Produktion, kein in Erstaunen setzendes Spiel fingerfertiger Geschicklichkeit und einer an Zauber grenzenden Behandlung des Fortepianos, welche dies zu einem dem Ohre der Zuhörer fast fremden Instrumente macht und ihnen das Geständnis abdringt, daß sie nie geglaubt hätten, ein Fortepiano könne auf diese Art behandelt und von solchem Effekte werden.


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Der Krieg in Italien gegen das revolutionierte Neapel hatte begonnen. Zu unserer großen Beruhigung traf Lottes Bräutigam nicht das Los, mit unsern Truppen auszuziehen, denn nicht ohne Grund mußte man befürchten, daß dieser Krieg ein mörderischer sein und viel Blut kosten würde, wenn erst die Bewohner der Abruzzen sich in aller ihrer Kraft und Wildheit erheben und wie die Vendée oder Tirol sich verteidigen würden. – Es gestaltete sich wider Vermuten alles ganz anders. Es war kein Krieg zu nennen, und im Verlauf von drei Tagen war die Revolution unterdrückt, Ruhe und Ordnung hergestellt; ein deutlicher Beweis, daß es nicht die Gesinnung, das Bedürfnis der Nation gewesen war, was hier zum Ausbruche kam, sondern bloß die Unzufriedenheit eines einzelnen Standes, des Militärs.

In unserm häuslichen Leben war diesen Winter eine lange dauernde Störung eingetreten. Im Markte Stockerau waren zwischen der Bürgerschaft (oder eigentlich[151] einigen unruhigen Köpfen) und dem Magistrate Zwistigkeiten entstanden. Es bildeten sich Parteien, welche sich die Weißen und die Schwarzen nannten und so ein parodierendes Bild der im Mittelalter nicht seltenen bürgerlichen Kämpfe darstellten, als noch die Städte, besonders in Italien ganz oder großenteils unabhängige Republiken waren, die sich selbst Gesetze gaben, sich selbst verteidigten und oft die treuesten Stützen der Fürsten gegen einen übermächtigen und übermütigen Adel bildeten. Von diesen großartigen Zügen allen hatte nun wohl der Zank in Stockerau sehr wenig an sich, aber er wurde doch mit heftiger Erbitterung geführt, und es kam endlich dahin, daß die Sache von der Landesregierung aus untersucht und beigelegt werden sollte. Pichler wurde als landesfürstlicher Kommissär nach Stockerau beordert, um diese Streitigkeiten, welche sehr ernsthaft zu werden drohten, an Ort und Stelle zu untersuchen, die Klagen und Beschwerden jeder Partei zu vernehmen und darüber zu berichten.

Dies Geschäft, das seiner Natur nach sehr unangenehm war, dauerte mehrere Monate, während welcher Pichler mit zwei ihm zugegebenen Beamten in Stockerau wohnte und nur alle vierzehn Tage Sonntags nach Wien in sein Haus und Bureau kam. Jeden zweiten Sonntag besuchten wir ihn, meist in Begleitung irgendeines unserer Freunde, speisten bei ihm und brachten, weil die kurzen Tage die Rückkehr am Abend schwer machten (die Eisenbahn existierte noch nicht), auch die Nacht dort zu. Das waren sehr angenehme Tage, wo die Freude, den geliebten Vater und Gemahl nach längerer Entfernung wieder zu sehn, noch durch freundschaftliche Mitteilungen erhöht wurde. Fräulein Jeanette[152] Maillard, ein hübsches und sehr verständiges Mädchen, die mit meiner Tochter in Bucsan im Hause der Baronin v. Zay Freundschaft geschlossen, und schon ein paarmal, namentlich auch den Winter von 1821–1822 einige Wochen bei uns zugebracht hatte, unser hochverehrter Freund Vierthaler und noch andere Bekannte begleiteten uns abwechselnd. Übrigens war auch der Winter sehr mild, wir gingen, wenn wir den Vater besuchten, jedesmal in der angenehmen Au bei Stockerau spazieren, und pflückten uns bis zum Jänner noch immer frische Blumen.

Endlich war die Kommission und unsere Trennung zu unserer großen Freude zu Ende. Pichler kehrte in den Schoß seiner Familie zurück; aber der Kampf der Weißen und Schwarzen war damals noch nicht geschlichtet, und ich weiß nicht, ob und wie er es später wurde, denn ich hörte nichts mehr davon und die eignen Angelegenheiten beschäftigten mich zu sehr, um nach so Entferntem zu fragen. Hatten wir doch den Vater, den besten Freund und Schirmer wieder bei uns.

Ihm wurde die Verletzung am Fuße, die sich von dem Fall in Ugrócz herschrieb, in Wien, wo er täglich zweimal ins Bureau zu gehen hatte, sehr lästig, denn sie machte ihm jeden weitern Gang (in Stockerau hatte er von seiner Wohnung bis ins Rathaus, wo die Sitzungen gehalten wurden, nur wenige Schritte) sehr beschwerlich. Er mußte oft fahren, und der Mangel an gewohnter Bewegung, welcher nun schon seit dem Herbste dauerte, wirkte nachteilig auf seine Gesundheit. Es stellten sich rheumatische Übel ein, gegen welche Baron Türkheim Bäder mit Schwefelleber verordnete.

Das Betragen des Bräutigams meiner Tochter, das uns schon seit anderthalb Jahren rätselhaft und peinlich[153] war, blieb sich gleich, ja das Wechselvolle zwischen Leidenschaft und Kälte trat immer öfter und greller hervor. Uns hielt das Wort, das wir gegeben, ab, die Verlobung rasch aufzuheben. Lotte selbst aber faßte den Mut, ihm zu sagen, daß sie ihre Verbindung mit ihm für aufgelöst und ihn nicht mehr für gebunden ansehe. Dies schien ihn weder abzuschrecken noch zu kränken, er kam ebenso fleißig wie sonst und benahm sich ebenso ungleich wie sonst. Da glaubte ich endlich einer Lage, welche meiner Tochter nur schmerzlich sein und an kein Ziel führen konnte, ein Ende machen und ein Bündnis aufheben zu müssen, das meinem Kinde kein Glück versprach und den jungen Mann zu drücken schien. An einem Abend im Sommer von 1822, wo ich eben wieder vergeblich eine genügende Erklärung in Rücksicht seiner Entschließungen für die Zukunft von ihm gefordert und nicht erhalten hatte, sprach ich liebreich, aber ernst das Wort der Trennung aus unter tausend Tränen von Lottens Seite, unter sehr schmerzlichen Gefühlen in der eignen Brust und einer so starken Erschütterung von Prokesch Seite, die ich doch nicht ganz für Rolle halten konnte.

Eine der seltsamen Launen des Zufalls wollte es, zu unser aller Qual, daß gerade an diesem Abend, wo Lottens Verlobter unser Haus für immer verlassen hatte, Karl Kurländer, der treue Freund und zwanzigjährige Hausgenosse, den wir wie einen Sohn, die Tochter wie einen Bruder betrachtete, wie sie sich denn auch von der frühesten Jugend an dutzten, uns eröffnete, daß er im Begriffe stehe, eine Gespielin meiner Tochter, Fräulein Amalie Schechtern, deren schon öfters Meldung gemacht worden, ein sehr hübsches, wohlerzogenes, aber armes Mädchen zu heiraten. Wir[154] hatten schon lange gemerkt, daß zwischen Karl und Malchen etwas vorgehe, wir vermuteten auch eine Art von Verständnis, durchaus aber kein ernstes, weil wir wußten, daß Karl auf eine gewisse Art bereits gebunden war.

Zugleich bat Karl Pichlern, sein Beistand bei der Vermählung zu sein, die ganz in geheim und sobald als möglich gefeiert werden sollte, und zu der er nicht einmal mich und Lotten, die ihm doch, wie gesagt, als Mutter und Schwester galten, einlud. Es hatte mit diesem Geheimhalten der Trauung, sowie mit der ganzen Heirat, die bis jetzt selbst für uns verborgen gehalten worden war, eine eigne Bewandtnis gehabt. – Karl hatte schon lange ein, wie es schien, festes Verhältnis mit der Witwe einer seiner verstorbenen Freunde gehabt, und eben dieses Verhältnis war die Ursache der Verheimlichung. Die Witwe sollte nichts davon erfahren, bis die Trauung mit einer andern vorüber war, und so geschah es auch. – Aber es war nicht gut, daß es so geschah. Die Witwe starb bald darauf, wahrscheinlich an gebrochenem Herzen, Karls Ehe blieb kinderlos, und er selbst fand in der Folge kein Glück darin.

Sehr natürlich drängt sich hier die Bemerkung auf, wie gleichgültig, ja wie gewissenlos Männer, welche sonst in allen Stücken achtungswert sind, die sich im Lebensverkehr und in Geschäften keine Ungerechtigkeit erlauben würden, ihre Verhältnisse zum weiblichen Geschlechte nehmen. Zwei Beispiele dieser Art liegen hier vor und Karl, dieser sonst liebens- und achtungswürdige Mann hatte schon ein früheres Mal ein ähnliches Unrecht an einem Mädchen – der jüngsten Schwester der Baronin Richler – begangen, das er,[155] nachdem seine Verbindung mit demselben längere Zeit gewährt und wahrscheinlich Hoffnungen erregt hatte, um die schöne Frau von Kempelen, deren diese Blätter öfters erwähnten, verließ. Ist das recht? Können diese Männer und alle, die ihnen gleichen, ein solches Betragen verantworten? Frau von Staël sagt in einem ihrer Bücher ungefähr so: wenn jemand einen Mord begeht, so wird er am Leben gestraft, was geschieht aber demjenigen, der ein Herz bricht oder ein ganzes Lebensglück zerstört?

Recht als sollte Trübes und Unglückliches von allen Seiten über uns kommen, erkrankte Pichlers ältester Bruder, der Pfarrer auf der »Laimgrube«, ein sehr würdiger Geistlicher, der uns getraut und meiner Mutter die Sterbesakramente gereicht hatte, sehr schwer, und Pichler sah dessen, für ihn sehr schmerzlichen Verlust nahe entgegen. Dennoch schien der Zeitpunkt, in dem dies Ereignis eintreten konnte, nicht so nahe, daß nicht Karls Trauung noch eher hätte statthaben können. Diese in Wien abzuwarten, wäre für Lotten zu traurig gewesen. Der Vater gab uns also die Erlaubnis zu unserer Reise nach Ungarn, wo wir bei treuen Freunden Teilnahme und Erheiterung fanden. Indessen war der Schwager in Wien gestorben, Pichler kam wie sonst, um uns abzuholen, aber der Verlust seines Bruders, der Kummer, den der Tochter Leiden dem Vaterherzen verursachten, und der vorhin schon erwähnte Mangel an hinreichender Bewegung, an die er früher so gewohnt war, vereinigten sich, um seine Gesundheit zu erschüttern, und mir sowohl als Lotten die lebhaftesten Besorgnisse einzuflößen.

Ich fand es daher nötig, als wir aus Ungarn zurückkamen, mit Baron Türkheim deswegen zu sprechen.[156] Er riet abermals zu Schwefelbädern, meinte aber, da die Natur diese Mischungen besser zu machen verstehe, als wir Menschen, daß die Badner Bäder hier sehr nützlich sein werden. Mir kam dieser Rat sehr erwünscht, denn ich hoffte auf Zerstreuung und Erheiterung für meine Tochter durch neue Umgebungen und eine veränderte Lebensweise, aber es kostete Mühe, Pichlern dazu zu überreden. Er hegte die sehr begreifliche Meinung von einem Badeorte, daß man sich viel unter ganz fremden Menschen umtreiben müsse, und sich nur wenig selbst angehören könne. Ich hatte aber früher schon Erkundigungen bei Bekannten eingezogen, welche ebenfalls ein stilleres Leben liebten und führten, und erfahren, daß, und wie man sich in Baden einrichten könne, um sich mehr selbst anzugehören.

Endlich willigte Pichler ein, aber nur für vierzehn Tage, die er in Baden zubringen wollte. Wir nahmen daher weder Köchin noch Küchengeräte mit, und Frau von Arneth, die damals in Baden wohnte, war so gefällig, uns eine kleine, nette Wohnung – in Guttenbrunn – mit der schönen Aussicht auf das Waldgebirge zu besorgen. Es war eine ganz angenehme Witterung, einige tüchtige Regengüsse hatten den Staub abgewaschen, die Hitze des Sommers gemäßigt und Wald und Wiesen neu erfrischt. So zogen wir denn also zum erstenmal nach Baden, und ich hoffte viel für Pichlers und Lottens Gesundheit und Erheiterung, denn auch sie sollte baden, und tat es auch in Gesellschaft des damals so schön blühenden, jüngsten Fräuleins von Henikstein, Marianne, die wenige Jahre darauf als Baronin Erggelet bei der Geburt ihres ersten Kindes starb.

Während dieser ganzen trüben und ängstlich gespannten Zeit hatte ich wohl einige Erzählungen geschrieben.[157] Wahre Liebe, welche durch das traurige Schicksal der Parganioten unter Ali Pascha, und das Kloster auf Capri, welches durch ein Gemälde von Catel, das die Baronin Pereira besaß, veranlaßt worden war. Auch ein längerer Roman: Die Nebenbuhler, entstand in dieser Periode. In allen diesen Werken waren Hindeutungen, welche sich auf Lottens Stellung zu Pr. und sein Betragen gegen sie bezogen. Sei es aber nun, daß meine Aufmerksamkeit zu sehr zwischen dem Roman, den ich schrieb, und jenem, der vor mir gespielt wurde, sich teilte; – sei es, daß mein Gemüt zu sehr durch die Sorge für meiner Tochter Glück gedrückt war; – diese Arbeiten fielen alle sehr matt aus, und bilden mit vielleicht noch einigen den schwächsten Teil meiner Schriften. Besser gelang mir ein anderes Unternehmen, ein Gebetbuch, das ich zuerst für meinen eigenen Gebrauch geschrieben und erst später mich entschloß, es drucken zu lassen, das dann sehr gute und unerwartete Aufnahme fand. In den vielen Sorgen und trüben Ahnungen, welche damals meinen Geist niederdrückten, nahm dieser am leichtesten und liebsten seinen Aufschwung zum Himmel, wo er bei dem Allmächtigen und allgütigen Vater aller Menschen Trost und wo möglich Hilfe suchte.

In Baden wurden wir von den Familien Pereira, Ephraim, Elkan und Henikstein, mit welchen früher wohl ich und meine Tochter viel, Pichler aber wenig Umgang gepflogen hatte, mit großer Freundlichkeit und Zuvorkommnung empfangen und umgeben, so daß wir bald nur einen Gesellschaftskreis ausmachten, der sich in den schon längern Septemberabenden stets in einem dieser Häuser, am öftesten bei B. Arnstein oder eigentlich Baronin Pereira, versammelte, denn der[158] Patriarch des Hauses brachte seine Abende meist ganz oder teilweise im Theater zu. Dort fanden sich öfters bedeutende Fremde, Gelehrte, Künstler ein, welche diese ausgezeichnete Familie auch hier in Baden aufsuchten. Hier lernte ich auch mehrere Jahre später Felix Mendelssohn, der dieser Familie durch Bande der Verwandtschaft angehörte, zu meinem großen Vergnügen kennen und fand in dem, damals noch sehr jungen Mann ein außerordentliches Talent für Komposition, eine bewundernswerte Fertigkeit des Vortrags und eine ebenso bewundernswerte Einfachheit und Anspruchslosigkeit des Benehmens. Wenn er uns ältern Mitgliedern der Gesellschaft die Freude gemacht hatte, Phantasien über Themen, die wir selbst wählen durften, und wo denn meist ältere Musik von Mozart, Gluck, Händel vorgeschlagen wurde, mit weicher Einwirkungskraft und brillantem Vortrag vorzuspielen, ließ er sich ebenso gern von seiner Kousine Flora, jetzt Gräfin Fries, damals ein blutjunges Mädchen, bestimmen, Walzer u. dgl. zu spielen, damit der jüngere Teil der Gesellschaft tanzen konnte.

Mein Mann gefiel, was ich kaum gehofft hatte, sich so wohl in diesen Umgebungen, wo er sich geachtet, gesucht, und als ratender Freund der Damengesellschaft gefeiert sah, daß er selbst unsern auf vierzehn Tage berechneten Aufenthalt bis über drei Wochen verlängerte, besonders weil ihm auch die Bäder sehr wohl anschlugen und die Schwäche in seinem Fuße, eine Folge des vorjährigen Falls, hier ganz und dauernd verschwand. Wir machten hübsche Spaziergänge, am öftesten allein, aber auch nicht selten mit einigen aus unserer Gesellschaft, und zuweilen eine zahlreiche Partie mit allen zusammen nach den schönen Umgebungen[159] von Baden: Merkenstein, Heiligenkreuz, Krainerhütten usw., kurz, unser Aufenthalt gestaltete sich sehr angenehm, und da die Wirkungen des Wassers für Pichlers Gesundheit nicht bloß in Hinsicht des Fußes, sondern im allgemeinen sehr erwünscht ausfielen, so wurde beschlossen, daß er, statt auf ein paar Wochen nach Ungarn zu gehen, künftig seine ganzen Ferien in Baden zubringen wolle. Wohl wußte ich, daß das für das Zaysche Haus eine unangenehme Entschließung sein werde, aber meines Mannes Gesundheit mußte allem vorgehen, und zu zwei Reisen und Landséjours reichten die Einkünfte nicht; denn da sich weder mit der einen noch der andern eine Geschäftsreise verbinden ließ, so konnte hier nicht von Diäten für Pichler oder einem freien Wagen die Rede sein, wie bei jenen Ausflügen nach Oberösterreich oder Steiermark, und so mußte denn die eine der beiden Reisen unterbleiben, und durch neunzehn Jahre wurden die Monate August und September in Baden zugebracht.

Noch einer bedeutenden Erscheinung in diesem geselligen Kreise muß ich erwähnen, des Frl. Adelheid Reinbold, Erzieherin der damals ganz jungen Flora Pereira, und später als Schriftstellerin unter dem Namen Franz Berthold bekannt. Sehr blond, üppig und doch schlank gebaut, mit blendendweißem Teint, blauen Augen und frischer Jugendblüte, erinnerte sie, – nicht an ein altdeutsches Gemälde auf Goldgrund, sondern an eine der vollen, reizenden Gestalten aus der Rubensschen Schule, und selbst ihre Art sich zu kleiden, obwohl in Form und Farbe wie die der andern Mädchen, hatte etwas Eignes, ich möchte sagen, Lockendes an sich. Übrigens war ihr Betragen anständig, ihre Unterhaltung geistvoll, ihre Ansichten ganz die von der Partei[160] des Fortschrittes, und sie eine eifrige Verehrerin Napoleons. Mir sagte ihre Art zu denken nicht sehr zu, obwohl wir auf recht gutem Fuße standen, aber an meine Tochter schloß sie sich sehr an, und es schien ihrem männlich entschlossenen Geiste, das echt Weibliche in der Gefühlsweise Lottens bei einem klaren und doch gebildeten Verstande zu gefallen. Meine Tochter fand Vergnügen an Adelheids geistreichem Umgang, ihre Ansichten harmonierten aber zu wenig, um eine wahre Annäherung zu gestatten. Bald darauf verließ Adelheid auch das Haus der B. Pereira, ging nach Dresden, wurde mit Tieck bekannt, war viel um ihn und die Seinigen, und fing an, ihr Talent als Schriftstellerin unter dem Namen Franz Berthold zu versuchen. Mehrere Erzählungen erschienen unter diesem Namen, und endlich ein größerer Roman, dessen Inhalt die Rettung und der endliche Untergang des Königs Sebastian von Portugal war, den Tieck bevorwortete und nach ihrem, von ihm sehr bedauerten frühen Tode herausgab. Ohne die Besitznahme von Algier durch die Franzosen hätten wir vielleicht diesen Roman nicht bekommen. Jetzt wußte der Dichterin lebhafter Geist die Lokal- und Sittenschilderungen aus den französischen Berichten mit Einsicht, Kraft und Geschmack zu benützen und so ein recht lebendiges und treffendes Gemälde jener Gegenden und Nationalsitten darzustellen. Die beiden Helden aber, der echte und der unechte Sebastian, der erste besonders, sind erbärmliche Charaktere, an Schwäche und Unzuverlässigkeit noch tief unter den Helden der Frau von Staël. Es ist und war mir stets unbegreiflich, wie ein Weib, das doch weiblich fühlen, und also das männliche Geschlecht in seiner wahren Stellung und in seinem Verhältnis zu uns erkennen[161] sollte, sich darin gefallen kann, das Weib höher als den Mann zu stellen, diesen zur willenlosen Puppe zu erniedrigen, die Leben und Impuls von der Frau empfängt und doch von ihr – unbegreiflicherweise, leidenschaftlich geliebt wird.

Es ist eine wunderbare, aber wie mich dünkt, traurige Bemerkung, daß, je mehr sich die Männer im geselligen Leben von den Frauen entfernen, den Umgang derselben verschmähen, bei Tabakrauchen und Männergelagen sich am wohlsten fühlen und, wie man vermuten könnte, kräftiger, gleich den Männern der Vorzeit den ins Gynekäum verbannten Frauen gegenüber stehen sollten, je weniger Spur von kräftiger Männlichkeit, von Ausdauer, von Mut in Gefahr oder fester Entschließung bei dem jetzigen Geschlecht gefunden wird. Sein höchstes Bestreben scheint Lebensgenuß, und die raffinierteste Bequemlichkeit zu sein, zu deren Befriedigung die Entdeckungen der Wissenschaft, die Erfindungen der Industrie verwendet werden, und im struppigten Bart, in nachlässiger Haltung, Achtlosigkeit im Betragen gegen andere, besonders gegen Frauen, besteht die ganze Heldenkraft unserer Zeitgenossen. Und solche Männer dienen auch zu Idealen in den Romanen dieser Zeit. Doch genug davon!

Zu den mancherlei düstern, bald wichtigern, bald unwichtigern Vorfällen dieses Jahres gesellte sich im Herbst noch eine schmerzliche Trennung von der, uns durch langjährige Freundschaft verbundenen Familie des Barons (später Grafen) von Rothkirch. Er wurde als General nach Klagenfurt befördert, und ich sah mit Betrübnis diese Freunde aus unserer Nähe scheiden, wohin sie nie mehr in diesem Sinne zurückkehrten. Rothkirch hatte den Grafentitel nachgesucht und erhalten,[162] was einem Abkömmling des Hauses, das schon im dreizehnten Jahrhundert die Mongolenschlacht mitgefochten, und alle seine streitbaren Männer auf dem Wahlplatz gelassen hatte, vollkommen gebührte. Aber eben dadurch wurde die Veränderung in unserer Stellung gegeneinander bedingt. Als Graf Rothkirch 10 oder 11 Jahre darnach mit seiner Familie als provisorischer Chef des Generalstabes wieder nach Wien versetzt wurde, schlossen sie sich an die Hautevolee an, besuchten den Hof, die Gesellschaften des hohen Adels, und gehörten auf keine Weise mehr dem Mittelstande an. Obwohl ich nun als alte Freundin und Patin einer der Töchter des Hauses noch öfters hinkam und zu Familienfesten gezogen wurde, konnte sich das alte Verhältnis nicht wieder herstellen, zu dem eine gleiche oder doch ähnliche Lebensweise, Einrichtung des Hauses, Wahl des Umganges usw. durchaus notwendig sind.

Noch später in diesem Herbst, schon gegen den Winter hin, reihte sich noch eine trübe Begebenheit den früheren dieses Jahres an. Luise Brachmann, die talentvolle Dichterin, die sich schon seit mehreren Jahren eines entschiedenen Rufes in Deutschland erfreute, war ein paar Jahre früher in Wien gewesen, hatte mich aufgesucht, und wir gewannen uns gegenseitig lieb. Sie war bald einheimisch in dem ganzen Kreise unserer Bekannten geworden und brachte daher die meiste Zeit ihres Aufenthaltes in Wien in der Alservorstadt bei Richler, Arneth und uns zu, wo sie überall die freundlichste Aufnahme fand und durch ihr Talent sowohl als ihre große Gutmütigkeit, ja selbst durch den, bei einer mehr als dreißigjährigen Person auffallenden Mangel an Welterfahrung und Gewandtheit die herzlichste Teilnahme erregte. Ich habe meine Bekanntschaft[163] mit ihr und ihr trauriges Geschick in einem kleinen Aufsatze geschildert, den ich an die Baronin von Perin, ebenfalls eine geistreiche Schriftstellerin und meine vieljährige werte Bekannte, gerichtet habe, weil eben Frau von Perin einst zugegen war, als bald nach Luisens Tode ein schonungsloser Aufsatz über sie in einem norddeutschen Journal erschien, und wir über sie sprachen. Mein Aufsatz ist in den Zerstreuten Blättern abgedruckt.

Bald nach ihrer Rückkehr von Wien nach Weißenfels, wo sie damals lebte, erhielt ich ein paar melancholische Briefe von ihr, in welchen sie sich unter andern sehr über die Behandlung beklagte, welche sich Müllner, der Verfasser der Schuld, gegen sie und ihre Arbeiten in seinen Journalen erlaubte und ganz davon gedrückt schien. Nicht lange hernach kam die Nachricht, daß sie ihrem Leben ein Ende gemacht und sich in die Saale gestürzt habe. So kettete damals ein unfreundliches Ereignis sich dicht an die Fersen des andern und ich war gewissermaßen froh, daß dies unglückbringende Jahr bald zu Ende ging.

1

Die im Frühling von den geschnittenen Bäumen auf der Erde liegen.

2

St Nikolaus, der die Gaben austeilt.

3

Anspielung auf Sapphos Tod.

Quelle:
Pichler, Caroline: Denkwürdigkeiten aus meinem Leben. 2 Bände, Band 2, München 1914, S. 164.
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Reigen

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Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.

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Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

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