Vierter Brief.

[69] London den 15ten Oktober 1826.


Das hiesige Klima scheint mir gar nicht zu bekommen, denn ich befinde mich seit meiner Landung fortwährend unwohl. Indessen, so lange ich nur nicht die Stube hüten muß, lasse ich mich davon nicht unterdrücken, reite viel, um mich zu kuriren, in der reizend cultivirten Umgegend von London umher, und setze auch meine Coursen in der Stadt nicht aus.

Das brittische Museum kam neulich an die Reihe, wo ein eigner Mischmasch von Kunstgegenständen und Naturalien, Curiositäten, Büchern und Modellen in einem erbärmlichen Lokal aufbewahrt wird.

Am Eingang oberhalb der Treppe stehen zwei enorme Giraffen, gleichsam als ausgestopfte Wächter und Embleme englischen Kunstsinns. Man findet dann in den verschiedenen Zimmern ohne Zweifel sehr viel Interessantes, ich muß aber zu meiner Schande[70] gestehen, daß ich von dem zu vielen Sehen dergleichen Merkwürdigkeiten, mich jetzt durchaus in sehr favorabler Stimmung befinden muß, um nicht etwas Indigestionsartiges dabei zu empfinden. Unter den antediluvianischen Ueberresten befand sich ein ganz monströses, äußerst wohl erhaltenes Hirschgeweih, was wenigstens sechsfach die größten übertrifft, die unser Freund C .... in der Hirschgallerie seines Schlosses aufbewahrt. Im Antikensaal, der übrigens einer Scheune gleicht, erfreut man sich an den herrlichen Elginmarbles, wie man sie hier nennt. Könnte man doch nur einmal diese alte untergegangene Kunstwelt in aller Pracht und Erhaltung ihrer Monumente anschauen! Das wäre noch der Mühe werth. – Die einzelnen Torsen, mit denen wir uns begnügen müssen, gewähren doch nur (déclamation à part), ohngefähr das Vergnügen, welches Einem z.B. eine wunderschöne Frau mit nur einem Beine, abgeschnittenen Armen, und geblendeten Augen verschaffen könnte.

Eine Büste des Hippokrates sprach mich an, weil ihr der Arzt vom Metier, so zu sagen, aus den Augen geschnitten war, so daß man hier in England, bei dem Anblick derselben schon unwillkührlich in die Tasche griff. –1 Auch die berühmte Portland-Vase betrachtete ich mit schuldigem Enthusiasmus.[71]

Ich sende Dir beifolgend zwei spezielle Werke über die Vase und die Elgin'schen Antiken, mit sehr leidlichen Umrissen, nehme aber jetzt Abschied, um einpacken zu lassen, denn morgen gedenke ich nach Newmarket zu fahren, um mich während des Pferderennens einige Tage daselbst aufzuhalten.


Newmarket den 19ten Oktober.


Die Schönheit des Landes, und die ungemeine Zierlichkeit aller Orte, durch die mein heutiger Weg mich führte, frappirte mich von neuem auf das angenehmste. Diese eben so fruchtbaren als geordneten Landschaften, diese Tausende von behaglichen und lieblichen Landhäusern, auf allen Punkten der Gegend vertheilt, dies fortwährende Gewühl von eleganten Wagen, Reitern und wohlgekleideten Fußgängern sind nur England eigen. Es hat aber dieses schöne Ganze doch einen Fehler, es ist alles zu kultivirt, zu vollendet, deshalb immer und überall dasselbe, und folglich auf die Länge ermüdend, ja ich kann mir sogar denken, daß es endlich widerlich werden muß, wie den Uebersatten eine duftende Schüssel voller Delikatessen aneckelt. Dies mag auch die große Reiselust der Engländer zum Theil erklären. Es ist gerade so wie im Leben, wo der Mensch ganz ungestörtes Glück am wenigsten vertragen kann, weßhalb der liebe Gott[72] vielleicht auch unsern Stammvater Adam, hauptsächlich nur, um ihn nicht vor langer Weile daselbst umkommen zu lassen, aus dem Paradiese jagte.

Heute war indeß für einige Schattenbeimischung gesorgt. Wegen der großen Concurrenz zum Wettrennen traf ich auf allen Stationen nur höchst abgetriebene Pferde, manchmal gar keine, so daß ich, wenigstens nach englischem Maßstabe, erbärmlich gefahren wurde, und erst spät in der Nacht Newmarket erreichte.

Nirgends war in den Gasthöfen Platz zu finden, und ich mußte mich zuletzt noch sehr glücklich schätzen, in einem Privathause eine kleine Stube für 5 Guineen die Woche zu erhalten. Glücklicherweise traf ich einen guten Bekannten in demselben Hause an, einen kleinen ungarischen Magnaten-Sohn, der durch Anspruchslosigkeit und frohe Lebenslust dazu gemacht scheint, sich und Andern in der Welt zu gefallen. Ich verehre solche Naturen, weil sie so gerade Alles besitzen, was mir fehlt.

Den nächsten Morgen schon ritt ich mit ihm umher, um uns ein wenig zu orientiren. Ein Tag gleicht hier dem andern, wie ein Ey dem andern. Früh 1/2 9 Uhr sieht man zuerst auf einem Hügel einige hundert Rennpferde, in Decken eingehüllt, ihre Morgenpromenade machen. Der weit ausgedehnte kahle Grashügel ist überall mit ihnen, wie mit einer Heerde bedeckt, einige gehen im Schritt umher, andere galoppiren, bald langsamer, bald schneller, doch nie im vollen Lauf. Ein Aufseher, auf einem[73] kleinen Pony reitend, begleitet in der Regel die Pferde, welche demselben Herrn gehören, oder bei demselben Traininggroom in Kost und Wartung sind. Die Rennpferde selbst werden hier alle von kleinen, nur halb angezogenen Jungen auf der Decke geritten, von denen auch gelegentlich einer zum Vergnügen der Zuschauer abgeworfen wird. Ist diese für den Pferdeliebhaber allerdings sehr interessante Besichtigung vorbei, so frühstückt man, geht wohl noch eine halbe Stunde auf die Pferdeauction, welche, von dem allbekannten Herrn Tattersall geleitet, beinahe alle Tage auf offener Straße statt findet, und reitet oder fährt dann zum Wettrennen.

