Zweiter Auftritt

[210] Ernst Gotthart. Jungfer Fröhlichin.


JUNGFER FRÖHLICHIN. Ei, ei, Herr Vetter! können Sie so schön singen? Wissen Sie auch, daß ich Sie belauschet habe?[210]

ERNST GOTTHART. O gehorsamer Diener! das ist zuviel Ehre für meine schlechte Poesie.

JUNGFER FRÖHLICHIN. So? so haben Sie das Liedchen gar selbst gemacht?

ERNST GOTTHART. Ja, Jungfer Muhme, ich habe so ein bißchen vom Reimen und Komponieren gelernet, und da mache ich mir zuweilen so selbst ein Liedchen, um mir die Grillen zu vertreiben.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Potz Velten, Herr Vetter! sind Sie so geschickt? Aber warum machen Sie sich solche traurige Sachen, wenn Sie sich damit die Schwermut vertreiben wollen? Das ist ja Stroh zum Feuer! Rechte lustige Stückchen sollten Sie sich machen. Hübsche schwäbische Tänze, lustige Menuetten, geschwinde Polonaisen und Murkis, die brav hurtig gehen; aber nicht solche melancholische Klagelieder!

ERNST GOTTHART. Ja, für meine guten Freunde mache ich allerdings zuweilen so was Lustiges: aber wenn ich für mich selbst poetisiere, so richte ich es nach meinem Malo hypochondriaco ein.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ei! das sollten Sie bleibenlassen, Herr Vetter! Damit verderben Sie sich den Magen. Indessen ist es mir lieb, daß Sie für andere Leute auch was Lustiges machen können.

ERNST GOTTHART. Ja, und da richte ich mich nach Ihrem sanguinischen und lustigen Temperamente.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ei! Herr Vetter! so müssen Sie mir auch einen Text zu einem kleinen lustigen Tanze machen. Aber es muß alles ebenso lustig sein, als ich selbst bin.

ERNST GOTTHART. Von Herzen gern. Ich will es so gut machen, als ich kann.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Sagen Sie doch davon nicht. Es wird schon gut werden. Wissen Sie was? Ich habe neulich bei meinem Tanzmeister einen Tanz gelernet, der so recht nach meinem Sinne ist, und meine Französin hat den Text dazu gelehrt. Er ist französisch.

ERNST GOTTHART. So?

JUNGFER FRÖHLICHIN. Hören Sie doch einmal. Ich will ihn Ihnen vorsingen. Damit Sie den Takt hören. Ich bitte mir's aber aus, daß Sie mich mit meiner Stimme nicht auslachen; ich habe nun schon keine Nachtigall werden sollen. Das wissen Sie.

ERNST GOTTHART. Ei! verachten Sie sich doch nicht so.[211]

JUNGFER FRÖHLICHIN singt.

Ma Commère, quand je danse,

Comment va mon Cotillon?

Ma Commère, quand je danse

Comment va mon Cotillon?

Il va decà:

Il va delà:

Il va toujours de haut en bas.


Da capo.


ERNST GOTTHART. Ja, ja, ich höre schon, es ist der Kotillon. Aber gefällt Ihnen denn der französische Text nicht? da Sie doch Französisch gelernet haben?

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ei! was wollte er mir gefallen! Meine Französin hat mir ihn deutsch übersetzen müssen, und weil sie keine Verse machen kann, so hat sie auch keine Reime hinein gemacht. Hören Sie nur einmal, wie das kauderwelsch klingt. Sie singt.

Wenn ich tanz', Gevatterin,

Sagt, wie geht mir denn mein Rock?

Wenn ich tanz', Gevatterin,

Sagt, wie geht mir denn mein Rock?

Bald ist er hie,

Bald ist er da;

Er geht immer auf und ab.

V.A.

Ha, ha, ha, ha! Sollte sich ein Mensch nicht krank lachen, wenn er dergleichen Zeug höret? Ich weiß nicht, ob die Reime schuld daran sind, oder ob der Text selbst so possierlich ist, als er mir vorkömmt?

