Sieben und zwanzigster Brief.

[94] Bangor, den 23sten Juli 1828.


Chère et bonne.


Eine kleine Unannehmlichkeit dieser sonst so reich begabten Landschaft sind die Wirkungen der Ebbe und Fluth, welche erstere einen bedeutenden Theil des Tages hindurch eine große Strecke des Menai, wie der hiesige Meerarm genannt wird, austrocknet, und nur schlammigen Sand zurückläßt. Wahrscheinlich sind diesem Umstande auch die über alle Vorstellung hartnäckigen Fliegenschwärme zuzuschreiben, die zu Tausenden, gleich Bienen schwärmend und auf Raub ausgehend, Menschen und Vieh attaquiren, und ihr Opfer nicht leicht wieder loslassen. Man reitet vergebens, was das Pferd laufen kann. Der Schwarm, in einen Klumpen geballt, wie eine macedonischer Phalanx, fliegt mit, und zerstreut sich über seine Beute, sobald man wieder anhält, nur dem Todtschlagen weichend. Ja selbst in ein Haus hineinzutreten, hilft nicht immer. Denn ich habe es auf Spaziergängen einigemal erlebt, daß diese Fliegen, wenn sie einen einmal angenommen haben, geduldig[95] draußen warten, bis man wieder herauskömmt. Das einzige Mittel ist, eine Stelle aufzusuchen, wo ein starker Zugwind weht, den sie nicht vertragen können. Dies wissen auch die an den Bergufern weidenden Kühe recht wohl, die man immer an solchen Stellen einsam ruhen und wiederkauen sieht. Ich betrachtete heute lange ein solches Thier, wie es auf einer ganz isolirten Felsenspitze, die Contoure schroff sich gegen die Luft abzeichnend, stand – unbeweglich, bis auf die leise Arbeit seiner Kinnladen, und nur zuweilen mit dem Schwanz sich an die Seite schlagend. Wie schön, dachte ich mir, könnte ein Künstler ein solches Bild kolossal und zum Apis erhoben, und auch mit dem Mechanismus dieser einfachen Bewegungen versehen, nachahmen, und welche Acquisition wäre dies für einen deutsch-englischen Park in der Heimath! z.B. in Cassel, dem Herkules gegenüber, oder gar in Wörlitz auf dem feuerspeienden Berge weidend. Gewiß eine verdienstvolle Idee, die Du fruchtbar zu machen suchen mußt. Erinnerst Du Dich noch Elemens Brentano, als ihm und dem genialen, liebenswürdigen Schinkel der Graf L.. die Aussicht von seinem Jagdschlosse zeigte, von wo man eine anmuthige aber flache Waldgegend übersieht, und nun zu den beiden Herren gewandt, der Graf diese etwas einfältig fragte, auf welche Art wohl hier eine recht große Verschönerung anzubringen sey? Brentano verfiel in tiefes Sinnen, und nach einiger Zeit sagte er langsam, den erwartungsvoll zuhörenden Gönner mit seinen kuriosen Augen ernsthaft anstarrend:[96] »Wie wäre es, Herr Graf, wenn Sie ein Gebürge aus Brettern aufführen, und dasselbe mit blauer Oelfarbe anstreichen ließen?« – Solches aber, wenn auch nicht so grell und handgreiflich, geschieht im lieben Vaterlande noch täglich, selbst ohngeachtet des neuen Berliner Gartenvereins.

Geliebte Julie, willst Du mit mir nach dem Park des Marquis Anglesea, Plas Newyd, auf Anglesea fahren? die Phantasie-Pferde sind schnell angespannt.

Wir passiren wieder die Riesenbrücke, folgen eine kurze Zeit der Chaussee nach Irland, und sehen schon von weitem die Säule emporragen, welche das dankbare Vaterland dem General Paget, damals Lord Urbridge, jetzt Marquis von Anglesea und Vicekönig von Irland, statt seinem in Waterloo gelassenen Beine hier aufgesetzt hat. Eine halbe Stunde weiter öffnet sich das Parkthor von Plas Newyd. Das merkwürdigste hier sind einige Cromlech's, deren eigentliche Bedeutung unbekannt ist, die man aber für Grabmäler der Druiden hält. Es sind ungeheure Steine, gewöhnlich nur drei bis vier, die eine Art rohen Thorweg bilden. Es gibt deren von so kolossaler Größe, daß man kaum begreift, wie man sie ohne die komplizirtesten mechanischen Hülfsmittel bewegen, und in solche Höhe hinaufbringen konnte. Der menschlichen hohen Krafft, von unumschränktem Willen oder Fanatismus angeregt, ist indessen gar Vieles möglich. Las ich doch einst, daß ein Schiffs-Capitaine, der an den Ufern Japans hinfuhr, über die sich daselbst hinziehende Bergkette zwei Junken der größten[97] Art, nicht viel kleiner als unsre Fregatten, durch Tausende von Menschen zu Lande transportiren sah.

Die hiesigen Cromlech's, welche nicht zu den größten gehören, haben wahrscheinlich Anlaß zu dem Gedanken gegeben, an einer passenden Stelle, wo man unter andern eine schöne Ansicht des Snowdon hat, eine Druiden-Cottage zu bauen. Es ist aber ein seltsames Ding daraus geworden, mit alterthümlichen und modernen Gegenständen, wie ein Chaos, angefüllt. In den kleinen, dunkeln Piecen war auf artige Weise Licht durch Spiegelthüren hereingebracht, die in andern Zimmern wiederum dazu dienten, die vortheilhaftesten Parthieen der Landschaft, wie unter Rahmen und Glas, zu fassen. Im Fenster des Salons stand überdies ein großer Guckkasten, eine Camera obscura und ein Kaleidoscop neuerer Art, welches nicht, wie die alten, gefüllt wird, sondern dem jeder Gegenstand, auf den man es hält, sobald man es nur bewegt, zum nie aufhörenden Veränderungsspiele dient. Blumen machen besonders durch den sich ewig verschieden brechenden Glanz ihrer Farben einen wunderbaren Effekt. Solltest Du ein ähnliches wünschen, so kann ich Dir es von London aus leicht senden lassen. Es kostet 8 Guineen. Das Schloß und die übrigen Anlagen bieten gar nichts Erwähnungswerthes dar, werden auch selten vom Eigenthümer besucht, dessen Hauptsitz in England liegt.


[98] Den 23sten.


Heute erhielt ich mit großer Freude einen langen Brief von Dir. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1

Es freut mich, daß Du L....'s Scherze nicht mißdeutest, und ihn nicht mit Frömmel für einen Gottlosen hältst. Er macht sich wohl zuvörderst nur über den Köhlerglauben jener Menschen lustig, die sich von dem Unaussprechlichen, dem Wesen aller Dinge, das wir nur ahnen, nicht begreifen können, ein sonderbares Mittelding von menschlichem Herrn, Schulmeister und dienendem Schutzgeiste bilden, sich stets am Kinder-Gängelbande von ihm geleitet glauben, und Alles was sie sehen und hören, und sie irgend angeht, immer für eine, blos auf ihre Wenigkeit sich beziehende, Handlung Gottes halten; wenn sie aber gar z.B. in's Wasser fallen, oder das große Loos gewinnen, dann Gottes Finger unwidersprechlich darin erkennen, und wenn sie einer Gefahr entgehen, Gott so dafür danken, als habe eine fremde Kraft die Gefahr, Gott aber nur wie ein sorgsam herbeieilender Wächter, durch schnelles Eingreifen die Errettung gebracht. Sie möchten doch bedenken, daß von wo die Rettung kömmt,[99] auch die Gefahr sich herschreibt, wo der Genuß auch die Qual, wo das Leben auch der Tod. Das Ganze ist eben Weltleben, und kann nicht nach Willkühr, sondern nur nach unwandelbaren Gesetzen gegeben und geordnet seyn. – Solche kleinliche Ansichten, als die gerügten, ziehen die Idee der Allmacht zu unsrer Gebrechlichkeit herab. Danken sollen wir für alles Seyn der ewigen Liebe, wäre es auch ohne Worte, – und kein Gebet vielleicht kann mehr als dieses: in Entzücken verstummende Dankgefühl – vom Menschen dargebracht, der Gottheit würdig seyn; – kindisch aber ist es, alle jene alltäglichen und äußern einzelnen Begebenheiten, wie Glücks- und Unglücksfälle, Reichthum, Armuth, Sterben u.s.w., die den Naturgesetzen unterthan sind, oder von uns selbst, nach dem Maaßstab unsrer Kräfte herbeigeführt werden, immer einer ganz besondern, und der Himmel weiß überdieß, wie unnützen! Erziehung unsrer lieben Individuen durch die Allmacht zuzuschreiben.

