Funfzigstes Kapitel.

[151] Die Anrede die Gargantua an die Überwundenen hielt.


Unsre Ahnherrn, Väter und Vorvordern solang wir denken können, sind immer der Meinung und Neigung gewesen, daß sie ihrer gewonnenen Schlachten Triumphgedächtniß und Ehrenmal lieber mit Siegestrophäen und Zeichen in die Herzen der Überwundnen durch Gnad, als in die eroberten[151] Länder durch Baukunst haben stiften wollen. Denn sie achteten der Menschen lebendige durch Freundlichkeit gewonnene Erinnrung höher als die stummen Ueberschriften der Bögen, Säulen und Pyramiden, welche dem Verderbnis der Luft und eines Jeden Mißgunst blosstehen. Wohl noch entsinnen mögt ihr euch der Langmuth die sie in dem Treffen bei Sainct Aulbin zum Sperberbaum und bei der Zerstörung von Parthenay an den Bretanischen bewiesen. Habt auch gehört und hörend bewundert wie glimpflich sie mit den Barbaren von Spagnola verfahren sind, die den Meer-Gau von Olone und Thalmondois verheert, geplackt und geplündert hatten. Der ganze Himmel ward des Frohlockens und Lobes voll, so ihr und eure Väter damals erhoben habt, als der Canarische König Alpharbal, seines Glückes Nimmersatt, in das Land Onix wüthend einfiel, alle Armorischen Insuln und angrenzende Gauen mit Seeraub heimsucht'. Er ward in gutem Krieg zersprengt, besiegt, gefangen von meinem Vater, dessen Schirm und Erhalter Gott sey. Aber was mehr? Statt daß andre König und Kaiser, ja selbst solche die sich Katholische schelten lassen, ihn elend gehalten, hart eingekerkert, aufs äusserste ranzioniret hätten, hielt er ihn fürstlich, brüderlich, losirt' ihn zu ihm in seinen Palast und schickt' ihn voll unglaublicher Barmherzigkeit in sicherm Geleit, beladen mit Gaben, mit Ehrengeschenken, mit Gunstbezeugungen aller Art wieder heim. Was war das End davon? Kaum war er in seine Staaten kommen, so ließ er alle Fürsten und Ständ des Reichs berufen, schildert' ihnen die Freundlichkeit die er bey uns erfahren, und bat sie darauf bedacht zu seyn, daß, wie die Welt an uns ein Beyspiel ehrlicher Billigkeit gesehen hätt, sie auch an ihnen nun ein gleiches billiger Ehrlichkeit[152] finden möchte. Da ward einmüthiglich beschlossen daß man uns all ihr Land, Gebiet und Herrschaft übertragen wollt' damit zu schalten nach unserm Gefallen. Alpharbal kehret, in eigner Person stracks mit neuntausend achtunddreyssig grossen Lastschiffen zu uns zurück, beladen nicht nur mit seines Hauses erblichem Krongut, sondern fast allen Schätzen des Landes. Denn als er eben, mit West-Nord-Ostwind, abfahren wollt und seinen Schiffen die Segel aufzog, da warf ein jeder zu Hauf in selbe Gold, Silber, Kleinod, Edelstein, aromatisch Rauchwerk, Spezereyn, Gewürz, Meerkatzen, Pelikanen, Zibeten, Psittich, Bisamthier, Dornschwein. Wer nicht was er nur Bestes in Leib und Leben hätt dazu warf, ward gar für keiner ehrlichen Mutter Sohn geachtet. Wie er nun ankam, wollt er meinem Vater die Füße küssen; dieß ward nicht ziemlich befunden noch gestattet, er vielmehr von ihm gesellig umfangen. Er präsentiret' seine Geschenk, man nahms nicht an, als übermässig; bot sich selbst samt seinen Nachkommen zu freywilligen Knechten an; man gabs nicht zu, denn es schien nicht billig. Uebergab nach dem Schluß der Ständ sein Land und Staaten nebst Verreichung der drüber errichteten Instrument und Cessionstraktaten, ratifiziert, signirt, besiegelt von allen darinnen Betheiligten. Dieß ward ihm rundweg abgeschlagen und die Contrakt ins Feuer geworfen. Das End war, daß mein Vater anfing vor Wehmuth zu jammern und helle Tränen über die wohlgemeinte Einfalt der Canarier vergoß, und durch schickliche Wort und erlesene Sprüch die Wohlthat die er ihnen erwiesen herabsetzt', denn er hätt ihnen, sagt' er, auch nicht eines Knopfs werth Gutes gethan, und so er auch ehrlich an ihnen gehandelt, sey er also zu thun verbunden. Aber desto höher erhub es Alpharbal. Was war nun der Schluß? Statt zwanzighunderttausend Thalern die wir von ihm als Lösegeld nach höchster Streng tyrannisch hätten er pressen und seine ältesten Söhn als Geiseln dafür behalten mögen, haben sie sich zu immerwährend steuerpflichtigen Nachbarn bekannt und jeglichs Jahr zwo Millionen löthigen Goldes zu vierundzwanzig[153] Karat uns zu entrichten verbunden. Sind uns im ersten Jahr allhie baar ausbezahlt. Das andre Jahr zahlten sie freywillig dreyundzwanzighunderttausend; das dritte sechsundzwanzighunderttausend; das vierte, drey Millionen Thaler: und sind also gutwillig immer höher gestiegen, daß wir ihnen ein mehreres Steuern zu verbieten gezwungen seyn werden. Dieß ist die Natur der Dankbarkeit. Denn die Zeit, die alle Ding anfrißt und mindert, mehret dagegen und häuft die Wohlthat; weil ein vernünftigen Menschen gern erwiesener offener Freundesdienst in edlem Gedächtniß und Erinnrung allzeit fortwächst. Wollen also mit nichten aus der angestammten milden Art unsrer Väter schlagen, sondern hiemit euch los und ledig, frank und frey wie zuvor erklären.