ERNST GOTTHART. Nein, Jungfer Muhme, an den Reimen liegt es nicht. Der Text an sich selbst ist so kauderwelsch, als die meisten französischen Chansons sind. Sie sind selten viel klüger als unsere Ringelreime, die die Kinder auf den Gassen singen. Aber wenn ein Ding nur Reime hat, so singt es der Franzose, es mag nun sonst gehauen oder gestochen sein.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Sie können wohl recht haben.

ERNST GOTTHART. Hätte ich diesen Kotillon gemacht, ich schämte mir die Augen aus dem Kopfe.[212]

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ja, Herr Vetter, das macht, die Franzosen haben selten was vom Malo hypochondriaco.

ERNST GOTTHART lachend. Nein, das ist eben ihre Nationalkrankheit nicht.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Es ist aber schade um den schönen Tanz, daß er einen so läppischen Namen vom Unterrocke hat. Ich tanze ihn so sehr gern: und allemal hat man doch keine Musik, da muß ich mir nun dazu singen: denn das ewige Hum-hum oder La-la-la ist mir unerträglich.

ERNST GOTTHART. Ja, ja, es kommt freilich kein Verstand heraus.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Nun, wie gesagt, Herr Vetter, Sie müssen mir zu meinem französischen Tanze einen hübschen lustigen deutschen Text machen.

ERNST GOTTHART. Ja, ja, Jungfer Muhme. Sie können sich darauf verlassen. Ich will Ihnen einen machen.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Nun, so lassen Sie ihn hören. Ich will ihn gleich auswendig lernen.

ERNST GOTTHART. Ja, meine liebe Jungfer Muhme, das geht so geschwinde nicht an. Verse machen erfordert sehr viel Zeit.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ei, warum denn?

ERNST GOTTHART. Wenn es was Gutes sein soll. Ich verschreibe oft einen ganzen Bogen über eine Arie von vier Zeilen.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Schade um das schöne Papier!

ERNST GOTTHART. Wenn ich nun lange genug ausgestrichen und meine Gedanken wohl hundertmal umgeschmolzen habe, so weiß ich doch oft zuletzt selbst nicht, welches die besten sind. Es gibt bei einem jeden einzelnen Worte unsäglich viel zu bedenken und zu beobachten.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Nun, so was Extrafeines und Wunderwürdiges darf es ja eben nicht sein. Wenn es nur ein wenig gescheiter ist als das französische.

ERNST GOTTHART. Ja! das ist Ihnen wohl genug: aber mir nicht. Ich wollte gern was machen, was nicht nur besser wäre als das französische; sondern auch besser als alles, was man noch von dieser Art im Deutschen gesehen hat.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Behüte der Himmel! Herr Vetter, so mühsam müssen Sie sich's nicht machen. Sie sind ein junger Mensch, von Ihnen begehrt man keine untadelhaften Meisterstücke.[213]

ERNST GOTTHART. Ei! was sagen Sie, Jungfer Muhme? eben die jungen Leute sind's, von denen die Nachwelt die Meisterstücke dieser Zeiten zu gewarten hat. Das müßte ein schlechter Kopf sein, der nicht jetzt schon aus Schulen bessere Gedichte machte, als die anderen Dichter in ihrem dreißigsten oder vierzigsten Jahre machen.

JUNGFER FRÖHLICHIN. So? ist die Vollkommenheit heutezutage so sehr mit dem kahlen Kinne verbunden?

ERNST GOTTHART. Ich kenne Greise von zwanzig Jahren, die an ihre Wäscherinnen und Schneidertöchter Verse machen, die unsre Zeit kaum wert ist zu lesen, und die Leibniz und Euklides kaum verstehen würden.

JUNGFER FRÖHLICHIN lachend. Verstehen Sie denn aber diese Menscher?

ERNST GOTTHART. Ja, ich habe die Ehre, keine davon zu kennen. Sie werden von den Herren Dichtern immer unter den edlen Namen Phyllis, Chloris und so weiter verkappt; ungeachtet ihre eigene Namen vielleicht Käthe, Röse und Else heißen.

JUNGFER FRÖHLICHIN lachend. Nun, dergleichen Meisterstücke für solche Leserinnen! Mich dünkt, das heißt die Perlen vor die Säue werfen.

ERNST GOTTHART. Ach! glauben Sie das nicht! es kömmt nur darauf an, was man den Leuten zu lesen gibt. Einer von meinen gelehrten Freunden hat neulich auf eine gründliche Art denn das ist allemal seine Gewohnheit. bewiesen: daß noch alles Frauenzimmer in der Welt in kurzem die mathematischen Gedichte so gut verstehen würde, als sie die Pamela verstehen.

JUNGFER FRÖHLICHIN lacht sehr. Und wie will er das machen?

ERNST GOTTHART. Er will keine andere als solche schwere Verse schreiben.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Wer wird aber das Frauenzimmer zwingen, sie zu lesen? Wie? wenn sie nun den Plunder hinwerfen?

ERNST GOTTHART. Es kann sein, daß ihm von diesem Unglücke etwas geahndet hat: drum teilt er auf eine so neue als scharfsinnige Art das menschliche Geschlecht in zwo Klassen ein; nämlich in kluge Leute und in das Frauenzimmer.

JUNGFER FRÖHLICHIN lacht sehr. Er tut dem Frauenzimmer, die er kennt, und mit denen er umgeht, wahrhaftig viel Ehre an! denn von[214] den andern kann er doch nicht urteilen. Indessen, Herr Vetter, wir wollen lieber wieder auf unser Liedchen kommen.

ERNST GOTTHART. Ich will es Ihnen gewiß machen, Jungfer Muhme. Aber die Zeit, wenn Sie es kriegen werden, kann ich Ihnen nicht bestimmen. Es können sich täglich Hindernisse finden! und sieben Tage machen dann eine Woche; vier Wochen machen einen Monat; zwölf Monate machen ein Jahr; und wer weiß, ob ich nicht noch dieses Jahr sterbe.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ei, ich dachte gar sterben! kommen Sie schon wieder auf Ihre Todesgedanken?

ERNST GOTTHART. Was ist natürlicher, als daß ein junger kränklicher Mensch stirbt?

JUNGFER FRÖHLICHIN. Drum eben will ich die Verse jetzt von Ihnen haben, weil wir noch beide am Leben sind, und weil Sie sie noch machen, und ich sie singen kann. Hören Sie, ich habe beim Pfandspielen, und wenn wir Hechte gesessen haben, auch so ein bißchen Reimen gelernet. Helfen Sie mir nur auf die Sprünge. Sagen Sie mir nur die erste Zeile, so will ich sehen, ob ich die andere etwa selbst machen kann.

ERNST GOTTHART verdrießlich. Ei! Jungfer Muhme, das wird ein ebenso abgeschmacktes Mischmasch werden, als der französische Kotillon ist!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Was schadet's? Wir wollen einmal der französischen Flüchtigkeit zum Possen versuchen, ob wir nicht auch aus dem Stegereife dichten können?

ERNST GOTTHART. Wenn Sie es durchaus befehlen, so muß ich mir's wohl gefallen lassen.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Nun, so fangen Sie an.

ERNST GOTTHART. Aber, Jungfer Muhme, wir bringen wahrhaftig nichts Kluges heraus!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Wer hat Ihnen denn gesagt, daß ich was Kluges daraus haben will? Ich bin ja kein Ballenbinder und Sackträger, daß ich zur klugen Hälfte des menschlichen Geschlechtes gehörte. Es soll alles nur lauter Spaß sein. Fangen Sie an.

ERNST GOTTHART singt. Auf, mein Sinn sei frisch und frei!

JUNGFER FRÖHLICHIN singt. Flieh die Grillenfängerei.

Nun weiter!

ERNST GOTTHART singt. Scherz und sing,

JUNGFER FRÖHLICHIN singt. Tanz und spring;[215]

BEIDE singen. Denn mein Herz ist guter Ding'.

V.A.

JUNGFER FRÖHLICHIN lachend. Ei, Herr Vetter! Sehen Sie, wir leben noch ein Jahr beisammen: denn wir haben einerlei Gedanken. Wir müssen's noch einmal singen, damit ich es behalte.


Sie singen es beide noch einmal.


JUNGFER FRÖHLICHIN. Gut, gut! Nun will ich's so leicht nicht vergessen!

ERNST GOTTHART. Sagen Sie's ja keiner Seele, daß ich Ihnen eine Silbe darzu angegeben habe.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Nein, nein! fürchten Sie nichts. Aber nun müssen wir auch einmal darnach tanzen, Herr Vetter; damit ich sehe, ob ich nach dem deutschen Texte auch den Takt halten kann.

ERNST GOTTHART. Sie sind viel zu geschickt, als daß Sie ihn verfehlen sollten.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Nun, so tanzen Sie es doch nur einmal mit mir. Sie fasset ihn bei der Hand.

ERNST GOTTHART zieht sich. Ich kann nicht tanzen.

JUNGFER FRÖHLICHIN lacht. Ja, wer eine Närrin wäre und das glaubte!

ERNST GOTTHART. Wie gesagt: ich kann nicht tanzen!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ei, Possen! Sie sind auf Universitäten gewesen und werden nicht tanzen können?

ERNST GOTTHART verdrießlich. Versichert, Jungfer Muhme! Ich kann den Tanz nicht und tanze auch überhaupt nicht.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ei, Sie müssen mit mir tanzen. Einem Hypochondristen ist die Bewegung gesund. Die Wahrheit zu sagen, ich kann ihn auch nicht recht: so lernen wir ihn beide bei dieser Gelegenheit.

ERNST GOTTHART lacht. Je! was wollen wir denn daran tanzen, wenn Sie ihn nicht können, und ich ihn auch nicht kann?

JUNGFER FRÖHLICHIN lacht sehr. Ich glaube, Ihnen ist bange, daß uns die Wand auslachen wird: denn sonst kann es doch niemand tun. Kommen Sie; ich singe schon!


Sie faßt ihn bei der Hand, er macht seitwärts verdrießliche Mienen. Sie singen beide und tanzen. Am Ende kömmt Jungfer Fröhlichin heraus, und Ernst Gotthart hilft ihr wieder zurechte.[216]


JUNGFER FRÖHLICHIN. Ei, ei! heißt das den Tanz nicht können, Herr Vetter! und Sie helfen mir noch zurechte? Sagen Sie mir, um des Himmels willen, was haben Sie nun wieder für Grillen? Sie stehen ja ganz betrübt?

ERNST GOTTHART. Ei! wie glücklich sind Sie nicht, Jungfer Muhme, daß Sie ein freudiges Gemüt haben können!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Je, warum sollte ich das nicht haben? Ich habe ja niemanden was zuleide getan?

ERNST GOTTHART. Ich meines Wissens auch nicht; aber darauf kömmt es nicht an!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Es fehlt mir auch auf der Welt, Gottlob! an nichts.

ERNST GOTTHART. Mir auch nicht; aber das macht es noch lange nicht aus!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ich besorge meine Hausgeschäfte recht mit Spielengehen, und wenn ich nun dann und wann eine Freistunde habe oder bei guten Freunden bin: warum sollte ich mir da nicht alles mögliche Vergnügen machen?

ERNST GOTTHART. Ja, ja! es ist ganz gut: wem es nur gegeben ist!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ei! solange man noch jung ist und für nichts zu sorgen hat, so muß man sich seine jungen Jahre auch zunutze machen. Sie werden einem doch einmal für voll angerechnet. Meine selige Mutter sagte zwar zu mir: wer gern tanzt, dem ist bald gepfiffen.