Dieses beginnt ziemlich pünktlich um 12 Uhr. Eine unabsehbare Grasplaine mit feinem dichten Hutungsrasen bewachsen, ist der Kampfplatz, wo verschiedene Distanzen, von einer ganzen deutschen Meile, als Maximum, bis zu 1/8 und 1/10 als Minimum, stets in grader Linie durchlaufen werden. Diese Bahn ist gegen das Ende hin auf beiden Seiten mit Stricken eingefaßt, längs welchen außerhalb drei- und vierfache Reihen größtentheils ausgespannter Wagen stehen, die von oben bis unten, inwendig und auswendig mit Zuschauern besetzt sind. Am Ziele selbst befindet sich ein Bretterhäuschen, ohngefähr wie die Schäfer in manchen Gegenden Deutschlands zu haben pflegen, auf Räder gestellt, so daß man es beliebig weiter rücken kann, wenn das Ziel verlängert oder verkürzt werden soll. In diesem sitzt der Kampfrichter, um vermöge einer gegenüber[74] eingegrabenen Stange, genau visiren zu können, welches Pferdes Nase die erste in dieser Linie erscheint, denn oft entscheidet nur ein Zoll, und es ist eine sehr gescheute Politik und Hauptkunst der hiesigen Jokeys, die wahre Schnelligkeit ihrer Pferde so wenig als möglich zu verrathen, sondern nur grade so viel davon zu zeigen, als zum Gewinnen eben nöthig ist. Sehen sie, daß sie keine Chance mehr haben, so bleiben sie lieber gleich ganz zurück, da hingegen diejenigen, welche um den Sieg noch streiten, am Ziele immer nur sehr wenig auseinander sind. Das groteske Schauspiel eines Reiters, der, 1000 Schritt zurück, noch immer wie eine Dampfmaschine mit Sporen und Gerte sich auf seinem Pferde abarbeitet, sieht man nur in Deutschland und Frankreich. Sind zwei Pferde völlig in gleicher Linie am Ziele angekommen, so müssen sie noch einmal laufen, was öfters vorfällt. Der Kampfrichter ist daher vereidet, und von seinem Ausspruch ist kein Appell. Die englischen Jokeys (nicht kleine Jungens, wie man zuweilen im Auslande denkt, sondern oft alte Diminutiv-Greise von 60 Jahren) bilden eine eigne Zunft, und sind die besten praktischen Reiter, die ich kenne. Es sind immer möglichst kleine und schmächtige Leute, die sich durch künstliches Schwitzen, Purgiren u.s.w. fortwährend so viel als möglich reduziren. Du erinnerst Dich, daß ich selbst früher Rennpferde hielt, wo ich einen Newmarket Jockey eine Zeit lang im Dienst behielt, der unter andern in Wien eine bedeutende Wette für mich gewann. Es belustigte mich sehr,[75] diesen Menschen zu sehen, wenn er sich selbst in training setzte, und, nachdem er sich durch mehrere Laxanzen gestärkt hatte, in der größten Hitze, mit drei oder vier Pelzen bekleidet, im Trabe gewisse Distanzen ablief, bis der Schweiß stromweise von ihm herabrann, und er selbst vor Mattigkeit fast hinsank, mais tel était son plaisir, und je miserabler er sich fühlte, je zufriedner war er.

Auch dies kömmt jedoch auf die Bestimmung an, denn leichter, als wie zu einer Hauptgelegenheit, wo viel zu verdienen ist, erfordert wird, ist es nicht rathsam sich zu machen, indem Bley in den Gurt nehmen zu müssen für Pferd und Reiter unbequem ist, und Du weißt schon, daß auf diese Weise das bestimmte Gewicht, welches ein Pferd tragen muß, regulirt wird2.[76]

In einer gewissen Distanz vom Ziele, nach dem Punkte des Auslaufs zu, steht, etwa hundert Schritt seitwärts, eine andere weiße Stange, the betting post genannt. Hier versammeln sich die Wettenden, nachdem sie vorher die Pferde in den Ställen, am Beginn der Bahn, satteln gesehen, und sich noch genau von allen etwa obwaltenden Umständen überzeugt, vielleicht auch den ergebenen Jokeys Winke ertheilt haben. Für Manchen möchte das, was hier vorgeht, von allem das befremdendste Schauspiel seyn. Es hat, des Lärmens und verworrenen Schreiens wegen, viel Aehnlichkeit mit einer Judenschule, nur daß mehr Leidenschaft dabei sichtbar wird und das active Personal eben sowohl aus den ersten Pairs von England, als Livreebedienten, den gemeinsten sharpers und black legs (Betrüger und Gauner) besteht, kurz aus Allem, was Geld zu verwetten hat, und hier gleiche Rechte in Anspruch nimmt, auch im Aeussern keinen wesentlichen Unterschied darbietet, noch verschieden miteinander umgeht. Die meisten haben Taschenbücher in der Hand, jeder schreit seine Anerbietungen aus, und wer sie annimmt, notirt es mit Jenem zugleich in sein Buch. Herzöge, Lords, Stallknechte, Spitzbuben, Alles brüllt durcheinander, und wettet mit einander, mit einer Volubilität und in Kunstausdrücken, aus denen ein Fremder ohne langes Studium nicht klug werden kann, bis plötzlich der Ruf ertönt: die Pferde sind abgelaufen.[77]

Schnell stiebt nun der Haufe auseinander, die Wettlustigen suchen sich aber wieder an den Stricken, die die Bahn einfassen, zusammen zu finden. Eine Menge lange Perspektive, Operngucker und Lorgnetten sieht man, von den Wagen und Reitern aus, nach den von fern herankommenden Jokeys gerichtet. Mit Windesschnelle eilen diese immer näher, und einige Momente schwebt banges Schweigen über der bunten Menge, während ein Aufseher zu Pferde die Bahn frei hält, und jeden Eindringling ohne Umstände mit der Peitsche zurück zwingt. Doch nur Momente dauert die Ruhe, bald erhebt sich von Neuem das wildeste Getümmel, lautes Jauchzen und Klagen, Fluchen und Beifallsgeschrei schallt von allen Seiten, von Herrn und Damen, herüber und hinüber: »Zehn gegen vier auf den Admiral, Hundert gegen eins auf Putana, Smallbeer against the field (Schmalbier gegen alle andren) Karo-Bube gewinnt u.s.w.« hört man wüthend von den Wettern schreien, und kaum hat man hie und da ein »Done« (es gilt) vernommen, so sind die edlen Thiere auch schon heran, im Nu vorbei, im zweiten am Ziele, und das Schicksal, oder Geschicklichkeit, oder Betrug haben entschieden. – Starr sehen die großen Verlierer einen Augenblick vor sich hin, laut triumphiren die Gewinner, Manche machen bonne mine à mauvais jeu, Alle aber jagen jetzt schnell den Jokeys nach, um diese wiegen und die Pferde absatteln zu sehen, ob ihnen dort vielleicht eine vorgefallene Unregelmäßigkeit noch eine Chance gewähren[78] möchte. In einer Viertelstunde beginnt mit andern Pferden dasselbe Spiel von Neuem, und wiederholt sich so sechs bis siebenmal. Voilà les courses de Newmarket.

