Ein und Dreyssigstes Kapitel.

[102] Des Gallets Red an Pikrocholus.


Keine gerechtere Ursach zur Betrübniß kann dem Menschen begegnen, als wenn er von daher, wo er mit Recht auf Gunst und guten Willen gezählt hat, nur Ueberlast und Schaden erfährt. Und nicht ohn Ursach (obschon mit Unrecht) haben Viele denen dergleichen widerfahren, solche Unbill für minder erträglich als ihr eigen Leben erachtet, und dafern sie weder mit Gewalt noch sonst durch andre Hülf es bessern können, sich selber dieses Lichtes beraubt.

Ist derhalb nicht zu wundern wenn der König Grandgoschier mein Herr ob deinem tollen feindlichen Einfall groß Misfallen hegt, und schier im Geist erschüttert ist. Ein Wunder wär es, wenn ihm der unerhörte Muthwill den du und dein Volk an seinem Land und Leuten verübt, nicht zu Herzen ginge, darin auch nicht ein einig Beyspiel der Grausamkeit unerzeigt ist blieben. Welchs ihm schon an sich selbst so weh thut, aus herzlicher Lieb die er von jeher zu seinen Unterthanen hegt, daß keinem Sterblichen weher thun könnt: aber noch über Menschenermessen weit mehr weh thut ihm dergleichen Schmach und Trutz von dir und den Deinigen zu erfahren, die ihr seit aller Zeit und Gedächtniß, du und[102] deine Väter mit ihm und allen seinen Vorfahren eine Freundschaft geschlossen hattet, so ihr als heilig bis daher unter einander unverbrüchlich hieltet, pflogt und bewahrtet: dergestalt daß nicht allein er und die Seinigen, sondern selbst die barbarischen Völker in Poitou, Bretagne, Maine, und die über den Canarischen Inseln und Isabella drüben wohnen, eben so leicht das Firmament zu erstürmen und den Abgrund über die Wolken zu erhöhen vermeinet haben, als abzufallen von euerm Bund; auch ihn bey ihren Unternehmen dermasen respectiret haben, daß sie aus Furcht des Einen Teiles, niemals den Andern zu erbittern, zu reizen oder zu schädigen sich erdreistet.

Ja was noch mehr: diese geheiligte Freundschaft ist so weit durch die Welt erschollen, daß wenige Völker heut zu Tag auf der ganzen Vest und den Inseln des Weltmeers wohnhaft sind, die nicht eifrig darein mit eingeschlossen zu werden getrachtet auf jeden euch beliebigen Beding, weil sie den Bund mit euch so hoch als ihre eignen Land und Staaten schätzten. Also daß seit Menschengedenken kein Fürst und keine Partey jemals so frech noch trutzig gewesen ist, die es gewagt hätt, ich will nicht sagen in eure Länder, sondern in eurer Bundesfreund Länder einzufallen. Und wenn sie auch einmal aus übereiltem Rath was neues wider sie anfangen, haben sie doch, sobald sie den Namen und Titel eures Bundes gehört, ihr Unternehmen fahren lassen. Welche Tollheit treibt dich dann nun alle Bündniß zu brechen an, alle Freundschaft darnieder zu treten, und mit Verhöhnung alles Rechtes sein Land mit Krieg zu überziehen, der du noch weder von ihm noch den Seinen irgend beschädiget, erzürnt noch beschweret bist? Wo ist Treu? Wo ist Recht und Gerechtigkeit? Wo Menschlichkeit? Wo ist Furcht Gottes? Meinst du daß solche Schmach den himmlischen Geistern und Gott dem Höchsten verborgen seyn könn, der unsrer Taten gerechter Vergelter? So du es meinest, betrügst du dich: denn es kommt alles vor sein Gericht. Ist es etwann ein verhängtes Schicksal oder Einfluß der Gestirn die deine Ruh und Wohlfahrt wollten zu Grunde richten? Also kommen alle Ding an ihr End und Ziel; und wann sie die oberste[103] Spitz erreicht, müssen sie wieder hinunterstürzen, denn sie können in solchem Stand nicht lang beharren. Dieß ist das End Derer die ihr Glück und Gedeihen nicht nach Vernunft und Mässigkeit brauchen mögen.

Wäre es aber so fürbestimmt und müßt anitzt dein Glück und Ruh ein End nehmen, soll es zum Schaden meines Königs gereichen, deßjenigen welcher dich eingesetzt hat? So dein Haus einfallen muß, soll es in seinem Einsturz auf den Herd dessen fallen, der es gemehrt hat? Dieß wär so weit über alle Schranken der Vernunft, so ganz und gar gemeinem Verstand zuwider, daß es mit Menschenbegriffen kaum möcht zu fassen seyn. Wirds auch kein Fremder glauben wollen, bis ihn nicht die augenscheinlich beglaubigte That lehrt, daß denen nichts theuer noch heilig ist, die, ihren verkehrten Gelüsten zur Frohn, sich Gottes und der Vernunft entsagen.

Wo deinem Land und Leuten von uns ein Unrecht geschehn wär, wo wir deinen Widersachern Gunst oder Vorschub geleistet, dir in deinen Händeln nicht beygestanden, durch unsre Schuld dein Ehr und guten Namen hätten schmälern lassen, oder besser zu sagen, wo der Lügengeist dich zu plagen erpicht, durch trügliche Blendwerk und sinnbethörende Hirngespinst dir in das Ohr geraunet hätt als wenn wir irgend etwas unsrer alten Freundschaft unziemliches an dir verübt, so mußtest du zuvor die Wahrheit erforschen, dann uns deß erinnern, und hätten wir nach deinem Wunsch dich so vergnügt, daß du mit uns zufrieden solltest gewesen sein. Aber, heiliger Gott! Was ist dein Fürsatz? Wilt du so als meineidiger Tyrann das Reich meines Herren verwüsten und plündern? Hast du ihn also feig und blöde erfunden, daß er nicht wollte, oder so machtlos an Volk, Geld, Rath und Kriegskunst daß er nicht könnt sich zur Wehre setzen wider dein bösliches Ungetüm? Zieh ab von Stund an, und sey längstens bis morgen wieder in deinem Land, ohn allen Tumult noch Gewalt unterwegen. Und zahl Ein Tausend Bisanten in Gold für den Schaden so du im Land verübt hast. Die eine Hälft die zahlst du morgen, die andr auf nächste Mayen-Idus, und lässest[104] einstweilen uns hie zu Geiseln die Herzogen von Schwindelhirn, Arlottern und Kleinitz, nebst dem Fürsten von Schäbigsheim und dem Vicomten van der Filzlaus.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 102-105.
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