ERNST GOTTHART seufzend. Ja! da hat sie wohl ein wahres Wort gesagt!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Allein, ich habe doch von andern gehört, daß sie in ihrer Jugend leichtlich keine Lustigkeit ausgeschlagen hat.

ERNST GOTTHART niedergeschlagen. Es ist allerdings schön, wenn man die beste Zeit seines Lebens mitnehmen kann, weil sie noch da ist.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Und warum tun Sie es denn nicht, Herr Vetter! Warum verderben Sie den besten Teil ihrer Jahre mit der Kalendermacherei und den ewigen sorgsamen Vorstellungen?

ERNST GOTTHART niedergeschlagen. Ach! Jungfer Muhme! quälen Sie mich nur mit solchen Fragen nicht! Meine beste Zeit ist dagewesen und kömmt nimmermehr wieder!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ei, Possen, Herr Vetter! vor den Jahren[217] müssen die Sorgen nicht kommen. Singen Sie nur fleißig das Liedchen, was wir jetzt gemacht haben, und tun auch hübsch darnach: so wird die gute Zeit bald wiederkommen.

ERNST GOTTHART betrübt. Ach, liebe Jungfer Muhme! wie kann ich lustige Lieder singen, wenn mein Herz voller Angst ist? Lustige Lieder sind nur für solche fröhliche Gemüter, als Ihres ist.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ei, Herr Vetter! können Sie lustige Verse machen, so können Sie sie auch wohl singen!

ERNST GOTTHART. Aber meine lustige Verse sind auch immer für fremde Leute. Ich habe keinen Vorteil davon, als daß ich andere Leute lustig mache und mich selbst dabei kränke.

JUNGFER FRÖHLICHIN. So bilden Sie sich doch nur einmal ein, Sie wären an der lustigen Leute ihrer Stelle; ich will mir einbilden, daß ich an Ihrer Stelle sei. Sie sollen sehen, was das für ein lustiger Hypochondrist sein wird! Und damit Sie sehen mögen, wie sehr ich Ihnen für das Liedchen verbunden bin: so will ich Ihnen auch etwas schenken, das Ihnen vielleicht angenehmer sein wird, als der Tanz war. Sie zieht etwas, das in ein Papier gewickelt ist, aus der Tasche.

ERNST GOTTHART. Um des Himmels willen! Jungfer Muhme, führen Sie mich nicht in Versuchung.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Nun, nun, Herr Vetter! es war Ihnen einmal zugedacht gewesen; aber nun haben Sie es gar verdient. Sie will es ihm geben.

ERNST GOTTHART weigert sich. Nimmermehr, Jungfer Muhme!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Nun, warum denn nicht? Es ist kein Geld, das dörfen Sie nicht glauben. Es ist nur sonst etwas, das die jungen Herren von den Jungfern wohl anzunehmen pflegen.

ERNST GOTTHART weigert sich immer. Nein, nein! ich nehme es nicht an; und wenn es auch Ihr eigen Bildnis wäre!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Nun, das wäre auch artig! und warum denn nicht?

ERNST GOTTHART. Nein, Jungfer Muhme, ich mache mir ein Gewissen daraus.

JUNGFER FRÖHLICHIN lachend. Sie machen sich ein Gewissen, zu nehmen, und sind eines Kaufmanns Sohn? Nein. Ich halte es ganz[218] anders. Wenn mir jemand was schenken will, so nehme ich es mit allem Danke an. Nehmen Sie's immer, Herr Vetter!

ERNST GOTTHART weigert sich. Nein! wenn ich's nähme, so hätte ich in meinem Leben keine ruhige Stunde. Wollen Sie mir ja was schenken, Jungfer Muhme, so schenken Sie mir einen Kuß: davon haben Sie keinen Schaden und ich auch nicht. Ein Kuß hat nichts zu sagen: das versichern alle Moralisten, Zivilisten und Kanonisten.

JUNGFER FRÖHLICHIN besinnt sich ein wenig. Hm! ... Aber die Kanonisten können doch nicht wissen, ob ich nicht das Malum hypochondriacum bekäme, wenn ich Sie küßte?