Ich hatte den ersten Tag ein so divinatorisches Urtheil, daß ich dreimal den Gewinner, blos nach Gutdünken und Beurtheilung beim Satteln errieth, und dadurch ziemlich ansehnlich gewann. Doch ging es mir wie gewöhnlich beim Spiel, ich verlor die andern Tage noch einmal so viel dazu. Wer hier mit Dauer gewinnt, ist vorher seiner Sache sicher, und es ist bekannt, daß ein großer Theil des englischen Adels in diesem Punkt sehr weite Grundsätze hat.

Ich fand unter den Anwesenden mehrere Bekannte aus älterer Zeit, die mir die Erlaubniß ertheilten, ihre Rennpferde im Stall zu sehen, was sie für eine große Vergünstigung halten, und mir dann auch anboten, Entrée in den hiesigen Club zu verschaffen, wovon ich jedoch nicht profitirte, da es ein bloßer Spiel-Club ist, wovor man sich in England mehr als irgendwo hüten muß.

Es ist als ein Nationalzug anzusehen, und einer, der das allgemein Kaufmännische hier charakterisirt, daß vorher zwar alle Vortheile gelten, aber bei den, oft im Augenblick und in der größten Confusion gemachten Wetten, fast wie ein Streit über die Richtigkeit derselben statt findet, dagegen oft Einer, der mehr verloren hat, als er bezahlen kann, vor dem[79] Abrechnungstage ganz und gar unsichtbar wird, d.h. Bankerott macht, und sich auf dem Continent, entweder für immer, oder so lange, bis er wieder zahlungsfähig ist, verbirgt. Wenn dergleichen geschieht, wird es von den Habitués ein schlechtes meeting genannt.

Gleich am ersten Tage meines Aufenthalts in Newmarket machte mich mein ungarischer Freund mit der Familie eines reichen Kaufmanns aus der hiesigen Gegend bekannt, die mit ihrem Landbesuch, worunter einige sehr hübsche Mädchen, täglich zum Rennen herkamen, und nach demselben wieder auf ihr nahes Gut zurückkehrten. Sie luden uns ein, den nächsten Tag dort zu essen, und den folgenden bei ihnen zuzubringen, welches wir mit Vergnügen annahmen.

Gegen 5 Uhr machten wir uns zu Pferde auf den Weg. Eine neu gepflanzte, sehr breite, doppelte Allee von jungen Buchen bezeichnete den Anfang des Gebiets unseres Wirths, und führte uns, ohngefähr eine halbe Stunde weit, an seine Parkentrance, welche aus einer Art Triumphbogen und zwei Seitenpavillons bestand, an die sich der hölzerne Parkzaum anschloß, aber eine Strecke weit vom Thore auf beiden Seiten verpflanzt war, so daß die erwähnten Eingangsgebäude frei im Wald zu stehen schienen, was sich sehr gut ausnahm. Eine Zeit lang führte uns jetzt der Weg durch dichten Busch, worauf wir die mit Baumgruppen besetzte Wiese erreichten, die überall den Hauptbestandtheil eines englischen[80] Parks ausmacht, und dann bald von fern das erleuchtete Haus erblickten, hinter dem sich die hohen Bäume und Shrubberies des pleasure grounds ausdehnten. Einige Kühe lagen vor der Hausthüre, über die wir fast hinwegsetzen mußten, eine sonderbare Anomalie, die schon Repton rügt, und die daraus entsteht, daß man, der Gewohnheit gemäß, den Park, d.h. die geschmückte Viehweide, stets auf einer Seite, meistens auf zweien, bis an das Wohnhaus sich erstrecken läßt, anstatt daß es gewiß weit zweckmäßiger wäre, den pleasure ground und die Gärten rund um das Haus zu ziehen, da, wie mir scheint, wohl der entfernte Anblick, aber nicht die unmittelbare Nähe des Rindviehs, nebst allen ihm anhängenden Unannehmlichkeiten, so großes Vergnügen gewähren kann.

Wir fanden eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft, bestehend aus dem Herrn und der Frau vom Hause, beide im mittleren Alter, ihrer ältesten verheiratheten Tochter mit ihrem Manne, zwei jüngern nicht sehr anlockenden Töchtern, einem Baronet aus der Nachbarschaft mit einer hübschen Frau und ihrer auch ganz artigen, aber sehr melancholischen Schwester, weil sie eben aus Indien unverrichteter Sache zurückkam3, einer sehr gefeierten Miß B ...., welche[81] sich oft auch in höhern Cirkeln bewegt, drei andern unbedeutenden Herren, dem Sohn vom Hause, und endlich einem Londner Stutzer der zweiten Klasse, an dem man den strebenden Dandy der City studiren konnte.

Der Baronet hatte in Deutschland gedient, und dort das Theresienkreuz sich erworben, wie er erzählte, denn er trug es nicht, weil er meinte, dies sey eine Jugend-Spielerei, die er nun abgelegt, da sie zu seinen ökonomischen Beschäftigungen nicht mehr passe. Es war ein schlichter und freundlicher Mann, dem man, als mit dem Continent am besten bekannt, besonders aufgetragen zu haben schien, uns die Honneurs des Haufes zu machen. Wir zogen jedoch vor, uns lieber bei seiner Frau und Schwägerin in den englischen Sitten zu unterrichten.

Nach diesen Sitten war der Besuch zweier Noblemen (selbst Fremder, obgleich diese 50 Prozent geringer als die einheimischen stehen) für ein Haus von niederer volée wie das S..sche eine Ehre, und man fetirte uns daher ungemein, selbst der Dandy war, so weit es die Regeln seines Metiers gestatteten, artig und zuvorkommend gegen uns. Es ist eine fast allgemeine Schwäche der nichtadelichen Engländer, mit vornehmen Bekanntschaften zu prahlen, die Adelichen4 thun dasselbe mit den Fashionablen, oder[82] Exclusiven, die eigne Kaste, ein Staat im Staate, der in gesellschaftlicher Hinsicht eine noch despotischere Gewalt ausübt, und sich nicht einmal an Rang, noch weniger an Reichthum kehrt, aber nur in jener erwähnten Schwäche der Nation die Möglichkeit seines Bestehens findet.

