I.

[136] An Heinrich I. erinnern bekanntlich noch zahlreiche Vogelherde auf dem Harze, an deren jedem er die Kaiserkrone empfangen haben soll. Von dem Vogelherde, genannt: der Kaiser Heinrich, bei Schulenberg auf dem Oberharze, erzählte mir ein Vogelsteller auf Klausthal: Dort hat Herr Heinrich gerade Vögel gefangen, da ist Extra gekommen, daß er zum deutschen Kaiser erwählet sei. Herr Heinrich wäre aber lieber[136] bei seinen Vögeln geblieben. Ausführlicher erzählte der Schmied, der um 1850 in der tiefsten Waldeinsamkeit auf Kaiser Heinrich wohnte und das Vogelstellen nur nebenbei betrieb: Der Kaiser Heinrich hat gar viele Finkenherde auf dem Harze gehabt, auch Holztaubenherde in den Thälern, deren hier herum noch immer neue aufgefunden werden, welche alle vom Kaiser Heinrich herrühren. Hier aber ist ihm die Kaiserkrone angetragen und da, wo in meinem Garten die Vertiefung ist, hat seine Bucht (Vogelhütte) gestanden. Von Abend her ist er gezogen gekommen, ehe er diese Stelle entdecket hat, und hat das Wasser im schulenberger Thale im Vorbeiziehen wegen seiner Klarheit das weiße Wasser getaufet, welchen Namen es noch bis auf den heutigen Tag führet. Wo jetzt mein Haus stehet, hat er seinen Pferdestall gehabt, und auch ein kleines Stübchen daneben, worinnen er sich mit seiner Frau aufhielt, wenn er hier war. Von diesem Stalle lag noch eine alte Schwelle dort, daraus habe ich mir eine Zither gemacht, weil man zur Zither altes Holz am besten gebrauchen kann. Die habe ich mitgenommen, als ich nach Texas auswanderte, und glücklicher wieder heimgebracht als mein Vermögen, das ich dort einbüßte. (Er zeigte sie auch vor und spielte eine hübsche Weise darauf, wozu seine Frau ihr Kind auf den Armen tanzen ließ.) – Als die Reichsboten in diese Bergschlucht kamen, sahen sie die Bucht des Herrn Heinrich vor Wald nicht und mußten deswegen in das Horn stoßen, um ihn zu rufen. Da wurde ein Zug Finken verscheucht, welcher bereits im Netze war, das er eben hat rücken wollen. Darüber ist er anfangs sehr ungehalten gewesen und hat gesagt, die Krone werde ihm nicht so viel Freude bringen als dieser Zug Finken. Von der anderen Seite ist eben auch Herrn Heinrichs Bruder kommen und hat einen Wolf erlegt gehabt. Wäre die westfälische Regierung (!!) geblieben, so hatte sie vor, hier zum Andenken an diese Begebenheit ein Denkmal zu setzen.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Harzsagen, zum Teil in der Mundart der Gebirgsbewohner. Leipzig 21886, S. 136-137.
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Harzsagen
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