Ueberdem soll man jedem zum Abzug in den Thoren drey Monat zahlen, daß ihr wieder in eure Heimath und Freundschaft kommen könnt, und mein Marschalk Alexander mit sechshundert Reisigen und achttausend Fußvolk soll euch sicher geleiten, damit euch die Bauern kein Leides thun. Gott sey mit euch. Vom Grund des Herzens ist mir leid daß nicht Pikrocholus hie zugegen: denn ich hätt ihn gemahnen wollen, daß dieser Krieg nicht mir zur Lust, noch Hoffnung mein Gut und Namen zu mehren erhoben worden. Aber weil er verschollen ist und man nicht weiß wie oder wo er abhanden kommen, will ich daß seinem Sohn sein Reich unangetastet verbleiben soll. Welcher, da er noch allzu jung, (denn er ist noch nicht gar fünf Jahr alt) von den ältesten Landesfürsten und klugen Männern des Königreichs erzogen und guberniert soll werden. Und weil ein solch verlassen Reich gar leicht zu Grund gerichtet wird, wenn man den Geiz und Begehrlichkeit der Verweser desselben nicht im Zaum hält, will und verordn ich: Ponokrates soll mit dazu benötiger Vollmacht, über all seine Lehrer und Pfleger Aufseher seyn, und um das Kind getreulich bleiben, bis er es selber zu regieren geschickt und tauglich befinden wird.

Ich bedenk daß allzu weichlich schlaffe Nachsicht gegen die Uebertreter, ihnen nur desto mehreren Anlaß giebt von neuem zu sündigen, bestärkt durch diesen schädlichen Trost der Vergebung.[154]

Ich bedenk wie Moses, der seiner Zeit der sanfteste Mann der Erden war, doch die Empörer und Meutenmacher im jüdischen Volk nachdrücklich bestraft hat. Ich bedenk auch den Julius Cäsar, der ein so gütiger Kaiser war, daß Cicero von ihm sagt, sein Glück hab nichts erhabeners gehabt als daß er konnt, und seine Tugend nichts bessers als daß er auch immer wollt einen jeden begnadigen und verschonen. Derselbige gleichwohl hat ihrer Orten die Unruhstifter hart gestraft.

Nach deren Fürgang will ich dann daß ihr vor euerm Abzug mir zuvörderst diesen saubern Marcket aushändiget, dessen eitler Dummtrotz dieses Krieges erster Zunder und Saamen gewesen; zweytens auch seine Gesellen die Weckenbecker welche sich säumig finden lassen ihm auf der Stell sein thörigt Gehirn zurecht zu rucken. Drittens endlich alle Räth, Hauptleut, Beamten und Dienerschaft des Pikrocholus, die ihn etwann zu solchem uns beschwerlichen Ausfall angereizt, darinn bestärkt, oder zugerathen.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 151-155.
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