Es ist daher eine große Wonne für diese Engländer des Mittelstandes auf dem Continent zu reisen, und dort mit Leichtigkeit vornehme Bekanntschaften zu machen, von welchen sie, zu Hause angekommen, wie von intimen Freunden sprechen können. Unsere Hauswirthin gab uns davon bald eine kleine Probe: »Kennen Sie die Königin von .....?« frug sie. Auf meine Antwort, daß ich die Ehre gehabt habe, ihr einst vorgestellt worden zu seyn, fuhr sie fort: »she is a great friend of mine«, gerade wie sie von einem Handels-Compagnon hätte sprechen können. Zugleich producirte sie, unter den vielen Brimborions, mit denen sie sich behangen hatte, ein Portrait der Königin, welches ihr diese, wie sie behauptete, geschenkt habe. Es mochte wohl wahr seyn, denn auch die Tochter zeigte einen Brief von einer der vermählten Prinzessinnen Töchter Ihrer Majestät vor, der sehr vertrauliche Mittheilungen über ihre Ehe und Häuslichkeit enthielt, und nun wahrscheinlich schon seit geraumer Zeit als Paradepferd dienen[83] mußte, um der Eitelkeit der Besitzerin zu fröhnen. Ist es nicht in hohem Grade auffallend, daß unsere deutschen Großen, denen es doch zum Theil an Stolz und Morgue gegen ihre Landsleute nicht eben fehlt, jedes englische Landeskind, sey es auch noch so sehr ohne geistige Auszeichnung, blos als englisch, fast wie ihres Gleichen behandeln, ohne im Geringsten zu fragen, ob dieses Individuum zu Haus eine Stellung einnehme, die solche Begünstigung rechtfertige!

Nichts läßt uns in den Augen der Engländer selbst geringer erscheinen, als diese demüthige Fremdensucht, die noch dadurch etwas besonders Schmähliches erhält, daß ihr wahrer Grund im Allgemeinen doch nur in dem tiefen Respekt liegt, den Hohe und Niedere bei uns für englisches Geld haben.

Es gehört hier ein bedeutendes Vermögen dazu, um ein Haus auf dem Lande zu machen, da der Gebrauch sehr viel Luxus dabei erfordert, und dieser Sitte gemäß, in der Hauptsache, beim Krämer dasselbe gefunden werden muß, wie beim Herzog, d.h. ein zierlich dekorirtes Haus mit eleganten Meubles, ein reiches Vaisselle, stets neu und fein gekleidete Diener, bei Tafel eine Profusion von Schüsseln und ausländischen Weinen, ausgewähltes und sehr kostbares Dessert, und in Allem der Anschein von Ueberfluß und plenty, wie die Engländer es nennen. So lange Gäste da sind, geht dieser Train fort, nachher in der Einsamkeit mag sich manche Familie dafür mit der schmalsten Kost entschädigen, daher man[84] auch hier Niemanden auf dem Lande besuchen darf, ohne eingeladen zu seyn, und diese Einladungen sind dabei gewöhnlich auf Tag und Stunde bestimmt, da die Bekanntschaften groß, und der Raum, wie die dazu bestimmte Zeit, verhältnißmäßig gering ist, also einer dem andern Platz machen muß. Wahre Gastfreiheit kann man dies kaum nennen, es ist mehr eine Etalage seines Besitzes für möglichst Viele. Hat eine Familie nun einen Monat, oder länger so Haus gehalten, so geht sie die übrige Zeit selbst auf Besuche aus, der einzige gastfreie Monat hat aber dann schon so viel gekostet, als bei uns die ganze Jahresrevenüe eines reichen Gutsbesitzers beträgt.

Da Du nie in England warst, will ich Dir mit ein paar Worten den Gang eines englischen Dinnés beschreiben, welches sich, wie gesagt, à peu de chose près überall gleich ist.

Du liebst die Details des täglichen Lebens, und hast mir oft gesagt, Du vermißtest dies bei den meisten Reisebeschreibungen, und doch gäbe nichts ein lebhafteres Bild eines fremden Landes; verzeihe also, wenn Du mich jetzt in zu kleinliche Dinge eingehen findest.

Man führt die Damen am Arm, nicht an der Hand, wie in Frankreich, zu Tisch, und ist auch wie dort von den veralteten Reverenzen befreit, die selbst in vielen der vornehmsten deutschen Gesellschaften, noch nach jedem Führen einer Dame gegenseitig gewechselt[85] werden. Dagegen ist man sehr ängstlich um die Beobachtung des Ranges besorgt, wobei man den der Fremden freilich sehr wenig versteht. Ich verwünschte heute den meinigen, der mich neben die Wirthin brachte, während mein Freund sich wohlweislich zwischen die schönen Schwestern eingeschoben hatte. Auf französische Art findet man schon beim Eintritt den ganzen ersten Gang der Mahlzeit, die Relevés ausgenommen, zugleich auf den Tisch gesetzt, und sobald die Glocken abgehoben sind, legt auch, wie dort, nach der Suppe jeder von der Schüssel vor, die sich vor ihm befindet, und bietet seinem Nachbarn davon an5, während er selbst, wenn er etwas anderes zu haben wünscht, über den Tisch darum bitten, oder einen Bedienten darnach schicken muß, im Grunde eine lästige Mode, weßhalb auch einige der elegantesten Gereisten jetzt die bequemere deutsche Sitte des Herumgebens der Schüsseln durch die Dienerschaft angenommen haben.

Es ist nicht üblich, bei Tisch Wein zu trinken, ohne sein Glas mit einer andern Person zugleich zu leeren, wozu man das Glas aufhebt, sich starr ansieht, mit dem Kopfe zunickt, und es dann erst gravitätisch austrinkt. Gewiß mancher uns sehr auffallende Gebrauch der Südseeinsulaner mag weniger[86] lächerlich seyn. Es ist übrigens zugleich eine Artigkeit, jemand auf diese Weise zum Trinken aufzurufen, und ein Bote wird oft vom andern Ende der Tafel expedirt, um B. anzukündigen, daß A. ein Glas Wein mit ihm zu trinken wünsche, worauf denn beide sich, zuweilen mühsam genug, ins Auge zu bekommen suchen, und dann, gleich chinesischen Pagoden, die Ceremonie des obligaten Nickers mit großer Förmlichkeit agiren. Ist aber die Gesellschaft klein, und man hat mit allen Bekannten getrunken, aber noch Lust, mehr Wein zu genießen, so muß man damit bis zum Dessert warten, wenn man den Muth nicht in sich verspürt, sich über die Gewohnheit hinwegzusetzen.

Nach vollendetem zweiten Gange und einem interimistischen Dessert von Käse, Sallat, rohen Sellery und dergleichen (wozu man manchmal Ale herum giebt, das 20 und 50 Jahr alt, und so stark ist, daß es, ins Feuer geschüttet, wie Spiritus aufflammt), wird das Tischtuch abgenommen, und in den besten Häusern auf ein zweites darunter liegendes noch feineres Tischtuch, in andern auf den bloßen polirten Tisch das Dessert aufgesetzt, welches aus allen möglichen Treibhausfrüchten, die hier von ausgezeichneter Qualität sind, indischen und vaterländischen eingemachten Compottes, magenstärkendem Ingwer, Gefrornen u.s.w. besteht. Vor jeden Gast werden frische Gläser gestellt, und zu den Desserttellern und Bestecken noch kleine mit Frangen umgebene Servietten[87] hingelegt, vor den Hausherrn aber drei Flaschen Wein, gewöhnlich Claret (Bordeaux-Wein) Port und Madeira aufgesetzt. Der Wirth schiebt nun diese, entweder in ihren Untersetzern oder auf einem kleinen silbernen Räderwagen, links zu seinem Nachbar. Jeder schenkt sich selbst, und, sitzt eine Dame bei ihm, auch dieser nach Verlangen ein, und so fort, bis die Runde gemacht ist, wo sie denn wieder von vorn angeht. Einige Krystallkrüge mit Eiswasser erlauben den Fremden glücklicherweise, dem Branntewein, der in den englischen Weinen stark vorherrscht, einiges Gegengift beizumischen. Alle Dienerschaft verläßt nach aufgesetztem Dessert das Zimmer, und braucht man frischen Wein, so wird dem Haushofmeister geklingelt, der ihn allein hereinbringt. Eine Viertelstunde bleiben die Damen dann noch sitzen, denen zuweilen süßer Wein besonders servirt wird, und verlassen hierauf den Tisch. Die Herren erheben sich mit ihnen, einer derselben öffnet den Damen die Thüre, und sobald sie hinausgelassen sind, rückt man traulicher zusammen, der Wirth nimmt den Platz der Wirthin ein, und die Gespräche des täglichen Interesses beginnen, wobei der Fremde in der Regel ziemlich vergessen wird, und sich meistens mit Zuhören begnügen muß. Es steht übrigens Jedem frei, den Damen zu folgen, wann er will, eine Freiheit, von der Graf B. und ich heute möglichst bald Gebrauch machten, um so mehr, da dies jetzt sogar Mode, und das viele Trinken unfashionable wird. Deßhalb hatte auch der Dandy uns bereits devancirt,[88] als wir bei den Damen ankamen, die uns im Salon, um einen großen Tisch gruppirt, mit Kaffee und Tee erwarteten6.

Als die ganze Gesellschaft wieder vereinigt war, theilte sich Alles, völlig ungenirt, in beliebige Gruppen. Einige machten Musik, wobei die melancholische Schöne auf einer Orgel spielte, die wahrscheinlich zu religiösem Gebrauch hier aufgestellt war, andere spielten Whist, hie und da flüsterte ein Pärchen in der Fenster-Embrasure, Mehrere politisirten, nur der Dandy war allein geblieben; in einen großen Lehnstuhl versunken, hatte er seinen rechten zierlich beschuhten Fuß auf sein linkes Knie gelegt, und sich in dieser Stellung in Mde. de Staël's Buch sur l'Allemagne[89] anscheinend so vertieft, daß er von der ihn umgebenden Gesellschaft nicht die mindeste Notiz mehr nahm.

A tout prendre mußte ich dem hübschen jungen Mann die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er höhere Originale gar nicht übel copirte. Vielleicht wurde ich zu diesem vortheilhaften Urtheil auch dadurch bestochen, daß er bei Tisch viel vom großen Göthe sprach, und seinen Fost anpries, welche beide (Göthe und Fost) Lord Byron in England Mode gemacht hat. Fost schien ihm besonders wegen der, seiner Meinung nach, atheistischen Tendenz desselben zu gefallen, denn Mr. M. brachte, wie er uns erzählte, die halbe Zeit seines Lebens in Paris zu, und erklärte sich für einen esprit fort.

Den andern Tag ritten wir, nach dem gemeinschaftlichen Frühstück, mit den Damen im Park spazieren, der nichts Sehenswerthes darbot, ausgenommen etwa einen flußartigen Kanal stehenden und schlammigen Wassers, welcher 5,000 L. St. zu graben gekostet hatte, und besser unterblieben wäre, wurden aber nachher desto mehr durch die Treibhäuser und Obstgärten befriedigt. Die ersteren, eine Liebhaberei des Besitzers, wurden auf eine höchst ingenieuse Weise nach einer von ihm selbst erfundenen Vorrichtung, mit Dampf geheizt, und die Wärme durch das bloße Drehen eines Hahns augenblicklich zu dem beliebigen Grade vermehrt oder vermindert.

Drei und zwanzig verschiedene Sorten Ananas, über die sich, vom Glasdach herab, Hunderte von[90] dunkelblauen Riesen-Trauben senkten, füllten diese geräumigen, eleganten Häuser, und im Obstgarten bewunderten wir an der Mauer Birnen, die bei sehr gutem Geschmack eine Größe von 7 Zoll Länge und 16 Zoll Umfang erreichten.

Viele Herren gingen auf die Jagd, wir zogen die häusliche Gesellschaft vor. Der lustige B. war der Liebling der Damen geworden, und erregte sichtlichen Kummer bei ihnen, als wir nach dem Diné um 1 Uhr in der Nacht, und diesmal in einer Post-Chaise unsern Rückweg antraten. Es konnte nicht fehlen, daß wir auf der langen Fahrt über manches Ridicule, das wir gesehen, noch eine lachende Nachlese hielten, obgleich ich mich dabei recht sehr schämte, als ächter Bewohner B ....s, statt des herzlichen Dankes für die gastfreie Aufnahme, mich über die Wirthe und ihre Gesellschaft lustig zu machen, aber die Welt ist heutzutage verdorben, und überdieß hat Gastfreundschaft aus Ostentation keine bessern Folgen. Wahrscheinlich ging es uns Gästen im Hause, das wir eben verlassen, auch nicht besser.

