Acht und Zwanzigstes Kapitel.

[97] Wie Pikrocholus die Clermaldsburg mit Sturm einnahm, und wie schwer und ungern Grandgoschier sich zum Kriegführen anließ.


Während der Mönch sich, wie gedacht, mit denen im Garten herumscharmüzzelt, zog Pikrochol mit seinem Volk in grosser Eil über den Furth von Vede und stürmt' die Clermaldsburg, allwo er nicht den mindesten Widerstand fand. Und weils schon Nacht ward, ging er zu Rath in selbiger Stadt mit seinem Volk Quartier zu schlagen und seine scharfe Cholera was abzukühlen. Des Morgens früh nahm er die Wäll und das Schloß mit Sturm ein, befestigt' es gut und versah es mit der benöthigten Ammunition, in Hoffnung daselbst einen Halt zu haben, so man ihn etwa wo andersher überfallen sollte. Denn der Ort war fest sowohl durch Kunst als von Natur, nach seiner Lag und Haltsamkeit.

Aber wir wolln sie nun da lassen, und wieder auf unsern guten Gargantua zu reden kommen, der in Paris den edeln Wissenschaften und den athletischen Leibesübungen obliegt; und auf seinen Vater, das liebe alte Biedermännlein Grandgoschier, das nach dem Abendbrod bey einem schönen, lustigen hellen Feuer ihm die Schellen wärmt und, während er harrt daß die Kästen platzen, mit einem angebrannten Stecken womit man das Feuer schürt, etwas auf den Heerd malt und seinem Weib und Hausgesind allerlei artige Geschichten von alten Abentheuern erzählte.

Um diese Stund erschien vor ihm der Hirten einer von der Rebhuth, namens Plackart und erzählt ihm ausführlich was für Malast und Unfug Pikrocholus der König von Lerné in seinem Land und Gebiet verübt, und wie er den ganzen Gau verheeret, geplündert und gebrandschatzt hätt, ausgenommen den Klostergarten von Seuillé, welchen Bruder Jahn Klopfleisch zu seinem grossen Ruhm vertheidigt; und wie ernannter König itzund zu Clermaldsburg wär, wo er sich sammt seinem Volk aufs best verschanzet.

Holo holo! ruft Grandgoschier da aus. Was ist dieß, lieben Leut? Träumt mir, oder ists wahr, was man mir[98] sagt? Pikrocholus, mein alter Stamm- und Bundesfreund seit ewigen Zeiten, kommt er mich zu befehden her? Was treibt ihn dazu an? Was reizt ihn? Was bewegt ihn? Wer hat ihn also zuberaten? Ho ho ho mein Gott! mein Heiland! hilf mir, rath, erleucht mich, was hier zu thun! Ich protestir, ich schwör vor dir, so wollest du mir gnädig seyn als ich ihm jemals ein Leids gethan, noch seine Leut geschädigt oder in seinen Staaten ein Unbill verübt hab. Sondern im Gegentheil hab ich ihm mit Gab und Gunst, mit Rath und That, überall treulich beygestanden, wo ich sein Bestes nur absehen mocht. So er nun solcherweis mich kränket, muß es vom bösen Geist herkommen. Guter Gott, du kennest mein Herz, denn dir kann nichts verborgen bleiben. Wäre er etwann toll geworden, und hättest mir ihn daher geschickt ihm das Gehirn zurechtzusetzen, o so verleihe mir Kraft und Weisheit, ihn unter das Joch deines heiligen Willens durch gute Zucht zurückzubringen! Ho ho ho meine lieben Leut, ihr guten Freund und treuen Diener, muß ich euch dann noch hie bemühn und um Beystand bitten? Ach! mein Alter sollt hinfüro nur Ruh erfordern, und all mein Lebtag hab ich mir nichts so eifrig gewünscht als Frieden zu haben: aber ich seh nun, es muß wohl seyn, daß ich itzunder noch meine armen schwachen müden Schultern mit der Last des Harnisch beschweren und in die zitternde Hand den Speer und die Axt zu Schutz und Schirm meines armen Volkes nehmen muß. Die Billigkeit erheischet es; denn von ihrer Arbeit werd ich erhalten, ihr Schweiß ernähret mich samt meinen Kindern und Hausgesind. Jedennoch will ich keinen Krieg anfangen, ich hab dann noch zuvor erst alle Weg und Mittel zum Frieden versucht. Deß resolvir ich mich.

Demnach berief er seine Räth und hielt ihnen das Geschäft so für, wies stund. Da ward beschlossen man sollt einen klugen Mann an Pikrochol senden, zu erforschen warum er sich so plötzlich aus seiner Ruh erhoben und in ein Land einbräch daran er keinerley Recht hätt. Weiter sollt man den Gargantua und seine Leut aufrufen lassen, daß sie des Landes in solcher Noth zu wahren und es zu schirmen kämen. Welches alles dem Grandgoschier gefiehl, und befahl ihm nachzukommen. Fertigt' also auf der Stell den[99] Basker, seinen Lakayen an Gargantua ab, in aller Schnell ihn abzurufen, und schrieb ihm wie folget.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 97-100.
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