Elftes Kapitel.

[50] Indes trat auch das Zwerglein hinter einem Gebüsche hervor, und da es den kostbaren Zauberring noch an der Hand der Pffefferlüsch bemerkte, nahm er ihr ihn ab, indem er ihn an seinen eigenen Finger steckte. Aber wie erstaunte Rosensohn, als er auf einmal statt des leidigen Zwergleins einen schlanken Mann von mittlerem Alter vor sich stehen sah, der ihn umarmte, indem er ausrief: »Sieh in mir deinen Vater! Aber jetzt verlange keinen weiteren Aufschluß; geh deiner schönen Hoffnung entgegen; an deinem Hochzeitstage soll dir alles klar werden.« Hiemit verließ er ihn, und Rosensohn stand lange, ehe er sich von seiner Verwunderung erholt hatte. Doch der Gedanke an Lilla verjagte jeden andern, und er setzte seinen Weg unter süßen Erwartungen fort. Am frühen Morgen des andern Tages langte er in der Hauptstadt an. Wie erstaunte Lilla, da sie ihn so frühe zurückkehren sah! Er sank zu ihren Füßen und übergab ihr die Wundernadel, die sie gar sorgfältig in eine Falte ihres Kleides verbarg. Als sie ihn aber von der Erde aufhob, da überreichte er ihr zitternd den Stengel der verblühten Blume. Sie, die wohl mit dem Sinne dieses Geschenkes bekannt war, empfing es mit klopfendem Herzen. Aber kaum hatte sie es berührt, so entfaltete sich die schönste, die vollste Rose aus dem abgedorrten Stengel. Der König aber bestimmte den folgenden Tag zum Hochzeitstage. Die Fee Pflasterhold traf noch abends vorher ein; sie war versöhnt und freute sich des holdseligen Brautpaares. Des andern Morgens meldete ein Läufer die Ankunft des benachbarten Königs mit seiner Gemahlin, welche der Hochzeit beizuwohnen gedächten. Als jedoch die Saaltüren aufgingen, da sah Rosensohn denselben, den er aus dem Turme befreit hatte; ihm zur Seite aber erblickte er die Pflegerin seiner Jugend, die schöngelockte Gyrmantis. Diese ging auf ihn zu und sagte, ihn umarmend: »Erkenne nun in der, die dich erzog, deine leibliche Mutter und in diesem meinen Gemahl,[50] den ich so lange betrauerte. Es ist Pheristos, dein Vater!« Rosensohn stand freudig erstaunt; aber sie holdselige Lilla lächelte überaus freundlich und sagte: »Möget ihr mir nun das glückliche Wunder begreiflich machen, das mich zu eurer Tochter macht, wenn ihr anders eurem Sohne meine Hand nicht abratet.« Da ergriff der König das Wort und sagte: »Das sei ferne von uns, daß wir ihn abhalten sollten von seinem Glücke, von einer Braut, die so gut ist und holdselig, und die ihm das Schicksal bestimmt hat. Aber nun mögt ihr meine Geschichte vernehmen.«

Quelle:
August Graf von Platens sämtliche Werke in zwölf Bänden. Band 11, Leipzig [1910], S. 50-51.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Rosensohn
Rosensohn: Märchen