Des Thirsis Empfindungen bey Damons Hochzeitlust

[21] Die Königin der reinen Triebe,

Der Menschen Trost und Lust, die Liebe,

Begleit, o Damon, deinen Fuß.

Ja, Freund, empfange mit Vergnügen

Wirst du bey ihrer Fahne siegen,

Den sanft durchdringend keuschen Kuß.


Mein Geist entreißt sich, dich von weiten

Voll Sehnsucht immer zu begleiten.

Mich dünckt, ich seh dein holdes Kind,

Ich seh, wie sie mit süssen Blicken

Ich seh, wie sie dich mit entzücken

Mit ihren weissen Armen bindt.


Mich dünckt, daß ich euch im Vertrauen

Kan bey einander sitzen schauen.

Ich höre, wie du manchen Schertz

Ihr sinnreich in die Ohren pflüsterst,

Und ihn mit einem Kuß verschwisterst,

Und immer sprichst: Mein Kind, mein Hertz!


Doch, wenn ihr nun von andern Sachen

Auch etwann werdet Worte machen;[21]

So bring ihr dann daneben bey,

Daß einen, wo die Saale fliesset,

Der Freundschaft Band mit dir umschliesset,

Und sag ihr, daß es Thirsis sey.


Sag ihr, wie wir uns redlich lieben,

Und oft vereint im Singen üben.

Sag ihr, ich rühmte eure Glut,

Ja unbekannt ihr holdes Wesen;

Weil du sie dir zur Braut erlesen,

Vielleicht wird sie mir darum gut.


Und, o wie werd ich voller Feuer

Wohl bald an ihr, mit meiner Leyer

Die holden Tugenden erhöhn;

Doch nein, es werden deine Saiten

Ihr ein weit schöner Lob bereiten,

Und mit ihr zu den Sternen gehn.


Du wirst auch ihr, bey deinem Singen

Die Lorbeern um die Haare schlingen,

Die deine Hand am Pindus bricht.

Sie darff die Laura, voller Freuden,

So wie die Doris nicht beneiden;

Sie weichet auch Callisten nicht.


Wie glücklich sind der Nymphen Sinnen,

Die einen Dichter lieb gewinnen!

Wer sollte dich, Euridice,

Wer, schöne Nemesis, nicht kennen,

Wer Lalagen nicht glücklich nennen,

Wer preißt dich nicht, o Galathee?


Doch die wird sie, mit ewgen Zweigen

Und Ruhm gekrönt, weit übersteigen.

Jedoch, was stöhr ich eure Ruh![22]

Kurtz, hier sind der Gesellschaft Lieder,

Doch komm auch bald zur Saale wieder,

Und höre deinem Damon zu.

Quelle:
Freundschaftliche Lieder von I. J. Pyra und S. G. Lange, Heilbronn 1885, S. 21-23.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Schi-King. Das kanonische Liederbuch der Chinesen

Schi-King. Das kanonische Liederbuch der Chinesen

Das kanonische Liederbuch der Chinesen entstand in seiner heutigen Textfassung in der Zeit zwischen dem 10. und dem 7. Jahrhundert v. Chr. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Victor von Strauß.

298 Seiten, 15.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon