Sechstes Kapitel.

[26] Auf was seltsame Art Gargantua geboren ward.


Während sie diese Trinkwörtlein noch wechselten fing Gurgelmilte sich über Leibsschmerz zu klagen an; daß Grandgoschier vom Gras aufstund, ihr liebreich zusprach in Meinung[26] es wären die Kindeswehen und zu ihr sagt', es wär ihr dort gewesen zu frisch in dem Weidengebüsch und würd gewiß nicht lang mehr währen, so würd sie junge Bein gebären; müßt also sich auch ein frisch Herze fassen zur frischen Ankunft ihres Püppleins, und wenn ihr der Schmerz auch ein wenig streng däucht', so würd er doch bald ein Ende nehmen, und die drauf folgende Freud ihr all dieß Leid vertreiben, also daß sie gar nicht mehr dran denken würd. Denn, sprach er, ich beweis euchs: unser Heiland im Evangelium Johannis Sechzehn, sagt er nicht: Ein Weib, wenn sie gebiert, so hat sie Traurigkeit; wenn aber sie das Kindlein erst zur Welt geboren, gedenkt sie nicht mehr an die Angst? – Ey, spricht sie, daran sagt ihr recht, und diese evangelische Reden hör ich weit lieber und thun mir besser als wenn mir einer ein langes und breits das Leben der heiligen Magret vorsagt und mehr dergleichen Pfaffengewäsch. – Nur Lamms-Courag! sprach er, schafft dieß fort, so machen wir bald ein anders. – Ha! spricht sie, was doch ihr Mannsleut für gut reden habt. Nu mit Gottes Hülf will ich mich zwingen weils euch lieb ist. Aber ich wollt zu Gott daß er euch abgehauen wär. – Wer? was? spricht Grandgoschier. – Ha, antwort sie, wie blöd ihr thut! ihr verstehets ja wohl. – Mein G'sell? sprich er: Potz-Zickel-Blut! wenn euch dieß ansteht, schafft doch gleich ein Messer her! – Ach, sprach sie, ach bei Leib nit! Gott verzeih mirs, ich meints nit von Herzen. An meine Reden dürft ihr euch nicht kehren, weder wenig noch viel. Aber heut werd ich wohl mächtig zu schwitzen kriegen, so Gott mir nicht beisteht, und das alls um eures G'sellen willen, damits euch wohl wär.

Nur Herz gefaßt, nur Herz, sprach er, bekümmer dich des weitern nicht, und laß die vier Ochsen da vorn nur ziehen. Ich geh itzt und trink noch ein paar Schlückel, werd aber gar nicht weit seyn: wo dich indeß ein Weh austieß, bin ich auf einen Pfiff in die Hand flugs wieder bei dir.

Ueber ein kleines fing sie zu ächzen, zu lamentiren, zu schreyen an. Alsbald erschienen Hebammen haufenweis von allen Enden; die befühlten sie zu unterst und fanden ein Geschling[27] von ziemlich argem Geschmacke, dachten es wär das Kind: allein es war das Fundament das ihr entging durch die Erweichung des graden Darmes (welchen ihr den Mastdarm nennt), weil sie zu viele Kutteln gessen, wie wir zuvor berichtet haben.

Da macht' ihr eine alte Vettel aus der Gevatterschaft, die für eine große Aerztin geachtet, und vor etlichen sechzig Jahren von Brisepaille bei Sainct Genou dorthin gezogen war, die macht' ihr ein so entsetzlich Restrinctif, welches ihr alle Carunkeln im Leib dermasen zusammenschnürt' und räutelt', daß ihr sie mit genauer Noth mit den Zähnen hättet erlockern mögen: was schauderhaft zu denken ist: zumal der Teufel doch in der Meß des heiligen Martin als er das Geträtsch der beyden Sybillen aufschrieb, sein Pergament mit schönen Zähnen gar wohl zu prolongiren wußt.

Durch diesen Unfall öffneten sich die Cotyledones der Gebärmutter oberwärts, durch welche das Kind kopfüber hupft' in die hohle Ader, dann durch das Zwergfell weiter kroch bis über die Achseln, (wo sich gedachte Ader in zwey teilt,) und seine Straß zur linken nehmend, endlich durchs linke Ohr zu Tage kam. Sobald es geboren war schrie es nicht, wie die andern Kinder, mi mi mi! sondern mit lauter Stimm: zu trinken! zu trinken! zu trinken! gleich als ob es die ganze Welt zu trinken ermahnt', so hell auf, daß[28] es die ganze Gegend von Beusse und Bibaroys vernahm. Ich bild mir ein, ihr werd an diese verwundersame Nativität nicht steif und fest zu glauben wagen. So ihrs nicht glaubt, fichts mich nix an: aber ein Biedermann, ein Mann von Verstande glaubet allzeit das was man ihm sagt und was er in Schriften findet. Sagt nicht Salomo Sprichwörter am Vierzehnten: der Unschuldige glaubt jedes Wort u.s.w.? und der heilige Paulus Ersten Korinther 13: die Liebe glaubet alles? Warum wollet ihrs also nicht glauben? Weil man es nimmer ersehn hat, sagt ihr. Ich aber sag euch daß ihr eben um dieser einigen Ursach willen ihm vollen Glauben schenken müßt. Denn die Sorbonnisten nennen den Glauben ein Argumentum derer Ding, die man niemals mit Augen siehet.

Laufts etwann wider unser Gesetz, Glauben, Vernunft, oder heilige Schrift? Ich meines Orts kann in der Bibel nichts finden was dawider wär. Und wenn es Gott so gefallen hätt, meint ihr er hätts nicht thuen können? Ey ich bitt euch doch um alles, umnebelkäppelt euch nicht die Köpf mit solchen eiteln Gedanken: ich sag euch daß bey Gott kein Ding unmöglich ist. Und wenn er wollt so brächten von Stund an die Weiber ihre Kinder also durchs Ohr zur Welt! Bacchus, kam er nicht aus dem Schenkel des Jupiter? Spaltenfels nicht aus der Fersen seiner Mutter? Fliegenschnäpper aus seiner Ammen Pantoffeln zur Welt? Minerva, entsprang sie nicht durchs Ohr aus Jupiters Hirn? Adonis durch eines Myrrhenbaums Rinden? Kastor und Pollux aus einem Ey das Leda gelegt und ausgebrütet? Wie aber sollt ihr erst erstarren und staunen wenn ich euch itzund gleich das ganze Kapitel des Plinius auslegen wollt, in welchem er von seltsam unnatürlichen Geburten handelt? Gleichwohl bin ich noch lang kein so dreister Lügner als er. Lest nur in seiner Naturgeschichte das dritte Kapitel des siebenten Buchs und quält mir nicht länger die Ohren damit.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 26-29.
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