Zwölftes Kapitel.

[51] »Mein Vater«, fing der König Pheristos seine Erzählung an, »raubte einst der Fee Pfefferlüsch, die wir alle kennen, und die ihm manchen verruchten Streich gespielt hatte, einen Zauberring, den nämlichen, den ihr hier an meinem Finger seht. Sie aber trachtete auf alle Weise, diesen Ring, in welchem ihre ganze Kunst gelegen war, wieder zu erbeuten. Aber mein Vater verwahrte ihn so gut, daß jede List an seiner Sorgfalt scheiterte. Als aber mein Vater starb, erbte ich sein Reich mit diesem Ringe. Nun ließ sie mir feierlichst ihre Hand anbieten, wenn ich ihr den bewußten Ring als Bräutigam verehrten wollte. Ihr mögt leicht denken, wie sehr dieser Antrag verworfen wurde. Bald darauf vermählte ich mich mit dieser meiner schönen Gemahlin Gyrmantis.

Lange wandte Pfefferlüsch alles vergebens an, mich zu täuschen. Als aber die Königin von einem Knäblein entbunden war, da bot sich als Amme an, ohne daß weder ich noch sonst jemand vom Hofgesinde sie gekannt hätte. Als sich nun Pfefferlüsch eines Tags mit dem jungen Prinzen im Arm unbemerkt glaubte, entsprang sie durch eine Hintertreppe in die Gärten, um von da aus ihren Raub in ihre Waldhütte zu tragen. Ich aber sah sie vom Fenster aus, ahnete Verrat, und als wenn ich Flügel gehabt hätte, stand ich im Garten und eilte ihr nach. Aber leider war sie schon zu weit voraus; sie erreichte ihre Hütte und schloß hinter sich zu. Ich merkte nun, daß es Pfefferlüsch sei und geriet in Verzweiflung. Da rief sie mir heraus und sagte: ›Euren Knaben[51] mögt Ihr gleich wieder haben, wenn Ihr mir den geraubten Ring gebt.‹ Ich war froh, einen Preis gefunden zu haben, um den ich mein Kind erkaufen konnte, und schob ihr den Ring durch eine Spalte. Sie nahm ihn, ohne herauszukommen und mir meinen Sohn zurückzugeben. Ich harrte bis abends, indem ich ihr ununterbrochen zurief. Sie hörte aber nicht. Da übermannte mich der Zorn, und ich dachte nicht mehr an die Macht, die ihr durch den Ring verliehen war. Ich trat an ein Fenster, und da ein Rosenstock davor stand, so nahm ich ihn und durchwarf damit die Scheiben, um in die Stube zu gelangen. Die Rosen wurden alle zerknickt, eine einzige Knospe blieb unversehrt. Und indem ich mir durchs Fenster Platz machte, da rief sie: ›Wenn Euch der Tod Eures Kindes nicht lieber ist, als daß ich es Euch zurückgebe, so steiget wieder hinunter.‹ Ich aber, der ich mich ganz in ihrer Gewalt sah, gehorchte ihrem Befehle. Darauf sagte sie: ›Erst laßt mich diesen Schaden wieder gutmachen.‹ Hiemit hob sie den Rosenstock auf, löste die zerknickten Rosen davon ab, nahm einen Scherben mit Erde und pflanzte die Wurzel hinein mit dem noch übrigen Knösplein. Nachdem dies geschehen war, drehte sie ihren Ring herum und sprach unter mancherlei Gebärden: ›Tue dich auf, o Knospe, dies Knäblein in dir zu verschließen!‹ Was sie wünschte, geschah in einer flüchtigen Sekunde. Ich stand lange betäubt über dies Wunder, das ich sah, ohne es zu begreifen. Endlich aber faßte mich die Verzweiflung. Ich stieß mit dem Fuß gegen die Hüttentüre, daß sie aufsprang. Da drehte die Fee abermals den Ring herum und ich sah mich in der Zwerggestalt, in der mich meine Gemahlin erblickt hat. ›Wollt Ihr,‹ begann die Arge, ›daß ich diese Rose schone und Euch die Freiheit lasse, so versprecht mir, nie die Grenzen dieses Waldes zu überschreiten, solange Ihr in dieser Gestalt lebt, nie zu entdecken, wer Ihr seid, und diese Rosenknospe niemals abzupflücken.‹ Ich mußte es versprechen, um das Dasein meines Kindes zu behüten. Aber da ich es selbst nicht durfte, so beredete ich ein Zwerglein aus dem Gefolge der Fee, mir jene Knospe zu brechen, und es gelang mir, meinen Sohn der Pflege seiner Mutter zu übergeben. Als jedoch Pfefferlüsch den Raub wahrnahm, ließ[52] sie mich durch ihre Zwerge einholen, da ich den Wald nicht überschreiten durfte. Und sie sperrte mich in jenen Turm, aus welchem mich nur die Zaubernadel der Prinzessin Lilla befreit hat. – In ihren Händen mußte der getrocknete Rosenstengel Blumen treiben, denn das verblühte Paradies der Kindheit schießt in der Liebe wieder auf.«

Hier endigte der König seine Erzählung, und die Fee Pflasterhold nahm das Wort und sagte: »Nun sehet, schöne Lilla, daß ich recht hatte mit meiner Weissagung.« Die holdselige Lilla aber küßte stillschweigend die Hand der gütigen Fee, und das Hochzeitsfest ward begangen mit großem Pompe und Frohsinn, und Mädchen sangen zur Harfe die Geschichte des Sohns der Rose und der reizenden Lilla.

Die Nadel bewirkte Glück im Ehestande und Lilla gebar ihrem Gemahl einen Sohn, der beide Königreiche mit Ruhm beherrschte.

Aber noch heutigen Tages steht die Fee Pfefferlüsch unbeweglich am Wege, und die Wanderer fürchten sie noch jetzt und weichen ihr aus, wenn sie ihre Straße vorbeiführt.[53]

Quelle:
August Graf von Platens sämtliche Werke in zwölf Bänden. Band 11, Leipzig [1910], S. 51-54.
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