Ferner aber spottet er über die Christen – die es ganz und gar nicht sind, und darunter, sagt er, stehen als Nummer Eins, nicht sogenannte Atheisten (überhaupt eine sinnlose Benennung), nicht einmal wahre Fanatiker, sondern jene heillose Race der modernen Frömmler, die entweder nervenüberreizte Schwächlinge,2 oder Heuchler der gottlosesten Art[100] sind von Jesus erhabener Reinheit entfernter als der Dalai Lama. Sie sind die wahren Pharisäer, und zugleich Händler in der Kirche, die Christus heute noch zum Tempel hinausjagen würde, und die, wenn er unter andrem Namen wieder erschiene, zuerst rufen würden: Kreuziget ihn!3

In allem diesen muß ich selbst L... ziemlich beistimmen, wenn auch bei dem Gegenstand der ersten Bemerkungen des vorliegenden Briefes jede Ansicht nur Hypothese bleiben, und in der Wahrheit Alles viel anders seyn muß, als wir es überhaupt zu ergründen fähig sind. Hätten wir es wissen können, und sollen, so würde der Schöpfer unsres Daseyns[101] auch dies uns offenbart, und zwar so unbezweifelt offenbart haben, als wir es mit Bestimmtheit wissen, daß wir fühlen, denken und sind. Was uns nöthig war, ist uns im Innern offenbart, und dies haben von jeher die größten Geister der Erde in mehr oder minder erleuchteten Worten ausgesprochen.

Daß die Menschheit nicht wie eine willenlose Maschine stille zu stehen, oder im Kreise sich ewig umzudrehen brauche, sondern weiter schreite, und aus sich selbst fort werde, bis sie einst ihren möglichen Lebenscyclus geendigt, und ihre höchste Perfektibilität erreicht hat, daran zweifle ich keinen Augenblick. Meine Hypothese würde dabei nur die seyn, daß die Erde, gleich dem einmal vom Stapel gelassenen Schiffe, unter dem Schutz und Zwange unwandelbarer Naturgesetze, nun ihrer eignen Mannschaft überlassen bleibe. Wir selbst machen hinfort unser Leben (so weit es vom Menschen und nicht von jenen Gesetzen abhängt) so wie unsre Geschichte, im Großen wie im Kleinen, durch unsre eigene moralische Kraft oder Schwäche. Keine besonders eingreifende Macht ist meines Erachtens anzunehmen, die z.B. Napoleon einen harten Winter in Rußland schickt, um ihn zu stürzen, sondern Napoleon stürzt an dem fehlerhaften Prinzip, das ihn selbst leitet, und welches auf die Länge, an dieser oder jener scheinbaren Ursache, immer untergehen muß. Das Naturereigniß tritt, in Bezug auf ihn, nur zufällig ein, an sich aber ohne Zweifel in der nothwendigen Folge der Gesetze, denen es unterworfen ist, wenn diese Gesetze[102] uns gleich unbekannt sind. Aus eben dem Grunde wird es dem Guten, Fleißigen, Sparsamen, Klugen etc. in der Regel der liebe Gott gut gehen, und vieles was er wünscht, gelingen lassen, dem Thoren und Bösen aber, der sich in Krieg mit der Welt setzt, wird es nicht so gut ergehen. Dem, der die Hand im Eise liegen läßt, wird sie der liebe Gott höchst wahrscheinlich erfrieren, und dem, der sie in's Feuer hält, verbrennen lassen, es müßte denn der unverbrennbare Spanier seyn. Die zu Schiffe gehen, werden zuweilen vom lieben Gott die Schickung des Ertrinkens zugetheilt erhalten, wer aber nie das Land verläßt, den wird der liebe Gott auch gewiß nie im Meere umkommen lassen. Daher heißt es auch mit Recht: Hilf Dir selbst, und Gott wird Dir helfen. Die Wahrheit ist, daß Gott uns schon von vornherein geholfen hat. – Das Werk des Meisters ist vollendet, und, so weit es beabsichtigt war, vollkommen. Es braucht daher keiner fernern extraordinairen Nachhülfe und Corrigirung von oben. In unsre eignen Hände ist für jetzt die weitere Entwicklung gelegt. Wir können gut und böse, klug und thöricht seyn, nicht immer vielleicht wie es die Individuen frei wollen möchten, aber wie sie die vorhergehende Menschheit herangebildet. Tugend und Sünde, Klugheit und Thorheit sind ja überhaupt blos Worte, die ihre Bedeutung hier erst durch die menschliche Gesellschaft erhalten, und ohne sie gänzlich verlieren würden. Der Begriff des Guten und Bösen entwickelt sich offenbar nur in Bezug[103] auf Andere, denn der Mensch, welcher nie einen Mitmenschen sah, kann weder gut noch böse handeln, ja wohl kaum so fühlen und denken – er besitzt allerdings die Fähigkeit dazu, und dies begründet seine höhere geistige Natur, aber nur durch ihm gleichartige Mitgeschöpfe kann diese in Wirksamkeit treten, wie Feuer erst entsteht, oder sichtbar wird, wo brennbare Materie vorhanden ist. Der Begriff des Klugen und Thörichten entsteht dagegen schon früher, und auch in Bezug auf unser eignes Individuum allein, denn auch der einzelne Mensch, im Conflikt mit der sogenannten todten Natur, kann thöricht sich schaden, oder das Gegebne mit Klugheit benutzen, und dies an sich gewahr werden. Gut seyn heißt also in jeder Beziehung nichts andres als: andre Menschen lieben und sich ihren Gesetzen unterwerfen – böse aber: sich nicht an diese Gesetze kehren, das Wohl Andrer für wenig oder nichts achten, und bei seinen Handlungen nur die eigne momentane Gratifikation vor Augen haben. Klug seyn heißt dagegen nur seinen eignen Vortheil am geschicktesten zu bewahren wissen – thöricht, ihn zu vernachlässigen, oder falsch zu beurtheilen. Wir sehen also sehr bald, daß gut und klug, böse und thöricht, in höchster Potenz, fast synonym werden, denn wer gut ist, wird in der Regel seinen Mitmenschen gefallen, von ihnen wieder geliebt werden müssen, folglich auch klug, für sich den wahrsten Vortheil erlangen, der Böse dagegen mit ihnen in ewigen Streit gerathen, indem er zuletzt[104] den Kürzeren ziehen, folglich Schaden haben muß. Hat sich aber das Moralprinzip noch höher herangebildet, so wird der einzelne tugendhafte Mensch sich zwar ein eignes Gesetz stellen, dem er folgt, unbekümmert um Vortheil, Gefahr oder Meinung Anderer. Aber die Grundlage dieses Gesetzes wird immer das seyn, was ich eben geschildert, Berücksichtigung des Wohlseyns der Mitmenschen und daraus abgezogene Pflicht, die von nun an dem selbst vorgezeichneten Wege consequent folgt. Aber auch dann gibt die innere Ueberzeugung, diese Pflicht erfüllt zu haben, dem geistigen Menschen größere Befriedigung als alle irdischen Güter ihm gewähren könnten, und es bleibt daher, in einer wie der andern Beziehung, und in jedem Stande der Bildung, wahr: daß es zugleich die höchste Klugheit ist, gut, die größte Thorheit, böse zu seyn.

Aber freilich treten hier, durch das Gewirr des Lebens, noch vielfache Nüancen ein. Man kann, für das Irdische oder Aeußere, sehr wohl durch größere Klugheit den Schein erlangen, ohne Realität. Man kann andere Menschen täuschen, und ihnen sogar glauben machen, man thue ihnen wohl, verdiene ihre Achtung und ihren Dank, wenn man sie doch nur zu Werkzeugen seines eigenen Vortheils benutzt, und ihren bittersten Schaden herbeiführt. Thorheit bringt nur zu oft die entgegengesetzte Wirkung hervor, nämlich Andere Böses und üble Motive voraussetzen zu lassen, wo das Gegentheil statt findet. Aus diesem folgt ganz natürlich die, auch[105] durch die Erfahrung, überall begründete, wenn gleich schmerzliche Wahrheit: daß in den irdischen Verhältnissen es dem Individuo noch gewisseren Schaden bringt, thöricht, als bös und schlecht zu seyn. Die äußern Folgen des Letztern können durch Klugheit aufgehalten, ja ganz abgewendet werden, nichts aber wendet die Folgen der Thorheit ab, die fortwährend gegen sich selbst arbeitet. Das Bedürfniß und die Erfindung positiver Religionen mögen dieser Erkenntniß, und der daraus folgenden Unzulänglichkeit der blos irdischen Strafgesetze größtentheils ihre Entstehung verdanken, namentlich die Lehre der künftigen Strafen und Belohnungen eines Allwissenden, gegen den die Klugheit nicht mehr ausreicht, und von dem der Thörichte Mitleiden und Compensation erwartet, denn wahrlich der Gute und Kluge braucht keinen weitern Lohn – er findet ihn schon reich und überschwenglich in sich selbst. Wer würde nicht ohne Bedenken Alles hingeben, um die Seligkeit zu genießen, vollkommen zu seyn! Es könnte vielleicht eine Zeit kommen, wo alle Staats-Religionen und Kirchen zu Grabe getragen würden, Poesie und Liebe aber, deren Blüthe die wahre Religion, wie Tugend ihre Frucht ist – müssen ewig den menschlichen Geist beherrschen, in ihrer heiligen Dreieinigkeit: der Anbetung Gottes als der Ursach alles Seyns, der Bewunderung der Natur als seines hohen Werks, und der Liebe zu den Menschen als unserer Brüder. Und das allein ist ja Christus Lehre – von Keinem reiner, inniger, einfacher und doch[106] tiefer ausgesprochen, wenn auch den Formen und den Voraussetzungen seiner Zeit gemäß – und darum ist er auch der Kern geworden, an dem sich die Frucht der Zeiten ansetzt, der wahre Vermittler, dessen Lehre einst, wie wir hoffen müssen, Christenthum in Wahrheit, nicht blos dem Namen nach werden wird. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

(Hier befindet sich eine Lücke in dem brieflichen Tagebuche, welches erst mit dem 28sten wieder beginnt.)