Beim Wettrennen sahen wir am andern Morgen die jungen Damen wieder, wetteten Handschuhe mit ihnen, so lange, bis wir sie verloren, und erfreuten sie dann gar sehr mit eingeschwärzten Parisern. Eine zweite Einladung auf's Land schlugen wir jedoch aus, da wir zu einem Herren-Diné engagirt waren, und Graf B. noch Abends zur Fuchsjagd nach Melton[91] abreisen wollte. Auch ich werde Newmarket verlassen, und meinen Brief in London weiter fortsetzen.


Eppingplace, den 20sten.


Ich bin nicht so weit gekommen, als ich wollte, und muß hier übernachten, da die Besichtigung zweier Parks mich den halben Tag aufgehalten hat. Die darauf verwandte Mühe hat sich jedoch reichlich belohnt. Der erste, Audley-Park, dem Lord Braybrook gehörig, kann unter den ansehnlichsten im Lande eine Stelle behaupten.

Die Straße führt mitten durch denselben, mit tiefen Ahas auf beiden Seiten, die den Park sichern, und doch die volle Aussicht hinein gestatten. Man überblickt zuerst eine weite grüne Landschaft, in deren Mitte ein breites, flußartiges und vortrefflich geformtes Wasser angebracht ist, das aber leider wegen zu geringen Zuflusses sehr mit Wassermoos bedeckt ist. Nahe an seinen jenseitigen Ufern steht das prächtige gothische Schloß, welches ursprünglich vom Herzog von Suffolk erbaut wurde, und damals noch dreimal größer gewesen sein soll. Demohngeachtet geben ihm auch noch jetzt die Menge seiner Thürme, Vorsprünge und verschiedenartigen hohen Fenster ein imposantes und malerisches Ansehen. Obgleich Mylady zu Haus war, erhielt ich doch die seltne Erlaubniß, es zu besichtigen.[92]

Ich trat in eine weite, sehr einfache Vorhalle, nur mit einigen Geweihen von Riesenhirschen der Urwelt, die hier ausgegraben wurden, geschmückt, und mit wenigen massiven Bänken und Stühlen versehen, auf welche das Wappen der Familie in bunten Farben gemalt war. Einige sehr alte Gemälde, eine gothische Lampe, ein großer aus zwei Stücken Muschelmarmor bestehender Tisch, von dem nur die obere Seite des Tischblattes geschliffen, das Uebrige ganz roh war, und ein Dutzend lederne Feuereymer, ebenfalls mit bunten Wappen bemalt, machten alle übrigen Meubles dieser Piece aus. Die Decke war von Holz mit tiefen Caissons und verschossener alter Malerei. Man sah auf den ersten Blick, daß man in kein Haus von gestern getreten war.

Eine hohe Thüre, aus schwerem geschnitzten Eichenholz, führte von hier in die Herren-Halle, einem großen Saal, dessen ungeheure Fenster von der Decke bis zum Boden gingen, und auf dieser Seite den freien Anblick der Landschaft gewährten. Viele Ahnenbilder in Lebensgröße, zum Theil von Van Dyk gemalt, hingen an der entgegengesetzten Wand, und zwischen ihnen erhob sich der colossale Marmor-Camin mit dem in Stuck ausgeführten und reichgefärbten Wappen der Suffolks darüber. Die dritte Wand, dieselbe, durch welche wir hereingekommen, war von innen durchgängig mit kunstreichem, vortretendem Schnitzwerk bedeckt, Figuren in halber Lebensgröße, wie man an den Chören gothischer Kirchen sieht. Gegenüber befand sich wieder eine hohe Flügelthüre,[93] die sich in den Speisesaal öffnete, und an ihren beiden Seiten zwei freie Treppen, die zum zweiten Stock hinaufführten.

Der Speisesaal enthält ein Portrait Suffolks, und ein Bild der Königin Elisabeth. Ihr rothes Haar, fades Teint und falscher Blick, wie der übertriebene Putz, geben keine sehr vortheilhafte Idee von der galanten und eitlen Maidenqueen.

Im obern Stocke diente eine schmale und lange Galerie, voll niedlicher Kleinigkeiten und Alterthümer, unter andern auch einer großen Windcharte in der Mitte, die mit der Turmfahne in Verbindung steht, und so den Jägern alle Morgen zeigt, wo der Wind herkömmt7, zum Salon, denn man hat die gute Einrichtung, in den meisten englischen Landhäusern und Schlössern, nicht viele, sondern nur ein Appartement oder Hauptpiece für die Gesellschaft zu bestimmen, was diese weit besser zusammenhält.

Die Kapelle ist modern, aber reich und geschmackvoll verziert, und hier liest, wenn der Kaplan abwesend ist, der Herr selbst alle Morgen um halb 10 Uhr, wobei sich die ganze Familie und Dienerschaft versammeln muß, nach altem Gebrauch eine Predigt und hält den Gottesdienst ab.[94]

Der Park ist bedeutend groß, aber von einer störenden Menge Zäune durchschnitten, um Schafen, Kühen, Pferden und Hirschen, jeder Thierart ihr eigenes Terrain anzuweisen. Von den letztern sind 4–500 Stück hier vorhanden, die, wie eine zahme Heerde, fast immer in wenigen Abtheilungen vereint, zusammen weiden, und der Idee des Wildes gar nicht mehr entsprechen. Auch schmeckt ihr Fleisch ganz anders, als da, wo sie frei in den Wäldern unserer Heimath leben, ohngefähr wie wildgewordene Ochsen schmecken mögen.

Die Remisen für Rebhühner und Hasen sind ebenfalls umzäunt, da das niedrige Gebüsch sonst vom Vieh abgefressen werden würde, weßhalb auch, wie schon bemerkt, der größte Theil der englischen Parks nur aus einzelnen hohen Baumgruppen auf Wiesengrund besteht, deren Aeste die Thiere nicht erreichen können. Diese weiten Ansichten imponiren im Anfang, werden aber, ihrer Einförmigkeit wegen, bald ermüdend. Auch kann ich nicht finden, daß die vielen Vermachungen der Landschaft vortheilhaft sind, denn selbst jeder einzeln gepflanzte junge Baum auf der Plaine muß mit einem hohen Zaun umschlossen werden, um ihn vor den Thieren zu schützen.

Zwei einzelne Tempel und ein Obelisk, zu denen nicht einmal ein andrer Weg, als über den Rasen führte, nahmen sich sehr heterogen in der Mitte dieser Viehweiden aus, besser der entfernte gothische Thurm der Kirche von Walden, der pittoresk über die Eichenkronen hervorragte.[95]

Sehr schön fand ich dagegen den Blumengarten und die Fasanerie. Der erste bildet ein großes Oval, dicht von immergrünen natürlichen Wänden von Taxus, Kirsch-Lorber, Rhododendron, Cedern, Cypressen, hohem Buchsbaum, Holly etc., und den höchsten Waldbäumen dahinter, umgeben. Ein Bach mit Grotte und Wasserfall durchströmt den feinen Sammtrasen, auf dem sich seltne Prachtpflanzen und Blumenbeete aller Formen und Farben lieblich gruppiren.

Die Fasanerie, welche eine gute halbe Stunde davon entfernt ist, besteht aus einem schattigen und dichten, mit einer Mauer umgebenen Wäldchen verschiedner Baumsorten von bedeutendem Umfang. Man konnte nur über die nassen Wiesen dazu gelangen, und erst vom Eingangspförtchen an begann ein Kiesweg. Dies geschieht aus Oekonomie, da Wege in England äusserst kostspielig zu machen und zu unterhalten sind, gewöhnlich daher in einem Park nur ein Fahrweg nach dem Wohnhause statt findet, und auch die Fußwege mit dem eisernen Zaun des pleasure ground aufhören. Die englischen Damen fürchten weniger ihre Füßchen der Nässe auszusetzen, als die unsrigen.

Der obenerwähnte Weg brachte mich also durch ein höchst anmuthiges Laubgewölbe, nach verschiedenen Krümmungen, unerwartet vor die mit Epheu berankte Pforte eines kleinen Gebäudes, an welches sich, noch mehr unter den Bäumen versteckt, die Wohnung des Fasanenjägers anschloß.[96]

Dieser öffnete von Innen, und höchst überraschend war der Anblick, der sich jetzt vor uns entfaltete. Wir waren in einen kleinen offnen Salon getreten, dessen freistehende Säulen dichte Monatsrosen ganz bedeckten, zwischen denen wir rechts eine große Voliere mit Papageyen, links eine eben so ausgedehnte Hecke von Kanarienvögeln, Stieglitzen und andern kleinen Vögeln sahen, vor uns aber einen freien Rasenplatz mit einzelnen immergrünen Sträuchern, und einen Hintergrund von hohem Walde, durch den man einige ganz schmale Durchsichten auf ein fernes Dorf und einen einzelnen Kirchthurm, mit vieler Kunst menagirt hatte.

Auf diesem freien Platz rief nun der Jäger Wolken von Gold-, Silber- und farbigen Fasanen, nebst einigen fremden Hühnerarten, zahmen Raben, seltenen Tauben und anderem Geflügel zusammen, die hier ihr Futter bekamen, und sich dabei im buntesten Gewimmel umhertaumelten. Ihre verschiedenen Manieren und Gebehrden, von der Leidenschaft der Begierde gesteigert, gaben ein ganz eigenthümliches Schauspiel; besonders possirlich betrug sich ein Goldfasanenhahn, der gleich einem Stutzer aus alter Zeit allen Hühnern die Cour zu machen schien, und mit den allerlächerlichsten Verdrehungen und Airs, die er sich dabei gab, meinen alten B. zu solchem Lachen zwang, daß die englischen Diener, welche im Aeussern an sclavische Ehrfurcht vor ihren Herren gewöhnt sind, diese Freiheit mit Verwunderung betrachteten, während sie mich wenigstens eben so sehr amüsirte,[97] als die Pantalonnaden des Dandy's unter den Vögeln.

Ueber 500 Gold- und Silberfasanen, denen gleich nach der Geburt nur ein Flügel verschnitten wird, welches hinlänglich ist, sie am Fliegen zu hindern, bewohnen diesen Wald Sommer und Winter, ohne nur eines Schuppens gegen die Kälte zu bedürfen, so mild ist das hiesige Clima.

Um Dich nicht zu ermüden, übergehe ich die Beschreibung des zweiten Parks, Short Grove, der nichts Besonderes darbot, und sehr vernachlässigt schien. Schloß und Park mit Treibhäusern u.s.w., das erste völlig meublirt, waren eben für den nicht hohen Preis von 400 L. St. jährlich vermiethet worden, eine hier sehr übliche Sitte, wenn die Besitzer auf Reisen sind.

Wir würden dies nicht gern nachahmen, da hingegen bei uns fast immer ein Theil unsrer Wohnhäuser in der Stadt vermiethet wird, während die Herrschaft selbst nur die bel étage bewohnt, was den Engländern wiederum sehr sonderbar vorkömmt, und auch wirklich höchst unbequem ist, indem die Anwesenheit mehrerer Familien in einem Hause selten weder eine gute Hausordnung, noch vollendete Reinlichkeit und Nettigkeit in demselben gestattet.

Die Hauptthüre des Schlosses in Short Grove war von Aussen mit Spiegeln belegt; eine hübsche Idee, indem man dadurch, dem Hause zugehend,[98] schon auf der Thüre ein schönes Gemälde der Gegend erblickt.

Der große Reichthum der Gutsbesitzer in England muß immer die Continentalen frappiren, wo jetzt größtentheils gerade die Gutsbesitzer die ärmste und die am wenigsten von den Gesetzen und Institutionen protegirte Klasse sind. Hier concurrirt Alles zu ihrem Vortheil. Es ist äusserst schwer, für den Rentier freies Grundeigenthum in England zu acquiriren, da fast aller Grund und Boden der Krone, oder dem hohen Adel gehört, die es in der Regel nur auf eine Art Erbpacht ausgeben, so daß zum Beispiel, wenn ein Großer ein Städtchen sein nennt, dies nicht, wie bei uns, bloß die Oberherrschaft darüber bedeutet, sondern jedes Haus das wirkliche Eigenthum des Besitzers ist, dem Inhaber nur, wie ich gleich auseinandersetzen werde, auf bestimmte Zeit überlassen. Man kann sich denken, welche ungeheure, immer steigende Revenüen dies in einem ausserdem so industriellen Lande hervorbringen muß, und kann nicht umhin, zu bewundern, wie die dortige Aristokratie sich, in großer Uebereinstimmung, seit Jahrhunderten alle Institutionen zu ihrem besten Vortheil einzurichten gewußt hat.

Der freie Kauf eines Grundstücks erfordert mehrere schwierige Bedingungen, und jedenfalls kann er nur zu so hohen Preisen statt finden, daß kleinere Capitalisten sie nicht daran wenden können, und wie es einmal ist, bei der Erbpacht für ihre Person immer[99] noch mit besserem Nutzen dazu kommen, und diese daher auch fortwährend vorziehen. Die hiesige Erbpacht ist aber sehr verschieden von der bei uns üblichen. Es wird nämlich dem Anbauer der nöthige Platz auf 99 Jahren dergestalt überlassen, daß er, bei Häusern pro Fuß der Front, eine gewisse Rente jährlich, von einigen Schillingen bis zu 5 bis 10 Guineen, bei größern Grundstücken so und so viel per acre (englischer Morgen) an den Grundbesitzer zahlt.

