Fünfter Auftritt

[236] Jungfer Fröhlichin mit einem Wachsstocke. Heinrich. Ernst Gotthart.


JUNGFER FRÖHLICHIN erschrocken. O Himmel! was ist's? Was ist hier zu tun? Bringt sich hier jemand im Finstern um? Heinrich? Was habt Ihr mit Eurem Herrn vor?

HEINRICH besieht seinen Herrn, der sich das Knieband nicht aufgelöset, sondern die goldene Tresse um den Hals hat. Nun, da sehen Sie das Spektakel, Jungfer Fröhlichin! Da will sich mein Herr erwürgen, weil er meint, daß er Ihre goldne Tresse verloren hat, und braucht selbst die Tresse dazu.

JUNGFER FRÖHLICHIN erschrocken. Hilf, Himmel! ist denn gar[236] kein Leben mehr in ihm? Geschwinde, macht Luft. Sie schüttelt ihn. Herr Vetter! Herr Vetter!

HEINRICH schüttelt ihn. Herr Gotthart?

ERNST GOTTHART ohnmächtig. Ach, Heinrich! die Tresse!

HEINRICH. Hier ist sie! Hier ist sie!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ei, es ist noch Leben in ihm. Gebt mir einen Stuhl her, Heinrich. Heinrich setzt ihr einen Stuhl neben den jungen Herrn, dem sie ihr Schwammdöschen vorhält.

ERNST GOTTHART. Wo ist sie denn?

HEINRICH. Zum Henker! hier ist sie! Sie haben sie ja um den Hals statt des Strumpfbandes. Da ist sie! Er gibt sie ihm.

ERNST GOTTHART besieht die Tresse. Wie? hat sich denn mein Strumpfband in meine Tresse verwandelt? Ach! nun sehe ich's ... ich habe sie in Gedanken statt meines Kniebandes umgebunden. Nun, was das für eine Todesangst gewesen ist! ... Ist sie das auch? ... Es ist mir ja alles ganz gelbe vor den Augen.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Kennen Sie mich denn nicht mehr, Herr Vetter?

ERNST GOTTHART. Wer? Wer ist da?

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ich bin's. Ihre Muhme.

ERNST GOTTHART. O mein Engel! sind Sie es? Heinrich, ist's nicht die Jungfer Fröhlichin?

HEINRICH. Freilich; wer wollte es sonst sein? Denken Sie nur, was Sie uns für Angst abgejaget haben!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ja, Herr Vetter, das Schrecken vergesse ich so leicht nicht! habe ich Ihnen die Tresse dazu geschenkt, daß Sie sich damit strangulieren sollen wie ein türkischer Bassa?

ERNST GOTTHART nimmt sie bei der Hand, die er oft küßt. Ach! ich bitte Sie tausendmal um Vergebung, Jungfer Muhme! Ich konnte mir nicht anders einbilden, als daß sie fort wäre: und da scheuete ich mich dermaßen vor Ihrem Zorne, daß mir der Tod dagegen was Geringes zu sein schien.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Aber, um einer leidigen Tresse willen, die Sie für verloren halten, sich umzubringen? Ist das nicht zuviel? Heinrich zeigt ihm die Perücke. Setzen Sie nicht Ihre Perücke wieder auf? Sie möchten sich sonst erkälten.[237]

ERNST GOTTHART. Ach allerteureste Jungfer Muhme! ich werde mich nicht eher zufrieden geben, bis Sie mir mein Vergehen verziehen haben.

JUNGFER FRÖHLICHIN lächelnd. Nun, ich will sehen, ob das möglich ist. Aber sagen Sie mir nur, verdient wohl eine so schlechte Tresse ...

ERNST GOTTHART küßt ihr die Hand. Ach! Jungfer Muhme, mich brachte nicht sowohl der Verlust der Tresse in Verzweiflung als die unzähligen Sorgen, die ich mir wegen des Zukünftigen machte.

HEINRICH zupft ihn. Herr Gotthart, setzen Sie doch die Perücke auf, und sitzen Sie nicht so im bloßen Kopfe.

ERNST GOTTHART sieht sich um. Wartet doch!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Wer setzt Ihnen aber solche ungegründete Grillen in den Kopf? Sind Sie es nicht selbst?

ERNST GOTTHART. Ja, allerliebste Jungfer Muhme! wer ist wohl Herr über seine Gedanken?

HEINRICH wirft die Perücke wieder hin, wo sie gelegen hatte. Meinethalben bleib du da liegen!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ei, Herr Vetter, die Entschuldigung hilft Ihnen nichts. Sind Sie nicht Herr über Ihre Gedanken, wenn Sie Ihnen einfallen: so sind Sie doch wenigstens insoweit Herr darüber, daß Sie sie unterdrücken können.

ERNST GOTTHART. Nein, Jungfer Muhme, das ist mir ebenso unmöglich. Ich habe es wohl tausendmal versucht; allein es geht nicht an. Er fühlt sich nach dem Kopfe. Heinrich, wo ist meine Perücke?