Capel Cerrig spät Abends, den 28sten Juli.


Da das Wetter sich aufklärte, und die Freunde, die ich erwartete, nicht kamen, so beeilte ich mich, die ersten Sonnenblicke zu benutzen, um noch tiefer in das Gebürge einzudringen, und fuhr daher gegen sieben Uhr Abends, ohne Diener, und nur mit einiger Wäsche, nebst einem Wechselanzug in meinem leichten Mantelsacke, versehen – in einem irländischen Carr, mit einem Pferde bespannt, dem Bergpasse von Capel Cerrig zu. Diese Wagen bestehen aus einem offnen Kasten, der auf zwei Rädern steht, auf vier horizontalen Federn ruht, und zwei einander gegenüberliegende Sitzbänke enthält, wo vier Personen bequem Platz finden. Von hinten steigt man ein, da die Thüre zwischen den Rädern angebracht ist; das Ganze ist sehr leicht und bequem.[107]

Der Moment war außerordentlich günstig. Fast eine Woche langer Regen hatte alle Wasserfälle, Flüsse und Bäche so angeschwellt, daß sie sich in ihrer größten Schönheit zeigten, Bäume und Gras hatten ihr saftiges Grün angelegt, und die Luft war rein und durchsichtig wie Crystall geworden. Ich bewunderte die reichen Massen farbiger Bergblumen und Eriken, welche in den Felsenspalten wucherten, und bedauerte, zu wenig von der Botanik zu verstehen, um sie noch mehr als mit den Augen genießen zu können. Bald indeß erreichte ich die ernsteren Regionen, wo von Blumen nur noch wenig, von Bäumen gar nicht mehr die Rede ist. An dem Wasserfall von Idwal stieg ich aus, um einen kleinen See zu besichtigen, der sich nicht übel für den Eingang des Hades passen würde.

Die trostlose Oede und Wildheit des tiefen Felsenkessels ist wahrhaft Schauder erregend. Ich hatte gelesen, daß es möglich sey, von hier über den Trivaen (der Berg mit den Basaltsäulen, von den ich Dir geschrieben), und die ihn umgebenden Felsen in gerader Linie nach Cavel Cerrig zu gelangen, die Passage war aber als sehr schwierig, jedoch auch äußerst schön geschildert. Da nun eben ein Schafhirte von den Bergen herabkam, so fühlte ich große Versuchung, mit dem Führer, den mir der Zufall so gefällig bot, diese Tour zu versuchen. Ich ließ ihm meinen Wunsch durch den Postillon verdollmetschen, er meinte aber, es sey nun schon zu spät, und das Hinuntersteigen auf der andern Seite bei Nacht zu[108] gefährlich; auf weiteres Dringen äußerte er jedoch, wenn ich ihm rüstig folgen könne, so glaube er, daß wir, bei dem zu erwartenden Mondscheine, wohl in zwei Stunden den Weg zurücklegen könnten, es gäbe aber sehr mißliche Oerter zu passiren. Ich hatte auf dem Snowdon meine Kraft zu gut wieder kennen gelernt, um mich davor zu fürchten, machte daher alles richtig, und befahl nur zur Vorsicht dem Postillon, eine Stunde auf mich zu warten, im Fall ich doch unverrichteter Sache zurückkehren müßte, und dann erst weiter auf der Landstraße nach Capel Cerrig zu fahren.

Wir mußten nun gleich von Anfang an sehr steil, über sumpfigen Boden und zwischen enormen, einzeln zerstreuten Felsenblöcken, aufwärts klettern. Es mochte ungefähr halb acht Uhr seyn. Von irgend einem gebahnten Fußwege war keine Spur, der Trivaen erhob seine grotesken Gipfel, wie eine crenelirte Mauer, vor uns, und nirgends war abzusehen, wie wir da hinüber kommen sollten. Hier thaten uns indeß die Bergschnucken wahre Liebesdienste, denn sie zeigten, vor uns klimmend, dem selbst oft ungewissen Führer, häufig die gangbarsten Stellen an. Nach einer Viertelstunde sehr ermüdenden Steigens, mit manchem schwindelnden Blick in die Tiefe, wogegen man aber bald gleichgültig wird, kamen wir auf ein kleines, nur aus einem Sumpfe bestehendes, Plateau, wodurch wir, bis an die Kniee in den weichen Moor sinkend, waden mußten. Hier war eine schöne Aussicht auf das Meer, die[109] Insel Mann, und das am Horizont dämmernde Irland. Gleich hinter dem Sumpf erwartete uns wieder ganz anderer Boden, nämlich eine vielfach gefurchte, schräg liegende, compakte Steinwand, an der wir mit Füßen und Händen hinankriechen mußten. Die Sonne war schon hinter einen seitwärts stehenden hohen Berg gesunken, und röthete jetzt die ganze wilde Gegend, wie die Wand an der wir hingen, mit dunkelrother feuriger Gluth, einer der wunderbarsten Effekte, die ich je vom Sonnenlicht gesehen. Es glich einer Theaterdekoration der Hölle. Jetzt ging es noch durch einen angeschwollenen Bergstrom, über den eingestürzte Blöcke eine natürliche Brücke geformt hatten, und dann abermals an nackten Felsen, ohne alle Beimischung von Erde, hinan, bis wir endlich den hohen Kamm erreichten, der so lange vor uns gestanden, und wo ich das Ende aller Beschwerlichkeit erwartete. Ich war daher nicht wenig betreten, als ich von neuem eine andere bergtiefe Schlucht vor mir sah, in die wir erst hinab, und dann wieder hinauf mußten, denn auf der, den kürzeren Weg zeigenden, halbmondförmigen Kante des Kammes hätte kein menschlicher Fuß lange haften können. Wir hatten nun die frühere Aussicht nach dem Meere hin ganz verloren, und sahen dagegen landeinwärts, wo das Gebürge von Wales in seiner ganzen Breite, Gipfel an Gipfel sich reihend, vor uns lag – einsam, schweigend und gewaltig! Das sterile Thal unter uns war mit nichts als umhergeschleuderten Riesensteinen angefüllt, und wahrlich:[110] die Revolution, die einst hier mit Felsen wie mit Bällen gespielt, muß ein Schauspiel für Götter gewesen seyn! Während ich, in Betrachtungen verloren, dieses Chaos anstaunte, hörte ich nahe über mir einen gellenden, mehrmals wiederholten Schrei, und sah, aufblickend, zwei majestätische Adler mit ausgebreiteten Schwingen über uns schweben, eine Seltenheit in diesen Gebürgen. Willkommen meine treuen Wappenvögel! rief ich, hier, wo es nur harte Felsen, aber keine falschen Menschenherzen gibt – wollt ihr mich wie der Vogel Rock in ein Diamantenthal entführen, oder Kunde aus der lieben fernen Heimath bringen? die Thiere schienen mit ihrem fortwährenden Rufe antworten zu wollen, leider aber bin ich in der Vögelsprache noch nicht hinlänglich bewandert, und so verließen sie mich, immer höher und höher kreisend, bis sie zwischen den Säulen des Trivaen verschwanden. Diese wiederholten Attentionen der Raubthiere für mich, sehe ich als ein gutes Zeichen an.

Es war höchst unbequem, daß ich mit meinem Führer nicht mehr als mit den Adlern sprechen konnte, denn er verstand kein Wort englich. Wir mußten uns daher nur durch Zeichen verständlich machen. Auf diese Weise zeigte er jetzt, nachdem wir eine Weile verhältnißmäßig ganz bequem hinabgestiegen waren, mit der Hand auf den Ort, wohin wir nun unsere Schritte lenken sollten. Hier waren wir an die »böse Passage« gelangt. Diese bestand nämlich in einer ganz steilen Wand, von gewiß nicht[111] weniger als 600 Fuß Tiefe, und über dieser einen fast eben so steilen Erdabhang, vom Regen abgewaschen und mit kleinen losen Steinen besäet. Ueber den letztern sollten wir, wohl 1500 Schritt lang, hinwegschreiten. Ich hätte dieses Unternehmen früher für unausführbar gehalten, von der Nothwendigkeit gezwungen, fand ich es jedoch, nach den ersten ängstlichen Schritten, ganz leicht. Es sah allerdings halsbrechend aus, aber die vielen Steine und die feuchte weiche Erde gaben einen festern Tritt als sie erwarten ließen. Ueberhaupt klingen diese Dinge auch in einer nicht übertriebenen Beschreibung immer etwas gefährlicher, als sie wirklich sind. Es ist ganz wahr, daß ein Fehltritt hier ohne Rettung Verderben brächte, aber man hütet sich eben schon vor einem solchen. So müßte man auch im Wasser ertrinken – wenn man zu schwimmen aufhörte. Wer also gehen kann, und einen festen Kopf hat, kann dergleichen ganz ohne Gefahr unternehmen.