Er schaltet nun damit wie er will, baut auf wie er Lust hat, macht Gärten, Parkanlagen u.s.w.; nach dem Verlauf der 99 Jahre aber fällt Alles, wie es steht und liegt, und was niet- und nagelfest ist, der Familie des Verkäufers wieder zu, ja noch mehr, der Pächter muß sein Haus u.s.w. im besten Stand erhalten, und sogar den Oehlanstrich alle 7 Jahre erneuern, wozu er durch Visitationen polizeylich angehalten wird. Uebrigens kann er während der ihm zugemessenen Frist auch wieder an Andere verkaufen, aber immer nur bis zu jener festgesetzten Epoche, wo der eigentliche Herr wieder in Besitz tritt. Alle Landstädte, Villen u.s.w., die man sieht, gehören also, wie gesagt, auf diese Weise Haus für Haus einzelnen großen Gutsbesitzern, und obgleich die Erbpächter nach umgelaufener Frist gewöhnlich das prekaire Eigenthum von Neuem erstehen, so müssen sie doch, im Verhältniß als der Werth der Grundstücke seitdem gestiegen, oder sie selbst sie verbessert haben, die Rente verdoppeln und verdreifachen. Selbst der größte Theil der Stadt London gehört unter solchen[100] Verhältnissen einzelnen Adelichen, von denen z.B. Lord Grosvenor allein über 100,000 L. St. Kanon ziehen soll. Daher ist, ausser der Aristokratie, fast kein Hausbewohner in London wahrer Grundeigenthümer des seinigen. Selbst der Banquier Rothschild besitzt kein eignes, und wenn einer, dem Sprachgebrauch nach, eins kauft, so fragt man ihn: auf wie lange? Der Preis variirt dann, nachdem es aus erster Hand, gewöhnlich auf Rente, oder aus zweiter und dritter für ein Capital erstanden wird. Der größte Theil des Erwerbs der Industrie fällt durch diesen Gebrauch ohnfehlbar der Aristokratie zu, und vermehrt nothwendig den unermeßlichen Einfluß, den sie schon ohnedem auf die Regierung des Landes ausübt.


London, den 21sten.


Heut Nachmittag bin ich bei unaufhörlichem Platzregen hier glücklich wieder angekommen, habe mich im Club bei einem guten Diné restaurirt, und Abends im Whist, zur guten Stunde sey's gesagt, meine Reisekosten sechsfach bezahlt erhalten, bin wohl und lebenslustig, und finde, daß mir nichts fehlt, als Du. –

Laß mich unter so guten Conjunkturen meinen Brief beendigen, der schon wieder zum Paket angeschwollen ist.

Ewig Dein treuergebener L.

1

Die englischen Aerzte sind nämlich so gewohnt, für jeden Besuch eine Guinea zu erhalten, daß Einer von ihnen versicherte, wenn er krank sey und sich ein Recept schreibe, so verfehle er nie sich selbst eine Guinea aus der linken Tasche in die rechte zu stecken.

A.d.H.

2

Es sey mir erlaubt, bei dieser Gelegenheit diejenigen meiner Berliner Freunde, welche mit ihren Pferden bei den dortigen Wettrennen concurriren wollen, den Rath zu geben, die dazu bestimmten Pferde nur durch gutrekommandirte englische Groorns trainiren zu lassen, da alle hiesigen ohne Ausnahme es durchaus nicht verstehen, wie ich mich vielfach überzeugt habe. Sie glauben ein Pferd trainirt zu haben, wenn sie es durch Aderlassen, Laxiren und tägliches Umherjagen zum Skelett verwandelt, und ihm alle die Kräfte genommen, welche das ächte Trainiren verzehnfacht. Das gut und schlecht trainirte erscheinen zwar gleich mager, bei dem letztern ist es aber die Magerkeit des Elends und der Entkräftung, bei dem andern nur die Entfernung alles unnützen Fleisches und Fettes mit der höchsten Ausbildung und Kraft der Muskeln und der Lunge.

A.d.H.

3

Man pflegt jährlich aus England einen Transport junger mittelloser Damen nach Indien zu spediren, um sie dort, wo die Waare nicht so häufig ist, wo möglich an den Mann zu bringen, und die Spekulation gelingt auch gewöhnlich. Ein rückkehrender Krebs ist aber übel daran.

4

Du weißt, daß in England nur die Pairsfamilien zum Adel gerechnet werden. Vom Baronet (incl.) an, gehört alles übrige nur zur gentry, ein Wort, das hier am besten durch Honoratioren übersetzt wird.

5

Zur englischen guten Erziehung gehört daher auch die Tranchirkunst, welche in Deutschland zu sehr vernachlässigt wird.

6

Beim Könige müssen die Damen, wie mir eine derselben erzählt hat, rückwärts hinausgehen, um Seiner Majestät nicht die verkehrte Seite zuzuwenden, welches gegen die, in England zum Theil sehr streng beobachtete Etikette ist. Dies hat sich jetzt zu einer völlig militärischen Evolution ausgebildet, welche eine junge Neulingin oft in Verlegenheit setzt. Die Damen schließen rückwärts, die Richtung nach der Thüre, nach welcher sie sich in der Diagonale ziehen. Sobald die Flügelfrau an dieser angelangt, macht sie rechtsum, traversirt hindurch, und so jede folgende ihr nach. Lady C. commandirt. Im Gynäceum angekommen, präsentirt sich ihnen, ebenfalls in Reih und Glied, eine Anzahl eleganter Porcellainvasen. Après cela nippt man von einem Glase Liqueur, setzt sich zu Tee und Kaffee nieder, und nun beginnt die Damenunterhaltung. Man weiß, woraus sie gewöhnlich besteht: Putz, Scandal und Liebe. »Such is the custom of Branksomehall.«

7

Wäre an Höfen nicht übel einzuführen.

A.d.H.

Quelle:
[Hermann von Pückler Muskau]: Briefe eines Verstorbenen. Dritter und Vierter Theil: Ein fragmentarisches Tagebuch aus Deutschland, Holland und England geschrieben in den Jahren 1826, 1827 und 1828, Band 3, Stuttgart 1831, S. 69-101.
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