349. Der Schlosser am Brocken.

[137] Es ist einmal ein Schlosser gewesen, der ist ausgewandert, und kömmt auf seiner Reise am Brocken vorbei. Hier begegnen ihm zwei Venetianer, die sind immer vor ihm hergegangen, und sind zuletzt vor seinen Augen verschwunden. Man hat sie Dreiviertel Stunden lang gesucht, aber nicht wieder finden können. Am andern Tage aber begegnen sie dem Schlosser wieder und sagen für sich hin: »O lieben Harzer, daß ihr diese Steine nicht besser benutzt, ihr werft häufig mit einem Steine nach einer Kuh, der mehr werth ist, wie die Kuh selbst!« Auch fragten sie ihn ob er mit wolle. Er sagte: wohin? Da antworteten die Beiden: nach Venetien. O! sagte der Schlosser, da tragen mich meine Beine nicht mehr hin. Da wollen wir schon was für thun, antworteten die Venetier; gehe du nur mit. Der Schlosser läßt sich beschwatzen, und die Venetier schicken ihn: er soll Schnaps holen. Wie er nun mit Schnaps ankommt, da wird der ausgetrunken und sie fangen an einzuschlafen. Wie sie aber aufgewacht sind, sind sie statt im Harzgebirge in Venedig gewesen.

Nach langen Jahren ist ihm aber der Aufenthalt in Venedig zuwider gewesen, und er hat sich entschlossen, wieder[137] nach dem Harze zu wandern. Wie er nun nach einem mehrjährigen Marsche in Schierke wieder angelangt ist, geht er in ein Wirthshaus unter eine honette Gesellschaft. Auf einmal steht er auf und sagt: Meine Herren, wenn ich keine Mittel finde, so bin ich schon in einer Viertelstunde todt, und frägt sogleich den Wirth: ob er kein Faß im Hause hätte, welches luftdicht verschlossen wäre; da sagt der: doch, er hätte eins; dasselbe muß er sogleich hergeben und der Schlosser schlägt sofort den Boden aus dem Fasse und kriecht hinein, läßt aber den Deckel wieder luftdicht aufmachen. Nicht lange hierauf kömmt eine Kugel angepfiffen und rollt auf dem Fasse hin und her, bis sie sich matt gelaufen hat. Da springt der Schlosser wieder auf, nimmt die Kugel, ladet sie in des Wirths Gewehr und schießt sie wieder nach Venetien, und sagt hierbei: »Du sollst mich nicht tödten, du sollst mich nicht tödten, du bist schon selbst in einer Viertelstunde todt!« So wird von Schierke bis nach dem Oberharze erzählt.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Unterharzische Sagen. Aschersleben 1856, S. 137-138.
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