Die Dämmerung fing nun an einzutreten, undeutlicher wurden die Berge, und unter uns lagen, wie ein Paar dampfende Suppenterrinen, die Nebel aushauchenden Seen von Capel Cerrig und Bethgellert. Wir hatten den höchsten Punkt erreicht, und eilten so viel wir konnten, nach dem ersten der genannten Seen hinab. Noch einmal durchwateten wir einen Sumpf, und kletterten wieder über Felsen hinunter, bis wir an den, am wenigsten schwierig aussehenden, und dennoch ermüdendsten Theil des Weges ankamen, eine glatte und feste Rasenalp,[112] sehr steil, und mit einem Steinuntergrund, der an manchen Stellen in weiten Platten zu Tage kam. Auf diesem abschüssigen Boden mußten wir oft ganze Stellen mehr hinabgleiten als steigen, und die Anstrengung wurde zuletzt so schmerzhaft in den Knieen, daß sowohl der Führer als ich, in der Dämmerung einigemal fielen, ohne uns jedoch Schaden zu thun. Die hohen umstehenden Berge hatten den Mond bisher verdeckt, der nun groß und blutroth über ihre Wellenlinien heraufstieg. Bald darauf verloren wir ihn jedoch wieder, und erst nahe am Ziel sahen wir ihn von neuem, jetzt goldgelb, klein und klar, sich im stillen Gewässer des See's spiegeln, an dessen Ufer unser Gasthof liegt. Der letzte Theil des Weges wurde auf ebener Landstraße zurückgelegt, und bot, im Vergleich mit dem vergangenen, eine solche Bequemlichkeit dar, daß ich darauf hätte gehend schlafen können. Es war, als wenn ich willenlose Schritte machte, von einem Uhrwerk fortgetrieben, wie die Kinderspielwerke, welche aufgezogen, unaufhaltsam auf dem Tische umherfahren. In 1¾ Stunden hatten wir die Tour vollbracht, und ganz stolz auf diese That, zog ich in Capel Cerrig ein, dessen Wirth kaum glauben wollte, daß wir den Weg in so kurzer Zeit bei Nacht zurückgelegt. Ich hatte mich in den letzten Jahren so verweichlicht, daß ich mich fast alt geworden glaubte, aber der heutige Tag bewies mir zu meiner Freude, daß ich nur Anlaß brauche, um Geist und Körper wieder frischkräftig zu fühlen, Gefahr und Beschwerde zeigten sich ohnedem immer als[113] das mir am besten zusagende Element, wenn die Umstände mir beides bescheerten.

Mein post boy war noch nicht mit dem Wagen angekommen, und ich mußte daher für den nöthigen Umzug die Garderobe des dicken Wirthes benutzen, indessen Kleidern ich seltsam genug aussehen mag, während ich, am Kamin die meinigen trocknend, Dir hier abwechselnd schreibe, und meinen Abendthee verzehre. Morgen soll ich schon um 4 Uhr aus den Federn, um – rathe was – aufzusuchen: Merlins des Zauberers Felsen, wo er dem König Vortigern die Geschichte der kommenden Zeiten prophezeihte, und wo seine Wunderschätze, der goldne Thron, das diamantne Schwerdt noch heut zu Tage in verborgenen Höhlen begraben liegen. Da gäbe es noch eine neue, weit sichere Spekulation für die Bergwerksunternehmer in London und Elberfeld!


Bethgellert, den 29sten früh.


Bewundere, liebste Julie, mit mir die Thäler Merlin's, sie sind in der That bezaubernd – aber an seinen Felsen, an Dinas Emris, werde ich gedenken! Doch laß mich in der Ordnung erzählen.

Ich stand also, obgleich erst um 1 Uhr zu Bett gegangen, pünktlich um 4 Uhr auf, und in 10 Minuten war ich reisefertig, denn sobald man Diener und Luxus abgestreift, geht alles leichter und schneller[114] von statten. Das gute Wetter hatte sich bereits wieder in den gewöhnlichen Nebel dieser Gebirge verwandelt, und mein Regenschirm, den ich gestern als Alpenstock gebraucht, that mir heute, als Obdach, gute Dienste im offenen Wagen, so wie mein alter 15jähriger Mantel, die geehrte Reliquie, in dem ich die Franken mitbekriegen half, und den aus hohem Luftballon ich einst mit allen übrigen Ballast hinabwerfen mußte, um die Luftfahrt nicht im Wasser zu enden.

Im Anfang war die Straße ziemlich todt und uninteressant, bis wir an den Fuß des Snowdon kamen, der, obgleich eine Wolke unter ihm uns beregnete, sein Haupt doch zu derselben Zeit großmüthig enthüllte. Er sieht an dieser Stelle besonders majestätisch aus, da er sich fast senkrecht aus dem tiefen Thal von Gwynnant erhebt, das hier seinen Anfang nimmt. Dieses reich bewässerte Thal verbindet die blühendste Vegetation mit den erhabensten Ansichten. Die höchsten Berge von Wales gruppiren sich um dasselbe in mannigfaltigen Formen und Farben. Der Fluß, welcher es durchströmt, bildet in seinem Lauf zwei Seen, die nur wenig Breite, aber desto mehr Tiefe haben, denn das Thal ist durchgehends eng, welches die Größe der Kolossen darum her desto mehr hervorhebt. In dem üppigsten Theile desselben besitzt ein Kaufmann aus Chester einen Park, den er nicht mit Unrecht »das Elysium« benannt hat. An einem hohen, dicht mit Wald bedeckten Bergrücken, aus dessen dunklem Grün vielfache, in seltsamen Gestalten[115] wetteifernde Felsen hervortreten, steht über dem Bergstrom auf lichter Wiese die anspruchlose, freundliche Villa. Vor ihr breitet sich in der Tiefe der See aus, und hinter diesem schließt Merlins, ganz isolirt dastehender, Wunderfelsen scheinbar das Thal, welches hier eine jählinge Biegung macht. Doppelt unvergeßlich bleibt mir Dinas Emris, einmal wegen seiner romantischen Schönheit, und zweitens, weil ich auf ihm wörtlich zwischen Leben und Tod hing. Obgleich nicht höher als 4 – 500 Fuß, wird er doch nur von einer Seite als ganz zugänglich angesehen. Ich hatte einen kleinen Knaben als Führer mitgenommen, der aber, an Ort und Stelle angekommen, seiner Sache nicht recht sicher schien. Der Weg, den er durch das Eichengestrüpp nahm, schien mir gleich vom Anfang an, wegen seiner ungemeinen Steilheit verdächtig, indessen beruhigte er meine Besorgniß in gebrochenem Englisch, und ich konnte nichts andres thun, als der kleinen Gemse, so gut als möglich, folgen. Merlin schien uns zu zürnen, es hatte sich ein heftiger Wind erhoben, und die Sonne, die uns einen Augenblick angeglänzt, lagerte sich hinter schwarze Wolken, das lange nasse Gras aber, welches über die Steinblöcke hing, machte das Klettern sehr gefährlich. Den barfußen kleinen Jungen focht dies indeß nicht sehr an, desto mehr meine von gestern noch etwas steifen Glieder. Je höher wir uns empor arbeiteten, je steiler wurden die Felsen, oft war es nur, mit Hülfe der aus den Spalten wachsenden Sträucher, und den Blick hinter[116] sich beßtens vermeidend, möglich, sich hinaufzuschwingen. Endlich bemerkte ich, daß der Knabe selbst ganz unschlüssig ward, und, auf dem Bauche kriechend, sich bald nach der, bald nach jener Richtung ängstlich umsah. Wir wandten uns nun noch durch einige Spalten rechts und links, und standen dann plötzlich auf der Spitze einer glatten hohen Wand, mit kaum so viel Raum, um den Fuß darauf zu setzen, und über uns nichts, als eine ähnliche Felsmauer, blos mit einzelnen Grasbüscheln bewachsen, welche zum Gipfel führte, den sie überall zu umziehen schien.