HEINRICH. Da liegt sie. Ich habe Sie Ihnen schon so oft angeboten. Sie wollen sie ja nicht haben. Er hebt sie auf und gibt sie ihm.

ERNST GOTTHART. Um Verzeihung, Jungfer Muhme. Bin ich denn gar außer mir selbst gewesen? Er setzt sie auf.

JUNGFER FRÖHLICHIN ernsthaft. Herr Vetter! Sie sagten, es wäre Ihnen nicht möglich, Ihre aufsteigenden sorgenvollen Gedanken zu ersticken?

ERNST GOTTHART zuckt die Achseln. Nein, englische Jungfer Muhme!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Das ist aller Hypochondristen ihre Entschuldigung. Allein, nehmen Sie mir's nicht übel: Sie fangen die Sache nur nicht recht an. Ich habe Sie heute mit Ihrer Hypochondrie schon genug[238] ausgelacht und gehofft, Sie würden dadurch einsehen lernen, daß diese Krankheit zum Teile lächerlich sei. So hat meine selige Mutter es mit meinem Vater gemacht und hat ihn glücklich kurieret. Allein, da ich mit ebenderselben Kur nicht fortkomme: so wollen wir doch einmal von der Sache ernsthaft reden.

ERNST GOTTHART. Ach, mein Engel! reden Sie, was Sie wollen. Zürnen Sie, schelten Sie, lachen Sie mich aus; ich will es alles gelassen ertragen.

HEINRICH setzt die Hände in die Seite. Nun; das soll mich verlangen!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Nein, Herr Vetter, schelten und zürnen will ich mit Ihnen nicht. Allein, hören Sie mich nur ein wenig. Das glaube ich Ihnen gern, daß Sie alsdann, wann Ihre verwirrte Einbildungskraft rege wird, die Torheit Ihrer Gedanken nicht sogleich einsehen können. Allein, Sie und alle Ihre Kollegen, die werten Herrn Hypochondristen, sollten doch nur einmal bei gelassenem Gemüte eine Betrachtung über alles das Vergangene anstellen: so würden sie sich leicht überzeugen, daß es lauter Torheiten gewesen. Diese Wahrheit müßten sie sich zu einer festen Regel setzen und allemal, wenn das Malum sich wieder meldete, den Schluß machen: es wäre auch wieder eine bloße Einbildung und ein leerer Dunst.

HEINRICH. Ich glaube gar, Sie haben studiert!

ERNST GOTTHART. Ach, Mühmchen! Sie reden wie ein Engel! Aber helfen Sie mir doch wenigstens auf die Spur, wie man eine solche allgemeine Betrachtung anstellen kann.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Herzlich gern, Herr Vetter. Antworten Sie mir nur immer auf meine Fragen: so werden Sie sich von selbst darauf führen. Besteht nicht Ihre ganze Hypochondrie darinnen, daß Sie sich ohn Unterlaß mit fürchterlichen Gedanken plagen?

ERNST GOTTHART seufzt. Ja freilich!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Und ein zukünftiges ungewisses Übel so besorgen, als ob es gegenwärtig und gewiß wäre?

ERNST GOTTHART. Ja, ja!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Oder daß Sie sich auch aus jeder Kleinigkeit ein abscheuliches, fürchterliches Meerwunder machen?

HEINRICH. Ja, ja! da liegt der Hund begraben!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Haben Sie aber bisher endlich nicht noch immer gefunden, daß die Sorge wegen des Zukünftigen teils unnötig, teils[239] ein Hirngespinst gewesen? und daß auch das gegenwärtige Böse entweder sehr klein oder gar leicht zu verbessern gewesen?

ERNST GOTTHART. Ja, das ist wohl meistenteils so herausgekommen.

HEINRICH. Gelte! Sie wissen noch wohl, wie es Ihnen mit dem alten Holzhacker und mit den Pantoffeln im Bette gegangen ist?

ERNST GOTTHART. Haltet Euer Maul!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Haben Sie nicht vielmehr mit der Zeit bei einer gelassenen Überlegung gefunden, daß das, was Sie anfangs nicht unbillig für einen Fehler oder für etwas Übles gehalten, nachmals zu Ihrem Vergnügen oder Sie desto behutsamer zu machen, ausgeschlagen ist?

ERNST GOTTHART. Jawohl.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Haben Sie ferner mit allen Ihren Sorgen jemals wohl das geringste gebessert, sondern es nicht vielmehr noch zehnmal ärger gemacht, als es an sich gewesen!

ERNST GOTTHART. Was soll ich sagen? Es ist nicht anders. Ich bekenne es.

HEINRICH. Mich dünkt auch! die Mordgeschichte mit der goldenen Tresse ist eine feine Probe davon.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Müssen Sie also nicht endlich erkennen, daß alle Ihre bisherige Grillenfängerei eitel Torheit gewesen? und können Sie sich nicht daraus eine Regel aufs künftige machen, um alle sorgenvolle Kümmernisse gleich für dasjenige zu halten, was sie wirklich sind; nämlich für einen leeren Dunst?