ERNST GOTTHART erschrocken. Das Malum hypochondriacum?

JUNGFER FRÖHLICHIN ernsthaft. Ja, ja, Herr Vetter! Wenn ich küssen soll, so kriege ich augenblicklich schwermütige Gedanken. Soll ich einen Junggesellen küssen, so besorge ich immer, er möchte es einem Juristen ausplaudern, der mich denn gleich zu seiner Braut machte. Soll ich einen Ehemann küssen, so denke ich, seine Frau möchte es übelnehmen. Und soll ich endlich ein ander Frauenzimmer küssen, wie das anjetzt die ärgerliche Mode ist, so denke ich auch, ich tue unrecht daran. Mancher fromme Junggeselle ärgert sich doch daran.

ERNST GOTTHART. Ei! so behüte mich der Himmel, daß ich Ihnen einen Kuß anmuten sollte? Lieber wollte ich Ihnen den Tod gönnen, als daß Sie sich durch meine Schuld das Malum hypochondriacum zuziehen sollten. Ihre Besorgnisse sind alle in LL. et communibus opinionibus Doctorum gegründet.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Darum eben! so verlangen Sie nichts von mir, was ich ohne meinen größten Schaden nicht geben kann, und nehmen hübsch das, was ich Ihnen selbst anbiete. Es ist nur eine goldne Schnur um den Hut, so wie die jungen galanten Herren sie anjetzt durchgängig tragen. Sie kostet mir nichts. Nehmen Sie sie nur. Sie will sie ihm geben.

ERNST GOTTHART. Nein doch, nein! Jungfer Muhme. Ich nehme von Ihnen nun einmal gar nichts an.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Wollen Sie mich denn etwa recht böse machen, Herr Vetter Schon gut! Sie will die Tresse wieder einstecken.

ERNST GOTTHART erschrocken. Sind Sie böse, Jungfer Muhme!

JUNGFER FRÖHLICHIN tut böse. Ja freilich! Sie sollten sich schämen, einem Frauenzimmer den Korb zu geben![219]

ERNST GOTTHART. Nun, damit Sie sehen sollen, daß ich mir lieber alles Unheil zuziehen als Sie erzürnen will, so will ich mir's von Ihnen ausbitten.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Nun, da haben Sie's! Sie gibt ihm die Tresse, er nimmt sie und küßt ihr die Hand. Ich glaube doch gar, Sie denken, ich habe sie meinem Vater aus dem Laden gemauset.

ERNST GOTTHART. Ei, beileibe! das sage ich nicht!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ich wollte wohl wetten, daß Sie das denken und befürchten, daß Sie noch nach diesem einen großen, gewaltigen, kostbaren, gefährlichen Prozeß darüber bekommen möchten. Nicht wahr?

ERNST GOTTHART. Nein, das besorge ich eben nicht. Aber ...

JUNGFER FRÖHLICHIN. Aber es könnte doch wohl sein? Nicht wahr? Sie lacht.

ERNST GOTTHART. Je nu! wer kann alle künftige Fälle vorher wissen? Aber wenn man doch sieht, daß sie möglich sind, so ...

JUNGFER FRÖHLICHIN lachend. Je! mit Ihren künftigen Möglichkeiten! Wie? wenn künftig einmal der Himmel einfiele? Was fingen Sie denn an?

ERNST GOTTHART. Ei, Jungfer Muhme! das ist nicht möglich!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ja, warum nicht? Es sind ja keine Balken darunter?

ERNST GOTTHART. Nun, nun! sein Sie nur zufrieden! und setzen Sie mir keine neue Zweifel in den Kopf, Jungfer Muhme. Ich habe ja Ihr Geschenk angenommen.


Quelle:
Die bürgerliche Gemeinschaftskultur der vierziger Jahre. Herausgegeben von Prof. Dr. Brüggemann, Leipzig 1933, S. 210-220.
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