Der Anblick war entmuthigend, das Kind fing an zu weinen, und ich überlegte mit klopfendem Herzen, was zu thun sey. Gern, ich gestehe es, wäre ich wieder zurückgeklettert, und hätte Merlins Felsen allen Hexen und Gnomen überlassen, wenn ich es für möglich gehalten hätte, ohne Schwindel da wieder hinunter zu kommen, wo wir heraufgestiegen, oder nur denselben Weg wieder aufzufinden. Vor uns war keine Aussicht weiter zu gelangen, als die Mauer auf gut Glück zu eskaladiren. Der Knabe, als der Leichtere und Gewandtere, mußte also voran, ich folgte ihm auf dem Fuße, und an die Grasbüschel als einzige Stütze uns haltend, Hände und Füße wie Klauen in jede kleine Fuge einschlagend, erstiegen wir so, zwischen Himmel und Erde hängend, glücklich die halsbrechende Zinne. Ich war gänzlich erschöpft, als ich oben ankam, und fast ohnmächtig.[117] Ein Kühnerer mag über mich spotten, aber wenn ein Grasbüschel, eine Wurzel in meiner Hand jetzt zu wanken schien, und loszureißen drohte, ehe ich mich noch daran hinaufgeschwungen, fühlte ich, was Entsetzen heißt. Als ich nun, tiefathmend, auf dem Rasen lag, erblickte ich eine große schwarze Eidechse, mir gegenüber gelagert, die mich höhnisch anzublinzeln schien – als sey sie der boshafte Zauberer selbst im Morgennegligé. Ich ließ sie indeß gern gewähren, und war guter Dinge, so wohlfeilen Kaufs davon gekommen zu seyn, obgleich ich dem kleinen »Imp,« der mich, wie ein neckender Berggeist, in die Gefahr gebracht, mit allen Schrecknissen drohte, wenn er nicht zur Rückkehr den rechten Weg ausfindig mache. Während seiner Abwesenheit besah ich die Ueberreste der Area, wie sie hier genannt wird, die demolirten Mauern, wo


»Prophetic Merlin sat, when to the British King

Te changes long to come, auspiciously he told.«


In dem Steinhaufen wühlte ich umher, in die verfallnen Gewölbe kroch ich – aber auch mir blieben, gleich andern guten Leuten, die Schätze verborgen! Ohne Zweifel war der rechte Moment noch nicht gekommen – dafür aber erschien frohlockend der Knabe, und rühmte die Schönheit des endlich aufgefundenen Weges. War dieser nun auch nicht ganz so eben und leicht wie der der Sünde, so gehörte er doch wenigstens nicht zu den inaccessiblen, wie der frühere. Merlins Ungnade verfolgte uns aber noch ferner in strömenden Regengüssen, die mich hier in[118] Bethgellert wieder zwingen, den Kamin zur Trockenanstalt zu benutzen. Gar anmuthig ist der unter hohen Bäumen völlig versteckte Gasthof, in dem ich ruhe. Nur vor meinem Fenster grünt eine frischgemähte Wiese, und dahinter brüstet sich ein ungethümer Berg, von oben bis unten mit hochrother Erica bedeckt, die, ohngeachtet des Streifregens und des bedeckten Himmels, wie das Morgenroth leuchtet. Indeß man mein Mittagsessen bereitet (denn ich esse heute, wie Suwaroff, früh 8 Uhr zu Mittag) spielt ein Harfner, bescheidnes Ueberbleibsel der welschen Barden, originelle Weisen auf seinem uralten Instrument. Er ist blind, und auch sein Hund ist blind, der unermüdlich aufwartend neben ihm auf den Hinterbeinen steht, bis man seinem Herrn ein Stück Geld und ihm ein Stückchen Brod gespendet. Beth Gellert heißt Gellerts Grab, denn Bett und Grab wird poetisch in der welschen Sprache durch dasselbe Wort ausgedrückt. Daß hier nicht von dem deutschen Prosaiker die Rede ist, hat Dein Scharfsinn ohne Zweifel schon errathen, es handelt sich ganz im Gegentheil nur um die Ruhestätte eines Windhundes, dessen Geschichte aber so rührend ist, daß ich sie Dir erzählen will, sobald mein déjeuné dinatoire wieder abgetragen seyn wird, denn die Angst auf dem behexten Felsen hat mich verzweifelt hungrig gemacht.


[119] Après diné


Die versprochene Geschichte also ist folgende:


Llewellin der Große, Prinz über Wales, hatte einen Lieblingshund, mit Namen Gellert, ein Schrecken der Wölfe, aber die Freude seines Herrn. Als Llewellin sich indeß später mit einer jungen und schönen Gemahlin vermählte, trat der Hund, wie billig, in den Hintergrund, blieb jedoch, wenn auch weniger geliebt, mit Hundestreue (car les hommes ne sont pas si bêtes!) seinem Herrn stets mit gleicher Anhänglichkeit ergeben. Llewellin's innigste Wünsche wurden erhört, und ein holder Knabe krönte sein eheliches Glück. Ueberall mußte nun dem überseligen Vater der Säugling folgen, dessen Wiege immer neben seinem eignen Lager aufgeschlagen stand. Einst hatte, auf einer Jagdstreiferei im wilden Gebirge, die Fürstin, durch Unpäßlichkeit verhindert, ihren Gemahl nicht begleiten können, dennoch durfte sein Sohn, von einer Amme gewartet, ihn nicht verlassen. Man hatte in einer schlechten Hütte übernachtet, und früh auf die Jagd ausziehend, übergab Llewellin den Knaben auf die wenigen Stunden der Amme und der Wache seines treuen Gellert, keine Gefahr für ihn, in dem tiefen Frieden, der damals im Lande herrschte, besorgend. Die Amme, von gleicher Sicherheit bethört, benutzte schnell die Freiheit, ihren nahen Liebhaber zu sehen, nur der Hund folgte streng gehorsam seiner Pflicht. Er war dadurch des Knaben Retter – denn ein[120] Wolf, die Einsamkeit des Hauses bemerkend, hatte sich herangeschlichen, und mochte schon das schlafende Kind als sichere Beute ansehen, als Gellert hervorsprang, und nach langem Kampfe, selbst schwer verwundet, den Feind bezwang und tödtete. Im Blute schwimmend, legte er sich zu der Wiege Füßen, abwechselnd des Knaben zarte Händchen und seine eignen Wunden leckend. In diesem Augenblicke kehrt Llewellin, noch mit dem Jagdspieß in der Hand, zurück, tritt in das Zimmer, und sieht mit Entsetzen die Stube, seinen Sohn mit Blut bedeckt, und den Hund über die Wiege gebeugt. Von Schreck und Zorn bethört, glaubt er, dieser habe sein Kind gemordet, und wüthend stößt er ihm den widergehackten Spies in die treue Brust. Die Augen klagend auf seinen Herrn gerichtet, und in letzter Unterwürfigkeit noch einmal liebkosend mit dem Schweife wedelnd, verschied mit einem herzzerreißenden Schmerzensschrei das arme Thier – und kaum war sein letzter Seufzer verhallt, als Llewellin den getödteten Wolf, ausgestreckt am Boden, und seinen Sohn, sanft lächelnd, in der Wiege erblickte. Der Sage nach, verfolgte seitdem des treuen Gellert's Schmerzenslaut den betrübten Fürsten bei Tag und Nacht, so daß er zu seinem Andenken ein Monument erbaute, auf dessen Platz noch jetzt eine alte gothische Kirche steht, und wo er lange strenge Bußübungen verrichtete. Später wollte er sogar seine neue Burg auf dem nahen Merlin's Felsen aufführen lassen, aber nimmer konnte er sie zu Stande bringen. Was[121] am Tage gebaut war, fand man in der Nacht wieder in die Erde gesunken – nie erlaubte, damals und seitdem, der neidische Zauberer, durch fremde Behausung seinen Wohnplatz zu entweihen.

Die Sonne scheint wieder, denn hier dauert der April das ganze Jahr, et je pars. Adieu.


Caernarvon, den 30sten.


Während meines Diner's in Bethgellert hatte ich den Harfner fleißig aufspielen lassen, und mich, wie ein Kind, mit seinem Hunde amüsirt, dem das Stehen auf zwei Beinen so zur andern Natur geworden war, daß er noch besser wie der gerupfte Hahn, als Platonischer Mensch hätte figuriren können. Die vollkommene Aisance seiner Stellung und sein ernstes Gesicht dabei, hatten etwas so Lächerliches, daß man ihm nur in Gedanken einen Unterrock überzuziehen, und eine Tabaksdose in die Pfote zu geben gebraucht hätte, um darauf zu schwören, es sey eine alte blinde Dame. Wie dieser Hund dem heroischen Gellert, so mögen auch die modernen Welschen den alten gleichen. Ohne die Energie und Betriebsamkeit der Engländer, noch weniger von dem Feuer der Irländer beseelt, vegetiren sie arm und im Verborgenen zwischen Beiden. Die Einfachheit der Berge aber ist ihnen geblieben, und sie sind weder so grob, noch prellen sie so unverschämt wie die Schweizer. Point d'argent, point de Suisse ist hier noch nicht anwendbar.[122] Im Gegentheil lebt man so wohlfeil, daß bankerotte Engländer häufig hier ihre Lebenstage beschließen, wo sie freie Jagd, den Gebrauch eines Pony, nebst guter Kost und Wohnung, für 50 Guineen des Jahres finden können.