ERNST GOTTHART küßt ihr die Hand. Ach, Jungfer Muhme! Sie haben einen englischen Verstand! Ich wundere mich nun nicht mehr, daß Sie ein so ausgeräumtes, frohes Gemüt haben. Wollte der Himmel, ich könnte zeitlebens um und bei Ihnen sein! Ihre vernünftigen Vorstellungen kurieren mich viel besser als alle Brunnen und Rezepte. Sie sehen es doch ein, daß meine Krankheit mehr am Gemüte als am Leibe liegt. O wie ruhig würde meine Seele sein, wenn ich Sie täglich sehen, sprechen und bewundern könnte!

JUNGFER FRÖHLICHIN lächelnd. Nein, Herr Vetter, der täglichen Erinnerung wird es nicht gebrauchen. Sie können sich, wenn Sie nur wollen, mit dem, was ich Ihnen jetzt gesagt habe, lebenslang behelfen. Sie brauchen deswegen eben nicht beständig bei mir zu sein. Es wird Ihnen[240] gewiß so oft beifallen, als Sie sich meiner Wenigkeit erinnern werden. Halten Sie nur dabei eine ordentliche Diät und versäumen keine Gelegenheit, sich eine Lust zu machen: so werden die Mediziner und die Krankheiten zugleich von Ihnen wegbleiben.


Heinrich stößt und zupft seinen Herrn und winkt ihm, er soll mit der Sprache herausrücken.


ERNST GOTTHART. Ach, allerliebste Jungfer Muhme! nur das reizende Vergnügen Ihres Umganges müssen Sie mir nicht entziehen. Er küßt ihr die Hand. Glauben Sie, Ihre vortrefflichen Regeln würden alle ihre Kraft verlieren, wenn ich sie nicht oftmals aus Ihrem schönen Munde wiederholen hörte. Er seufzt. Ach! ...

JUNGFER FRÖHLICHIN. Was haben Sie nun wieder für eine Not?

ERNST GOTTHART. Ach! darf ich es sagen?

JUNGFER FRÖHLICHIN. Nur heraus! Besorgen Sie schon wieder was?

ERNST GOTTHART seufzend. Ja!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Und was denn?

ERNST GOTTHART. Daß ich zu kühn in meiner Hoffnung bin!

JUNGFER FRÖHLICHIN. Nun! das möchte ich hören! Sie kühn? das wäre gewiß das erstemal! Heraus damit!

ERNST GOTTHART. Ich will es wagen, weil Sie es zumal selbst befehlen. Sollte es nicht dem Himmel und Ihnen gefallen, mir die Last so vieler martervollen Stunden durch den Besitz Ihrer reizenden Person nunmehro mit unverrückter Zufriedenheit zu vergelten? Er küßt ihr die Hand.

HEINRICH tut einen großen Sprung. Nun, dazu hat ein Herz gehört, so groß wie ein Groschenbrot!

JUNGFER FRÖHLICHIN lächelnd. Ei, Herr Vetter! die Frage habe ich mir nicht vermutet, und Sie werden wohl wissen, daß es eine Frage ist, die in dieser Welt noch nie zum ersten Male gleich beantwortet worden ist.

ERNST GOTTHART verliebt. Nun, so will ich Sie zu tausend Malen gefragt haben, engelschönes Mühmchen! Ich lasse gewiß nicht nach, bis Sie mich durch ein erwünschtes Ja erfreuen. Er sieht sie sehr verliebt an und hält ihre Hand fest an seine Brust.[241]

JUNGFER FRÖHLICHIN lächelnd. Ei, Herr Vetter! können die Hypochondristen auch scherzen?

HEINRICH ernsthaft. Nein, nein! ich stehe für ihn, es ist sein rechter Ernst.

JUNGFER FRÖHLICHIN lustig. Ei nun, Herr Vetter! was ist dran gelegen? Unsere Väter sitzen gewiß unten und haben sich in den böhmischen Krieg vertieft. Kommen Sie! wir wollen einmal einen Spaß machen! wir wollen hinuntergehen und ihnen ganz unvermutet sagen, daß wir Braut und Bräutigam wären. Mich soll verlangen, was sie darzu sagen werden.

ERNST GOTTHART besorgt. Sollten sie es aber auch wohl übelnehmen?

JUNGFER FRÖHLICHIN faßt ihn bei der Hand. Kommen Sie nur!

HEINRICH schiebt ihn hintennach zur Türe hinaus. Gehen Sie! gehen Sie! Ich bitte Sie um des Himmels willen. Werden Sie nicht wieder wunderlich, ... Da die andern fort sind. nun Ihnen die Jungfer eine halbe Unze Witz in den Kopf praktiziert hat.


Ende des Lustspiels.[242]


Quelle:
Die bürgerliche Gemeinschaftskultur der vierziger Jahre. Herausgegeben von Prof. Dr. Brüggemann, Leipzig 1933, S. 236-243.
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