Nr. 115. Die Kaiserstochter zu Goslar und die Gründung von Quedlinburg.

[79] Wie noch der Dom in Goslar gestanden hat, und es ist ein Fremder gekommen und hat ihn sich ansehen wollen, so ist gewöhnlich ein Geistlicher mitgegangen, und hat einem die Merkwürdigkeit gezeiget, und da hat er denn den Leuten einen Sarg gewiesen, darinnen hat ein Frauenbild gelegen und ihr zu Füßen ein kleines Hündlein, und dabei hat er diese Geschichte erzählet. Es ist einmal ein Kaiser (Heinrich der Dritte) in Goslar gewesen, der hat eine Tochter gehabt, die ist so schön gewesen, daß sich ihr eigener Vater in sie verliebt hat, und er hat sich gar nicht bezwingen können und hat sie zu seiner Gemahlin haben wollen. Die Prinzessin ist dazu zu gottesfürchtig gewesen und hat's nicht thun wollen. Aber der Kaiser hat sich es nicht ausreden lassen, sie sollte seine Gemahlin werden, es möchte daraus werden was da wolle, und es ist schon der Tag zur Hochzeit angeordnet. Die Nacht vor der Hochzeit, wie sich das Mädchen gar nicht mehr zu helfen wußte und in ihrem Schlafzimmer war, warf sie sich auf die Kniee und rief die Mutter Maria an, sie möchte ihr doch helfen. Da erschien ihr die Mutter Maria und fragte, was sie wolle. Sie erzählte ihr ihre Not und bat sie, wenn's nicht anders geschehen könne, so möchte sie ihr doch lieber ihre Schönheit nehmen, ehe sie diese Sünde thun müßte. Da sagte ihr die Mutter Maria, ihr Wunsch sollte erfüllt sein. Den andern Morgen, wie die Prinzessin aufstand und sich im Spiegel besah, kannte sie sich fast gar nicht mehr, so häßlich war sie geworden, und wie sie der Kaiser zu sehen bekam, wollte er anfangs gar nicht glauben, daß sie seine Tochter sei, aber endlich hat er sie doch erkannt, und sie hat ihm alles gesagt, wie sie's gemacht hat. Da wird er ganz wütend und will sie hinrichten lassen. Aber seine Minister legten sich ins Mittel und alles, was zugegen war, bat ihn, er möchte ihr doch Gnade widerfahren lassen. Da sagte er endlich: nun ja, wenn sie in acht Tagen ein Altartuch für den Dom fertig schaffen könnte, so wollte er sie wieder zu Gnaden annehmen. Nun hat aber die Prinzessin[79] über alle Maßen schön weben und stricken können, und darum hat er alles gesagt, wie das Altartuch sein soll, und er machte es so schwer, daß eins wohl Jahr und Tag daran zu thun gehabt hätte. Aber die Prinzessin dachte: wer dir einmal geholfen hat, der kann dir auch wieder helfen. Wie sie des abends in ihrem Schlafzimmer war, rief sie wieder die Mutter Maria an, aber wer auch nicht kam, das war die Mutter Maria. Da ward ihr so Angst, und sie wußte nicht wohin und woher. Und die andere Nacht, wie sie wieder die Mutter Maria anrief, kam sie auch nicht und die dritte Nacht auch nicht. Da kam sie ganz von Sinnen vor Angst und sie rief den Bösen an. Der kam auch richtig und fragte, was sie wolle. Da sagte sie's ihm und bat ihn, er solle ihr helfen. Er sagte ja, das wolle er thun, wenn sie ihm ihre Seele verschreiben wolle. Nein, sagte sie, lieber wolle sie sterben, als ihre arme Seele ins höllische Feuer schicken. Er antwortete, sie möchte sich besinnen, morgen Nacht wolle er wiederkommen. Die vierte Nacht kam richtig der Böse wieder: ob sie sich besonnen hätte? Sie sagte nein, ihre Seele wollte sie ihm nicht verschreiben. Er antwortete: nun so wolle er doch das Altartuch machen, das heißt, wenn er in der letzten Nacht käme, zwischen elf und zwölf Uhr, und sie wachte, so wolle er ihre Seele nicht haben, schliefe sie aber, so müßte sie sein werden. Ja, antwortete sie, damit wäre sie zufrieden. Die andere Nacht wuchs das Altartuch zusehends und ward ganz wunderschön, wie's gar nicht zu erdenken ist, und sie ward auch gar nicht müde. So ging alles recht gut, bis in der letzten Nacht, wie das Altartuch beinahe fertig war. Da konnte sie sich gar nicht halten vor Müdigkeit und schlief ein. Nun hat aber die Kaiserstochter ein kleines Hündchen gehabt zu ihrem Vergnügen, das hat Quedel geheißen. Das Hündchen ist niemals von ihr gewichen, weder Tag noch Nacht. Das lag auf ihrem Schoße und war munter, wie sie schlief. Wie's zwischen elf und zwölf war und der Böse tappte über den Saal, wie er eben auf die Thür zukam, hörte es das Hündlein und fing laut zu bellen an. Da erschrickt die Prinzessin und wird auch munter, und wie der Böse sah, daß sie wachte, ward er[80] wütend und griff nach dem Hündelein und schmetterte es gegen den Boden, daß es auf der Stelle den Geist aufgab, und darauf verschwand der Böse. Aber zum ewigen Gedächtnis an die Begebenheit hat die Kaiserstochter das Kloster Quedlinburg bauen und das Hündlein einbalsamieren lassen, und ehe sie starb, hat sie befohlen, daß es mit ihr in einem Sarge liegen soll. Und das ist das Hündelein und das Frauenbild, das man im Dome zu Goslar gezeiget hat und das in dem kleinen Teile des Domes, der noch stehet, noch heute gezeigt wird.1 Das Altartuch hat man zu jener Zeit auch noch sehen können.

Fußnoten

1 Jetzt zeigt man den Sarg in der Kapelle des Kaiserhauses. Die Figur ist aber als der Kaiser Heinrich III. selbst erkannt, also gar keine weibliche.


Quelle:
Heinrich Pröhle: Harzsagen, zum Teil in der Mundart der Gebirgsbewohner. Leipzig 21886, S. 79-81.
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