Die Umgebung von Bethgellert ist die letzte Fortsetzung des herrlichen Thales, welches ich Dir beschrieben, und das in diesem Augenblicke durch hundert Wasserfälle belebt wird, die in allen Bergschluchten sich, weiß und schäumend wie Milch, herabstürzen. Eine halbe Stunde hinter dem Dorfe treten die Felsen so eng zusammen, daß kaum noch Platz für Strom und Weg neben einander übrig bleibt. Hier wölbt sich die Teufelsbrücke, und schließt das Thal, oder vielmehr die Schlucht, in die es läuft. Von nun an nähert man sich wiederum dem Meere, und die Gegend nimmt eine Zeit lang einen lachenden Charakter an. In zwei Stunden erreichte ich das von den Touristen so viel besuchte Thal von Tan-y-bwlch (Tannibulck), dessen Hauptmerkwürdigkeit ein schöner Park ist, auf zwei felsigen mit Hochwald bewachsenen Bergen ausgebreitet, zwischen welchen ein reißender Bach strömt, der mannichfaltige Cascaden bildet. Die Promenade in dieser Anlage ist vortrefflich geführt, um in gehöriger Gradation und Abwechslung auf die verschiedenen Aussichtspunkte zu gelangen, wo bald in der Ferne eine Insel im Meere, dann ein naher Abgrund mit dem schäumenden Wasserfall, jetzt ein entfernter Pik, oder später eine einsame Felsenpartie unter der Nacht uralter Eichen sichtbar wird.[123] Ich wanderte über eine Stunde lang auf diesen Gängen, war aber sehr verwundert, das Ganze in solchem Grade vernachlässigt zu finden, daß ich an den meisten Stellen im hohen Grase waten, und mich durch die verwachsenen Pflanzungen durcharbeiten mußte. Auch das Wohnhaus schien verfallen. Später erfuhr ich, daß der Besitzer sein Vermögen in London im Spiel eingebüßt! Da ich fürchtete, zu viel Zeit zu verlieren, gab ich den Besuch von Festinoig und seiner berühmten Wasserfälle auf, nahm einen frischen sociable4 und Pferde beim Wirth, und machte mich nach dem 10 Meilen entfernten Tremadoc auf, eine sehr belohnende Fahrt, obgleich der Weg der schlechteste war, den ich noch in Groß-Britannien angetroffen. Einige Meilen führt er im Meere fort, nämlich in einem Theil desselben, welchen ein reicher Particulier, Hr. Maddocks, durch einen ungeheuern Damm abgeschnitten, und dadurch ein fruchtbares Terrain von der Größe eines Ritterguts, gewonnen hat. Von diesem Damme, welcher 20 Fuß hoch und zwei Meilen lang ist, genießt man eine der prächtigsten Aussichten. Das abgeschnittene Becken formt einen fast regelmäßigen Halbzirkel, dessen Wände von dem ganzen Amphitheater des Gebirges gebildet zu seyn scheinen. Hier hat der Kunstfleiß des Menschen den Schleier vom Meeresboden hinweg gezogen, und statt der Schiffe zieht der Pflug seine Furchen durch die weite Fläche – aber links deckt noch der unermeßliche Ocean[124] alle Geheimnisse seiner nie ergründeten Tiefe mit schäumenden Wasserbergen zu. Die Küste endet für das Auge in geringer Ferne mit einem kühnen Felsenvorsprung, auf dem die Ruine des alten Schlosses Harlech mit fünf verfallenen Thürmen über die Fluthen hinaushängt. Vorn, am Ende des Dammes, öffnet sich dagegen ein freundlich stilles Thal, unter hohen Bergen gelagert, mit einem kleinen, aber belebten Hafen, neben welchem Tremadoc sich an die Felsen schmiegt.

Uebrigens würdest Du, Herzens-Julie, Dich schwerlich entschließen können, über diesen Damm zu fahren, da seine Beschaffenheit sich eigentlich nur für Fußgänger eignet. Er ist, wie schon erwähnt, 20 Fuß hoch aus roh übereinander gethürmten, spitzen und kantigen Schieferblöcken steil aufgeführt, und oben nur 4 Ellen breit, ohne irgend etwas, das einer Lehne ähnlich sähe. Mit Wuth stürmt auf der einen Seite die Brandung gegen ihn, und scheuten davor die Pferde, so stürzte man ohnfehlbar in die gleich Piken aufgerichteten Schieferspitzen. Die Bergpferde allein können solche Pfade sicher passiren, da sie die Gefahr zu beurtheilen scheinen, und mit ihr vertraut sind. Demohngeachtet sieht man hier selten einen Wagen; nur eine Eisenbahn für Steinkarren führt über den Damm, welche das Fahren mit anderm Fuhrwerk noch bedeutend erschwert.

Tremadoc selbst steht auf früher durch eine gleiche Operation gewonnenem Meeresgrund. Es ist auffallend, wie ähnlich dieser, erst seit einigen Jahrhunderten[125] Land gewordene, Strich auf die kurze Distanz den nördlichen Sandgegenden Deutschlands ist, welche vielleicht auch zum Theil kaum über ein Jahrtausend vom Meere frei wurden. Das Städtchen selbst und seine Einwohner, als wenn gleicher Boden auch gleichen Menschencharakter hervorbrächte, war eben so vollkommen den traurigen Oertern jener Länder verwandt. Oede und vernachlässigt, schmutzig, die Menschen schlecht gekleidet, der Gasthof nicht besser als ein schlesischer, und nicht weniger unreinlich, und um nichts fehlen zu lassen, auch die Postpferde, welche ich bestellte – auf dem Felde, so daß ich sie erst nach anderthalb Stunden erlangen konnte. Wie sie endlich kamen, entsprach ihr Aussehen, der schlechte Zustand der Geschirre, wie die Tracht des Postillons, eben so treu dem angeführten Modell. Dies gilt jedoch nur von diesem, der See abgewonnenen, Distrikt; sobald man eine halbe Stunde weiter gefahren ist, und die umgebenden Höhen wieder erreicht, ändert sich die Gegend von Neuem zum Fruchtbaren und Schönen um. Sie hatte freilich das Wilde und Gigantische der frühern verloren, aber nach dem langen Aufenthalt in den Felsenmassen that mir dieser Anblick wohl, da überdem heute der heiterste und klarste Abend die Landschaft beleuchtete. Die Sonne glänzte so golden auf den smaragdfarbigen Wiesen, bebuschte Hügel lagerten sich so friedlich, wie zur Ruhe, um ein cristallhelles Flüßchen, und einzelne Hütten hingen so einladend an ihren schattigen Abhängen, daß man sich gleich für immer dort hätte niederlassen mögen![126] Ich war dem Wagen zu Fuß vorangegangen, und überließ mich, unter einem hohen Nußbaum, auf weichem Moose ruhend, mit Wonne meinen Träumereien. Wie sprühende Funken blitzte das Abendlicht durch die dichtbelaubten Zweige, und hundert kleine freudig wimmelnde Insekten spielten in den rothen Strahlen, während im Wipfel der laue Wind in Melodieen säuselte, die dem Eingeweihten verständlich sind, der ihnen mit süßem Entzücken lauscht. – Der Wagen kam – noch einmal warf ich den sehnsüchtigen Blick auf das tiefblaue Meer, noch einmal sog ich den Duft der Bergblumen in mich – dann zogen die Pferde den Zögernden rasch in das flache Land hinab.

Von nun an hörte alles Romantische des Weges in einer wohlbebauten Gegend gänzlich auf, bis sich in der Abenddämmerung die Thürme von Caernar- von Castle über den Waldspitzen zeigten. Hier gedenke ich nun einige Tage auszuruhen, nachdem ich an dem heutigen, von 4 Uhr früh bis Abends 10 Uhr, theils zu Wagen, theils zu Fuß, 72 englische Meilen zurückgelegt habe.


Den 1sten August.


