2. Florenz

[455] Dich hat, Florenz, dein altes Etruskervolk

Mit wahrem Fug dich blühende Stadt genannt,

Nicht weil der Arno nagt an Hügeln,

Deren der kahlste von Wein und Öl trieft:


Nicht weil die Saat aus wucherndem Boden keimt,

Nicht weil des Lustparks hohe Zypressen und

Steineichen, samt Oliv und Lorbeer,

Neben der Pinie nie verwelken:


Nicht weil Gewerbfleiß oder Verkehr dir blüht,

Den andre Städte missen, indes du stolz

Freiheit genießest, Ruhm genießest

Unter der milden Gesetze Weisheit:


Nicht weil im Prunksaal Schätze der Kunst du häufst,

Vor denen jetzt stummgaffende Briten stehn;

Wie manches Denkmal ist, Florenz, dir

Fremder geworden als selbst dem Fremdling!


Nie wieder tritt die Sonne der Medicis,

Was auch geschehen mag, über den Horizont,

Längst schläft Da Vinci, Buonaroti,

Machiavell und der alte Dante:


Allein du blühst durch deine Gestalten fort,

Und jener Kunst Vorbilder, sie wandeln am

Lungarno heut wie sonst, sie füllen

Deine Theater noch an, wie vormals.


Kaum hat der Blick, vor zögerndem Unbestand

Sich scheuend, freudvoll eine Gestalt erwählt,

Als höchste Schönheit kaum gefeiert:

Wandelt die schönere schon vorüber!
[456]

Und hat das florentinische Mädchen nicht

Von frühster Jugend liebend emporgestaunt

Zur Venus Tizians, und tausend

Reize der Reizenden weggelauschet?


Und deiner Söhne Mütter, o sprich, Florenz!

Ob nie die sehnsuchtsvolleren Blicke sie

Gesenkt vor Benvenutos Perseus,

Oder dem himmlischen Apollino?


Wohl mag der Neid euch zeihen der Üppigkeit,

Frei spricht die Lieb euch. Liebt und genießt, und stets

An seiner Göttin Busen kühle,

Kühle die leuchtende Stirn Adonis!


Hier tändle Glück und Jugend, den Dichter nur,

Zum strengsten Ernst anfeuert die Zeit nur ihn,

Und ihm zerbricht sein frühres Leben

Unter den Händen, wie Knabenspielzeug.


Er rafft sich auf, dem reifere Stunden graun,

Ihm naht der Wahrheit wehender Flügelschlag,

Und mehr und mehr Zukunft im Herzen,

Lernt er entsagen der kalten Mitwelt.


Du aber blühe, Glückliche Stadt, hinfort

In solcher Schönheit, solchem Gefühl der Kraft,

Wie auf dem Springquell hier der Meergott

Jenes unsterblichen Gian Bologna!


Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 455-457.
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