Achtes Kapitel.

[46] »Da ich das Alter erreichte,« fuhr die schöne Lilla etwas beschämt fort, »wo mein Vater wünschte, daß ich mir ein Ehegemahl auswählen sollte, da schickte er zur Fee Pflasterhold und ließ sie um Rat fragen. Die Fee aber sandte mir einen Brief zurück, in dem geschrieben stand:


Kommt ein Ritter, der da ward

Noch einmal geboren,

Der die schöne Nadel bringt,

Welche du verloren,

Diesen hat zum Bräutigam

Dir die Fee erkoren.


Mein Vater aber war daß verdrießlich über diese unbestimmten Worte und beschloß, sich gar nicht daran zu kehren.[46] Er ließ daher das Kampfspiel anordnen, von dem Ihr wißt und in dem Ihr den Sieg davongetragen. Wenn Ihr mich nun zu besitzen wünscht, so möget Ihr ausziehen, das Kleinod zu erobern, das ich verloren gehen ließ. An die Pflasterholdische Weissagung stoßt Euch nicht, erbeutet uns die Nadel; denn sie allein bringt ja Glück im Ehestande. Aber nun sagt auch Ihr mir etwas von Eurer Abkunft und Eurem Leben, von Eurem Glücks- und Anstern, denn mit den Gestirnen ist unser Los verknüpft.« Da erzählte er ihr denn alles, und sie lächelte holdselig, als er ihr sagte, wie er zur Welt kam. Kaum hatte er beendigt, horch, da tönte das Glöcklein zur Tafel. Sie sagte ihm, indem sie ging: »Möchtet Ihr ein bequemeres Kleid anziehen und uns in den Saal folgen, wo getafelt wird.« Er zog ein leichteres Kleid an und folgte ihr. Aber jedermänniglich erstaunte, als er eintrat, so stattlich war er. Oft wurde die Gesundheit des Brautpaars getrunken. Mit dem frühesten aber zog er fort. Als er schon weit vom Schlosse war, kehrte er sich noch einmal um, und siehe, die schöne Lilla stand auf dem Balkon und grüßte ihn noch von ferne. Da nickte er mit dem Kopf, es ward ihm wohl und wehmütig.

Quelle:
August Graf von Platens sämtliche Werke in zwölf Bänden. Band 11, Leipzig [1910], S. 46-47.
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