Diesen Morgen erhielt ich Briefe von Dir, die mich traurig stimmen! Ja wohl hast Du Recht – eine harte Prüfung des Schicksals war es, die das heiterste und ruhigste Glück, das vollkommenste Einverständniß[127] stören, und die am besten in der Welt zusammenpassenden Gemüther – beide noch obendrein im behaglichen Schooße ihrer beiderseitigen Steckenpferde – wie ein Sturm das friedliche Meer aufregen, von einander reißen, ja auf eine Zeit fast geistig zerstören mußte, den einen Theil zu rastloser Wanderung, den andern zu trostarmer Einsamkeit, beide zu Kummer, Sorge, Schmerz und Sehnsucht verurtheilend! Aber war der Sturm nicht vielleicht unumgänglich nöthig für die Meerbewohner, wäre die nie bewegte Luft ihnen nicht vielleicht noch verderblicher geworden? Lasse uns also nicht übermäßig trauern, nichts Vergangenes bereuen, was immer eitel ist – nur vorwärts zum Bessern laß uns streben, und auch im schlimmsten Falle nicht uns selbst verlieren! Wie oft aber sind die eingebildeten Uebel, die schwersten zu ertragen! welche brennende Schmerzen erregt gekränkte Eitelkeit, welche peinigende Scham-Begriffe falscher Ehre. Es geht mir nicht besser, und oft möchte ich mir beinah Falstaffs Philosophie über dieses Capitel wünschen. Die Natur hat mir indessen ein anderes kostbares Geschenk verliehen, was ich Dir mittheilen zu können, mich glücklich schätzen würde. Ich finde in jeder Lage schnell, und fast instinktmäßig, die gute Seite derselben auf, und genieße diese mit einer Frische des Gefühls, einer kindlichen Weihnachtsfreude an Kleinigkeiten, die gewiß bei mir nie veralten wird. Und wo wäre nicht auf die Länge Gutes dem Uebeln überwiegend beigemischt? Diese Ueberzeugung aber ist der Grundstein meiner[128] Frömmigkeit. Unendlich sind die Gaben Gottes, und man könnte fast sagen: es ist nicht zu verantworten, wenn wir nicht glücklich sind. – Wie sehr wir es wirklich selbst in der Gewalt haben, kann jeder sehen, wenn er auf sein vergangenes Leben zurückblickt, und sich da überzeugen muß, wie er fast alles Uebele so leicht hätte zum Guten wenden können. Wie ich Dir früher und oft sagte: Wir machen unser Schicksal selbst – aber freilich uns selbst haben wir nicht gemacht, und da liegt eine weite, unbekannte Vergangenheit, über die jedoch sich den Kopf zu zerbrechen zu nichts führen würde. Es thue nur jeder sein Möglichstes, mit frischem Muthe die äussern Dinge dieser Welt ohne Ausnahme leicht anzusehen, weil die Dinge dieser Welt wirklich leicht wiegen, im Guten wie im Schlimmen. Eine bessere Waffe giebt es nicht, nur muß man deßhalb die Hände nicht in den Schooß legen. Dein weiblicher Fehler, gute Julie, ist bei üblen Zeiten, mit einer schwachen Art Frömmigkeit, Dich auf den lieben Gott und seine Hülfe als Deus ex machina allein zu verlassen. Damit aber geht man, wenn diese Hülfe endlich doch ausbleibt, sicher zu Grunde. Doch kann Beides, frommes Hoffen und rüstiges Thun sehr wohl mit einander bestehen, und kein Zweifel sogar, daß dann das erste das zweite gar sehr erleichtert; denn ist auch jene Art Frömmigkeit, wie sie die Welt gewöhnlich versteht, jene sichere Zuversicht auf irdischen besondern Schutz von oben, jenes Bitten um Güter oder gegen Uebel, nur eine Selbsttäuschung – so ist es doch[129] eine wohlthätige, ja in unsrer Natur vielleicht begründete, wie wir deren so vielen unterworfen sind, und die ohnedem, wenn wir wahrhaft an sie glauben, auch für uns zur individuellen Wahrheit werden. Es scheint, unsre Natur habe das Vermögen, da wo die Wirklichkeit nicht mehr ausreicht, uns eine eingebildete selbst gemachte, als helfende Stütze, schaffen zu können. So giebt fromme Zuversicht auf speziellen Schutz, selbst in jeder Form des Aberglaubens, Mut. Wer mit der Ueberzeugung in die Schlacht geht: durch einen Talisman feuerfest zu seyn, – der kehrt sich an die Kugeln nicht mehr; höher aber noch wirkt der Enthusiasmus für Ideen, die unser Ich gebietend über die Außenwelt stellen, und so begeistert sah man oft religiöse Schwärmer die unerträglichsten körperlichen Schmerzen an sich mit wahrer Wunderkraft vernichten. So bilden sich auch Leidende und Gedrückte beseligende Hoffnungen einer künftigen Glückseligkeit, die sie schon hier entschädigt – alles Wirkungen des mächtigen Triebes der individuellen Selbsterhaltung im weitesten Sinne, der das oben erwähnte Vermögen unsrer Natur in Anwendung bringt, sobald er es gebraucht – daher endlich bei schwachen Charakteren die, zwar an sich ganz nutzlosen, aber sie doch beruhigenden Bekehrungen auf dem Todbette. Jeder muß am Ende diesem Bedürfniß in einer oder der andern Form seinen Tribut bezahlen, d.h. jeder macht sich seinen irdischen Gott, und dies ist auch eine sich immer wiederholende Menschwerdung Gottes. Die Vorstellung des alliebenden[130] Vaters ist im Allgemeinen gewiß die schönste dieser Bildungen, über die hinaus wir auch menschlich nicht weiter steigern können, und man muß es gestehen, die bloße Idee des zum Unbegreiflichen, Unnennbaren, höchsten Prinzips aller Dinge Vergeistigten, so zu sagen Verflüchtigten, erwärmt das fühlende, seiner Schwachheit sich bewußte, Menschenherz nicht mehr mit derselben Innigkeit. Uebrigens scheint mir oft Alles was den Menschen und die Natur ausmacht, nur auf zwei Haupt-Elemente sich zurückführen zu lassen: Liebe und Furcht, die man auch Göttliches und Irdisches nennen könnte. Alle Gedanken, Gefühle, Leidenschaften und Handlungen entstehen hieraus, entweder aus dem einen, oder der Mischung beider Prinzipien. Liebe ist die göttliche Ursach aller Dinge, Furcht scheint die irdische Erhalterin. Die Worte: »Ihr sollt Gott lieben und fürchten, müßte man nur so erklären, oder sie würden keinen Sinn haben – denn ungemischte Liebe kann nicht fürchten, weil sie das Gegentheil von allem Egoismus ist, ja sie wird, wo sie wahrhaft uns beseelt, eins mit Gott und dem Weltall, und wir haben Momente, wo wir dieses fühlen.«

Wenn ich den Maßstab jenes ausgesprochenen Satzes an alle menschliche Handlungen lege, finde ich ihn überall bestätigt. Liebe befruchtet, Furcht erhält, und zerstört – auch in der ganzen Natur sehe ich das Prinzip der Selbsterhaltung oder Furcht (es ist eins und dasselbe) auf das, was wir in der menschlichen Moral böse nennen müssen, nämlich: auf die[131] Vernichtung einer andern Individualität, gegründet. Ein Geschlecht lebt immer von der Zerstörung des andern, Leben entsteht nur durch Tod, bis in alle Ewigkeit der Erscheinung, welche grade auf diese Art Einheit im fortwährenden Wechsel bleibt.

Es ist auch der Bemerkung werth, daß diese Furcht, obgleich uns Allen zu unserm irdischen Bestehen so unumgänglich nöthig, dennoch, selbst hier, von unserm göttlichen Theile so sehr gering geschätzt wird, daß fast kein mögliches Verbrechen uns so tiefe Verachtung einflößt als Feigheit. Nichts bezwingt dagegen die Furcht besser, als eine große Idee, die aus dem Reiche der Liebe entsprießt. Auch Andere reißt man, so beseelt, dann mit sich fort, und ganze Völker werden davon, sich aufopfernd, ergriffen, wenn gleich nichts Irdisches ganz rein von Beimischung des niedrigeren Prinzips sich erhalten kann. Furcht also wird, in der Zeit und im Raume, Liebe ist, und kennt keine Zeit noch Raum. Die Liebe ist unendlich und selig, die Furcht stirbt eines ewigen Todes. Die Liebe ist Gott, die Furcht ist der Teufel – und ihm gehört bekanntlich die Erde zur größern Hälfte.


K . . . . Park, den 2ten August.


Bei meiner Rückkehr nach Bangor machte ich gestern die Bekanntschaft des Besitzers von Peurhyn Castle (dem schwarzen Sachsenschloß, das ich Dir beschrieben), ein Mann, der in der Bauleidenschaft mir wahlverwandt ist. Schon 7 Jahr wird an dem Schloß[132] gearbeitet, wozu jährlich 20 000 L. St. ausgesetzt sind, und noch vier Jahre mehr vielleicht wird es bis zur Vollendung brauchen. Während dieser Zeit lebt der reiche Mann mit seiner Familie in einer höchst unansehnlichen gemietheten Cottage in der Nähe, mit wenig Leuten umgehend, aber sich wöchentlich einmal an der Besichtigung seiner Feenburg weidend, die er, an so einfaches Leben gewöhnt, wahrscheinlich nie zu bewohnen sich entschließen können wird. Es schien ihm viel Freude zu machen, mir Alles zu zeigen und zu erklären, und ich empfand nicht weniger Vergnügen bei seinem Enthusiasmus, der dem sonst kalten Manne wohl anstand.

Um einer Einladung zu folgen, die ich in London erhalten, und die mir seitdem dringend wiederholt worden war, reiste ich heute früh hieher. Die Straße führt zuerst in der fruchtbaren Aue, zwischen der See und dem Fuß des Gebirges hin, zuweilen mit einer sich plötzlich öffnenden Bergschlucht, und reißenden Waldbächen, die eilig dem Meere zueilen. Am Penman Mawrs verengt sich aber der in den Felsen gesprengte Weg zu einem schwierigen Paß, dessen linke Seite, 500 Fuß hoch, senkrecht und überhängend zu den Wellen hinabsinkt. Eine sehr nothwendige Mauerbrüstung schützt die Wagen. Ich saß auf meiner Imperiale, einen Platz, den ich bei gutem Wetter häufig einnehme, und genoß hier die weite Seeaussicht in völliger Freiheit. Der Wind sauste dazu durch alle Töne, und mit Mühe erhielt ich meinen Mantel. Nach einer Stunde erreichte ich Conway, dessen Lage[133] eine der reizendsten ist. Hier befindet sich das größte jener festen Schlösser, die alle Eduard gebaut und Cromwell zerstört hat. Es ist zugleich das, welches durch Umgebung wie eigne Schönheit, am romantischsten erscheint.

Die Umfangsmauern, obwohl verfallen, stehen noch sämmtlich, mit allen ihren Thürmen, deren man bis 32 zählt. Die ganze neuere Stadt, ein seltsames aber nicht unmalerisches Gemisch von Altem und Neuem, findet Platz im Bezirk dieser Mauern. Seit Kurzem hat man über den Fluß Conway, an dessen Felsenufern das Schloß steht, eine Kettenbrücke, mit Pfeilern in Gestalt gothischer Thürme, gebaut, die das Grandiose und Fremde des Anblicks noch vermehrt. Die Umgegend ist herrlich, bewaldete Berge stehen den Ruinen gegenüber, und noch höhere ragen über sie hervor. Mehrere Landhäuser zieren die Abhänge, unter andern eine allerliebste Villa, die eben zum Verkauf ausgeboten ist, und den verführerischen Namen »Zufriedenheit« (Contentment) führt. In dem Schloß sieht man noch die imposanten Rudera der Banquethalle mit zwei haushohen Kaminen, und die königlichen Zimmer. Im Closet der Königin wird ein ziemlich gut erhaltner und schön gearbeiteter Betaltar, so wie ein prachtvolles Orielwindow bewundert. Auch in der Stadt befinden sich sehr merkwürdige alte Gebäude, mit wunderbaren, phantastischen Holzhieroglyphen. Das eine dieser Häuser wurde, wie ein Grabstein in der Kirche besagt, von einem gewissen Hookes im 14ten Jahrhundert erbaut, welcher der[134] ein und vierzigste Sohn seines Vaters war, in der Christenheit ein seltnes Beispiel! Ein großes Windelkind, von einem Storche getragen, und in altem Eichenholz geschnitzt, war daher auch so oft wie möglich als Zierrat auf den Wänden angebracht. In gastronomischer Hinsicht ist Conway ebenfalls preiswürdig. Es giebt hier einen Fisch, dessen eben so zartes, als festes Fleisch äusserst wohlschmeckend ist. Er heißt Place (Platz) ein recht passender Name, als rief er: Platz für mich, der besser ist als ihr übrigen! Auch wünschte ich ihm öfter den Ehrenplatz an meinem Tische einräumen zu können. – Noch bei guter Zeit verließ ich Conway, über die Kettenbrücke fahrend, der das zerstörte Schloß zum ehrwürdigen Stützpunkte dient. Die ungeheuren Ketten verlieren sich so abenteuerlich in den felsenfesten Thürmen, daß man das Neue kaum bemerken würde, wenn nicht unglücklicherweise gegenüber ein Chausseehaus, ebenfalls in der Form einer diminutiven Burg, aufgebaut worden wäre, das sich wie der Harlekin der großen ausnimmt. Je mehr man sich St. Asaph nähert, je milder wird der Anblick des Landes. In einer fast nicht zu übersehenden halbrunden Bucht bespült das ruhige Meer fruchtbare Felder und Fluren, reichlich mit Städten und Dörfern untermengt. Alle Landbesitzer scheinen hier dem gothischen Geschmack zu huldigen. Diese Manier war so weit getrieben, daß selbst eine Schenke an der Straße mit Fallthoren, Schießscharten und Créneaur versehen war, obgleich es keine andere Besatzung als Hühner und Gänse zu schützen gab. Hier wäre[135] Don Quixotte zu entschuldigen gewesen, und der Wirth thäte gar nicht übel, wenn er den Ritter von der traurigen Gestalt mit eingelegter Lanze und Barbierbecken, zum Aushängeschild erwählte.

Weiter hin schien ein ganzer Bergrücken mit einer gothischen Stadt bedeckt. Es machte von weitem einen so auffallenden Effekt, daß ich mich verleiten ließ auszusteigen, und den beschwerlichen Weg hinanzuklimmen. Lächerlich und verdrießlich war es zugleich, als ich fand, daß der Kern der Spielerei nur ein kleines sich durch nichts auszeichnendes Haus war, das Uebrige aber bloß verschiedene, auf den Berg und Felsenabhängen errichtete Mauern, die bald Thürme, bald Dächer, bald Zinnen von großen Dimensionen, halb im Walde versteckt, nachahmten, von nahen aber nur dazu dienten, eine Menge Frucht- und Küchengärten einzuschließen. Ein Glückspilz, ein durch Zufall reich gewordener Shop Keeper, hatte diese harmlose Raubveste, wie man mir sagte, vor zwei Jahren erbaut; eine wahre Satyre auf den herrschenden Geschmack!

Gegen Abend langte ich bei meinem guten Obristen an, einem ächten Engländer im besten Sinne des Worts, der mich mit seiner liebenswürdigen Familie auf das freundlichste empfing. Diese wohlhabenden (bei uns würde man sie sehr reich nennen) und angesehenen Gutsbesitzer, die sich nicht in London zu ängstlich zur Fashion drängen, aber die Liebe ihrer Nachbarn und Untergebnen zu erwerben suchen; deren Gastfreundschaft nicht bloße Ostentation, und[136] deren Sitten weder exclusive noch ausländisch sind, sondern die in einer civilisirten und durch Reichthum verschönten Häuslichkeit ihren Genuß, in strenger Rechtlichkeit ihre Würde finden – bilden die wahrhaft respektabelste Klasse der Engländer. In der großen Welt Londons spielen sie zwar nur eine unbedeutende, in der Menschheit aber gewiß eine ehrwürdige Rolle. Leider ist jedoch in England die Uebermacht und Arroganz der Aristokratie, und über dieser noch die der Mode, so herrschend und gewaltig, daß selbst solche Familien wie die hier geschilderten, wenn sie mein Lob läsen, sich wahrscheinlich weniger dadurch geschmeichelt fühlen würden, als wenn ich sie unter denen, die den Ton angeben, aufführen könnte. Wie weit hierin die Schwäche bei den würdigsten Leuten in England geht, kann man kaum glauben, ohne es erfahren und alle Klassen der Gesellschaft davon auf die lächerlichste Weise angesteckt gesehen zu haben. Doch ich habe Dir aus dem Foyer der europäischen Aristokratie über dieses Capitel genug geschrieben, und will mich daher hier nicht wiederholen. Ueberhaupt ist es wohl Zeit, diesen Brief zu schließen, da ich ohnedem fürchte, unsre Correspondenz könnte Dir am Ende zu lang vorkommen – denn wenn auch das Herz nicht ermüdet, der Kopf macht andere Ansprüche. Indessen weiß ich, wie viel ich Deiner Nachsicht in dieser Hinsicht zumuthen darf. –


Dein ewig treu ergebener L..

1

Diese und ähnliche Stellen sind ausgelassen, da sie sich blos auf Familienverhältnisse beziehen, und gar kein Interesse für die Leser haben können.

A.d.H.

2

Herrlich sagt Jean Paul irgendwo von Solchen: »Ich habe diese verdammte Erhebung der Seelen blos aus Niedrigkeit, öfters mit den englischen Pferdeschwänzen verglichen, die auch immer gen Himmel stehen, blos weil man ihre Sehnen durchschnitten.«

3

Man irrt sich sehr, wenn man glaubt, daß hier blos Stoff zum Lächerlichen, und zu einiger Indignation der Vernunft vorhanden sey. Der Bund der Frommen ist nicht ohne Gefahr für die Freisinnigen. Hier gährt Jesuitenmasse, die unter den Protestanten Gestalt gewinnen will, weil der Katholicismus zu aufgeklärt für sie wird. Dieselben Grundsätze, denen Jene ihre Macht verdankten, leiten auch sie, derselbe esprit de corps herrscht unter ihnen, eine geregelte Organisation bildet sich, und statt des Aquetta gebrauchen sie mit Erfolg den, oft noch zehnmal giftigeren, bösen Leumund, wie so manches Mittel der Finsterniß, daß einer geheimen Verbrüderung unbemerkt zu gebrauchen leicht ist. Mehr aber wird Deutschland von solchen Heiligen zu leiden haben, als von den Freiheit träumenden Studiosen auf der Wartburg!

4

Eine Art viersitziger, leichter Calesche, ohne Verdeck.

Quelle:
[Hermann von Pückler Muskau]: Briefe eines Verstorbenen. Erster und Zweiter Theil: Ein fragmentarisches Tagebuch aus England, Wales, Irland und Frankreich, geschrieben in den Jahren 1828 und 1829, Band 1, Stuttgart 21831, S. 94-137.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Briefe eines Verstorbenen
Briefe eines Verstorbenen: Ein fragmentarisches Tagebuch
Briefe eines Verstorbenen: Herausgegeben von Heinz Ohff
Ironie Des Lebens: Bd. Einleitung. Aus Den Zetteltoepfen Eines Unruhigen. Die Pfarre Zu Stargard. Scheidung Und Brautfahrt.-2.Bd. Briefe Eines Verstorbenen (German Edition)

Buchempfehlung

Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich

Deutsche Lieder aus der Schweiz

Deutsche Lieder aus der Schweiz

»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon